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Fazit zum Effekt der Durchschnittlichkeit auf die Attraktivität von Gesichtern und Konsequenzen für künftige Studien von Gesichtern und Konsequenzen für künftige Studien

3 Zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse aller sechs Untersuchungen zum

3.5 Fazit zum Effekt der Durchschnittlichkeit auf die Attraktivität von Gesichtern und Konsequenzen für künftige Studien von Gesichtern und Konsequenzen für künftige Studien

Wie im vorigen Kapitel 3.4 ausführlich dargelegt, ist der größte Teil aller Untersuchungen zur Durchschnittshypothese mit erheblichen Mängeln behaftet – und meist nicht nur mit einem einzigen, sondern mehreren gleichzeitig. Umso erstaunlicher ist es, dass die Durchschnittshypothese es zur einflussreichsten Theorie innerhalb der Szene der Attrak-tivitätsforscher schaffen konnte. Bereits der „Startschuss“ für diese Forschung, der Artikel von Langlois und Roggman (1990), ist bei sorgfältiger und kritischer Lektüre alles andere als überzeugend: Deren Durchschnittsgesichter waren (bedingt durch den damaligen Stand der Technik mit einfachen Überblendungen anstatt Morphing) (1) von optisch schlechter, verwaschener Qualität, (2) es gab etliche Originalgesichter, die attraktiver bewertet wurden als die Durchschnittsgesichter, (3) alle Durchschnittsgesichter bekamen nur mäßige Bewertungen im mittleren Bereich der Attraktivitätsskala, und (4) die Durch-schnittlichkeit der Composites war mit deren glatter, makelloser Haut konfundiert. Den-noch setzte dieser Artikel einen Boom ähnlicher Forschung in Gang.

Bei den folgenden Studien verbesserte sich zwar einerseits mit dem Aufkommen von Morphing-Programmen die Bildqualität der Composites (auch wenn diese mangels Sorg-falt und Genauigkeit beim Morphen bis heute weit hinter den technischen Möglichkeiten zurückbleiben), doch wurden andererseits den bisherigen methodischen Schwächen noch weitere hinzugefügt, indem auch mit Karikaturen von Gesichtern experimentiert wurde und Durchschnittlichkeit mit nicht validen distinctiveness-Ratings gemessen wurde.

Auf der anderen Seite wurde aber bis heute der gewaltige Störfaktor der glatten, makello-sen Haut von Composites nicht angemesmakello-sen gewürdigt (bzw. verstanden) und Ergebnis-se, die dessen Einfluss belegen, wie das Experiment 2 von Rhodes und Tremewan (1996) nicht zur Kenntnis genommen bzw. fehlinterpretiert (vgl. Kapitel 3.4).

Die Fülle an methodisch fehlerhaften Studien mit ihren gleichzeitig oft einseitigen und interessengeleiteten Ergebnisinterpretationen haben zu der Situation geführt, dass ge-genwärtig unter Attraktivitätsforschern die Meinung herrscht, dass die Durchschnittshypo-these empirisch bestens fundiert sei und obendrein hervorragend erklären könne, was ein Gesicht attraktiv macht. So schreiben beispielsweise Rubenstein, Langlois und

Roggman in dem einflussreichen Standardwerk „Facial Attractiveness“ von Rhodes und Zebrowitz (2002) im Kapitel über die Durchschnittshypothese als Fazit:

Averageness ist the only characteristic discovered to date that is both ne-cessary and sufficient to ensure facial attractiveness – without a facial con-figuration close to the average of the population, a face will not be attractive no matter how smooth, youthful, or symmetrical. Averageness is fundamen-tal. (Rubenstein, Langlois & Roggman, 2002, S. 21)

Diese Behauptung ist falsch. Durchschnittlichkeit ist für die Attraktivität eines Gesichts nicht notwendig und schon gar nicht hinreichend. Bereits ein kritisches Durcharbeiten der publizierten Studien zu diesem Thema würde klar machen, dass die empirische Basis dieser Behauptung sehr dürftig ist. Die sechs Experimente dieser Arbeit belegen zudem eindeutig, dass die Postulierung von Durchschnittlichkeit als Schönheitsideal auf einem Irrtum beruht.

Es konnte eindeutig nachgewiesen werden, dass der in dieser Untersuchungsreihe erziel-te, scheinbar große attraktivitätserhöhende Effekt der Durchschnittlichkeit in Wahrheit größtenteils auf Artefakte des Morphens zurückzuführen ist (vgl. Kapitel 2.6 und 2.10) und dass die allgemeine Attraktivitätssteigerung bei Composites durch die Bildverarbei-tungsartefakte der glatteren und makelloseren Haut entsteht (vgl. Kapitel 3.1.2). Durch den Vergleich verschiedener Stimulusarten (Frontalgesichter und Profilgesichter mit und ohne Textur), konnte belegt werden, dass die Ausgangsattraktivität der Originalgesichter hauptverantwortlich für die Attraktivität eines Composites ist (vgl. Kapitel 3.1.3).

Die Ergebnisse der sechs durchgeführten Experimente lassen nur den Schluss zu, dass durchschnittliche Gesichtsproportionen (also ohne die Morphing-Artefakte der makellosen Haut) zwar die Attraktivität vieler (aber nicht aller) Gesichter geringfügig steigern können, dass jedoch Durchschnittsproportionen bei weitem nicht das Attraktivitätsideal darstellen (vgl. dazu auch die beiden Experimente Vergleich 1 und Vergleich 2 in Kapitel 8). Die plausibelste Erklärung für diesen kleinen Effekt ist, dass bei durchschnittlichen Gesichts-proportionen keine unattraktiv machenden Merkmale mehr vorhanden sind, wie bei-spielsweise einzelne zu große oder zu kleine Gesichtsmerkmale oder unharmonisch wirkende Gesichtsproportionen. Ein durchschnittliches, normales Gesicht ist also in erster Linie ein guter Schutz vor hässlichem Aussehen – aber diese Erkenntnis ist trivial.

Die Behauptung, dass die durchschnittlichsten Gesichter auch die schönsten seien, ist jedoch nicht haltbar. Denn es wurden in den sechs Experimenten zahlreiche Gesichter produziert, die deutlich attraktiver als die jeweiligen durchschnittlichsten Gesichter

bewer-tut überhaupt nichts zur Sache. Denn bei der Frage, was das Schönheitsideal ist und wie ein solches ideales Gesicht aussieht, spielt es gar keine Rolle, wie häufig ein solch schö-nes Gesicht ist und ob es in der sehr begrenzten untersuchten Stichprobe an fotografier-ten Stimuluspersonen zufälligerweise vorhanden ist oder nicht. Genau diesen Fehler machen alle Forscher, die die Attraktivität eines gemorphten Durchschnittsgesichts nur mit den jeweiligen Originalgesichtern vergleichen, aus denen dieses Composite berech-net wurde.

Dem Schönheitsideal der Bevölkerung deutlich näher kommen Composites aus attrakti-ven Originalgesichtern. Diese Composites sind zugleich auch deutlich attraktiver als die jeweiligen Originalgesichter, aus denen sie erzeugt wurden. Der Mechanismus dieses

„Raffael-Effekts“ ist dabei derselbe, der auch für den Attraktivitätszuwachs gemorphter Gesichter generell (auch des „absoluten“ Durchschnittsgesichts) verantwortlich ist: Ver-einzelte Abweichungen von einem idealen Schema (von denen auch attraktive Gesichter nicht frei sind) werden herausgemittelt und die Haut erscheint glatt und makellos. Gerade weil der Mechanismus derselbe ist und diese hochattraktiven Composites auf dieselbe Weise erzeugt wurden wie die „absoluten“ Durchschnittsgesichter, ist dies eine so über-zeugende Widerlegung der Durchschnittshypothese. Und dass dieser Nachweis nicht nur mit statistischen Mitteln gelang, sondern über die hergestellten Gesichter selbst sinnlich erfahrbar ist (vgl. Abbildung 38, S. 85, Abbildung 22, S. 49, Abbildung 27, S. 58, Abbildung 6, S. 21 und Abbildung 11, S. 29), macht den Irrtum der Befürworter der Durch-schnittshypothese selbst für jeden Laien unmittelbar deutlich.

Die Prototypen für attraktive Gesichter widerlegen nicht nur die Durchschnittshypothese, sondern liefern eine Vielzahl von Indizien, welche Merkmale tatsächlich für hohe Attrakti-vität verantwortlich sind. Dies zeigte deutlich die deskriptive Analyse, bei der diese Proto-typen mit den jeweiligen „absoluten“ Durchschnittsgesichtern verglichen wurden (Kapitel 3.3). Es wurde ebenfalls gezeigt, dass sich diese Einzelmerkmale auf die Faktoren „Ju-gendlichkeit“ und „sexueller Dimorphismus“ bzw. „Femininität“ zurückführen lassen.

Diese beiden Faktoren, Jugendlichkeit und sexueller Dimorphismus, werfen ein bezeich-nendes Licht auf die „akademische“ Attraktivitätsforschung und weisen auf ein tief liegen-des Problem dieses Forschungsgebiets hin. Attraktivitätsforscher behandeln diese beiden Bereiche völlig unterschiedlich. Während es eine Menge Forschungsarbeiten zum sexuel-len Dimorphismus gibt, existiert Jugendlichkeit als Erklärung für Attraktivität innerhalb der Attraktivitätsforscher-Szene überhaupt nicht und wird ignoriert. Der Grund dafür ist ein-fach: Hinter dem sexuellen Dimorphismus steckt die Idee, dass Attraktivität mehr ist als

nur ästhetisches Aussehen, sondern dass sie ein Signal ist für Merkmale, die aus biologi-scher Sicht für Partnerwahl von Bedeutung sind, z. B. für Fruchtbarkeit, reproduktiven Wert, Parasitenresistenz oder allgemein „gute Gene“. Hinter der Theorie des sexuellen Dimorphismus steckt die evolutionäre Psychologie, die seit Beginn der 90er-Jahre (Buss, 1999) mit dem Boom in den Biowissenschaften einen ungeheuren Aufschwung erlebt hat.

Von dieser Strömung hat die Attraktivitätsforschung, die etwa zur gleichen Zeit aufkam, stark profitiert und sie sichert ihr nach wie vor eine Beachtung und durch die Nähe zu den Biowissenschaften ein positives naturwissenschaftliches Image, das sie ansonsten nicht hätte.

Anders hingegen Jugendlichkeit als Attraktivitätsfaktor. Dass jugendliche Gesichter attrak-tiver sind als alte Gesichter, gilt als so trivial, dass es nicht weiter erforschenswert er-scheint. Und doch stecken hinter dieser Einstellung zwei Missverständnisse: Wenn man sich ernsthaft für die Ursachen von Attraktivität interessiert, dann sollte man dies (1) ohne Vorbehalte tun und nicht bestimmte sehr plausible und umfassende Erklärungsansätze von vornherein ignorieren, nur weil sie aus theoretischer Sicht nicht besonders spannend sind und man stattdessen lieber ein bisschen innerhalb der evolutionären Psychologie mitmischen möchte.

Zudem (2) ist der Faktor Jugendlichkeit alles andere als trivial, denn aus wissenschaftli-cher Sicht geht es hier um die Details: Welches Gesichtsmerkmal altert auf welche Weise und wie stark, wie hängt dies mit dem Elastizitätsverlust der Haut, mit dem Abbau des Unterhautfettgewebes und sogar mit der Veränderung der Knochensubstanz zusammen (Bartlett et al., 1992; Coleman & Grover, 2006; Fagien, 2002; Friedman, 2005; Gosain et al., 2005; Guyuron, 1997; Hamra, 1994; Heinz & Kikkawa, 1997; Hoenig et al., 1997;

Jelks & Jelks, 1993; Rohrich et al., 2004)? Ein altes Gesicht unterscheidet sich von einem jugendlichen Gesicht in weitaus mehr Merkmalen als einfach nur grauen Haaren und vielen Falten (wie die meisten medizinischen Laien pauschal denken). Zudem erklären typische Alterskriterien ja nicht nur fehlende Attraktivität bei alten Gesichtern, sondern auch bei jungen, nämlich dann, wenn bei einer jungen Person aufgrund ihrer genetischen Veranlagung Gesichtsmerkmale nur zufälligerweise so aussehen wie Merkmale, die ty-pisch sind für alte Gesichter (z. B. eine Höckernase mit abwärts gerichteter Nasenspitze und gleichzeitiger Oberkieferrücklage, vgl. Kapitel 3.3). All dies wird intensiv erforscht – aber eben nicht von Attraktivitätsforschern, sondern von Medizinern.

Dort, wo es wirklich darum geht, Schönheit zu verstehen (mit dem Ziel, sie auch

herzu-Diese haben sich abgesondert, untersuchen ihre eigenen Hypothesen und zitieren die Arbeiten anderer Attraktivitätsforscher. Ob sich die Ergebnisse ihrer Forschung für ir-gendetwas anwenden lassen, ist ihnen offensichtlich gleichgültig. Während die ästheti-sche Medizin boomt und sich immer mehr Menästheti-schen mediziniästheti-schen Eingriffen unterzie-hen, um attraktiver auszuseunterzie-hen, herrscht zwischen den beiden Disziplinen Attraktivitätsforschung und Medizin gegenseitiges Desinteresse. Akademische Attraktivi-tätsforscher befassen sich lieber mit abstrakten Theorien über die (biologische) Funktion von Attraktivität anstatt mit Detailfragen des Aussehens, während ästhetisch-plastische Chirurgen und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen mit den Ergebnissen der akademischen Attraktivitätsforschung ohnehin wenig anfangen können.

Die Durchschnittshypothese – unter Attraktivitätsforschern die renommierteste Attraktivi-tätstheorie – steht dabei symptomatisch für die Situation der Mainstream-Attraktivitätsforschung: Isoliert in einer akademischen Nische und ohne Aussicht auf eine Anwendung. Und darüber können Attraktivitätsforscher sogar noch froh sein. Denn man stelle sich einmal vor, wenn „akademische“ Attraktivitätsforscher mit ihrer Behauptung, durchschnittliche Gesichtsproportionen machten attraktiv, tatsächlich ernst genommen würden. Wenn auf einmal ohnehin schon sehr attraktive Menschen in ihrem Ehrgeiz, noch attraktiver auszusehen, den Wunsch nach einem durchschnittlicheren Aussehen äußern würden und Chirurgen dem tatsächlich nachkommen würden. Die Patienten sä-hen unattraktiver aus als vorher, die Chirurgen würden als unfähige Operateure dastesä-hen und die akademischen Attraktivitätsforscher mit ihrer Durchschnittshypothese wären durch die Praxis widerlegt.

So gesehen überrascht es auch nicht, dass „akademische“ Attraktivitätsforscher an einer anwendungsorientierten Forschung gar kein Interesse haben. Solange die Ergebnisse der eigenen Forschung für nichts anwendbar sind, können sie von der Realität auch nicht widerlegt werden. Doch langfristig führt diese Einstellung in eine Sackgasse. Wer dauer-haft und kategorisch praktische Anwendungsmöglichkeiten seiner Forschung ignoriert und auf den Sinn und Zweck seiner Arbeit nur mit „Grundlagenforschung“ zu antworten weiß, manövriert sich früher oder später ins akademische Abseits. Im Fall der Durch-schnittshypothese befindet sich die Attraktivitätsforschung schon von Anfang an dort, denn in der ästhetischen Medizin hatte und hat diese Theorie keinerlei Bedeutung.

Die Hypothese, Durchschnittlichkeit mache ein Gesicht attraktiv, ist nicht mehr länger zu halten. Für die Attraktivitätsforschung ist es Zeit, von dieser Behauptung abzulassen und sich neuen Fragen zuzuwenden. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der

ästheti-schen Medizin könnte dabei für beide Seiten sehr produktiv sein. Die Durchschnittshypo-these ist nicht nur nicht wahr, sondern der selbstzufriedene Glaube an ihre Gültigkeit behindert sogar einen weiteren Erkenntnisfortschritt. Denn wie die deskriptive Analyse in Kapitel 3.3 gezeigt hat, liegt gerade in den Abweichungen von einem bloß durchschnittli-chen Aussehen der Schlüssel zum Verständnis hoher Attraktivität. Das optimale Ausse-hen dieser Details zu erforscAusse-hen, bietet reichlich Stoff für viele künftige Untersuchungen zur Attraktivität von Gesichtern.

4 Empirische Untersuchungen zum Einfluss