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Einige anthroposophische Gesichtspunkte

Im Dokument Medizinisch-Pädagogische (Seite 53-56)

Nach Rudolf Steiner ist der Erkenntnisakt „eine Synthese aus Wahr

nehmung und Begriff".Wenn wir einen Gegenstand wahrnehmen, bilden wir das begriffliche Gegenstück dazu. Kernproblem bei auti-stischen Menschen ist die zu grofSe innere Festigkeit in der Begriffs bildung und im Denken. Da deshalb nicht alle Wahrnehmungen mit einem begrifflichen Gegenstück verbunden werden können, führt dies

15 Dziobek I, Bölte S. Neuropsychologie und funktioneile Bildgebung. In: Bölte S

(Hg). Autismus. Bern: Hans Huber Hogrefe; 2009

Greimel E, Nehrkorn B, Fink GR, Kukolja J, Kohls G, Müller K, Piefke M, Kamp-Becker 1, Remschmidt H, Herpertz-Dahlmann B, Konrad K, Schulte-Rüther M.

Neurai mechanisms of encoding social and non-social context information in autism spectrum disorder. Neuropsychologia 2012; 50(14)3440-3449.

16 Bettelheim B. The Empty Fortress: Infantile Autism and the Birth of the Seif.

New York: The Free Press; 1967

17 Steiner R. Die Philosophie der Freiheit. GA 4.16. Aufl. Dornach:

Rudolf Steiner Verlag; 1995

häufig zu einer Wahrnehmungsüberflutung ohne entsprechenden Widerpart, was für die Betroffenen sehr quälend sein kann. Aus dem

Eindruck des Autors haben sich autistische Menschen so etwas wie ein

kosmisches Urbild des Leibes und des Zuganges zum geistigen Erleben bewahrt, wobei sie aber keine ausreichend tiefe Verbindung mit dem Irdischen eingehen können. Die Hypothesen, warum dies so sein könn te, können in diesem Rahmen nicht diskutiert werden. Die mangelnde Verbindung mit dem Irdischen führt dazu, dass der Lebenssinn und die Körperwahrnehmung gestört sind, andererseits aber auch eine Af finität zu begrifflicher Reinheit und Klarheit (Mathematik, Faktenwis sen!) besteht, wie sie wohl auch in der geistigen Welt vorkommt. Dazu passt auch, dass in der geistigen Welt nach Angaben Rudolf Steiners die Innenwelt zur Außenwelt wird und hier praktisch nichts verborgen sein kann. Dies würde erklären, warum Autismus-Betroffene der Mei nung sind, dass andere Menschen alles über sie wissen und sie es nicht erklären müssen (Theory of Mind). Bei Menschen mit frühkindlichem Autismus, die über eine besondere gestützte Kommunikation kommu nizieren können, wurden mehrfach deutlich hellsichtige und hellfüh lende Fähigkeiten beschrieben.'®

Rizzolatti und Mitarbeiter veröffentlichten 2008 Forschungsergebnisse zu den „Spiegelneuronen".'' Kernpunkt hierbei ist, dass wir natürlich bestimmte Gehirnregionen aktivieren, wenn wir etwas tun. Wir aktivie ren aber auch die gleiche Gehirnregion, wenn wir jemand anderem bei der gleichen Tätigkeit zuschauen - nur etwas schwächer. Dies scheint auch für Gesichtsausdrücke zu gelten. Daraus erklären sich zum Bei spiel „ansteckendes Gähnen", aber auch soziales Lächeln jeder Art, als Erwiderung auf Lächeln des Gegenübers. Dies geschieht häufig unbe-wusst. Genau dies hat Rudolf Steiner bereits 1922 geschildert:^"

„Das Kind nimmt eine innerliche Geste, eine innerliche Mimik auf...

Es entwickelt sich bei ihm durch den ganzen Organismus hindurch ein konstitutioneller Abdruck des physischen Erlebens beim Erwachsenen.

Es nimmt das in die Länge gezogene Blasswerden des Gesichtes an, das der sorgenvolle Erwachsene hat, aber es kann den seelischen Inhalt der Sorge nicht aufnehmen; es imitiert nur die physische Folge der Sorge 18 Autisten berichten. Einblicke in die geistige Welt. Flensburger Hefte Nr. 112.

Flensburg: Flensburger Hefte Verlag; 2011

19 Rizzolatti G, Sinigaglia C. Empathie und Spiegelneurone: Die biologische Basis des Mitgefühls. Frankfurt: Suhrkamp; 2008

20 Steiner R. Die geistig-seelischen Grundkräfte der Erziehungskunst. GA 305.

Vortrag vom 19. August 1922. 3. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1991

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und das Ergebnis ist, dass beim Kinde sogleich seine physische Kon stitution von den geistigen Formkräften, die im Sinnes-Nerven-System ihren Sitz haben, ergriffen wird. Die inneren physischen und feinen Organe bauen sich im Sinne dessen auf, was das Kind an physischem Abbild der Sorge in sich aufgenommen hat. Es bekommt einen zur Sor ge disponierten Organismus, der später auch leichte Lebenseindrücke in Sorge aufnimmt, die eine andere Konstitution nicht dazu treiben."

Genau diese Fähigkeit scheint eben autistischen Menschen zum Teil zu fehlen, da sie häufig nur eine verminderte Repräsentanz für Gesichter haben, wie auch durch die zitierten FMRT-Studien belegt wurde. Rudolf Steiner beschreibt nicht nur fünf, sondern insgesamt zwölf Sinne des Menschen. Diese sind: Tastsinn, Lebenssinn, Eigenbewegungssinn und Gleichgewichtssinn als physische Sinne, die auf die eigene Leiblichkeit gerichtet sind. Als seelische Sinne werden Geruchssinn, Geschmacks sinn, Sehsinn und Wärmesinn (Temperatursinn) bezeichnet. Geistige oder soziale Sinne sind der Gehörsinn, der Sprachsinn, der Gedanken sinn und der Ich-Sinn. (Für ausführliche Darstellungen hierzu vgl. 21.^'

„Wahrnehmungsorgan für die Gedanken des anderen ist alles dasjenige, was wir sind, insofern wir in uns Regsamkeit, Leben verspüren. Wenn Sie sich also denken, dass Sie in Ihrem ganzen Organismus Leben ha ben und dieses Leben eine Einheit ist..., so ist diese in Ihnen getragene lebendige Regsamkeit des gesamten Organismus, insofern sich dieses Leben ausdrückt im Physischen, Organ für die Gedanken, die uns von außen entgegenkommen.""

„Gedankensinn ist nicht der Sinn für die Wahrnehmung einzelner Gedanken, sondern für das Wahrnehmen der Gedanken der anderen Menschen. Darüber entwickeln auch wieder die Psychologen ganz gro teske Vorstellungen. Vor allen Dingen sind die Leute so sehr von der Zusammengehörigkeit von Sprache und Denken beeinflusst, dass sie glauben, mit der Sprache wird immer auch das Denken aufgenommen.

Das ist ein Unding."

Zum Ich-Sinn sagt Rudolf Steiner: „Wahrhaftig, so unmittelbar wie wir eine Farbe wahrnehmen, nehmen wir das Ich des anderen wahr, indem 21 Soesman A. Die zwölf Sinne. Tore der Seele. 3. Aufl. Stuttgart: Verlag Freies

Geistesleben; 1988

22 Steiner R. Das Rätsel des Menschen. GA170. Vortrag vom 2. August 1916.

3. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1992

23 Steiner R. Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik. GA 293.

Vortrag vom 29. August 1919. 9., neu durchges. u. erg. Aufl. Dornach: Rudolf Steiner Verlag; 1992

wir ihm entgegentreten...So wie durch das Auge hell und dunkel und

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