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Die »sichtbare Hand« – Regulierung als Einstiegsprojekt?

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungManuskripte 86 (Seite 25-36)

In der Diskussion über die »sichtbaren« und die »unsichtbaren« Hände bündeln sich wenigstens zwei Ebenen von Widersprüchen. Ohne staatliche Regulierung sind moderne Gesellschaften nicht lebensfähig – aber jede Regulierung stellt den Herrschaftsanspruch des Kapitals sichtbar in Frage. Linke Bewegungen sind in ihrem Handeln und in ihrer Konzeptbildung beständig wiederum mit dem Wider-spruch konfrontiert, dass der Staat ihnen Handlungsräume schafft, gleichzeitig aber als Repressionsapparat gegenüber tritt. Regulierung wird daher vor allem als Moment von Repression, im besten Falle von Inkorporation bzw. Korruption be-stimmter Schichten verstanden.

Bietet diese Widerspruchskonstellation Ansätze für die Entwicklung von alter-nativen Praxen, für die Schaffung von Spielräumen für Gesellschaftsverände-rung? Kann staatliche Regulierung Einstiege liefern in weitergehende Verände-rungsprozesse? Unter welchen Bedingungen ist das möglich?

Diese Fragen sollen hier aus dem Gesichtspunkt der Stellung der Regulie-rungspolitik im Kontext des Vergesellschaftungsprozesses, des Widerspruches zwischen dem gesellschaftlichen Charakter des Reproduktionsprozesses und dem engen Rahmen der Produktions-, besonders der Aneignungsverhältnisse diskutiert werden. Dabei soll ausdrücklich auf das Marxsche Herangehen an die Rolle des Staates bei der Formierung des Kapitalismus und der Entfaltung des Verhältnisses von Kapital und Arbeit Bezug genommen werden. Dabei wird von den globalen Aspekten abstrahiert werden müssen, wie auch von der Wechselwirkung von Par-lament und Staat.

Bereits auf einer frühen Stufe der Darlegung der Reproduktion des Kapitalver-hältnisses beschreibt Marx die unbedingte Notwendigkeit, man könnte sagen die Selbstverständlichkeit staatlicher Intervention in die Auseinandersetzungen von Kapital und Arbeit. Sei es die Regulierung der Länge des Arbeitstages, sei es die Gestaltung der Arbeitsbedingungen oder sei es auch eine andere Ebene der Ge-währleistung der Stabilität der Kooperationsbeziehungen zwischen den Kapitali-sten oder die Entwicklung des Kreditwesens – an allen Stellen sieht Marx die staatliche Gewalt als notwendige Grundlage kapitalistischer Entwicklung.

Er entwickelt dies nachdem er die formale Gleichheit der beiden Agenten Ka-pitalist und Arbeiter auf dem Markt konstatiert hat. Eine Gleichheit, die übrigens bereits auch einen gewissen Charakter der gegebenen Staatlichkeit voraussetzt. Es muss ein Staat da sein, der nicht nur die Trennung des Arbeiters von den Produk-tionsmitteln, sondern auch dessen persönliche Freiheit garantiert. Wie ist aber un-ter diesen Bedingungen die Produktion von Mehrwert möglich, wie kann der

Ar-beiter gezwungen werden, mehr zu arbeiten, als es für die Reproduktion seiner Arbeitskraft nötig ist?

In der Konkurrenz dieser beiden formal Gleichen vor allem um die Arbeitszeit entscheidet die Gewalt – die von Seiten der Kapitalbesitzer, wie auch die der Ar-beiter – so Marx. Der Klassenkampf ist kein Ausfluss von Neid und Gier, sondern ein nüchternes Produkt der ökonomischen Gegebenheiten und der aus diesen re-sultierenden unterschiedlichen Interessen zwischen Arbeitern und Kapitalisten, die aus dem gleichen Recht, dem Recht des Warenbesitzers, erwachsen. Davon ausgehend kommt Marx zur Natur der staatlichen Regulierung, die diesem Ver-hältnis dann einen Rahmen gibt. Er schreibt zur Rolle der englischen Fabrikge-setzgebung: »Diese Gesetze zügeln den Drang des Kapitals nach maßloser Aus-saugung der Arbeitskraft durch gewaltsame Beschränkung des Arbeitstags von Staats wegen, und zwar von seiten eines Staats, den Kapitalist und Landlord be-herrschen. Von einer täglich bedrohlicher anschwellenden Arbeiterbewegung ab-gesehn, war die Beschränkung der Fabrikarbeit diktiert durch dieselbe Notwen-digkeit, welche den Guano auf die englischen Felder ausgoß. Dieselbe blinde Raubgier, die in dem einen Fall die Erde erschöpft, hatte in dem andren die Le-benskraft der Nation an der Wurzel ergriffen. Periodische Epidemien sprachen hier ebenso deutlich als das abnehmende Soldatenmaß in Deutschland und Frank-reich« (Marx 1962, 253).

Die »täglich bedrohlicher anschwellende Arbeiterbewegung« und reale Macht des Kapitals und eine relative Autonomie des Staates gegen die Sonderinteressen des einzelnen Kapitalisten bilden hier das Spannungsverhältnis, in dem sich staat-liche Regulierung entwickelt. Gestaltwandel, Charakter und Handeln der Regulie-rung als »sichtbare Hand« auf der einen Seite und die Möglichkeiten der Eingriffe in die Gestaltung der Regulierungsinstrumente müssen aus diesem Spannungsver-hältnis abgeleitet werden. Regulierung, so zeigt Marx in diesem Sinne dann etwas später, bedarf des Widerstands, der praktischen Aktion.

»Man muß gestehn, daß unser Arbeiter anders aus dem Produktionsprozeß her-auskommt, als er in ihn eintrat. Auf dem Markt trat er als Besitzer der Ware ›Ar-beitskraft‹ andren Warenbesitzern gegenüber, Warenbesitzer dem Warenbesitzer.

Der Kontrakt, wodurch er dem Kapitalisten seine Arbeitskraft verkaufte, bewies sozusagen schwarz auf weiß, daß er frei über sich selbst verfügt. Nach geschlos-senem Handel wird entdeckt, daß er ›kein freier Agent‹ war, daß die Zeit, wofür es ihm freisteht, seine Arbeitskraft zu verkaufen, die Zeit ist, wofür er gezwungen ist, sie zu verkaufen, daß in der Tat sein Sauger nicht losläßt, ›solange noch ein Muskel, eine Sehne, ein Tropfen Bluts auszubeuten‹. Zum ›Schutz‹ gegen die Schlange ihrer Qualen müssen die Arbeiter ihre Köpfe zusammenrotten und als Klasse ein Staatsgesetz erzwingen, ein übermächtiges gesellschaftliches Hinder-nis, das sie selbst verhindert, durch freiwilligen Kontrakt mit dem Kapital sich und ihr Geschlecht in Tod und Sklaverei zu verkaufen. An die Stelle des prunk-vollen Katalogs der ›unveräußerlichen Menschenrechte‹ tritt die bescheidne

Magna Charta eines gesetzlich beschränkten Arbeitstags, die ›endlich klarmacht, wann die Zeit, die der Arbeiter verkauft, endet und wann die ihm selbst gehörige Zeit beginnt‹«(ebenda, 319/320).

Das Arrangement mit dem bürgerlichen Staat ist so zwingend wie der Kampf mit der bürgerlichen Ordnung, das »Zusammenrotten« – ein in der Tat dialekti-scher Widerspruch, der sich nach Marx aus der konstatierten formalen Gleichheit herleitet. Die Wege, auf denen sich dieses Verhältnis dann konkret entfaltet, sind damit aber nicht bestimmt. Letztlich entscheidet, wie die Arbeiter »die Köpfe zu-sammenrotten«, ob sie »ein Staatsgesetz erzwingen« können und wie dieses dann aussieht. So kann dieses darin bestehen, dass bestimmte Rahmensetzungen für die Entwicklung sozialer Sicherungssysteme geschaffen werden, die dann durch un-mittelbare Kompromisse zwischen UnternehmerInnentum und ArbeiterInnen-schaft ausgehandelt werden, oder eben dass unmittelbar staatliche Systeme der Ab-sicherung geschaffen werden. Die entstehende konkrete Regulierungsweise schafft gleichzeitig dem »Zusammenrotten« selbst neue, mehr oder weniger enge Spiel-räume. Selbst Niederlagen der ArbeiterInnenbewegung, wie etwa 1952 bei den Auseinandersetzungen um das Betriebsverfassungsrecht schaffen neue Bedingun-gen durch den Akt des Widerstandes selbst. Auch der Staat selbst und die EiBedingun-genhei- Eigenhei-ten der Kapitalseite sind letztlich in bestimmEigenhei-ten Grenzen historische Variablen.1

Regulierung stellt auf dieser Ebene erst einmal die Gewährleistung der elemen-taren Reproduktionsfähigkeit des Kapitalverhältnisses in seiner zentralen Form, im Verhältnis von Kapital und Arbeit dar. Der Schutz der Arbeitskraft als Res-source, als »Humankapital« nimmt naturgemäß einen besonderen Platz ein. Gene-rell war das durchaus auch eine Sichtweise, die Adam Smith teilte. Schon hier ist Regulierung aber in sich widersprüchlich.

Diese Widersprüchlichkeit zeigt sich in noch stärkerem Maße, wenn man das Wirken staatlicher Regulierung durch die Bereitstellung »allgemeiner gemein-schaftlicher Bedingungen der Produktion« betrachtet. Marx schreibt dazu: »Die allgemeinen, gemeinschaftlichen Bedingungen der Produktion – solange ihre Herstellung durch das Kapital als solches, unter seinen Bedingungen noch nicht geschehen kann – werden daher bestritten aus einem Teil der Revenue des Landes – der Regierungskasse« (Marx 1983, 439). Der entscheidende Punkt ist nach Marx also das »solange« – für Marx gibt es also keine übergeschichtliche Unmög-lichkeit der Herstellung der »gemeinschaftlichen Bedingungen der Produktion«

durch das Kapital selbst. Diese Aussage hat aber weitreichende Konsequenzen.

Die Rolle des Staates ist dementsprechend auch wandelbar in dem Maße, in dem sich die Fähigkeit des Kapitals zur Herstellung dieser gemeinschaftlichen Bedin-gungen wandelt. Die Grenzen dieser Fähigkeit fordern dementsprechend eine Wandlung des Staates heraus. Herstellung der gemeinschaftlichen Bedingungen

1 Marx (1964, 793) geht darauf an anderen Stellen ein und betont die Unterschiede, die sich aus der Art der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise ergeben.

der Produktion in diesem Sinne bedeutet aber gleichzeitig die Monopolisierung dieser Bedingungen entsprechend den Maßstäben der Reproduktion des Kapital-verhältnisses. Der Ausschluss mehr oder weniger großer Teile der Menschheit von der Nutzung der gemeinschaftlichen Bedingungen gibt ihr grundsätzlich politi-schen Charakter, fordert so weitere staatliche Intervention heraus, soweit die Menschen ihre »Köpfe zusammenrotten«. Gleichzeitig steht das Gemeinschaftli-che der »gemeinschaftliGemeinschaftli-chen Bedingungen« mit seinem Bezugspunkt, dem Kapi-tal, in Widerspruch. Wir haben es hier mit einem klassischen Konflikt zwischen dem kapitalistischen Einzelinteresse und dem Gesamtinteresse des Kapitals zu tun. Das Gemeinschaftliche ist durch die Reproduktion des Gesamtkapitals er-zwungen und es wird durch die Konkurrenz der Einzelkapitale gleichzeitig immer wieder in Frage gestellt. Deregulierung und Regulierung bedingen sich so gegen-seitig. Die Ergebnisse dieser notwendigen vielfältigen Kompromisse müssen sich schließlich in der Gewährleistung der Stabilität der Beziehungen zwischen den ökonomischen Subjekten bzw. den politischen Akteuren niederschlagen.

Eine Warenwirtschaft ist letztlich in diesem Sinne nur regulierbar, wenn dem Staat eigene finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen, die »Regierungskasse«.

Die Steuern als ökonomische Daseinsweise des Staates (Marx) und die Staats-schuld als entscheidende Bindung an die Reproduktion der kapitalistischen An-eignungsweise bilden letztlich die Muskeln, die die »Hand« beweglich halten, während das Gewaltmonopol das Skelett darstellt. Im 19. Jahrhundert liegen diese Verhältnisse noch sehr sichtbar zutage, daher soll hier noch einmal auf Marx verwiesen werden. Er analysiert diese Zusammenhänge u. a. bezüglich der Klas-senkämpfe in Frankreich in den Jahren 1848–1850: »Also ohne gänzliche Umwäl-zung des französischen Staats keine UmwälUmwäl-zung des französischen Staatshaushal-tes. Mit diesem Staatshaushalt notwendig die Staatsverschuldung, und mit der Staatsverschuldung notwendig die Herrschaft des Staatsschuldenhandels, der Staatsgläubiger, der Bankiers, der Geldhändler, der Börsenwölfe.« Dies führt aber zu Widersprüchen zwischen den Kapitalen. Er setzt daher fort: »Nur eine Fraktion der Ordnungspartei war direkt am Sturze der Finanzaristokratie beteiligt, die Fa-brikanten. Wir sprechen nicht von den mittleren, von den kleineren Industriellen, wir sprechen von den Regenten des Fabrikinteresses, die unter Louis-Philippe die breite Basis der dynastischen Opposition gebildet hatten. Ihr Interesse ist unzwei-felhaft Verminderung der Produktionskosten, also Verminderung der Steuern, die in die Produktion, also Verminderung der Staatsschulden, deren Zinsen in die Steuern eingehen, also Sturz der Finanzaristokratie« (Marx 1960, 78). Wenig spä-ter kommt er aber natürlich auf die Widersprüchlichkeit der temporären Radika-lität der Großindustriellen zurück und vermerkt, dass natürlich für diese die Schmälerung des Profits durch die Praktiken der Finanzaristokratie nichts sei im Vergleich zur Aufhebung des Profits durch das Proletariat (ebenda, 79).

Die oft als homogen und eindimensional betrachtete Regulierung durch die

»sichtbare Hand« ist also keinesfalls so glatt und harmonisch als

»Durchkapitali-sierung« in einfachem Sinne zu verstehen. Es ist die »Durchkapitali»Durchkapitali-sierung«, die beständig neue Eingriffsmöglichkeiten hervorbringt – soweit, und hier kommen wir wieder zu einem unserer Ausgangspunkte zurück, die Linken fähig sind »ihre Köpfe zusammenzurotten«.

Wirtschaftsgeschichtlich ist diese Sichtweise bestätigt – die Vision des »Nacht-wächterstaates« oder auch die der »Entstaatlichung« sind eher ideologische Ge-staltungen, um die Kapitalherrschaft in ihrer direkten Form bzw. den universellen Herrschaftsanspruch zu unterstreichen und die Funktionsweise der Machtvertei-lung zu verdecken. Propaganda der Machtlosigkeit des Staates bedeutet nicht zu-letzt, bestimmte Bereiche der Machtausübung zu mystifizieren bzw. Veränderun-gen als technische Probleme erscheinen zu lassen. Letzteres gilt in hohem Maße etwa für die Reformen der öffentlichen Verwaltungen in den letzten Jahren.

Sehen wir von der Grundqualität der Aneignungsweise ab, ist Stabilität aber nicht das Wesen des Kapitalismus – sein Wesen ist die Veränderung. Die »sicht-bare Hand« muss Entwicklungsmöglichkeiten schaffen. Letztendlich muss sich also Regulierung als Erschließung gesellschaftlicher Produktivkraft und der Schaffung der Bedingungen, sie in privatkapitalistisch monopolisierte Produktiv-kraft zu verwandeln, zeigen – gewissermaßen eine Modifikation des Salto Mor-tale, den die Ware zu vollziehen hat. Aber ob dieser Salto Mortale glückt, ist eben, wie bei der Ware auch, die Frage. Hier liegen wichtige Ansatzpunkte für die Ver-wandlung von Regulierungsmaßnahmen in Einstiegsprojekte von gesellschaftli-cher Transformation.

Die »sichtbare Hand« muss also konservativ und innovativ gleichzeitig sein, muss der Selbstorganisation der verschiedenen sozialen Kräfte (als der »unsicht-baren Hand«) Raum geben, sie aber gleichzeitig beschränken. Die Vermittlung zwischen Bewahren und Erneuern prägt die Eigenarten des Staates und der Regu-lationsinstrumente. Daraus resultiert, dass der Staat als Staatsapparat natürlich ein Eigeninteresse entwickeln muss und er somit nicht als willenloses Instrument die-ser oder jener Klasse oder Schicht verstanden werden kann. Um letztendlich ver-mitteln zu können, muss er vielmehr diese relative Autonomie bewahren können.

Die damit verbundene Tendenz zur Verselbständigung des Staatsapparates klei-dete Max Weber in drei Fragen: »1. Wie ist es angesichts dieser Übermacht der Tendenz zur Bürokratisierung überhaupt noch möglich, irgendwelche Reste einer in irgendeinem Sinn ›individualistischen‹ Bewegungsfreiheit zu retten? ... 2. Wie kann, angesichts der steigenden Unentbehrlichkeit und der dadurch bedingten steigenden Machtstellung des uns hier interessierenden staatlichen Beamtentums, irgendwelche Gewähr geboten werden, dass Mächte vorhanden sind, welche die ungeheure Übermacht dieser an Bedeutung stets wachsenden Schicht in Schran-ken halten und sie wirksam kontrollieren? 3. Wie wird Demokratie auch nur in diesem beschränkten Sinn überhaupt noch möglich sein?«. Die dritte Frage schließlich betrifft die Stellung der Beamten im Kampf um die Macht – wie also kann gewährleistet werden, dass der Staatsapparat »außerhalb des Kampfes um

eigene Macht« (im Unterschied zu PolitikerIn«) verbleibt (1980, 836 f.). Zweifel-los widerspiegelt diese Problemstellung durchaus Fragen, die auch heute noch stehen und die sich in gewisser Weise weiter verschärfen. An dieser Stelle dazu nur soviel, dass diese Tendenz eben eine mögliche, aus den oben entwickelten Gründen aber nicht nachhaltig produktive Tendenz, darstellen dürfte.

Regulierung bedeutet also Vermittlung sowohl politischer wie auch ökonomi-scher Interessen zwischen Staat und Ökonomie, aber genauso zwischen den ver-schiedenen Klassen und Schichten der Gesellschaft. Gleichzeitig stellt sie die Ge-staltung von Übergängen dar, die Vermittlung zwischen verschiedenen Stadien von Entwicklung. In diesem Sinne besteht eine Analogie von Regulierung und Einstiegsprojekten: Einstiegsprojekte sind politische Handlungsstrategien, die im Rahmen der gegebenen Grundqualität gesellschaftlicher Verhältnisse auf die Ent-wicklung von NEUEM gerichtet sind. Dieses NEUE zeichnet sich dadurch aus, dass es dazu beiträgt, Bedingungen für den Übergang zu einer anderen Gesell-schaft zu schaffen und gleichzeitig Ansätze für das ANDERE in diesen neuen ge-sellschaftlichen Zusammenhängen erlaubt. Einstiegsprojekte sind in diesem Sinne nicht geschlossen, sondern müssen als bewusste Schaffung neuer Möglichkeits-felder verstanden werden, die zwangsläufig bisherige Akteure und Handlungsstra-tegien in Frage stellen. Es geht um die Praxis von Emanzipation unter antiemanzi-patorischen Bedingungen. Es geht um »praktizierte Dialektik«, um bewusste Bewegung in Widersprüchen, als Umgang mit dem eigentlich Unmöglichen. Im Mittelpunkt steht nicht die konkrete Aktion, sondern die durch sie geschaffenen, vorher nicht gekannten Möglichkeiten (vgl. ausführlicher Brangsch 2009).

Es handelt sich um einen komplexen Prozess, der eigentlich nur dann gefasst bzw. als bewusste politische Aktion gestaltet werden kann, wenn man sich die vermittelnden Elemente genauer betrachtet. Sie sind es, die darüber entscheiden, ob Regulierung in ein Einstiegsprojekt fortgetrieben werden kann oder nicht.

Aber diese Elemente sind immer historisch konkret. Es sind die realen Instru-mente staatlichen Handelns, die Verwaltungsabläufe, die konkreten Entschei-dungsprozesse, die Gesetze und Verordnungen, das praktische Verhalten der Angestellten des Staates, die Steuern und die Staatsschuld, die auch das Eigenin-teresse der »sichtbaren Hand« tragen. Diese Faktoren wiederum werden natürlich in erheblichem Maße von den Aktivitäten der Parlamente geprägt, was wir aber in diesem Beitrag nicht weiter verfolgen wollen.

Bevor dies weiter diskutiert werden kann, sollte allerdings noch einmal gefragt werden, wie sich der Körper, der die Hand führt, eigentlich verändert hat. Ge-meinhin werden die letzten zwanzig Jahre als Zeit der »Deregulierung« bezeich-net – in der Tat ein irreführender Begriff, wie schon oft von verschiedener Seite angemerkt. Es ist eine Zeit der Neuregulierung – dies betrifft sowohl den sozialen Bereich wie auch den wirtschaftlichen Bereich, dies betrifft den öffentlichen Dienst und die Organisation der Erbringung öffentlicher Leistungen. Viele dieser Prozesse sind faktisch in der Öffentlichkeit unsichtbar verlaufen (bzw. verlaufen

bis heute als solche von der Öffentlichkeit unbemerkt), wie etwa die Verwaltungs-reformen, die Einführung der doppelten Buchführung in die öffentlichen Verwal-tungen (Doppik), die Föderalismusreformen (vgl. dazu auch Fisahn 2006 sowie Entschließungsantrag) oder die Veränderung der Stellung der Sparkassen und Landesbanken, die Veränderung der Geschäftspolitik der Stadtwerke und anderen öffentlichen Unternehmen. Diese Prozesse wurden eine Zeit lang auch unter der bezeichnenden Überschrift »Konzern Stadt« zusammengefasst. Im Einzelnen sol-len hier folgende Prozesse hervorgehoben werden:

- Privatisierung öffentlicher Leistungen,

- die Verwaltungsreformen, ausgehend von einer neoliberal inspirierten »Staats-aufgabenkritik«,

- Einführung der doppelten Buchführung als »Doppik« in die Verwaltungen, - Föderalismusreformen I und II,

- Veränderung des Charakters der wirtschaftlichen Betätigung von Bund, Län-dern und Kommunen,

- Veränderung des Charakters der Arbeitsmarktpolitik, vor allem mit den Hartz-Gesetzen,

- Ausbau repressiver innenpolitischer Regelungen unter dem Banner des

»Kampfes gegen den Terrorismus«,

- strikte Orientierung der Migrationspolitik auf »ökonomische Verwertbarkeit«

von MigrantInnen,

- Neuregulierung der Finanzmärkte in mindestens 43 Gesetzen und einer ent-sprechend noch höheren Zahl von Verordnungen (seit 1990).

Diese Spuren, die der Neoliberalismus hier hinterlassen hat, sind Bedingungen für die Entwicklung der Regulierungsweise in den kommenden Jahren. Das be-trifft auch die dort handelnden Personen und ihr Verhalten. Es haben sich nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen verändert, sondern auch die organisato-rischen und kulturellen. Das hat Rückwirkungen auf wirtschaftliche Entscheidun-gen. Dies fällt zusammen mit verschiedenen kontinuierlichen Tendenzen der Oli-garchisierung, vor allem bei Übergängen von Personen aus der Politik in die Wirtschaft (jüngste bzw. spektakuläre Fälle wie Fischer, Schröder, Müller, Cle-ment) bzw. beständig wirkende Schnittstellen, vor allem über Anwaltskanzleien (Merz, Diepgen u.a.). Dies setzt sich fort in der Inanspruchnahme von Beratungs-leistungen durch Kommunen und die Auslagerung der Erarbeitung relevanter po-litischer Entscheidungen. Im Jahre 2002 sollen Bund, Länder und Kommunen etwa 1 Milliarde Euro für externe Beratung ausgegeben haben (vgl. Am Pranger 2004, 20). Dies mag in bestimmten Fällen durchaus gerechtfertigt gewesen sein, auch wenn immer eine nicht zu unterschätzende Korruptionsanfälligkeit bzw. die Tendenz zu Gefälligkeitsgutachten zu beobachten sein wird (ebenda). In Fällen, die bspw. die Verwaltungsreform oder die Privatisierung öffentlicher Aufgaben betreffen, erhält aber die beratende Tätigkeit unmittelbar politische Relevanz. Be-ratungsunternehmen bringen Sichtweisen und Werte in ihre Vorschläge ein, die

meist ungebrochen Machtverhältnisse in Unternehmen zum Ausgangspunkt ha-ben. Die Diskussion zur Staatsaufgabenkritik ist auch in diesem Zusammenhang zu sehen.

Die »Partnerschaften Deutschland – ÖPP Deutschland AG« als Unternehmen2, dessen Zweck eine von Staat und Privaten betriebene gemeinsame Förderung von PPP darstellt, ist eine andere Form exekutiv vermittelter Beförderung bestimmter Entwicklungsrichtungen, in diesem Falle der faktischen Privatisierung öffentli-cher Daseinsvorsorge über PPP. In ähnliche Richtung, jedoch auf andere Weise, wirkt die KGSt, die »Kommunale Gemeinschaftsstelle zur Verwaltungsvereinfa-chung«.3Das ist mit bloßem Lobbyismus nicht zu fassen und letztendlich auch

Die »Partnerschaften Deutschland – ÖPP Deutschland AG« als Unternehmen2, dessen Zweck eine von Staat und Privaten betriebene gemeinsame Förderung von PPP darstellt, ist eine andere Form exekutiv vermittelter Beförderung bestimmter Entwicklungsrichtungen, in diesem Falle der faktischen Privatisierung öffentli-cher Daseinsvorsorge über PPP. In ähnliche Richtung, jedoch auf andere Weise, wirkt die KGSt, die »Kommunale Gemeinschaftsstelle zur Verwaltungsvereinfa-chung«.3Das ist mit bloßem Lobbyismus nicht zu fassen und letztendlich auch

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungManuskripte 86 (Seite 25-36)