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Einige Schlussfolgerungen für sozialistische Wirtschaftspolitik

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungManuskripte 86 (Seite 187-200)

Die Debatte zu Krisen und Staatsinterventionismus beweist von Neuem, dass die bei der Gründung von Attac thematisierte »ökonomische Alphabetisierung« im-mer dringlicher wird. Schließlich verschleiern die im politischen und wissen-schaftlichen Mainstream gebrauchten Kategorien und Formulierungen Geschicht-lichkeit, widerstreitende Interessen, Ursachen und Verursacher von Problemen, orientieren nicht auf die Interessen der Marginalisierten, auf gesellschaftliche Ver-änderungen und deren Akteure. So müssen schon »Wirtschaftspolitik«, »sozialis-tische Wirtschaftspolitik« und »Staat« begrifflich neu geklärt werden.

Wird dem gefolgt, kann der gegenwärtige Staatsinterventionismus, also das ge-genwärtige Agieren der »sichtabaren Hand« als Pragmatismus von Akteuren des internationalen Finanzkapitals gesehen werden, die so ihre Verwertungs- und Handlungsspielräume erhalten, neue erschließen, weitere Machtverschiebungen zu ihren Gunsten erreichen wollen. Soll dem Widerstand entgegengesetzt und sol-len solche Veränderungen der gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse erwirkt werden, dass die Ursachen sozialer und ökologischer Zerstörung angegriffen und nachhaltig bekämpft werden, müssen die Ressourcenverteilung und Ressourcen-nutzung einerseitsund die natürlichen Lebensbedingungen Klima und Biodiver-sität andererseitszu gesellschaftspolitischen Schwerpunkten und systematisch gemeinsam bearbeitet werden. Dabei erweist sich die Demokratisierung von Ent-scheidungen zum Ressourceneinsatz und zur Ressourcennutzung – insbesondere zu öffentlichen Finanzen und zur dezentralisierten Wirtschaftsentwicklung – und ihrer Kontrolle als politische Schlüsselfrage.

Zum Problem der Begriffe und zu »Marx-Kritik« im Marxschen Sinne Immer häufiger und immer intensiver sind jene Wirtschaftswissenschaftler/innen, die sowohl in Fachkreisen und mit Berufspolitiker/innen diskutieren als auch mit Bürger/innen und verschiedenen Linken mit dem Problem »der Sprache« kon-frontiert. Begriffe und Worte werden mit großer Selbstverständlichkeit gebraucht, ohne zu prüfen, ob die Anwesenden damit gleiche Vorstellungen verbinden. Das macht Verständigung nicht einfacher und schon gar nicht die Arbeit an linken po-litischen Strategien. Ökonomische Kategorien wären also daran zu prüfen, inwie-fern sie die in der Gesellschaft vorhandenen Interessenkonflikte reflektieren, auf

gesellschaftliche Akteure und Veränderungen orientieren. Eine derartige Prüfung kann durchaus in »Marx-Kritik« münden.

Das beginnt bereits mit »Politik«. Der Duden (http://duden-suche.de) als reprä-sentativer Spiegel von Sprachdeutung erläutert »Po|li|tik« insbesondere vom Griechischen abgeleitet als »Kunst der Staatsverwaltung« und schreibt: »auf die Durchsetzung bestimmter Ziele bes. im staatlichen Bereich u. auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens gerichtetes Handeln von Regierungen, Parlamenten, Par-teien, Organisationen o. Ä.«. Organisationen können sehr vielfältig sein, aber Bürger/innen sind laut Duden keine Akteure von Politik. Und weiter: »Wirt|schafts|

po|li|tik« gilt als »Gesamtheit der staatlichen Maßnahmen zur Gestaltung der Wirtschaft«, ist also Angelegenheit einzig des Staates. Der politische Staat wird dreifach erklärt, als: »a) Macht, Staatswesen; ... b) Land, Reich, Staatsgebiet. c) Obrigkeit, Regierung, Staatsgewalt, Staatsmacht.« In einem weiterführenden Arti-kel wird dann erklärt: »Staat« sei »seit Beginn der Neuzeit«, d. h. der bürgerlichen Gesellschaft, die »Herrschaftsordnung, durch die ein Personenverband (Volk) auf abgegrenztem Gebiet durch hoheitliche Gewalt zur Wahrung gemeinsamer Güter verbunden ist.«

»Politik« wird also wesentlich an den »Staat« gebunden. Bei »Wirtschafts-politik« ist die staatliche Bindung noch stärker. »Politik«, »Wirtschafts»Wirtschafts-politik«,

»Staat« und »Gesellschaft« werden in einen instrumentellen Zusammenhang ge-stellt, die Begriffserklärungen nicht mit der Frage nach Akteuren und (grundle-genden) Veränderungen der Verhältnisse zwischen ihnen verknüpft.

Die Gesellschaftswissenschaften im Allgemeinen und die Wirtschaftswissen-schaften im Besonderen setzen hier an. Auch wenn teilweise von der Konzentra-tion auf den Staat abgegangen wird, wird die Akteursfrage nicht klar gestellt und

»Politik« nicht mit der Auseinandersetzung von Akteuren mit konkreten Interes-sen um gesellschaftliche Entwicklung erklärt.

Meyers online Lexikon definiert Wirtschaftspolitik als »alle Maßnahmen staat-licher Instanzen zur Gestaltung der Wirtschaftsordnung ... , zur Beeinflussung der Struktur ... und des Ablaufs des arbeitsteiligen Wirtschaftsprozesses. ... Träger der Wirtschaftspolitik sind u. a. Parlament, Regierung, Verwaltung, Zentralbank«

(http://lexikon.meyers.de/meyers/Wirtschaftspolitik).

Wikipedia geht etwas weiter und erklärt: »Wirtschaftspolitik ist die Gesamtheit aller politischen, vor allem staatlichen Bestrebungen, Handlungen und Maßnah-men, die darauf abzielen, den Ablauf des Wirtschaftsgeschehens in einem Gebiet oder Bereich zu ordnen, zu beeinflussen, zu gestalten oder unmittelbar festzule-gen« (http://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaft#Wirtschaftspolitik).

Nun zeigen sich in den Diskussionen der Linken zwei Extreme: Zum einen eine zunehmende Akzeptanz der im politischen Alltag und in der gängigen Wissen-schaftssprache gebrauchten Begriffe, womit zugleich Denkweisen über- bzw. an-genommen werden. Zum anderenein unkritischer Rückgriff auf Kategorien in den Schriften von Karl Marx.

Beide Extreme verstellen Grundprämissen für die Arbeit an sozialistischen Strategien, ja sogar die Artikulation des Anliegens, an solchen Strategien zu arbei-ten, denn der Duden teilt »ideologiefrei«, um Wahrheit und Sachlichkeit bemüht, mit: »so|zi|a|lis|tisch ‹Adj.› ... den Sozialismus betreffend, zum Sozialismus gehörend; in der Art des Sozialismus: -e Ideale; die -e Revolution; die -en Staaten;

... s. regierte Länder ...« und »So|zi|a|lis|mus« ... 1. ‹o. Pl.› (nach Karl Marx die dem Kommunismus vorausgehende) Entwicklungsstufe, die auf gesellschaftlichen od. staatlichen Besitz der Produktionsmittel u. eine gerechte Verteilung der Güter an alle Mitglieder der Gemeinschaft hinzielt: der real existierende S. (DDR; der [in den sozialistischen Ländern] verwirklichte Sozialismus); den S. aufbauen;

unter dem S. leben. ... 2. ‹Pl. selten› politische Richtung, Bewegung, die den ge-sellschaftlichen Besitz der Produktionsmittel u. die Kontrolle der Warenproduk-tion u. -verteilung verficht: der demokratische, bürokratische S....« (http://duden-suche.de).

Ein theoretisches Grundproblem bei Marx hat mit seiner Leistung zu tun, die er in der Auseinandersetzung mit Widersprüchen erbracht hat und die selbst wider-sprüchlich ist. Das zeigt sich insbesondere in seiner Gesellschaftsauffassung:

»Die Gesellschaft besteht nicht aus Individuen, sondern drückt die Summe der Beziehungen, der Verhältnisse aus, worin diese Individuen zueinander stehn«

(Marx 1974, 176). Würde hingegen formuliert: Die Gesellschaft ist die Summe der Individuen und »die Summe der Beziehungen, der Verhältnisse, worin diese Individuen zueinander stehn«, wären die Akteure von Veränderungen zwischen den Individuen erfasst, würde auf sie und ihr Verhalten zur »Summe der Bezie-hungen, der Verhältnisse« orientiert. Die Aktivitäten der Akteure – als einzelne Gesellschaftsmitglieder und in Organisationen – um ihre Interessen zu realisieren und sich mit den Regeln, Traditionen und mit der Ordnung auseinandersetzen, nach denen sich die Individuen in ihrer Gesamtheit bewegen, können »Politik«

genannt werden. Politik bezieht sich also auf die Auseinandersetzung mit der

»Summe der Beziehungen, der Verhältnisse, worin die Individuen zueinander stehn«.

Bei Marx selbst finden sich Passagen, die so interpretiert werden können, als verbinde er Politik grundsätzlich mit dem Staat (z. B. Marx/Engels 1978, 62), was eine Einengung wäre.

Es geht also um die kritische Aneignung Marxschen theoretischen Erbes. Dafür relevant ist eigenes Fazit: »Meine Untersuchung mündete in dem Ergebnis, dass Rechtsverhältnisse wie Staatsformen … in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln. … In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produkti-onsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produk-tivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche

Bewusst-seinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt.« (Marx 1961, 8/9). In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Automatismen im Denken merkte Engels an: »Die politische, rechtliche, philosophische, religiöse, literari-sche, künstlerische etc. Entwicklung beruht auf der ökonomischen. Aber sie alle reagieren auch aufeinander und auf die ökonomische Basis. … Es ist also nicht … eine automatische Wirkung der ökonomischen Lage, sondern die Menschen ma-chen ihre Geschichte selbst, aber in einem gegebenen, sie bedingenden Milieu, auf Grundlage vorgefundener tatsächlicher Verhältnisse, unter denen die ökonomi-schen, sosehr sie auch von den übrigen politischen und ideologischen beeinflusst werden mögen, doch in letzter Instanz die entscheidenden sind und den durchge-henden, allein zum Verständnis führenden roten Faden bilden.« (Engels 1973, 206) Dies weiter untersuchend und konkretisierend, weil er die Programmatik und Strategie der Italienischen Kommunistischen Partei fortschreiben wollte, ent-wickelte Antonio Gramsci sein »Hegemonie-Konzept«.

Wirtschaftspolitik und sozialistische Wirtschaftspolitik neu definieren In Bezug auf das Verständnis von Wirtschaftspolitik wäre also die Frage zu stel-len, wie Individuen und Kollektive im Prozess der Produktion, Distribution, Zir-kulation und Konsumtion von Ergebnissen gesellschaftlicher Arbeit und damit im Stoffwechsel mit der Natur bzw. auf diese einwirkend, ihre Interessen realisieren – wie sie dabei Traditionen, Gewohnheiten und Regeln im gesellschaftlichen Wirtschaftsleben, Produktionsverhältnisse verteidigen, angreifen und (um)gestal-ten, wie sie die ökonomische Struktur der Gesellschaft verändern.

Diese Auffassung von Wirtschaftspolitik hat zwei praktische Konsequenzen:

1.) Während im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Mainstream auf den wirtschaftspolitischen Akteur Staat fokussiert wird, bestenfalls neben diesem noch die Parlamente, Parteien mit Parlamentsfraktionen, Gewerkschaften und Un-ternehmerverbände interessieren, können nach der von Marxscher politischer Ökonomie kritisch abgeleiteten Position auch Bürgerinnen und Bürger, Anti-Ar-mutsinitiativen bzw. Zusammenschlüsse von Hartz-IV-Betroffenen, Umwelti-nitiativen, Friedensbewegungen, im Verbraucherschutz Engagierte, lokale und re-gionale Agenden 21, PatientInneninitiativen usw. Akteure von Wirtschaftspolitik sein bzw. werden.

Während es im Verständnis von Wirtschaftswissenschaft im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Mainstream vorrangig um »gutes Verwalten und Gestal-ten« geht, wobei die von ihnen genannten Akteure darüber befinden, was »gut«

ist, können sich entsprechend der alternativen Auffassung von Wirtschaftspolitik wesentlich mehr sozial sehr heterogene Akteure mit sehr verschiedenen Interessen und politischen Positionen an der Auseinandersetzung beteiligen.

Dabei kann es durchaus verschiedenen Akteuren um mehr als »nur« um »gutes Verwalten und Gestalten« gehen, so etwa um die Überwindung der kapitalisti-schen Produktionsweise, um das Ziel einer sozialistikapitalisti-schen Gesellschaft.

2.) Der gesellschaftliche und gesellschaftswissenschaftliche Mainstream be-stimmt ausgehend von der Logik des »Verwaltens und Gestaltens« darüber, wie die Aufgaben der offiziellen parlamentarischen Ausschüsse und Verwaltungsres-sorts formuliert werden. Daher sollte eine Partei, die Wirtschaftspolitik im ent-wickelten Sinne versteht und eine sozialistische Gesellschaft erstrebt, nicht prag-matisch ihre in parlamentarische Ausschüsse für Wirtschaftspolitik entsandten Sprecher/innen oder ihre für das Ressort »Wirtschaft« in die Verwaltungen Beru-fenen zu Verantwortlichen für Wirtschaftspolitik der Partei wählen oder ernennen.

Das gilt auch umgekehrt.

Es geht hierbei keineswegs um eine politische Abwertung der Arbeit in Parla-menten und Verwaltungen, sondern um eine Teilantwort auf die Frage, wie die linke Partei, die sozialistische Organisation es ausnutzen können, dass sie Wirt-schaftspolitik und Politik insgesamt anders als der Mainstream verstehen.

Diese wären ausgehend von einer grundsätzlichen Kritik des Kapitalismus zu definieren und sollten wegen dessen gesellschaftlicher und ökologischer Zer-störung37auf seine Überwindung orientieren (Dellheim 2009, 54).

Aber die erwähnten beiden Extreme in den Diskussionen der Linken zeigen sich auch in der Formulierung des Ziels ihrer Politik. Während die einen auf weit-gehende Nivellierung von sozialen Spaltungen, gesellschaftlichen Wohlstand für die Allgemeinheit und sozialen Frieden zielen, geht es den anderen mit Verweis auf Marx um die Eroberung des Staates zwecks Verwirklichung der klassenlosen Gesellschaft.

Beispielsweise Claus Offe neigt keinem der Extrema zu: »Im Kern geht es bei

… der Kapitalismus-Kritik um die Frage nach der rationalen Beherrschung kapi-talistischer ›Anarchie‹. Im Hintergrund steht paradigmatisch die Marxsche (wenn auch keineswegs exklusiv ›marxistische‹) Diagnose, dass die Menschen ihre Ge-schichte zwar ›machen‹, aber ohne Willen und Bewusstsein. Derselben Intuition entstammt das Spiel mit dem changierenden Doppelsinn des Wortes ›Vergesell-schaftung‹: Auf der einen Seite ist eine Trendaussageüber ein immer engeres Ge-flecht von interdepentenden Zusammenhängen zwischen den Trägern arbeitsteilig ausgeübter Funktionen, ihren Voraussetzungen und Fernwirkungen gemeint, auf der anderen Seite die politische Forderungdanach, die Auslöser dieser

Wechsel-37 Wenn hier die Rede von »gesellschaftlicher und ökologischer Zerstörung« oder von »(gesellschaftlich bzw.

sozial und ökologisch) zerstörerischen Prozessen« ist, sind vor allem gemeint: a.) Armut, soziale Ausgren-zung (darunter Arbeitslosigkeit), Prekarisierung, (wachsende) soziale und territoriale Spaltungen, b.) Natur-und Kulturzerstörung, vorrangig globale Erwärmung Natur-und Artensterben, c.) Entdemokratisierung, Überwa-chung und Repression, Verlust an demokratischen Gestaltungs- und politischen Steuerungsmöglichkeiten (insbesondere durch die Privatisierung öffentlicher Leistungen, die Verarmung von Kommunen und Regio-nen), Neofaschismus, religiöse Fundamentalismen und politische Extremismen, d.) Militarisierung und Kriege, bewaffnete Konflikte und Attacken.

und Fernwirkungen unter politische Kontrolle zu nehmen, d. h. ihre bisher nach

›privaten‹ (d. h. blinden und rücksichtslosen) Rentabilitätskalkülen verwendeten Produktivvermögen zu ›vergesellschaften‹ und in eine absichtsvolle und bewusste gesellschaftliche Lenkung zu nehmen« (Offe 2006, 186).

Die Vergesellschaftung der Arbeit bei privater bzw. kapitalistischer Aneignung ihrer Ergebnisse geht mit einer Zerstückelung des Menschen und der Natur ein-her. Sozialistische Bewegung beginnt mit den Utopisten, die sich »vollständig im reinen [waren] über die Wirkungen der Teilung der Arbeit, über die Verkümme-rung einerseits des Arbeiters, andererseits der Arbeitstätigkeit selbst« (Engels 1978, 292). Die Ausbeutung zerstört die Gesundheit, Würde und Sozialbeziehun-gen der Arbeiterinnen und Arbeiter. Die Springquellen der Natur werden untergra-ben. Die Vergesellschaftung der Produktion in Zentren ist mit der Abkopplung (ländlicher) Räume, ganzer Territorien verbunden, mit sozialer Ausgrenzung und sozialen Spaltungen.

Die Notwendigkeit der »Expropriation der Expropriateure« bzw. der »Aneig-nung einer Totalität von Produktionsinstrumenten durch die Individuen«, die Prole-tarier/innen hatten »die Klassiker« insbesondere damit begründet, dass nur so die Möglichkeiten geschaffen werden könnten, dass die Proletarier/innen all ihre Fähig-keiten entwickeln können. Dass sie nur so gewährleisten können, dass produziert wird, was sie brauchen, dass die Produktivkräfte aufhören, Destruktivkräfte zu sein und die Springquellen der Natur zu untergraben. »Die Individuen, die nicht mehr unter die Teilung der Arbeit subsumiert werden, haben die Philosophen als Ideal un-ter dem Namen ›der Mensch‹ vorgestellt …« (Marx/Engels 1978, 69).

Weil bei der Aneignung der Produktionsmittel durch die Proletarier/innen »die Masse von Produktionsinstrumenten unter jedes Individuum und das Eigentum unter Alle subsumiert werden« (Marx/Engels 1978, 68), wird die freie Entwick-lung eines jeden zum Ziel der Produktion.

Es geht also um die individuelle Freiheit für jede und jeden, um die soziale Gleichheit und das solidarische Miteinander aller, um ihre Vernunft und Verant-wortung im Umgang mit der Natur, kurz: um ein »magisches Viereck neuen Ty-pus« (Dellheim 2009, 52).

Entscheidend ist, ob Politik im Allgemeinen und Wirtschaftspolitik im Beson-deren an diesem Ideal ausgerichtet werden – was nicht gleichbedeutend ist mit dem Glauben an die Realisierbarkeit dieses Ideals. Die Antwort bestimmt die Ra-dikalität im Ringen um die strukturelle Rückdrängung und Überwindung der so-zial und ökologisch zerstörerischen Prozesse.

Somit kann »sozialistische Wirtschaftspolitik« als Ringen demokratischer Ak-teure um eine solche Organisation der gesellschaftlichen Arbeit, um eine solche Realisierung des materiellen gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktions-prozesses verstanden werden, dass gesellschaftliche, ökologische und globale Probleme demokratisch und gerecht gemildert und letztendlich nachhaltig gelöst werden.

Sozialistische Wirtschaftspolitik orientiert auf sozialökologischen Umbau, auf einen reflexiven, fortwährenden Such- und Transformationsprozess, in dem so-wohl die gesellschaftspolitischen Macht- und Eigentumsverhältnisse und die ge-sellschaftlichen Strukturen als auch die Lebensweisen der Menschen durch diese selbst so verändert werden, dass die sozialen und natürlichen Lebensbedingungen der Menschen erhalten und fortschreitend verbessert werden. Dabei verhalten sich die Menschen zueinander immer solidarischer, werden einander schrittweise so-zial gleich, leben zunehmend selbstbestimmt in Würde und in Vernunft mit der Natur (vgl. Brangsch 2008, 9/10).

Zum Staat und gegenwärtigen Staatsinterventionismus

Die vielfältigen Funktionen des Staates sind historisch entstanden, haben mit Ver-gesellschaftungsprozessen, notwendiger Regelung von Interessenwidersprüchen unter den Herrschenden und in der Gesellschaft zu tun, mit Konkurrenz unter den individuellen Kapitalen. Sie sind zueinander widersprüchlich, was sich in Wi-dersprüchen in und zwischen seinen Apparaten niederschlägt und das Handeln der hier Agierenden beeinflusst. Widersprüche prägen auch den gegenwärtigen Staatsinterventionismus, der die Herrschaftsverhältnisse und entscheidende Kri-senursachen nicht angreift und der gesellschaftliche Hierarchien stärkt. Das be-trifft auch und insbesondere die Unterordnung des globalen Südens unter die Re-produktionsinteressen der global Herrschenden.

In der Auseinandersetzung mit den sozial und ökologisch zerstörerischen Pro-zessen kommt dem Staat ein besonderer Stellenwert zu. Und wiederum zeigen sich zwei Extreme in den Diskussionen der Linken: Da ist einerseitsder Staat als Wahrer der »Gemeinschaftsgüter«, der aufgefordert wird, im Interesse des Ge-meinwohls zu agieren. Vielfach wird er dem »Markt« gegenübergestellt, der als Handelsplatz verstanden wird, wo Käufer und Verkäufer unter- und gegeneinan-der konkurrieren.

Da sind andererseitsder Repressionsstaat und der vielfach nach außen aggres-sive Staat. Staat und Markt werden prinzipiell negativ gesehen, weil sie Grundbe-dingungen für Kapitalakkumulation sind.

Die verschiedenen Verwaltungssysteme in den EU-Mitgliedsstaaten haben eine Geschichte, die vielfach in den Feudalismus zurückreicht und mit spezifischer ka-pitalistischer Entwicklung zu tun hat. In dieser formieren sich Nationalstaaten, die um ihre Stellung in der Welt konkurrieren bzw. Kriege führen. Sowohl zur Entste-hung als auch zur Reproduktion der Kapitalverhältnisse, die auf das Engste mit Märkten verbunden sind, wird der Staat gebraucht. Der Staat muss ermöglichen helfen, dass die Ressourcen für die Kapitalakkumulation in erforderlicher Qualität zur Verfügung stehen, was eine gewisse Beachtung von Reproduktionserforder-nissen der Arbeitskräfte verlangt.

Er ist Raum und Repräsentant eines Zwangskollektivs in der internationalen Arena, Konzentration von vielfältiger nach innen und außen gerichteter Gewalt, Repressionsapparat zur Niederhaltung der Beherrschten, Instrument zur Durch-setzung eines allgemeinen Kapitalinteresses gegenüber individuellen Kapital-interessen, Verwalter des Gemeinwesens und seiner Güter, Garant eines Kom-promisses unter den Herrschenden und eines gewissen KomKom-promisses zwischen diesen und den sozial heterogenen Beherrschten mit ihren widersprüchlichen Interessen. Der Staat ist die »Zusammenfassung der bürgerlichen Gesellschaft«

(Marx 1961, 639), ein ständig »umkämpftes Strukturmerkmal der bürgerlichen Gesellschaften« (Hirsch 2001,19). »Staat« und »Gesellschaft« sind immer Ausdruck eines widersprüchlichen gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs (Gramsci 1986, 199 ff., Hirsch 1995, Poulantzas 1978).

Als »umkämpftes Strukturmerkmal« wird auch er durch Vergesellschaftungs-prozesse verändert bzw. er verändert sich. So hat sein Berater-Stab Einrichtungen und Repressionen erfunden und organisiert, um die Arbeitskraftbesitzer/innen zu nötigen, an der Milderung von »drei unterschiedlichen Bezugsproblemen« mit zu-wirken – »das der Arbeitsbereitschaft, der individuellen Arbeitsfähigkeit und das der objektiven ›Verkaufschancen‹ der Arbeitskraft« (Offe 2006, 169).

Weil mit den Machtgewinnen der transnationalen Konzerne in der wirtschaftli-chen Sphäre die Widersprüche zwiswirtschaftli-chen den unterschiedliwirtschaftli-chen Staats- und Inter-essenharmonisierungsfunktionen wachsen und zugleich die Widersprüche zwi-schen den Komponenten der Sozialpolitik, sind sowohl Konzerne als auch Akteure der staatlichen sozialen Sicherungspolitik daran interessiert, sich von Verantwortung für das gesellschaftliche Leben zu »befreien«. Diese »Befreiung«

kann nur bei Delegierung von »Verantwortung« auf die Bürgerinnen und Bürger erfolgen. Das geschieht auch indirekt, indem verschiedene staatliche Aufgaben auf untergeordnete Verwaltungsebenen verlagert werden, ohne deren Finanzaus-stattung entsprechend zu erweitern. So werden wichtige Verursacher der gesell-schaftlichen Zustände verschleiert und Interessenwidersprüche innerhalb des Staates gemehrt. Staatliche sozialpolitische Repression muss insgesamt wachsen, weil die Voraussetzungen dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger die auf sie dele-gierte Verantwortung wahrnehmen können, nicht geschaffen werden und teilweise sogar schwinden.

Die widersprüchliche Interessenübereinstimmung zwischen Staat und trans-national agierenden Konzernen bleibt spannungsgeladen, denn allein die indivi-duellen Kapitale, verschiedenen Kapitalfraktionen, und die Sozialstruktur der Gesellschaft bedingen sehr unterschiedliche Interessen. Hinzu kommt, dass sich innerhalb und zwischen den staatlichen Akteuren auf den verschiedenen Ebenen bzw. in den Staatsapparaten Interessenwidersprüche auf- und abbauen. Diese Wi-dersprüche sind latent, weil es unterschiedliche Funktionen der Apparate und da-mit Konfrontation da-mit unterschiedlichen Akteuren auf den verschiedenen Verwal-tungsebenen gibt.

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungManuskripte 86 (Seite 187-200)