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Ein akademisches Feld mit hoher medialer Präsenz

Im Dokument Fragen von Leben und Tod (Seite 26-30)

Während die historisch gewachsenen Strukturen und Lebenswelten der Medizin immer schon Gegenstand der kulturellen Wahrnehmung und der künstlerischen Darstellung waren, rückte mit der Aufmerksamkeit für neue ethische Fragen auch die Bioethik bzw. die Ethik in der Medizin ins Blickfeld der Öffentlichkeit, die zur Kenntnis nehmen konnte, dass sich die ethischen Zugänge nicht als einheitliche Doktrin präsentierten sondern als Ausdruck eines weltanschaulichen Pluralismus, der sich in der Kon-flikthaftigkeit bioethischer Debatten abbildete. Es wäre naiv, die Ethik als Lieferantin von unumstrittenem Orientierungswissen und von eindeutigen Problemlösungen zu betrachten. Auch wenn ethische Reflexion am Ende eines langen Prozesses zu Orientierung und Konfliktlösung beitragen will, stößt sie zunächst einmal Diskussionen an, die sich daraus ergeben, dass vernünftige Menschen in schwierigen Fragen durchaus unterschiedlicher Meinung sein können. Während die einen gentechnische Eingriffe prinzi-piell als problematisch bewerten, sehen die anderen die Notwendigkeit einer differenzierten Bewertung, die von Abwägungen abhängen sollte.

Während Sterbehilfe von den einem im Namen von Selbstbestimmung und Menschenwürde als ernsthafte Option erwogen wird, plädieren die ande-ren ebenfalls unter Berufung auf die nicht zu verletzende Würde für eine Wertschätzung des menschlichen Lebens bis zu seinem Ende und lehnen eine Verkürzung des letzten Abschnitts ab.9 Ein Beispiel für das Aufeinan-derprallen der Positionen ist in Clint Eastwoods Million Dollar Baby ein-drucksvoll zu sehen (Abb. 1). Die Liste der kontrovers diskutierten Beispiele ließe sich beliebig verlängern. Wer auch immer sich an solchen Debatten beteiligt, wird früher oder später eine persönliche Positionierung zu erken-nen geben und sich damit dem Verdacht aussetzen, einer eigeerken-nen ideologi-schen Agenda zu folgen.

abhängen. Wäre die Moraltheologie aber nur ein Sprachrohr lehramtlicher Verkün-digung, hätte sie ihren universitären Auftrag verfehlt.

9 Zur medialen Konstruktion von Bioethik am Beispiel der Sterbehilfe: Maio 2000. Zu den Narrativen der Reproduktionsmedizin im Dokumentarfilm: Eichinger 2015.

Biomedizinische Ethik im Film | 25 Die Bioethik, die mit dem Anspruch auf Aufklärung und rationale Bera-tung angetreten ist, sieht sich gelegentlich mit dem Vorwurf konfrontiert, eine ideologische Legitimationsbeschafferin zu sein: für oder gegen die Anwendungen der modernen Gentechnik, für oder gegen Schwangerschafts-abbruch, für oder gegen Sterbehilfe. Es ist richtig, dass die Ethiker:innen, die in den genannten Themenbereichen argumentieren, nicht völlig neu tral sind. In Ethikkommissionen lässt sich dieses Konfliktpotenzial durch eine möglichst pluralistische Zusammensetzung auffangen, die aber wiederrum zu der Frage Anlass gibt, ob die Mitglieder allein ihrem Gewissen verpflichtet sind (das sollte natürlich idealerweise so sein) oder ob sie jeweils ethische

«Schulen» und Denkströmungen vertreten. Wer utilitaristisch argumen-tiert, wird zu anderen Einschätzungen kommen als ein Kommissionsmit-glied, das von einer absoluten Verpflichtung beispielsweise zugunsten des ungeboren Lebens ausgeht.

Wer in der Bioethik mit provokativen Thesen unterwegs ist, darf einer starken Resonanz in den Medien sicher sein. Das gilt vor allem dann, wenn die Thesen zu skandalträchtigen Kontroversen führen. Ein bekanntes Beispiel ist der Fall des international viel beachteten Ethikers Peter Singer, der mit sei-ner präferenzutilitaristischen Argumentation in den 1980er-Jahren für Furore sorgte. Demnach ist das Lebensrecht an die Fähigkeit gebunden, Präferenzen zu haben und Lust und Schmerz zu empfinden. Einem Fötus wäre also der moralische Status einer Person abzusprechen – mit weitreichenden Folgen für die Beurteilung von Schwangerschaftsabbrüchen. Bei einer Vortragsreise in Deutschland 1989 und 1990 gab es lautstarke und medienwirksame Pro-teste gegen Singers als menschenfeindlich und behindertenfeindlich einge-stufte Position und gegen die an einigen Universitäten im wissenschaftlichen Rahmen geplanten Vorlesungen und Diskussionen. Daraus wurde im Gegen-angriff der Vorwurf, einen unbequemen Philosophen in Deutschland mundtot machen zu wollen und die akademische Redefreiheit nicht zu respektieren.10

Die «Singer-Affäre» verdiente allein deshalb eine differenziertere Ana-lyse, weil der kritisierte Autor nicht auf die angesprochenen Thesen

redu-10 Singer 1991.

1 Maggie Fitzgerald (Hilary Swank) bittet um die Abschaltung ihrer Lebenserhaltungssysteme (Million Dollar Baby, 01:48:36).

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ziert werden sollte. Als Kämpfer für Tierrechte und gegen den Hunger in der Welt bearbeitet er ein breites Spektrum ethisch relevanter Themen, die um eine Ausweitung moralischer Aufmerksamkeit jenseits eines auf ein bestimmtes Personenverständnis fixierten Speziesismus zielen. Dabei kommen Aspekte zur Geltung, die für eine neue Sicht auf globale Gerech-tigkeit bedenkenswert sind und das Gegenteil von Menschenverachtung darstellen. Singer ist an der Kohärenz ethischer Argumentation interes-siert, nicht an der Verbreitung einer bereits feststehenden Überzeugung.

Eine solche Ethik irritiert und provoziert, weil sie mit Konventionen poli-tischer Korrektheit bricht, und eignet sich für überhitzte Debatten in den Medien sowie für Formate der Dokumentation und der Fiktion.

Mit der Aufwertung ethisch reflektierter Politikberatung und ethischer Expertise in medizinischen Settings wächst der Verantwortungsdruck auf akademische Akteure, die sich bis dahin nur den Diskursregeln universi-tärer Kommunikation verpflichtet wussten. Durch den neuen Öffentlich-keitscharakter von Ethik, gerade im Umgang mit den heißen Eisen der Bioethik, entstehen neue Konstellationen der Verständigung über die Kriterien einer gerechten Gesellschaft, einer guten medizinischen Ver-sorgung und der Respektierung von Freiheitsrechten. Die Präsenz ethi-scher Diskurse hat nicht automatisch eine beschwichtigende und aus-gleichende Wirkung; sie löst auch leidenschaftliche Konfrontationen aus, macht Standpunkte deutlich und ideologische Gräben sichtbar. Je mehr sich bekenntnishafte Aussagen verhärten und Konflikte personalisieren, um so mehr eignet sich der Disput für eine mediale Dramatisierung unver-söhnlicher Gegensätze.

Im ethischen Diskurs wird in Worte gefasst, was auch ohne diese Art der Kommunikation als Spannung im Raum ist: das Ringen um die ange-messene Selbstbehauptung menschlicher Freiheit, um den angeange-messenen Umgang mit dem Sterben, um die angemessene Mobilisierung diagnosti-scher und therapeutidiagnosti-scher Möglichkeiten und um die angemessene Ver-teilung knapper Ressourcen. Das Maß für diese Angemessenheit ist nicht unverrückbar vorgegeben; es ist im Gespräch immer wieder neu auszuhan-deln und plausibel zu machen.

Der Stoff der Ethik eignet sich für großes Kino. Genauso ist aber auch das Kino ein Ort ethischer Reflexion über medizinische Fragen, die in per-sönliche Geschichten und institutionelle Strukturen eingebettet sind. Kon-troverse Themen der Ethik in der Medizin geben Auskunft über gesell-schaftliche Umstände, politische Rahmenordnungen und historische Konstellationen. Beispielsweise ist der Gebrauchs des Worts Euthanasie in Deutschland kaum möglich ohne die Erinnerung an die nationalsozialisti-sche Bezeichnung für die Ermordung von kranken und behinderten

Men-Biomedizinische Ethik im Film | 27 schen. In anderen Ländern kann in einer unbefangeneren Weise Euthanasie als Synonym für Sterbehilfe verwendet werden. Diese Sensibilität für unter-schiedliche Kontexte macht die Beschäftigung mit Bioethik zu einer Sonde, mit deren Hilfe sich Diskursstrategien und Muster ethischer Aufmerksam-keit und Analyse rekonstruieren lassen. Das universale Ethos einer men-schenfreundlichen und allein dem Heilungsauftrag verpflichteten Medizin begegnet uns in den widersprüchlichen Ausprägungen von Idealen, Inter-essen, Zwängen und Perversionen. Eine Fernsehserie wie Charité hat dies in verschiedenen politischen Kontexten deutscher Geschichte dargestellt, in der dritten Staffel in der Zeit des Mauerbaus 1961, von dem das wich-tigste Klinikum der DDR wegen seiner Grenzlage unmittelbar betroffen war (Abb. 2).

Kliniken sind bei allem Respekt vor der Person des kranken Menschen Orte des Kontrollverlusts und der Unterordnung unter die Regeln eines Betriebs, der nur begrenzt auf Sonderwünsche eingehen kann. Vor der Krankheit und dem Tod sind alle gleich. Es sei denn, sie können sich eine bessere Versorgung und ein angenehmeres Ambiente leisten. In der Aus-nahmesituation des Klinikalltags prallen Kulturen und Weltanschauun-gen aufeinander, Lebensstile und persönliche Präferenzen, die sich mit der Systemlogik streng organisierter Abläufe arrangieren müssen. Medizin und Pflege haben gelernt, mit diesen Differenzen so taktvoll wie möglich umzugehen. Aber bei aller Sensibilität bleibt es dabei, dass die Einzelschick-sale sich in einer Zwangsgemeinschaft mit anderen Individuen wiederfin-den, die ebenso geduldig auf Diagnosen und Therapien warten müssen.

Für die «hoffnungslosen» Fälle ist in einer solchen auf Effizienz angelegten Institution längst kein Platz mehr. Sie werden an Pflegeheime und Hospize weiterverwiesen, sofern es dort Kapazitäten gibt. Somit präsentiert sich das Gesundheitswesen permanent mit der Spannung zwischen den Licht- und Schattenseiten und fordert den Mut heraus, unkonventionelle Wege zu beschreiten.

2 Die Kinderärztin Inge - borg Rapoport (Nina Kunzendorf) stellt bei einem Westberliner Jun-gen in der (Ost-)Berliner Charité Symptome der Kinderlähmung (Polio) fest (aus der Episode «Eiserne Lunge» von Charité, S03/E01, 00:05:58).

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