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Einbezug der Interessen unter Berücksichtigung der Gender-Perspektive

Literatur/Anhang: Transkriptionsregeln

4.5 Einbezug der Interessen unter Berücksichtigung der Gender-Perspektive

Das Projekt CHAT wurde außerhalb der Schule entwickelt, aber mit einer Schulklasse in einem Gymnasium (Medienzug) durchgeführt. Die beiden Projektleiterinnen hatten ein Konzept für das Projekt, das verschiedene Module wie Kommunikation, Reflexion der Geschlechterrollen und Gefahren des Chats (vor allem im Hinblick auf das Thema sexuelle Übergriffe) beinhaltete, um dann längerfristig mit Interessierten aus der Klasse einen Beratungschat für Jugendliche aufzubauen. Von Klassenlehrerseite wurde Interesse an dem Projekt signalisiert, die Jugendlichen aber in den Entscheidungsprozess offenbar nicht ein-bezogen. Dementsprechend äußert sich eine Jugendliche:„Ja war ja interessant, aber wie gesagt, wir wurden vorher nicht gefragt, ob wir das Projekt jetzt machen wollen.“

(CHAT/B/21/M)

Die Jugendlichen schildern in der Gruppendiskussion, dass das Modul zu Gefahren des Chats für sie kein aktuelles Thema und somit auch nicht ihr Interesse gewesen sei, sich damit aus-einanderzusetzen:

M1: „Die meisten von uns gehen halt nicht so in solche Chats.

M2: „Das ist eher, also ich würd’ sagen, eher für Jüngere gedacht, weil eigentlich so, wir wissen eigentlich so das alles schon, find’ ich jetzt z.B., weil ich weiß eigentlich, wie ich mich im Chat verhalten soll und dass ich mich nicht mit irgendjemand treff’. So alt genug bin ich eigentlich, um das zu wissen.“ (CHAT/GD/24/M)

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Ähnlich die Stimmen in der zweiten Gruppendiskussion im Rahmen des Projektes:

J:„Die meisten bei uns haben ICQ (Software für Internetkommunikation, A.d.V.) bis auf ein paar Ausnahmen, die ab und zu halt chatten. (…)

M4: Ich weiß nicht, glaub’, früher hat man schon mehr gechattet, aber bis dann das ICQ rich-tig…“ (CHAT/GD/5/6/M+J)

Mädchen wie Jungen erklären, dass diese Auseinandersetzung eher für Jüngere wichtig wäre, da sie bereits über dieses Wissen verfügten. Sie verweisen darauf, dass für sie das Chatten der Vergangenheit angehöre. Chatten würden nur Jüngere, außerdem gäbe es inzwischen die für ihre Altersgruppe viel passendere Internet-Kommunikation über Messenger-Programme, bei der die Vorsichtsmaßnahmen für Chats hinfällig sind, weil die KommunikationspartnerInnen einander kennen.

Hier ist jedoch ein methodischer Hinweis wichtig: Es ist zu bedenken, dass es in Gruppen-diskussionen einzelnen erschwert sein kann, sich mit Minderheitenpositionen oder mit anderen Interessen als die Lautstarken zu äußern. So gab es leise – doch immerhin hörbare – Stimmen wie die eines Jungen, der sich zu den Lerneffekten in diesem Projekt äußerte (er hatte Erfahrungen mit kostenpflichtigen Internet-Seiten gemacht), oder die eines Mädchens, die meinte, dass sie künftig daran denken wird, keine Adresse mehr im Chat anzugeben.

Im biografisch angelegten Interview äußert sich ein Mädchen differenziert und positiv zu den Lerneffekten, Inhalten und Beteiligungsmöglichkeiten im CHAT-Projekt. Sie schildert ihr Interesse an dem Projekt, bemängelt aber, dass das Vorwissen, die Interessen und die aktu-elle Mediennutzung der Jugendlichen zu wenig zur Kenntnis genommen wurden. Zudem erschwere der Klassenkontext und seine Gruppendynamik bisweilen, sich ehrlich zu äußern, was dem Projekt nicht zuträglich gewesen sei. Diesbezüglich ist eine Passage aus dem bio-grafischen Interview interessant, in dem das Mädchen die Selbstinszenierung einiger männ-licher Mitschüler thematisiert, die es vor allem den anderen, durchaus am Projekt interes-sierten Jungen erschwerte, sich offen zu ihrem Interesse für ein Projekt zu bekennen, wel-ches so persönliche Themen behandelt. Mädchen könnten, da ihnen ohnehin die Zustän-digkeit für solche Themen eher zugeschrieben wird, sich an dieser Stelle eher über die Meinungsbildung der Gruppe hinwegsetzen.

„Und ich glaube, dass sich keiner von den Jungen getraut hat, da irgendwie weiter zu machen (in dem Beratungschat, A.d.V.). Weil sich das natürlich rumspricht. Und ich glaub’, für die ist das eher peinlich, sowas zu machen, mit so Problemen und so. Das finden die eher lächerlich wie jetzt sinnvoll.“ (CHAT/B/12/M)

Die Berücksichtigung dessen, was in einem solchen gemischtgeschlechtlichen Kontext, dazuhin im Klassenverband, gesagt werden kann – und was eher nicht –, die Frage der offe-nen Thematisierbarkeit also, die sich wie in diesem Fall für die Geschlechter unterschiedlich darstellen kann, ist ein wichtiger Bestandteil der Ermöglichung von Partizipation.

Partizipation ist in diesem Beispiel abhängig von der Zusammenarbeit mit der Institution Schule, aber auch von dem Gesamtkonzept der Projektleitung. Wie sich Jugendliche beteili-gen können und wollen, zeigt sich hier abhängig davon, inwieweit ihre Interessen, ihre Medienerfahrungen und -gewohnheiten einbezogen werden, wie die Themen behandelt werden – ob etwa beim Thema Chat einseitig die Gefahren betont und andere Aspekte ver-nachlässigt werden –, aber auch, ob die Planung verschiedener Module und das Projektziel eines Beratungs-Chats transparent gemacht werden. Eine bedeutende Rolle spielen die Räume, die zur Verfügung gestellt werden, um sich beteiligen zu können: Hier zeigt sich, dass geschlechterbezogene Selbstinszenierungen von Jungen berücksichtigt werden müs-sen, damit sie partizipieren können.

4.6 Fazit

Es ist beinahe eine Selbstverständlichkeit und dennoch vor dem Hintergrund unserer Aus-wertung wichtig, dies noch einmal zu betonen: Partizipationsmöglichkeiten und das Vermitteln von Partizipationskompetenzen sind abhängig von der jeweiligen Zielgruppe, von den Kompetenzen und Zielen der MedienpädagogInnen, von dem institutionellen Kontext und der zeitlichen und räumlichen Anlage des Projekts, aber auch vom dem geschlechterbezogenen Setting.

Besonders am Beispiel von Entscheidungsprozessen thematisieren die Jugendlichen ihre Beteiligungsmöglichkeiten. Diese beziehen sich sowohl auf das Agieren der Leitung selbst als auch auf das Setting in der Gruppe der Jugendlichen und wie hier Entscheidungen – auch über die Intervention der medienpädagogischen Leitung – geregelt werden. In diesen Prozessen werden inhaltliche, aber auch Gestaltungsmöglichkeiten mit Medien sowie Arbeitsteilungen verhandelt. Dabei ist entscheidend, wieviel Wert im pädagogischen Konzept auf soziale Prozesse wie Gruppenbildung gelegt wird. Dieser Fokus ist unterschied-lich gewichtet je nach Zielgruppe und Faktoren wie Alter, Geschlecht, Herkunft, Schultyp, Stadtteil. Eine wichtige Rolle spielt dabei die didaktische und insbesondere die Gender-Kompetenz der Leitungen. In fast allen Projekten zeigte sich die Gender-Perspektive entwe-der in Bezug auf das Ausprobieren von geschlechterbezogenen Inszenierungen oentwe-der durch unterschiedliche Interessen, die auch mit Ausdrucksmöglichkeiten aufgrund gesellschaftli-cher Fremd- und Selbstbilder von Jungen und Mädchen, meist verschränkt mit Herkunfts-fragen, zusammenhängen. In geschlechtshomogenen Settings wurde dies sowohl zum Thema gemacht, als auch methodisch einbezogen. Dies erfordert die Reflexion der eigenen

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Bilder und Zuschreibungen zu Geschlecht, Migrationshintergrund, Alter durch die MedienpädagogInnen – nicht nur, aber auch in Bezug auf Medien.

Bei Fortbildungen von MultiplikatorInnen zeigt sich, dass Partizipation bereits in der Anlage der Fortbildung selbst, das bedeutet auch in Bezug auf die Einflussmöglichkeiten auf Curricula etc. bedenkenswert ist, damit künftige MultiplikatorInnen – sei es in Jugend-arbeit/-hilfe oder Schule – die Gleichrangigkeit von sozialer Kompetenz- und Medienkom-petenzvermittlung (durchaus mit unterschiedlichen Gewichtungen je nach Zielsetzung) erfahren können. Die Projekterfahrungen zeigen, dass gemeinsames Lernen von Leitung und Jugendlichen, das Sich-Einlassen auf Lernprozesse die Beteiligung und Motivation von Jugendlichen stärkt. Dies trifft auch auf Feedback-Möglichkeiten zu. Dazu gehört, die Medieninteressen und die Medienerfahrungen der Jugendlichen zum Ausgangspunkt zu nehmen, aber auch darüber hinaus gehenden Themen der Jugendlichen Raum zu geben.

Des Weiteren spielt es eine Rolle, ob die Ziele und Inhalte des Projekts den Jugendlichen transparent und plausibel sind. Zu zentralen Rahmenbedingungen zählen der zeitliche Rahmen, die räumliche Ansiedlung des Projekts und ob die MedienexpertInnen in die Alltagsarbeit der Einrichtung einbezogen sind, damit der Kontakt zu den Jugendlichen gehalten werden und damit auch laufende Weiterberatung hinsichtlich der Weiterentwick-lung von Medienkompetenz in einem umfassenden Sinn stattfinden kann. Dazu gehört auch die Kooperation von und der kollegiale Austausch unter Einrichtungen – etwa zwi-schen Jugendarbeit/-hilfe und Schule.

Medien und Gesellschaft

– Der Programmschwerpunkt und seine Evaluation

Die Arena der Projekte

– Ergebnisse der Fragebogenerhebung

Grundrisse

– Projektportraits

Gemeinsam selbständig

– Ermöglichung von Partizipation im Projekt

Träume, Orientierungen, Realitäten

– Chancen für Persönlichkeitsentwicklung

Raumeröffnung und Raumnahme

– Sozialräumliche Dimensionen medienpädagogischer Arbeit

Variationsräume entdecken

– Entwicklung und Erweiterung von Medienkompetenz

Biografische Ein- und Ausblicke Markierungen und Wegweiser

– Ergebnisse und Fragestellungen für die medienpädagogische Praxis

Literatur/Anhang: Transkriptionsregeln

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Träume, Orientierungen, Realitäten

– Chancen für Persönlichkeitsentwicklung

In den medienpädagogischen Projekten erwerben die jungen TeilnehmerInnen auf spiele-rische Weise grundlegende persönlichkeitsbezogene Kompetenzen. Dies haben wir bereits in unserer ersten Programmevaluation unter dem Erwerb von Schlüsselkompetenzen fest-gestellt (vgl. Huber/Kaschuba/Stauber 2005). Die persönlichkeitbezogenen Kompetenzen werden wir im Folgenden stärker ausdifferenzieren, weil sie von höchster Relevanz für das übergeordnete Thema „Medien und Gesellschaft“ sind.

Wir beziehen uns dabei auf die Debatte um Schlüsselkompetenzen, die eine zentrale Ein-sicht in die Funktionsweise spätmoderner (Wissens-)Gesellschaften aufgreift: Um individu-ell in komplexer werdenden sozialen Zusammenhängen handlungsfähig zu sein, bedarf es mehr als des Erwerbs von Qualifikationen. Vielmehr sind übergreifende Kompetenzen gefragt, die zum Beispiel die verschiedenen Qualifikationen in einen sinnvollen Bezug zueinander stellen und die immer dort, wo aufgrund struktureller Widersprüche biografische Brüche entstehen, Sinn-Zusammenhänge herstellen lassen. Dies wird nicht nur für die individuelle Lebensbewältigung, sondern auch für das Funktionieren sozialer Zusammenhänge für immer wichtiger gehalten (vgl. Rychen/Salganik 2003). Gleichzeitig wird diese Anforde-rung im formalen Bildungsbereich immer noch kaum eingelöst. Umso bedeutender sind non-for-male Bildungsräume wie die Jugendarbeit, die jenseits der fornon-for-malen Systeme bestehen und zunehmend in ihrer Bildungsfunktion wahrgenommen werden (vgl. Müller u.a. 2005).

Vor dem Hintergrund dieser Debatte und auf der Basis des empirischen Materials unserer Evaluation werden folgende Aspekte aus dem Spektrum persönlichkeitsbezogener Kompetenzen, die in Medienprojekten entwickelt werden können, dargestellt:

> Prozesse von Identitätsarbeit,

> der interkulturelle Kompetenzerwerb,

> der Erwerb von Gender-Kompetenz,

> Auswirkungen auf die berufliche Orientierung der TeilnehmerInnen und

> der Erwerb von Sozialkompetenzen.