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Grundlage zur Entwicklung verbesserter Prothesendesigns ist die Analyse klinischer Ergebnisse (Kapitel 1.3.2) und experimenteller Studien, welche vor allem den Ver-gleich endoprothetisch versorgter Kniegelenke mit physiologischen Gelenken und/oder anderen Prothesenmodellen beinhalten.

Prinzipiell können die Untersuchungstechniken eingeteilt werden als „In-vivo-“ oder

„In-vitro-“ Messungen.

In-vivo-Messungen:

Vorteile dieser Methoden sind sicherlich in der Meßaufnahme am unverfälschten Objekt zu sehen. Jedoch können in der Biomechanik die notwendigen Meßeinrich-tungen (Kraft-, Druck- oder Bewegungssensoren) oft nicht direkt an den zu untersu-chenden Meßpunkten angebracht werden, da die Belastung der Patienten nicht zu vertreten wäre (invasive Techniken, Strahlenbelastung etc.).

Es werden hier zunehmend Fotostroboskopische Verfahren, Ultraschall oder MRT angewandt.

In-vitro-Messungen:

Das Spektrum reicht von einfachen Materialtests über Untersuchungen an Amputa-ten bis hin zur Simulation. Dabei wird meist auf die in vivo gewonnenen DaAmputa-ten zu-rückgegriffen. Vereinfachungen gegenüber den komplexen physiologischen Gege-benheiten sind nahezu nicht vermeidbar.

Zusätzlich sind hier postmortale Veränderungen oder das Fehlen des Muskeltonus bei Amputaten für eine gewisse Verfälschung der Ergebnisse verantwortlich [25, 152].

1.4.1 Kraft- / Momentmessungen

Die in unterschiedlichen Verfahren ermittelten Quadrizepskräfte für einige Tätigkeiten sind in der Tabelle 1-4 aufgelistet.

Tabelle 1-4: Quadrizepskräfte für verschiedene Tätigkeiten

Autor Aktivität Quadrizepskraft [N]

Morrison [110] Ganganalyse 756

Ericson und Nisell [50] Radfahren 983

Smidt [136] Isometrische Extension 2494

Reilly und Martens [123] Treppenstufe (20 cm) aufwärts 2452 Treppenstufe (20 cm) abwärts 2452

Tiefe Kniebeuge 3237

Da die Bestimmung der Quadrizepskraft in vivo meist über mathematische Rück-rechnungen (Mathematische Modelle, Kapitel 1.1.3) erfolgt, ist es biomechanisch und meßtechnisch sinnvoller, eine Momentbetrachtung am Kniegelenk durchzuführen.

Als gut reproduzier- und vergleichbar hat sich die Untersuchung einer isokinetischen Extensions-/Flexionsbewegung des Kniegelenks gezeigt [19, 57, 79, 94, 154].

Isolierte objektive Messungen für die funktionelle Kapazität eines Kniegelenks sind durch isokinetische Untersuchungen mit einem Cybex Isocinetic Dynamometer mög-lich [19].

Die Tabelle 1-5 zeigt die Ergebnisse einer solchen Untersuchung durch Fuchs et al.

[57] für den Vergleich zwischen physiologischen und endoprothetisch versorgten Kniegelenken. Die erreichten Drehmomente mit alloplastischem Kniegelenk betrugen etwa 66% der erzielten Momente in der Kontrollgruppe.

Tabelle 1-5: Maximales Drehmoment mit oder ohne Kniegelenkersatz (TKA) [57]

Aktivität Geschwindigkeit Physiol. KG Nach TKA

Isokinetische Extension 60 °/s 132 Nm 87 Nm

Isokinetische Flexion 60 °/s 93 Nm 62 Nm

Einen ähnlichen Versuchsansatz wählten auch Berman [19] und Lorentzen et al. [94], jedoch stellten sie das postoperative Ergebnis der Messungen den präoperativen Werten gegenüber (Tabelle 1-6).

Tabelle 1-6: Maximales Drehmoment vor und nach Kniegelenkersatz

Aktivität Geschwindigkeit Präoperativ Postoperativ

Berman [19] (24 bis 39 Monate post OP)

Isokinetische Extension 60 °/s 37 Nm 58 Nm

Isokinetische Flexion 60 °/s 23 Nm 34 Nm

Lorentzen et al. [94] (6 Monate post OP)

Isokinetische Extension 30 °/s 57 Nm 67 Nm

Isokinetische Flexion 30 °/s 30 Nm 39 Nm

In beiden Studien konnte durch die Operation eine deutliche Verbesserung der Kniefunktion nachgewiesen werden. Obwohl das erreichte maximale Drehmoment zum Teil über 50 % Zuwachs zu verzeichnen hatte, bleibt vor allem für die Quadri-zepsfunktion auch über zwei Jahre postoperativ ein kleines, aber signifikantes, Defizit zur gesunden Seite [19].

Wilson et al. [154] stellten bei einer vergleichbaren Studie für die Insall-Burstein (PS ΙΙ) Prothese keine signifikanten Unterschiede zur Kontrollgruppe fest, fanden für die Ischiokrurale Muskulatur sogar höhere Momente. Sie führen diese Beobachtung auf die spezifische Physiotherapie in der Rehabilitation zurück.

1.4.2 Bewegungsmessungen

Zahlreiche Analysen haben Gangabnormalitäten nach Versorgung durch alloplas-tischen Kniegelenkersatz festgestellt [7, 23, 53, 56, 57, 76, 87, 90, 111, 125, 132, 135, 138, 139, 141, 142, 154].

Verschiedene Prothesen führen zu unterschiedlichen Bewegungsmustern im Gang-verhalten [9, 140].

Dennis et al. [38] stellten in einer rechnerunterstützten fluoroskopischen In-vivo-Messung fest, daß Posterior Cruciate Retaining (PCR)-Prothesen sich ähnlich wie Kniegelenke mit einer vorderen Kreuzband-Insuffizienz verhalten:

der tibiofemorale Kontaktpunkt liegt weiter posterior und die Bewegung zwischen einzelnen Kniegelenken ist sehr unterschiedlich (manche mit Paradoxal Movement (Kapitel 1.1.1), manche mit Roll Back (Kapitel 1.2.2), Abbildung 1-24b).

Demnach folgten Posterior Cruciate Substituting-Prothesen am besten dem physio-logischen Verlauf (Abbildung 1-24a).

Das Fehlen des hinteren Kreuzbandes bewirkt ein Fehlen des Roll Back, was wie-derum den Hebelarm und damit die mechanische Effizienz des M. quadrizeps femo-ris verringert [10]. Allerdings bedeutet der Kreuzbanderhalt in Verbindung mit gerin-ger Konformität durch mehr Gleiten höheren Verschleiß [22].

Abbildung 1-24: a) AP Kontaktposition im Vergleich [38]

b) Sagittaler tibiofemoraler Kontaktpunkt für 5 PCR-Prothesen [38]

Normal (physiologisch)

Posterior Cruciate Retaining 1 Posterior Cruciate Retaining 2 Posterior Cruciate Retaining 3 Posterior Cruciate Retaining 4

0 30 60 90

Posterior Cruciate Retaining 5

b) a)

Kim et al. [82] und Stiehl et al. [139] postulieren, daß das hintere Kreuzband richtig gespannt sein muß, um die Vorteile des Posterior Cruciate Retaining nutzen zu kön-nen, andernfalls entstehen Nachteile.

Schlepckow [132] verglich in einer In-vitro-Kadaverstudie die LCS-Prothese (PCR) mit einer stabilisierten Schlittenprothese (Tricon M) und einer Scharnierprothese (Mark ΙΙ). Er ermittelte für das LCS-System die größte Übereinstimmung bezüglich der Kinematik zum physiologischen Kniegelenk.

Lewandowski et al. [90] sahen bei einem Vergleich der LCS Meniscal Bearing (PCR)-Prothese zur LCS Rotating Platform (PCS)-Prothese bei einer In-vitro-(Fresh Frozen)-Kadaverstudie definitive mechanische Vorteile im Erhalt des hinteren Kreuz-bandes durch einen besseren Quadrizepswirkungsgrad.

1.4.3 Druckmessungen

De Marco et al. [35] halten ein genaues Messen des Kontaktdrucks für den Schlüssel zum Verständnis von Belastungszusammenhängen in Gelenken.

Eine häufig angewendete Meßmethode ist die Bestimmung des Kontaktspitzen-drucks mit Kontaktspitzen-drucksensiblen Fotofilmen (Fuji-Film) [33, 58, 65, 101, 102, 144, 145, 159].

Ein neueres Verfahren ermöglicht die Echtzeitaufnahme der Meßwerte durch eine Druckmeßfolie (K-Scan, Tekscan Inc., Boston, MA) [35, 65, 98, 142, 149].

Vorteil gegenüber dem Fuji-Film ist dabei die geringere Stärke von 0,1 mm gegen-über 0,3 mm, die leichtere Handhabung bei höherer Reliabilität und die bessere Re-produzierbarkeit [65].

In-vivo-Druckmessungen bei natürlichen Bewegungsabläufen sind mit diesen Meß-systemen kaum durchführbar. Intraoperativ hingegen versuchten Wallace et al. [149]

mittels einer K-Scan Druckmeßfolie die optimale Prothesenausrichtung und Weich-teilbalance zu ermitteln.

Zur Druckanalyse im Kniegelenk ist der In-vitro-Einsatz von Materialtestmaschinen, Kadaverstudien und Simulationen wichtige Grundlage zur Gewinnung verwertbarer Meßdaten.

Matsuda et al. [98] führten eine Kadaverstudie mittels Fuji-Film und dem Druckmeß-system K-Scan durch und stellten genauere Meßwerte im höheren Druckbereich für das K-Scan System fest.

Szivek et al. [145] untersuchten verschiedene Prothesendesigns in einer servo-hydraulischen Testmaschine (Materials Testing System (MTS, Minneapolis, MN)) mittels Fuji-Film. Bei Temperaturzunahme oder höherer Belastung wurde die Kon-taktfläche größer. In einer weiteren Studie [144] zeigte die LCS-Prothese die größte Kontaktfläche im Vergleich zu anderen Modellen.

Pappas et al. [116] ermittelten für die LCS-Inlays (PCR) einen Kontaktdruck von 4,9 MPa bei 15° Beugung und 2.200 N Belastung [29].

1.4.4 Kniekinematoren

Der Einsatz moderner Kniekinematoren ist nach dem heutigen Stand der Technik (zumindest für die Messung der tatsächlichen tibiofemoralen oder patellofemoralen Druckverhältnisse) eine gute Möglichkeit, in vitro Meßdaten zu erheben.

Vorteil gegenüber Materialtestmaschinen ist die Untersuchung am nativen Präparat mit geringeren Abweichungen und Vereinfachungen zum physiologischen Verhalten.

Das Anbringen verschiedener Sensoren erlaubt mehr Möglichkeiten, als die Messung in vivo.

Zur Nachahmung der Muskel-kräfte werden die entsprechenden Muskelsehnen präpariert und mit Zugsystemen verbunden. Einfa-che Kinematoren (Abbildung 1-25) nutzen hierzu simple Gewichts-kräfte [73, 92], kompliziertere ar-beiten mit pneumatischen oder hydraulischen Komponenten [68].

Das Grundprinzip ist jedoch gleich: durch Zug an den entspre-chenden Sehnen können je nach aufgebrachter Gegenlast (Ge-wichtskraft, Gegenmoment etc.) und Steuerungstechnik (Rückmel-dung durch Sensoren etc.) isome-trische, isotonische oder isokine-tische Versuchsabläufe durchge-führt werden.

Ein Nachteil der Kinematoren ist die beschränkte Anzahl

durch-führbarer Bewegungszyklen durch Präparatveränderungen, so daß für Dauerver-schleißtests z.B. der Einsatz von Kniesimulatoren erforderlich wird. Diese greifen auf Meßdaten aus Kadaverstudien oder in vivo ermittelte Werte zurück und legen ma-thematische Modelle zugrunde [40, 148].

Abbildung 1-25: Kniekinemator [92]

2 Material und Methoden