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IV. Vom Umgang mit Fragmentierungen

2. Eindämmungsstrategien

Antinomien (Normwidersprüche) werden nach der gängigen Methoden-lehre durch Regeln wie „lex specialis derogat legi generali“ und „lex pos-terior derogat legi priori“ verhindert bzw. behoben.

164

Hier wurde bereits auf die Bedeutung für die Reduktion der Gefahren für die Fragmentierung im Völkerrecht hingewiesen.

165

Freilich ist die Lösungskapazität der klas-sischen Kollisionsregeln auf Konflikte innerhalb einer Rechtsordnung beschränkt.

b) Rechtsvergleichung

Rechtsvergleichung hat Konjunktur, auch als Instrument zur Fragmentie-rungsvermeidung.

166

Freilich wirft dies regelmäßig das Problem auf,

inwie-164 Z.B. Bydlinski Methodenlehre (Fn. 28), 463 ff., 572 ff.

165 Oben im Text bei Fn. 119.

166 Weiterführend sowohl für die Judikatur des EuGH, als auch des EGMR statt vieler Rudolf Streinz Richterrecht in der europäischen Integration – Die Rolle der

Verfassungsver-weit das „fremde“, in den Vergleich einbezogene Recht normative Kraft entfalten kann. Dafür bedarf es einer entsprechenden Anordnung, mindes-tens Ermächtigung. Diese liegt etwa, und zwar geradezu als Auftrag, vor in Fällen wie Art. 6 Abs. 3 EUV, wonach unter anderem die Grundrechte,

„wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mit-gliedstaaten ergeben“, als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts zu gel-ten haben.

167

Eine besondere Spielart von Rechtsvergleichung sind die zunehmen-den wechselseitigen Zitierungen zwischen Gerichten oder gerichtsähnli-chen Einrichtungen, die hauptsächlich bloß der Legitimationsverstärkung dienen.

168

Im Vordergrund steht hier die Bekräftigung des eigenen Stand-punkts durch stützenden Verweis auf eine andere Autorität, verbunden mit der ökonomischen Übernahme der Argumentation, die eigene Ableitungen erspart.

169

c) Hierarchievermeidung

Vermeintlich konfliktvermeidend sind Ansätze wie jener des Verfas-sungspluralismus und des Verfassungsverbundes, die Über- und Unter-ordnungskonstruktionen vermeiden, wie sie für Monismus und Dualismus typisch sind. Es wurde schon darauf hingewiesen,

170

dass dies nicht über-zeugt: Ob Konflikte vermieden werden oder in geringerem Ausmaß auf-treten hängt wesentlich davon ab, ob die alternativen „Rezepte“ wie Opti-mierungsgebote, aber auch ein etwaiger Anwendungsvorrang, konsensfähig sind.

gleichung, in: Günter Herzig/Marcus Klamert/Rainer Palmstorfer/Roman Puff/Erich Vra-nes/Paul Weismann (Hrsg.) Europarecht und Rechtstheorie, 2017, 47 (68 ff., 74 ff. m.w.N.).

Vgl. ferner etwa Anne van Aaken Defragmentation of Public International Law Through Interpretation: A Methodological Proposal, Indiana Journal of Global Legal Studies 16 (2009), 482 (ohne den Standpunkt der Autorin zu teilen).

Zu den Erklärungsansätzen der Rechtsvergleichung betreffend die Fragmentierung im Öffentlichen Recht siehe Uwe Kischel, in diesem Band.

167 Streinz Grundrechtsschutz (Fn. 166), 68.

168 Christoph Grabenwarter Die Kooperation zwischen EuGH und EGMR, in: Chris-toph Grabenwarter/Erich Vranes (Hrsg.) Kooperation der Gerichte im europäischen Verfas-sungsverbund. Grundfragen und neueste Entwicklungen. 12. Österreichische Europarechts-tag 2012, 2013, 35 (37 f.). Ausführlich zum Thema ferner Matthias Wendel Richterliche Rechtsvergleichung als Dialogform, Der Staat 52 (2013), 339.

169 Rezente Beispiele etwa bei Mayer/Wendel Grundlagen (Fn. 87), Rn. 307 ff.

170 Oben im Text nach Fn. 73.

d) Kooperation

„Kooperation“ im Sinne wechselseitiger Rücksichtnahme zur Vermei-dung von Konflikten findet nicht zuletzt zwischen Gerichten in vielfältiger Weise statt.

171

Eine besondere Spielart ist das Zusammenwirken

172

zwi-schen Gerichten durch (nicht paktierte, einseitig festgelegte) Aufgaben-teilungen in der Form der Rücknahme oder Reduktion der Kontrolldichte.

Das gibt es wie skizziert in der EU, etwa in der „Solange-Judikatur“ des BVerfG,

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in welcher die Grundrechtskontrolle gegenüber dem EuGH zurückgenommen wird, „solange“ dieser selbst „ausreichend“ kontrolliert.

Ähnliches praktiziert der EGMR gegenüber dem EuGH. Diese Vorgangs-weise, die unter dem Vorbehalt eines Kontrollrestes steht, reduziert die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen.

Dies ist der für das Thema vielleicht wichtigste Eindämmungsmecha-nismus. Zentral bleibt die Frage nach der rechtlichen Überzeugungskraft dieser Vorgangsweise, sowohl dem Grunde als auch der Reichweite nach, anders ausgedrückt: die Tragweite der jeweiligen Rechtsgrundlage, Frag-mentierung durch Kontrollreduktion einzudämmen.

174

171 Statt vieler Peter M. Huber Das Kooperationsverhältnis zwischen BVerfG und EuGH in Grundrechtsfragen, EuZW 1997, 517; von Danwitz Grundrechteschutz (Fn. 78), § 6 Rn. 11 ff.; zu Idee und Details des „kooperativen Verfassungspluralismus“ Mayer Verfas-sung (Fn. 57), 38 ff. m.w.N.

Ferner die Beiträge in Christoph Grabenwarter/Erich Vranes (Hrsg.) Kooperation der Gerichte im europäischen Verfassungsverbund. Grundfragen und neueste Entwicklungen.

12. Österreichischer Europarechtstag 2012, 2013, m.w.N.

172 Grabenwarter Kooperation (Fn. 168), 36 f.

173 Oben Fn. 10. Das BVerfG selbst spricht von „Kooperation“ mit dem EuGH, etwa im Maastricht-Urteil: BVerfGE 89, 155 (174 f.).

174 Oben im Text bei und nach Fn. 99.

Häufig wird im Zusammenhang mit Konfliktvermeidung auch „Pragmatik“, nämlich in der Kooperation, eingefordert: vgl. statt vieler Streinz Grundrechtsschutz (Fn. 157), 441 ff.;

Daniel Thym Separation versus Fusion – or: How to Accommodate National Autonomy and the Charter? Diverging Visions of the German Constitutional Court and the European Court of Justice, European Constitutional Law Review 9 (2013), 391 ff. Das dürfte allerdings, für sich genommen, in keiner der hier zur Debatte stehenden Rechtsordnungen eine methodi-sche Kategorie sein, die argumentativ durchsetzungsfähig wäre. Praktisch gesprochen mag das anders sein.

Fragmentierungen im Öffentlichen Recht:

Diskursvergleich im internationalen und nationalen Recht

I. Themeneingrenzung

(1) „Fragmentierungen“ sind, in einer umgangssprachlichen Annähe-rung, Zerteilungen, in Fragmente Zerlegtes. An themeneinschlägigen Dis-kursen sind insbesondere Rechtswissenschaftler, aber auch gesetzgebende und vollziehende Organe im weitesten Sinne, einschließlich Gerichte, beteiligt. Das Thema wird als Suche nach Gründen für Fragmentierungen in den Diskursen im internationalen Recht, nämlich im Völkerrecht und Europarecht, und im nationalen Recht aufgefasst, wie auch als Suche nach Vermeidungsstrategien.

II. Beispiele

III. Fragmentierungsgründe 1. Zum Rechtsbegriff

(2) Dieser Autor vertritt einen positivistischen Rechtsbegriff. Auch auf dieser Grundlage sind die Nuancen zwischen staatlichem Recht und Völkerrecht hinsichtlich Effektivität und Zwangsbewehrtheit wesentlich.

Wenn das Völkerrecht weniger ein Regelsystem ist, in dem Normen einer-seits anzuwenden sind und anderereiner-seits abgeändert werden können, son-dern eher ein beständiger „Prozess“ der Erzeugung und Veränderung von Recht, der die Dichotomie zwischen lex lata und lex ferenda als „falsch“

erscheinen lässt (Higgins), folgt daraus ein anderer Diskurs als im

natio-nalen Recht. Beispiel „Targeted Killing“: Im nationatio-nalen Recht, aber auch

im Europarecht wäre eine derartige, geradezu harmonische

„Parallelent-wicklung“ zwischen sich verstetigender, zunächst heftig kritisierter

Staa-tenpraxis und zunehmender Akzeptanz in der Literatur kaum in gleicher

Weise vorstellbar.

(3) Wer es für zulässig oder gar geboten hält, in den Rechtsbegriff Gerechtigkeitsmaßstäbe einzubauen, wird einen anderen Standpunkt gegen-über Abweichungen vom „Buchstaben des Gesetzes“ einnehmen als Positi-visten. Rechtsbegriff samt Gerechtigkeitsidee haben wesentlichen Einfluss auf themeneinschlägige Diskursverläufe.

2. Normative Beziehungen zwischen Rechtsordnungen und Teilrechtsordnungen

(4) Monismus, Dualismus, Verfassungspluralismus und Verfassungsver-bund sind die einflussreichsten Theoreme, welche das Verhältnis zwischen Rechtsordnungen oder Teilrechtsordnungen zu erklären suchen. Sie kon-kurrieren miteinander. Entgegen manchen Behauptungen ist die Monismus-Dualismus-Debatte nicht tot.

(5) Diese Theoreme sind gedankliche Rekonstruktionen des Verhält-nisses zwischen Rechtssystemen, mit einem sowohl theoretischen als auch analytischen Anspruch. Sie können vom „außenstehenden Betrachter“ auf das Verhältnis von Normenordnungen und/oder auf konkrete Fragestellun-gen angewendet werden, und sind in ihrer Erklärungskraft mehr oder weni-ger leistungsfähig.

(6) In einer anderen Situation befindet sich ein Rechtsanwendungsor-gan einer der beteiligten Ordnungen, etwa der EuGH, oder ein nationa-les Höchstgericht. Diese beiden Perspektiven sollten auseinandergehalten werden.

(7) Das BVerfG entnimmt die Schranken, welche der EU und ihren Organen gesetzt sind, dem nationalen Verfassungsrecht. So etwa, wenn es hervorhebt, dass der Anwendungsbefehl für das EU-Recht einschließlich der Vorrangwirkung durch das nationale Verfassungsrecht erteilt wird.

Entsprechend gestalten sich dann auch die Diskurse über allfällige Inte-grationsschranken einschließlich dem Grundrechtsschutz, als auch über die sogenannte ultra-vires-Doktrin. Nach h.A. ist das eine dualistische Posi-tion, wobei auch eine monistische mit Primat des Staatsrechts argumentier-bar wäre. Es ist schwer auszumachen, wie diese Judikatur mit den Theore-men vom Verfassungsverbund oder Verfassungspluralismus rekonstruierbar wäre.

(8) Methodisch vergleichbar leitet der EuGH die These vom Vorrang gegenüber nationalem Recht, und zuvor schon die unmittelbare Anwend-barkeit des EG-Rechts, hauptsächlich aus der Eigenständigkeit („Autono-mie“) der Unionsrechtsordnung ab.

(9) Es ist – was die Parallelität der Denkungsart betrifft –

bemer-kenswert und stimmig, dass der EuGH ähnliche Vorbehalte wie nationale

Höchstgerichte hat, wenn es um die Einordnung ins oder gar Unterordnung

unter das Völkerrecht geht. Durch die „Theoriebrille“ betrachtet ist auch das wohl am ehesten dualistisch zu qualifizieren.

(10) Jedes Entscheidungsorgan agiert auf der Grundlage von Normen, die sein Verhalten gebieten oder es zumindest erlauben. Diese Normen entnimmt es jener Rechtsordnung, die es eingesetzt hat. Normen, die nicht auf die Erzeugungsregeln der eigenen Rechtsordnung gestützt werden, hat es zu beachten oder kann es berücksichtigen, wenn dies durch „seine“

Rechtsordnung geboten oder erlaubt ist. Soweit dieser Schranken zu ent-nehmen sind, müssen diese bei der Entscheidungsfindung ebenfalls berück-sichtigt werden. Aus diesen Zusammenhängen ergibt sich zwingend eine Über- und Unterordnungsrelation. Das mag man, muss man aber nicht als

„hierarchisch“ kennzeichnen. Es folgt jedenfalls aus der zentralen Funk-tion von Normen, zu gebieten, verbieten, oder erlauben. Insoweit sind die wechselseitigen „Vorbehalte“ weder künstlich kreiert noch interpretativ eliminierbar.

(11) Diese Überlegungen unterminieren, mindestens tendenziell, die theoretischen Grundlagen der Ideen vom Verfassungsverbund und des Verfassungspluralismus. Insoweit Monismus und Dualismus brauchbare Rekonstruktionen bleiben, weisen sie doch gleichzeitig auf die ausgewiese-nen Fragmentierungspotenziale hin.

(12) In der verwandten Debatte um die Fragmentierung des Völker-rechts muss der Diversifizierung und Spezialisierung hauptsächlich mit sorgfältiger Anwendung der Instrumente der juristischen Methodenlehre begegnet werden. Regelmäßig geht es um die Interpretation von Verträgen, deren Abgrenzung zueinander, und deren Besonderheiten gegenüber dem Allgemeinen Völkerrecht. Die Lex-specialis- sowie die Lex-generalis-Regel spielen dabei eine wichtige Rolle, insbesondere auch was die Anwendung von Regelungen des Allgemeinen Völkerrechts innerhalb dieser besonderen Regime betrifft.

3. Juristische Methodenlehre

(13) Ungeachtet der weitreichenden Akzeptanz der traditionellen

„juristischen Methoden“ dem Grundsatz nach ist sowohl hinsichtlich der Grundlegung als auch der Details ein Methodenpluralismus festzustellen.

Die Ansätze unterscheiden sich hauptsächlich im Gewicht, dem der Teleo-logie, also der am Zweck und weniger am Ausdruck orientierten Interpre-tation, und auch danach, welche Rolle überpositiven „Gesichtspunkten“, meist im Interesse der Gerechtigkeit, zugemessen wird.

(14) Unterschiedliche Methodenpraxis kann zu unterschiedlichen

Ergebnissen bis hin zu Fragmentierungen führen. Die Spannungen

zwi-schen dem EuGH und dem BVerfG im Zusammenhang mit dem Fall

Åker-berg Fransson können auch darauf, nämlich eine einerseits pointiert histo-risch-teleologische Interpretation des EuGH, und andererseits eine stärker am Wortsinn orientierte Interpretation des BVerfG, zurückgeführt werden.

(15) Dieser Disput lässt sich gut mithilfe der erheblichen Unterschiede erklären, die zwischen den – trotz aller Gemeinsamkeiten – immer noch fortbestehenden mehreren Sprachgemeinschaften bestehen. Methodisches und Rechtssystematisches fließen ineinander. Während Europarechtler, geschult an der teleologischen Interpretation (effet utile) des EuGH, keine großen Schwierigkeiten ausmachen, ist das für das BVerfG, das unter

„Durchführung“ etwas Engeres versteht, wesentlich anders. Dazu kommt noch ein über die Jahre geschulter „Generalverdacht“, EU-Recht und EuGH-Judikate könnten kompetenzwidrig sein und müssten regelmäßig darauf geprüft werden.

(16) Diese Zusammenhänge lassen sich mittels einer sprachphiloso-phischen Grundlegung der juristischen Methodenlehre besser erklären.

Danach ist „[d]ie Bedeutung eines Wortes […] sein Gebrauch in der Spra-che.“ (Wittgenstein). Die Bedeutung eines Wortes oder Satzes ergibt sich je und je aus dem konkreten Gebrauch, und kann sich im Lauf der Zeit ändern. Dies geschieht im jeweiligen sozialen Umfeld, im „Sprachspiel“, in dem sich Sprachgebrauch und bestimmte Tätigkeiten verbinden. Prag-matische, also vor allem situativ abhängige Gehalte können nicht von vorn-herein als bedeutungstranszendierend ausgeschlossen werden.

4. Vom Umgang mit Fragmentierungen

(17) Abhängig von der jeweiligen Rolle im Diskurs werden Fragmen-tierungen entdeckt, „zelebriert“, verdeckt, oder „geheilt“. Abhängig vom Zeitpunkt der Betrachtung kann man, im Fall des Erfolges der Eindäm-mungsstrategien meinen, es gäbe gar keine Fragmentierung. Im Grunde dreht sich das gesamte Thema um Bemühungen, dauerhafte Fragmentie-rung zu vermeiden.

(18) Die wirkmächtigsten Eindämmungsstrategien sind – mit je

unter-schiedlicher Erfolgsaussicht – klassische juristische Kollisionsregeln,

Rechtsvergleichung, Hierarchievermeidung, vor allem aber

„Koopera-tion“. Letztere vor allem als Ausdruck verfassungsrechtlicher

„Öffnungs-klauseln“. Die entscheidende Frage ist immer die Reichweite des im

Interesse der Kooperation verfassungsrechtlich, namentlich durch die

sys-tematisch interpretierten Öffnungsklauseln, zugestandenen Kompromisses.