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2 Material und Methoden

4.7 Einfluss des Selen

Unter Annahme des oben gezeigten Reaktionsmechanismus ist Selen direkt an der Katalyse beteiligt. Es bleibt daher die Frage, welche Auswirkungen der Austausch von Selen gegenüber Schwefel als Hydridakzeptor auf den Verlauf der Reaktion hat.

Der eigentliche Elektronentransfer des übertragenden Hydrids erfolgt in das unbesetzte, antibindende π-Orbital π* der Mo=Se Gruppe, das am Metal zentriert ist. Die Länge der einzelnen Bindungen spiegelt ihre Stärke wieder. Je stärker stabilisierend die π-Interaktionen sind (Mo=O > Mo=S > Mo=Se), desto höher ist auch die Energie der dazugehörigen antibindenden Orbitale. Folglich ist die Energie-Barriere zur Übertragung eines Elektronenpaares auf die Mo=X Gruppe entsprechend der Reihe Mo=Se < Mo=S <Mo=O erhöht. Dies wiederum bedeutet, dass der Übergangszustand der Oxoform energetisch sehr hoch liegen würde. Auf Grund der daraus resultierenden hohen Aktivierungsenergie ist diese Form inaktiv. Umgekehrt sollte, durch die Schwäche der Selen-Molybdän-π-Bindung, der Übergangszustand herabgesetzt und die Reaktionsrate damit erhöht werden. Hierzu durchgeführte HDFT-Berechnungen (HDFT: hybrid density functional theory) (Ibdah und Hille, nicht veröffentlichte Werte) belegen diese Annahme. Sie ergaben eine Stabilisierung der Selenoform gegenüber der Sulfoform um 3.1-3.4 kcal/mol. (Ethylaldehyd (∆H ist 3.47

kcal/mol für Mo=S und 0.13 kcal/mol für Mo=Se); Formamid (∆H ist 14.81 kcal/mol für Mo=S und 11.67 kcal/mol für Mo=Se)). Dies könnte gleichbedeutend sein mit einer Beschleunigung der Reaktion um das 180-290fache. Selen ermöglicht damit eine verbesserte Oxidation des Substrates und bestätigt damit die Eigenschaften katalytisch aktivem Selenocysteins gegenüber Cystein.

Ähnliche Berechnungen wurden für die btXDH mit Tellur als terminalen Liganden durchgeführt (Ilich und Hille, 2002). Hierbei ließ sich der erhöhte Übergangszustand auch durch die Geometrien der einzelnen Komplexe erklären. Die eigentlich planare Geometrie des Übergangszustands ist in der Oxoform deutlich verzerrt. Im Übergangszustand verlängert sich die Mo-X Abstand (X=O,S,Te) umgekehrt reziprok zur Bindungslänge des Grundzustandes.

D.h. die Bindung Mo=O ist im Übergangszustand länger als die Mo=S oder die Mo=Te Bindung. Durch die erhöhte Deformation muss die Oxoform eine höhere Energiebarriere überschreiten, um den Übergangspunkt zu erreichen. Entsprechend war für die Telluroform eine geringere Aktivierungsenergie nötig als für die Sulfoform. Den mit Abstand höchsten Übergangszustand wies die Oxoform auf. Diese Berechnungen haben gezeigt, dass Tellur die Reaktionsrate ebenfalls beschleunigen würde. Zusätzlich würde sich für die Telluroform ein breiteres Substratspektrum ergeben. Neben Formamid war in diesen Berechnungen theoretisch auch Thioformamid als Substrat möglich.

Die Oxoform weist noch weitere Unterschiede anderer Bindungslängen auf. So verringert sich die O-H Bindung des Hydroxylliganden der Oxoform gegenüber der O-H Bindung der Sulfoform, wodurch das Proton schlechter abstrahiert werden kann. Dagegen verlängert sich die O-C Bindung im Übergangszustand und die Übertragung des Sauerstoffatoms wird schwieriger.

Die katalytischen Fähigkeiten von selenhaltigen Enzymen sind nachweislich höher als die ihrer cysteinhaltigen Orthologen. Zum Beispel haben Sec-haltige Formiat-DHs eine höhere katalytische Aktivität als Cystein-haltige Formiat-DHs (Axley, Bock et al., 1991).

Ein eindrucksvolles Beispiel für eine erhöhte katalytische Aktivität liefern die in allen Organismenreichen vertretenen Methionin-R-Sulfoxid-Reduktasen (Kim und Gladyshev, 2005). Diese kommen nur in Säugetieren in verschiedenen Isoformen, MsrB1, MsrB2, und MsrB3, vor. Alle katalysieren sie die Reduktion von freien oder proteingebundenen Methionin-Sulfoxiden unter Rückbildung der natürlichen Methionin-Seitenkette in Anwesenheit von Thioredoxin (Trx) (Weissbach, Etienne et al., 2002). Sie werden deshalb als ein wichtiger Bestandteil im Reparaturweg von Proteinen unter oxischem Stress, für Proteinregulation und Verzögerung von Alterungsprozessen angesehen (Moskovitz, 2005;

Petropoulos und Friguet, 2005; Stadtman, Van Remmen et al., 2005; Weissbach, Resnick et al., 2005). Während es sich bei MrsB2 und MrsB3 um cysteinhaltige Formen handelt, enthält MrsB1 Selen in Form von Selenocystein. Beide Isoformen weisen eine annähernd gleiche Aktivität auf, allerdings erreichen MrsB2 und 3 dies nur, indem sie zusätzlich zum redoxaktiven Cystein noch drei weitere konservierte Reste (His, Val oder Ile, Asn) besitzen, die zusammen wahrscheinlich ähnlich einer katalytischen Triade agieren (Lowther, Weissbach et al., 2002). Die Mutation einer oder mehrere dieser Reste führt zu einem Aktivitätsverlust bis zu einem Faktor von 1000. Die Sec-haltige Isoform hingegen benötigt diese Reste nicht. Mutiert man hier das Sec zu Cystein, zeigt auch sie eine 1000-fach niedrigere Aktivität. Resultierend daraus ist der katalytische Mechanismus dieser beiden Isoformen unterschiedlich.

Die Autoren interpretieren ihre Ergebnisse dementsprechend, dass Selen in biologischen Prozessen zur Beschleunigung von katalytischen Prozessen verwendet wird, aber nicht zwangsläufig notwendig ist. Hinzu kommt, dass ein Selenoprotein auf Grund des niedrigeren Redoxpotentials, wesentlich schlechter wieder rückreduziert werden kann. Die Selensulfid-Bindung hat ein sehr negatives Redoxpotential im Vergleich zum Disulfid. Selenenylsulfid ist bekannt für sein niedriges Redoxpotential (Besse, Siedler et al., 1997), das des Diselenids ist sogar noch niedriger. Dies ist wahrscheinlich der Grund warum eine Diselenid-Gruppe noch nie in Proteinen gefunden wurde. Die Verwendung von Sec ist ein Kompromiß zwischen effektiverer Katalyse und erschwerter Regeneration. Die Selenoform braucht zur Regeneration einen zusätzlichen Cysteinrest, um eine Rückreduktion zu ermöglichen.

Derartige Proteine haben gegenüber ihren cysteinhaltigen Homologen eine Preferenz zu Trx oder anderen Reduktionsmitteln mit geeignetem Redoxpotential. Gleichzeitig ermöglicht die Verwendung eines anderen Kosubstrates eine unabhängige Regulation.

Neben der erhöhten Katalysegeschwindigkeit kann noch eine Erweiterung oder Veränderung der Funktionalität hinzukommen. So führte der Austausch eines Cysteins gegen ein Selenocystein in Subtilisin dazu, dass das Enzym seine Protease-Funktion verlor und zu einer effizienten Peroxidase wurde (Bell, Fisher et al., 1993).

Beispiele einiger Oxidoreduktasen wie Gutathion-Peroxidase oder Thioredoxin-Reduktase zeigen, dass deren natürlichen Sec-Homologe eine 100-1000fache höhere Aktivität aufweisen, als ihre schwefelhaltigen Verwandten. Diese hohe Aktivität wurde auch hier als Schlüsseleigenschaft genannt, warum Sec in biologischen Systemen genutzt wird (Stadtman, 1996; Jacob, Giles et al., 2003). Die Aktivität einer pflanzlichen Phospholipid-Hydroperoxid

Glutathion-Peroxidase konnte durch den Austausch eines Sec gegen ein Cysteins erhöht werden (Hazebrouck, Camoin et al., 2000).

Auch für die Se-XDH aus E. barkeri wurde eine erhöhte Reaktivität im Vergleich zu anderen XDHs beschrieben (Schräder, Rienhöfer et al., 1999). Es wurde angenommen, dass die Aktivität der Se-ebXDH um mindestens das10-fache höher ist als die anderer XDHs.

Eine weitere Selenocystein abhängigen Molybdän-Hydroxylase aus Desulfococcus multivorans wurde beschrieben, die in der Lage ist Benzoat unter anaeroben Bedingungen zu hydroxylieren und damit den Abbau dieser Substanz unter anaeroben Bedingungen möglich macht. Üblicherweise werden Aromaten wie Benzoat unter anaeroben Bedingungen über Benzoyl-CoA abgebaut. Für die Übertragung auf CoA ist mindestens ein ATP nötig, ein weiteres wird bei der Spaltung des aromatischen Ringes verbraucht. Eine oxidative Hydroxylierung würde diese energieverbrauchenden Schritte umgehen. Die Autoren vermuten, dass durch den selenhaltigen Kofaktor eine erhöhte Reaktivität erreicht wird. Es wäre damit das erste Molybdän-haltige Enzym, das zur Oxidation einer aromatischen Verbindung in der Lage wäre. Die genaue Charakterisierung dieses Enzyms steht jedoch noch aus.