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Ein Beispiel unter vielen: Familie X. aus Ahaus

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2. Bleiberecht und Kindeswohl

3.7. Ein Beispiel unter vielen: Familie X. aus Ahaus

Spricht man in deutschen Städten mit ausreisepflichtigen Minderheitenangehörigen aus dem Kosovo, trifft man bei aller Besonderheit des Einzelfalles immer wieder auf ähnliche Zusammenhänge. Die Lage der Familie X. aus dem nordrhein-westfäli-schen Ahaus nahe der niederländinordrhein-westfäli-schen Grenze ist in mancher Hinsicht repräsenta-tiv für die Situation eines beträchtlichen Teils der ausreisepflichtigen Roma, Ashkali und Ägypter. Sie zeigt, wie auch integrierte Familien an den Hürden der Altfallrege-lung scheitern, wie gering der Stellenwert des Kindeswohls in der Praxis sein kann und welche psychischen und sozialen Folgen der Abschiebedruck hat.

Das Ehepaar Vedat und Serij X. hat vier Kinder: Die Söhne Senaid, 18 Jahre, Sen-jur, 15, Erduan, 7, und die Tochter Altenesa, 9. Familie X. lebt seit 18 Jahren in Deutschland. Der älteste Sohn kam im Alter von sechs Monaten ins Land, die an-deren drei Kinder sind in Deutschland geboren. Der jüngste Sohn Erduan leidet unter starkem Asthma.

Vater Vedat X. ist seit zehn Jahren berufstätig und bezog in dieser Zeit nur einmal wenige Monate Sozialhilfe, nachdem sein damaliger Arbeitgeber Insolvenz ange-meldet hatte. Seit dem Jahr 2008 arbeitet Herr X. als Pulverbeschichter bei einer Fir-ma in Ahaus. Seine Frau Serij ist als Reinigungskraft in einem Gesundheitszentrum beschäftigt. Die Tochter besucht in Ahaus die Grundschule, zwei Söhne die Don-Bosco-Förderschule, der älteste Sohn Senaid absolviert eine Berufsvorbereitung.

Menschen, die die Familie seit Jahren kennen, beschreiben sie als mustergültig integriert. Das zeige sich auch darin, dass Herr X. trotz der auf drei Monate be-fristeten Duldungen, die für viele Arbeitgeber ein rotes Tuch sind, seit Jahren in Arbeit steht. Wie Vedat X. berichtet, frage ihn sein Chef vor jedem Fristablauf, ob er weiter mit ihm rechnen könne und halte ihn trotz der Unsicherheit in der Firma, weil er seine Arbeit schätze.

Von gelungener Integration sprechen auch die Leiterin der Don-Bosco-Schule und der dort tätige Schulsozialarbeiter. Die Eltern, so berichten beide, kümmern sich um den Schulerfolg ihrer Kinder, besuchen die Elternsprechtage und pflegen auch sonst engen Kontakt zur Schule. Auch sprachlich ist die Integration vorangeschrit-ten: Untereinander sprechen die Kinder Deutsch, mit den Eltern sowohl Romanes als auch Deutsch. Mutter Serij X. besuchte an der Don-Bosco-Schule zwei Jahre lang einen Deutschkurs für Erwachsene.

Die Familie fühlt sich in Ahaus daheim. Eine Zukunft seiner Kinder im Kosovo kann sich Vedat X. nicht vorstellen: „Die Kinder sind hier geboren und gehören in dieses Land.“ Auch er selbst fühlt sich hier verwurzelt: „Mein Land ist jetzt Deutschland.

Ich sage das nicht nur mit Worten, sondern mit dem Herzen.“ Viele in Ahaus kön-nen das nachvollziehen. Wie die Schulleiterin berichtet, erfahre Familie viel Zu-spruch, seit die lokale Presse über den Fall berichtete.

Vedat X. stammt aus Vushtrri/Vucitrn im Nordkosovo. Seine Familie, erinnert er sich, war dort etabliert und besaß ein zweistöckiges Haus. In den siebziger und achtziger Jahren hat sein Vater als jugoslawischer „Gastarbeiter“ in einem Ober-hausener Bergwerk gearbeitet. Im Kosovo-Krieg wurde das Haus zerstört; alle Ver-wandten und Bekannten haben die Stadt verlassen. Die Angehörigen des weiteren Familienkreises leben heute in Deutschland. Als im vergangenen Jahr ein Onkel das Grundstück der Familie in Augenschein nehmen wollte, erzählt Vedat X., seien ihm ortsansässige Albaner entgegengetreten, so dass er nur ein Foto gemacht und den Ort schnell wieder verlassen habe.

Nach Vedat X.‘ Ansicht verwehrt die zuständige Ausländerbehörde seiner Familie eine Aufenthaltserlaubnis, weil er wegen zweier gerichtlicher Verurteilungen einen Eintrag im Bundeszentralregister habe, der die in der Altfallregelung festgesetz-te zulässige Grenze der Tagessätze überschreifestgesetz-te. „Ich habe zwei Fehler gemacht“, berichtet er. Es handelt sich dabei um zwei Delikte aus den Jahren 1996 und 2006, bei denen er seine EC-Karte eingesetzt hat, ohne dass sein Konto die nötige Deckung aufwies. Der Altfallregelung zufolge verliert damit die ganze Familie die Chance auf eine Aufenthaltserlaubnis. „Ich habe für die Fehler bezahlt“, so Vedat X., „ich akzeptiere die Strafen, verstehe aber nicht, warum man meine Kinder unter Druck setzt“.

Wie der Schulsozialarbeiter berichtet, prägt der Druck den Alltag der Kinder. Der 15jährige Senjur X. sei bisher einer der zuverlässigsten und unauffälligsten Schü-ler, eine Zeit lang auch Klassensprecher gewesen. Seitdem die Familie X. in Angst vor Abschiebung lebt, sehe er, dass Senjur innerlich mit vielem abgeschlossen habe und sich auf viele Anforderungen nicht mehr einlassen könne. Tatsächlich sitzt Senjur beim Gespräch mit der Familie nur schweigend da und wirkt wie unter Schock. Senjur, so der Sozialarbeiter, stehe für viele Altersgenossen aus kosova-rischen Roma-Familien im Umkreis. So schliefen viele Kinder aus Angst vor der Abschiebung in den Kosovo nicht mehr in der elterlichen Wohnung.

Dass ein überdurchschnittlich großer Teil der Kinder aus kosovarischen Roma-Fa-milien besonderen Förderbedarf habe, liegt nach Ansicht der Schulleiterin auch an der fragilen Situation der Familien. Der Angst davor, die Heimat aufgeben zu müssen, behindere den Schulerfolg. Die Unruhe, so die Schulleiterin, sei auch unter den Klassenkameraden der von Abschiebung bedrohten Kinder spürbar.

Mit Briefen haben die Kinder ihrer Sorge Ausdruck verliehen. Sie zitiert einen der Briefe an den Landrat des Kreises Borken: „Sehr geehrter Herr Landrat. Wir haben mitgeteilt bekommen, dass mein bester Freund Senjur X. abgeschoben werden soll. Das finde ich nicht gut, dass er abgeschoben werden soll, weil wir jeden Tag draußen sind. Ohne ihn wäre es richtig langweilig. Er macht keine Probleme, gar nichts. Er kann gutes Deutsch. Deswegen verstehe ich nicht, dass er abgeschoben werden soll. Er ist sehr an der Schule interessiert. Er schwänzt die Schule nicht.

Seine Geschwister sind alle sehr nett, und die Eltern von Senjur sind auch sehr nett und lustig. Die Eltern von Senjur sind gastfreundlich und leben seit 18 Jahren in Deutschland. Er ist in Ahaus geboren. Deswegen bitte ich, dass er hier bleiben darf. Ich wäre sehr glücklich, wenn er hier bleiben dürfte.“

Die Flüchtlingsberatung der Caritas im benachbarten Gronau hat gemeinsam mit der Leiterin der Don-Bosco-Schule und einer Integrationshelferin einen Antrag an den Petitionsausschuss des Landtages Nordrhein-Westfalen gestellt, nachdem ein Antrag an die Härtefallkommission des Landes im Februar 2010 gescheitert war.

Zum Redaktionsschluss der Studie stand eine Antwort noch aus.

4. Bleiberecht zwischen politischer

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