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DON JUAN

Im Dokument Mit Eroberungen leben (Seite 32-35)

Zur Phänomenologie des Eroberers. Eine Apologie

2. DON JUAN

Nach der Lesart von Sören Kierkegaard ist Mozarts Don Giovanni, das sinnliche Genie, der geborene Verführer, "schlechthin wahr, sieghaft, triumphie-rend, unwiderstehlich und dämonisch ... Sogar ein Jupiter ist seines Sieges nicht sicher ... mit Don Ju-an steht es nicht so, er macht kurzen Prozeß, und muß jederzeit gedacht werden als schlechthin sieg-haft."2 Damit sind die vornehmsten Attribute des Er-oberers dem Frauenhelden geschenkt - und dies nicht zufällig. Das erotische Begehren ist eine spezi-fische Form des Eroberns: nicht, oder nicht nur über das andere Geschlecht, sondern, wie jedes Er-obern, als Triumph über Raum und Zeit. Umgekehrt stellt auch jedes Erobern eine spezifische Form der Erotik dar: das absolute Begehren. So wie sich Alex-ander in kurzer Zeit nacheinAlex-ander die Länder unter-wirft, so unterwirft sich der juaneske Verführer die Frauen. Sie sind das andere, das genügt, um be-gehrt zu werden. Die berühmte lista des Don Gio-vanni ist nicht umsonst nach Ländern geordnet: "ln Italien 640, ln Deutschland 231, 100 in Frankreich, 91 in der Türkei. Ma in lspagna son gia mille e tre!."

So wie für den Eroberer die Weit zur Disposition steht, so für den Verführer die Frau schlechthin. Die

Quantität simuliert die Dimension des Raumes, die rastlose Jagd von einer zur anderen ist nicht Unfä-higkeit des Genießens, wie eine verquaste Theorie von der reifen Persönlichkeit uns nahelegen will, sondern der Genuß liegt in der Bewegung selbst, die sich als ein Kontinuum von Augenblicken er-weist. Die Zeit aber verschwindet so im Akt der Be-gierde- das ist ihr Triumph über diese.

Don Giovannis Begehren ist eine Form der Liebe, aber diese Liebe ist sinnlich, nicht etwa "seelisch", und

"sinnliche Liebe ist nach seinen Begriffen nicht treu sondern schlechthin treulos, sie liebt nicht eine sondern alle, will heißen, sie verführt alle. Sie ist nämlich allein im Augenblick da".3

Der Augenblick: aus ihm konstituiert sich die Äs-thetik einer Verführung, die allein dem Prinzip der Sinnlichkeit gehorcht. "Der Augenblick", so wird der Psychologe Vigilius Haufniensis, ein Kierkegaard-sches Pseudonym, in Der Begriff Angst schreiben,

"bezeichnet das Gegenwärtige als ein solches, das nichts Vergangenes und nichts Zukünftiges hat". (A 88) Der Augenblick kennt keine Erinnerung und kei-ne Perspektive, er kennt deshalb auch keikei-ne Reue und keine Hoffnung.

"Sie sehen und sie lieben ist Eines, dies ist im Au-genblick so, und im gleichen AuAu-genblick ist alles vorüber, und das Gleiche wiederholt sich ins Un-endliche."

Das erotische Erobern ist die praktische Negation von Zeitlichkeit. Jeder Augenblick aber, der von seinesgleichen gefolgt wird, wird von diesem auch negiert. Unbeständigkeit ist eines seiner integralen Momente. Damit steht der Augenblick aber a priori jenseits des Ethischen. Dieses verlangt nach epi-scher oder dramatiepi-scher Zeit. Dem Augenblick Un-moral vorzuwerfen, wäre sinnlos. Es hieße nur, ihm seine Augenblicklichkeit vorzurechnen. Er ist, wenn überhaupt, amoralisch.

Die Macht des Augenblicks also ist die große Stunde der sinnlichen Eroberung. Der Augenblick überhaupt ist das Glück. Man muß diese Bestim-mungen des Augenblicks in Kierkegaards Analyse des Don Giovanni in Korrespondenz lesen mit jener denkwürdigen Abhandlung, der er den Titel Der Un-glücklichste gegeben hat. Dort beschreibt er das unmittelbare Gegenteil des Augenblicksmenschen -aufgefaßt aber auch als Prinzip. Und dieser ist: un-glücklich.

"Der Unglückliche ist allzeit abwesend von sich selbst, niemals sich selber gegenwärtig. Abwesend aber kann man offenbar sein entweder in der Ver-gangenheit oder in der Zukunft."4

Der Unglückliche lebt nur aus der Erinnerung oder in der Hoffnung - er lebt nie unmittelbar, also wirklich.

Was Don Giovanni praktiziert als elementares Prinzip der Sinnlichkeit, ist die Suspension von Zeit. Ihm ge-lingt damit intuitiv das, was Kierkegaard in seiner zy-nischen sozialen Klugheitslehre, die er eine Wech-selwirtschaft nennt, als Ziel aller Lebenskunst ge-nannt hat: "Fangball zu spielen mit dem ganzen Da-sein."5 Darin drückt sich der größte Triumph des Er-oberns aus- er ist einer über das Gewicht der Weit.

Genial an der Sinnlichkeit des Don Giovanni ist also die völlige Zurücknahme ihrer Wirklichkeit in ein einziges zeitliches Moment: den Augenblick des Be-gehrens. Tatsächlich aber gewinnt Don Giovanni seine Kraft aus einer Angst - es ist die Angst vor dem Verlust des Augenblicks. Diese Angst aber ist tatsächlich der Beweggrund der Sinnlichkeit als Idee. Jede individualpsychologische Verquickung von Erotik und Angst, die sich programmatisch auf-lösen möchte in einer angstfreien Erotik, hat nichts begriffen: Erotik als sinnliche Unmittelbarkeit oder unmittelbare Sinnlichkeit gewinnt ihre Kraft einzig und allein aus jener substantiellen Angst, der sie nicht entkommen kann, solange ihr Dasein an ein zeitliches, das heißt: endliches Bewußtsein gekop-pelt ist. Der von dieser Angst Getriebene aber ver-führt in seiner Rastlosigkeit alle, weil er deren Sehn-sucht nach Unmittelbarkeit imstande ist zu entzünden. Sie verfallen dieser, nicht ihm. Das macht das augenblickliche Glück der Verführten und Eroberten aus - ihr Unglück aber ist, daß sie, zurückversetzt ins bewußte Leben, dies sich selbst -nicht dem Verführer - nie verzeihen können. Dem Verführer und Eroberer aber wird das Spiel mit dem Dasein zu einer Notwendigkeit, zu einem Zwang, dem er nicht mehr entkommen kann. Innehalten hie-ße, sich dem Diktat der Zeit aussetzen und damit dem Terror der Moral. Es liegt so in der Logik des reinen Begehrens, daß es immer weiter muß. Doch die meuternden Soldaten des Alexander kennen ihr Pendant beim Verführer: Erschöpfung, Krankheit, Tod. Das Dasein entgleitet den Händen des Erobe-rers und entläßt diesen jenem Faktum brutum, dem er durch seine rastlosen Begierden zu entkommen hoffte: dem Nichts.

PHILOSOPHISCHES INTERMEZZO

ln dem 1936 erschienenen Essay Pathologie de Ia Liberte6 skizzierte Günther Stern-Anders das Porträt des nihilistischen Menschen. Die Konstitutionsbe-dingung des nihilistischen Menschen ist eine anthro-pologische Konstante des modernen Bewußtseins:

der Kontingenzschock: "Der Mensch erfährt sich als kontingent, als beliebig, als ,gerade ich' (so wie er sich nicht gewählt hat), als Mensch, der gerade der ist, der er ist (obwohl er ein ganz anderer sein könn-te); als von einem Ursprung herkommend, für den er nichts kann und mit dem er sich dennoch gerade als ,hier' und ,jetzt' zu identifizieren hat." Die Kontin-genz ist, so Stern-Anders, das Danaergeschenk der Freiheit:

"Im beliebigen, das ich dank meiner Freiheit auffin-den kann, treffe ich auch mein eigenes Ich an; des-gleichen ist es, soweit es von der Weit ist, sich sel-ber fremd. Als kontingent angetroffen ist das Ich gewissermaßen Opfer seiner eigenen Freiheit. Der term kontingent muß also für die zwei folgenden Merkmale stehen: ,die Nicht-Konstituierung von sich durch sich' des Ich und seine ,Existenz als ge-rade diese und in der Art'." Der Nihilist, bei dem der Schock in eine Kontingenzwut umschlägt, leugnet nun nicht nur das Sein, das er selbst ist, "sondern

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das Sein des Seienden selbst, das nun dem Fluch des kontingenten Beliebigen verfällt, so als ob es ir-gendein gleichgültiges Dasein wäre."

Die Kontingenz seines Daseins in der Weit erscheint dem Nihilisten in zweierlei Gestalt: als Kontingenz der Zeit - daß er jetzt ist und nicht später oder frü-her - und als Kontingenz des Raumes: daß er hier ist und nicht woanders. Gleichzeitig erlaubt die mit der Kontingenz verbundene Freiheit die beliebige Bewegung in diesen Dimensionen oder Anschau-ungsformen: Erinnerung und Antizipation können sich der Zeit bemächtigen, die Bewegung von Ort zu Ort ermöglicht die Durchquerung der Räume. Die

"Pathologie der Freiheit", an der der Nihilist erkrankt ist, läßt ihn nun pathologisch, das heißt ihr Prinzip in aller Reinheit erfassend, mit diesen Dimensionen verfahren:

"Der am Raum erkrankte möchte die Kontingenz des Ortes, an dem er sich gerade befindet, aufhe-ben. Er möchte überall zugleich sein, er möchte sich mit einem Schlag der Totalität bemächtigen.

Aber der Wunsch zu besitzen ist nur eine Spezifi-zierung eines grundlegenden Machtdurstes: des Wunsches, die Weit mit sich selber deckungsgleich zu machen, genauer, die Weit zu zwingen, Ich zu werden. Daß sie allerhöchstens mein werden kann, statt Ich zu werden, ist für den Machtdurst bereits der erste Skandal und der erste Kompromiß ... Im Wunsch nach der Macht sucht der Mensch den Vorsprung wieder einzuholen, den die Weit vor ihm hat; da er nicht je schon alles ist, muß er alles ha-ben. Er rächt sich an der Weit, indem er sein kon-tingentes Ich durch die Weit aufbläht, indem er sie sich einverleibt und indem er sie repräsentiert:

Denn derjenige, der mächtig ist, ist jetzt nicht mehr nur er selbst wie er es in seinem miserablen Zu-stand war, sondern dieser und jener; er selbst und der andere, eine Ganzheit. Er ist gleichzeitig hier und dort und noch dort. Denn er ist in der Herr-schaft, in der Repräsentation und im Ruhm omni-präsent um einen Ausdruck aus der Theologie zu verwenden."

Keine Frage: der Phänotyp des Nihilisten, nach Stern-Anders eine philosophische Übertreibung, ist der Eroberer. Erobern als pure Lust an der Souverä-nität über Raum und Zeit- und Alexander ist der er-ste, an dem sich diese Lust rein zeigt - ist der gi-gantische Beschwichtigungsversuch gegenüber der Fratze der Kontingenz. Deshalb das Pathos des Raumes und der Zeit, deshalb die Beschwörungen der Erde und der Vergangenheit, deshalb die Ver-sprechungen der Geschichte als Einflüsterungen der Zukunft. Damit aber kann alles zum Gegenstand der Eroberung werden, Räume und Zeiten, Märkte und Feuilletons, Positionen und Mandate, das Neu-land, das der Wissenschaftler betritt ebenso wie das Phantasma der Frau. Immer aber wird es darum ge-hen, sich selbst mit einem Stück Weit zur Deckung zu bringen und sich damit eine Notwendigkeit zu ge-ben, wird es darum gehen, Zeit dadurch zu gewin-nen, daß man der Zufälligkeit des Daseins, wenig-stens für einen Augenblick, seinen Stempel aufdrücken kann. Die Voraussetzung aber für die Eroberung, und das macht ihren prekären Status in der Moderne aus, ist die Freiheit. Nur Unfreie sind

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-gefeit davor, zu Eroberungen aufzubrechen. Don Giovannis "Viva Ia liberta" hat dies begriffen. Und wo immer sich jemand befreit, ist er nicht davor ge-feit, der Pathologie der Freiheit zu verfallen, die mit der Freiheit gewonnene Bewegungsmöglichkeit zur Welteroberung als Kompensation des Kontingenz-schocks zu gebrauchen: "Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten; Sie haben eine Weit zu gewinnen" schrieben Marx und Engels am Ende des Manifests der kommunistischen Partei.

3. HITLER

Adolf Hitler war der letzte große Eroberer Europas, der letzte vor dem kleinen Slobodan Milosevic. Und wie bei keinem läßt sich an Hitler der Zusammenhang von Nihilismus und Eroberung, Kontingenzschock und Weltzerstörung demonstrieren: "Deutschland", schrieb Hitler in Mein Kampf, "Deutschland wird ent-weder Weltmacht oder überhaupt nicht sein."7

Eines kann man Hitler kaum vorwerfen. Daß er seine Ziele und Überzeugungen verheimlicht hätte.

Der Maxime aus Mein Kampf- "Was der Himmel auch mit uns vorhaben mag, schon am Visier soll man uns erkennen"8 fühlte er sich tatsächlich ver-pflichtet. Wer Hitler wollte, wußte, was er wollte. Im letzten Kapitel von Mein Kampf entwickelte Hitler die außenpolitischen Ziele der nationalsozialistischen Bewegung. Zum zentralen Begriff wird dabei, wie könnte es anders sein, der des Raumes: "Nur ein ge-nügend großer Raum auf dieser Erde sichert einem Volke die Freiheit des Daseins."9 ln doppelter Weise versucht der nationalsozialistische Diskurs des Kon-tingenzschocks Herr zu werden: Durch die Sub-stitution des Subjekts durch das Volk und dessen Überhöhung als "Wahrer höchsten Menschen-tums",1o das vor der Geschichte sich zu verantworten haben werde. Damit scheint jene Zufälligkeit ge-bannt, die für das politische Handeln keine Rechtfer-tigung geben kann, aber jede RechtferRechtfer-tigung ermög-licht:

"Kein Volk besitzt auf dieser Erde auch nur einen Quadratmeter Grund und Boden auf höheren Wunsch und laut höherem Recht. So wie Deutsch-lands Grenzen Grenzen des Zufalls (Hervorhebung KPL) sind und Augenblicksgrenzen im jeweiligen politischen Ringen der Zeit, so auch die Grenzen der Lebensräume der anderen Völker."11

Gerade aber weil sie zufällig sind, sind die Grenzen disponibel: "Staatsgrenzen werden durch Menschen geschaffen und durch Menschen geändert". Damit aber ist die Eroberung zum Daseinsprinzip schlecht-hin geworden: "Nur in (der Kraft der Eroberer) allein liegt dann das Recht." 12 Die politische Formel, in die Hitler dieses Recht des Eroberers kleidete, war dann auch so einfach wie durchaus rational:

"Die Außenpolitik des völkischen Staates hat die Existenz der durch den Staat zusammengefaßten Rasse auf diesem Planeten sicherzustellen, indem sie zwischen der Zahl und dem Wachstum des Vol-kes einerseits und der Größe und Güte des Grund und Bodens andererseits ein gesundes, lebensfähi-ges, natürliches Verhältnis schafft."13

Das Resultat dieser Außenpolitik hat Hitler 1925 klar formuliert: Ziel ist der Osten, der jenen Raum be-reitstellt, den es zu erobern gälte. Vorbedingung da-für ist, daß Deutschland in Europa die Hegemonial-macht wird; Vorbedingung dafür wiederum die Niederwerfung Frankreichs, des europäischen Kon-kurrenten. Damit war der "Kolonial- und Handelspo-litik" der Vorkriegszeit eine Absage erteilt worden und die Perspektive einer künftigen "Bodenpolitik"

eröffnet worden. Nur der Boden, die Besetzung und Nutzung des Raumes, schien Hitler tragfähiges Ziel einer Eroberungspolitik, die ihr eigenes Telos no-cheinmal bäuerlich zu verklären wußte:

"Die Mission der nationalsozialistischen Bewegung aber ist, unser eigenes Volk zu jener politischen Einsicht zu bringen, daß es ein Zukunftsziel nicht im berauschenden Eindruck eines neuen Alexan-derzuges erfüllt sieht, sondern vielmehr in der em-sigen Arbeit des deutschen Pfluges, dem das Schwert nur den Boden zu geben hat."14

Die Dynamik der Blitzkriege aber, das Stakkato der in immer kürzeren Abständen dem nationalso-zialistischen Deutschland zufallenden Länder:

Österreich, Böhmen, Mähren, Polen, Frankreich, Belgien, Holland, Norwegen, Jugoslawien, Grie-chenland, das Tempo der motorisierten Verbände, die Beschleunigung als zentraler Faktor der explo-dierenden Kriegstechnologien erlaubte dann aber noch einen, den letzten Rausch eines Eroberns, das mit der Geschwindigkeit, in der Raum besetzt und vereinnahmt wird, die Zeit zu besiegen scheint- ein Rausch, der, als er in den Weiten Rußlands zu Ende kommen mußte, nur noch die Fratze des puren Nihi-listen erkennen ließ: die Vernichtung von Raum und Zeit, Zerstörung um jeden Preis, die Vernichtung und Selbstvernichtung Deutschlands. Der Krieg des Eroberers wurde zur Bewegung, die sich gegen ihn selber richtete. Als sie im Frühjahr 1945 zu ei-nem Stillstand kam, war die Zeit tatsächlich ge-schrumpft. Die Rede von der Stunde Null war nicht nur eine beschönigende politische Metapher. Die Kontinuitäten, die die beiden neuen deutschen Staa-ten mit der nationalsozialistischen Vergangenheit verbanden, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Phantasma des Zusammenbruchs nicht zu beseitigen ist.

EPILOG

Staatsgrenzen werden von Menschen geschaffen und von Menschen geändert. Die Rhetorik der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hatte unter dem Schutzschild des Kalten Krieges die Fiktion einer Grenzziehung beschwören können, die allein als freiwillige Integration in ein großes Europa zur Dispo-sition stehen hätte sollen. Der Zusammenbruch der Nachkriegsordnung stellt diese Grenzen aber in beide Richtungen in Frage. Wird der Zufall in der Geschichte einmal als Zufall begriffen, erfordert die Logik, die Gunst der Stunde zu nutzen und die Kontingenz ge-gen diese selbst auszulege-gen- also gerade aus der

Zu-fälligkeit, hier und jetzt Kroate, Serbe, Bosnier oder Ukrainer zu sein, eine Notwendigkeit mit Rechtsan-spruch zu machen. Und diese Notwendigkeit heißt of-fensichtlich immer noch, man mag Hitler mögen oder nicht: Raum für ein Volk. Und wie immer wenn der Er-oberer auf einen besetzen Raum trifft, muß er diesen in der Zeit neu konstituieren: Die Vernichtung und Ver-treibung der eben nur zufälligdort Anwesenden macht den Raum erst wieder zu einen leeren Raum; die mili-tärisch völlig sinnlose Bombardierung von Städten wie Dubrovnik, die Zerstörung von Kirchen, Moscheen, Bi-bliotheken ordnet die Zeit neu: damit werden die Doku-mente eines kollektiven Gedächtnisses vernichtet, die der Zeit eine Ordnung gaben, die nicht mehr sein soll.

Nocheinmal ein Triumph über Raum und Zeit also.

Und: es regiert tatsächlich das Recht des Stärkeren.

Diese Details rücken den völkisch argumentierten Feldzug der Serben - und sei es nur, weil sie zufällig die Stärkeren sind - in eine größere Nähe zu Hitlers Konstruktion einer auf den Raum und die Zeit hin kon-zipierten Eroberung als es die lächerliche Besetzung von ein paar Ölfeldern durch Saddam Hussein je hätte tun können. Daß Hussein als neuer Hitler gegeißelt, Milosevic sich aber intellektuellen und politischen Wohlwollens erfreuen darf, mag zu denken geben.

Das Gesetz des Handeins aber wird stets vom Erobe-rer diktiert. Wer zusieht, macht sich zu seinem Kompli-zen; wer eingreift, möchte selbst erobernd an der Ord-nung von Raum und Zeit beteiligt sein. Ein Drittes gibt es nicht, vor allem nicht ein moralisches Verhalten.

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