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Wasserstoffbrückenbindungen

4.3 Dynamik der Wasserstoffbrücken in Polyolen

Streckschwingungsresonanz ist ein Ausbleichen und an der höherfrequenten Flanke (ca.

3510 cm1) eine Absorption zu erkennen, die beide mit steigender Temperaturdifferenz zunehmen. Kehrwerte der Skalierungsfaktoren, um die thermischen Differenzspektren zu normieren, sind in Abb. 4.14 links oben gegen den Temperaturunterschied aufgetra-gen. Anhand dessen ist ein linearer Zusammenhang zwischen differentieller optischer Dichte und Temperaturdifferenz zu erkennen.

Die Differenzspektren des anti-Tetrols, gezeigt in Abbildung 4.15, weisen ein Ausblei-chen der OH-Zustände bei kleinen Frequenzen sowie bei denen des freien OH-Oszillators auf und besitzen keine blauverschobene Absorption wie die Differenzspektren der syn-Polyole. Die Kehrwerte der Normierungsfaktoren für das anti-Tetrol skalieren ebenfalls linear mit der Temperaturdifferenz.

Die Ursache für die Form der Differenzspektren liegt darin, dass bei steigender Tem-peratur bevorzugt angeregte Schwingungszustände niederfrequenter Gerüstmoden be-völkert werden.17 Aufgrund der anharmonischen Kopplung dieser Moden mit der OH-Streckschwingung ist der Effekt als ein Ausbleichen im OH-Frequenzbereich des Spek-trums von syn- und anti-Tetrol sichtbar. Für syn-Tetrol vergrößern sich zusätzlich mit einer Temperaturzunahme die Abstände im ausgedehnten H-Brückennetzwerk und es resultiert eine blauverschobene Absorption der OH-Streckschwingungsresonanz. Auf-grund der Absorptionsfrequenz kann ausgeschlossen werden, dass die H-Brückenbin-dungen vollständig brechen, da diese bei 3610 cm1 an Stelle von 3510 cm1 absorbieren würden.

Für syn-Diol und syn-Hexol sowie anti-Diol und anti-Hexol finden sich temperatur-abhängige Absorptionsspektren im Anhang auf Seite 138. Sie weisen entsprechend ih-rer Konformation dieselben Charakteristika wie die exemplarisch vorgestellten Tetrole auf.

bietet es sich an, Langevin-Simulationen121 durchzuführen, da die molekulare Struk-tur der Umgebung der Polyole nur von untergeordneter Bedeutung ist. Dabei wird der Einfluss des Bades phänomenologisch als Reibungskraft in die klassische Bewe-gungsgleichung der Atome eingeführt. Für die Polyole wurde das klassische AMBER-Kraftfeld122 genutzt. Die Simulationen wurden von Vöhringer81 unter Verwendung des HYPERCHEM Programmpakets durchgeführt. Der Verlet-Algorithmus123 wurde zur Integration der Langevin’schen Bewegungsgleichungen genutzt, wobei eine Schrittweite von 1 fs und ein aus dem Eigendiffussionskoeffizienten des Lösungsmittels abgeleiteter Reibungskoeffizient von 10 ps1 verwendet wurde (s. Abschnitt 2.4.3). Während der Äquilibrierung der von AMBER optimierten Strukturen wird die Geschwindigkeit zu jedem Zeitpunkt neu angepasst und dabei mit einem externen Wärmebad von 300 K und einer Relaxationszeit von 100 fs gekoppelt.

In Abbildung 4.16 sind repräsentative Trajektorien aller vier H-Brücken sowohl des syn-(oben) als auch des anti-Tetrols (unten) für eine Dauer von 50 ps gezeigt. Die Nummerie-rung der H-Brücken in Polyolen beginnt mit eins bei der H-Brücke, die zum Ethersauer-stoff hin ausgerichtet ist, also entsprechend Abbildung 4.6 und 4.7 von rechts nach links.

Für die vier H-Brücken im syn- und anti-Tetrol ist die Länge der H-Brückenbindung r(O· ·H)gegen die Beobachtungsdauer aufgetragen. Ab 40 ps besitzen die Abszissen in Abbildung 4.16 eine feinere Skalierung um die Dynamik des H-Brückennetzwerks bes-ser aufzulösen. Es ist eine deutlich größere Fluktuation aller vier H-Brücken im anti-gegenüber dem syn-Tetrol zu erkennen. Für syn-Tetrol kann nur ein einzelnes Brechen der H-Brücke 1 anhand einer Vergrößerung des Bindungsabstands um etwa 1.5 Å bei 11 ps beobachtet werden. Bereits nach 1 ps rekombiniert diese H-Brücke. Die drei ande-ren H-Brücken im syn-Tetrol bleiben über den gesamten Beobachtungszeitraum intakt und fluktuieren um ihre Gleichgewichtslage mit einer Standardabweichung von 0.1 Å.

Hingegen findet im anti-Tetrol ein kontinuierliches Brechen und Knüpfen der H-Brücken statt. Entsprechend groß ist die Variation der (O· ·H)-Bindungsabstände, die 2 bis 4 Å betragen.

Aus den Trajektorien in Abbildung 4.16 wird eine Häufigkeit des H-Brückenbindungs-abstands r(O· ·H) erhalten. Die entsprechende Verteilung für jede H-Brücke im

syn-∗Hierfür werden die Ereignisse mit demselben mittleren Bindungsabstand in einem gewählten Zeitin-tervall gezählt.

H.B.Nr.

4 3 2 1 Zeit / ps

Zeit / ps

r(O··H)/Å

4 3 2 1 syn-Tetrol

anti-Tetrol

Abbildung 4.16: Simulation der Dynamik von H-Brückenlängen in Polyolen: syn-Tetrol (oben), anti-syn-Tetrol (unten); H.B. Nr.: Nummer der Wasserstoff-brückenbindung

syn-Tetrol anti-Tetrol

H-Brücke 4

H-Brücke 3

H-Brücke 2

H-Brücke 1

r(O··H)/ Å

Anzahl

Abbildung 4.17: Verteilung der H-Brückenlänge für syn-Tetrol (links) und anti-Tetrol (rechts) innerhalb 50 ps

Tetrol ist in Abbildung 4.17 auf der linken Seite dargestellt. Alle vier H-Brücken zei-gen eine relativ kleine Variation um den mittleren Bindungsabstand von 1.8 Å. Syn-Tetrol besitzt somit eine relativ einheitliche geometrische Struktur und ein stabiles H-Brückennetzwerk, welches nur kleinen thermischen Fluktuationen unterliegt, wie es beispielsweise auch in Eis124 zu finden ist.

Entsprechend der Trajektorien unterscheidet sich die Verteilungsfunktion der H-Brückenabstände im anti-Tetrol, dargestellt in Abbildung 4.17 rechts, deutlich von der des syn-Tetrols. Im anti-Tetrol sind die Verteilungen offensichtlich breiter und zu größe-ren Werten hin verschoben. Es liegt somit ein schnell fluktuiegröße-rendes Brückennetzwerk vor, in dem Bindungen ständig gebrochen und neu geformt werden, wie es in flüssi-gem Wasser16 vorzufinden ist. Im Ensemble hat daher das Netzwerk keine einheitliche Geometrie.

Die Ergebnisse der Simulationsrechnungen stehen in guter Übereinkunft mit1 H-NMR-Messungen von Paterson et al., in denen für syn-Tetrol vier einzelne1H-Kernresonanzen der Hydroxylgruppen aufgelöst sind.98Im syn-Tetrol besitzen alle vier OH-Gruppen

ih-re eigene charakteristische chemische Umgebung, die auf der NMR-Zeitskala stabil ist. Hingegen messen Paterson und Mitarbeiter für anti-Tetrol nur eine 1H-Kernresonanz die allen vier Hydroxylgruppen entspricht. Dieses Koaleszenz-Phänomen wird anhand der MD-Simulationen verständlich: Die zeitliche Auflösung von NMR-Messungen am anti-Tetrol ist im Vergleich zur schnellen Dynamik des H-Brückennetzwerks nicht aus-reichend. Bei einer großen Fluktuation der H-Brücken, wie sie im anti-Tetrol vorliegt, besitzen die Wasserstoffe der Hydroxylgruppen im Mittel alle dieselbe chemische Um-gebung.