• Keine Ergebnisse gefunden

„Wenn wir den Hund ganz verstehen wollen, müssen wir erst einmal den Wolf kennen, denn von ihm stammt dieses natürliche Erbe, das immer noch in jedem Hund steckt“ (ZIMEN 2002).

Bis vor wenigen Jahrzehnten war die Abstammung des Haushundes vom Wolf noch nicht gesichert. Vor gut einem Jahrhundert benannte STUDER (1901) sechs verschiedene prähistorische Hundearten als Vorläufer des heutigen Haushundes. Diese Theorie hatte über viele Jahrzehnte Bestand.

LORENZ (1968) stellte dann aufgrund von Verhaltensunterschieden die These auf, die meisten Hunderassen seien domestizierte Formen des Goldschakals und schrieb nur den Hunden aus dem hohen Norden, darunter den Samojeden, eine Abstammung vom Wolf zu.

Grundsätzlich gilt jedoch, dass alle Haustiere auf jeweils nur eine Stammart zurückzuführen sind (HERRE u. RÖHRS 1990). Abstammungsbelege aus den verschiedensten Disziplinen bestätigen inzwischen den Wolf als diesen alleinigen Stammvater des Haushundes:

Einen Nachweis auf anatomischer Ebene liefert beispielweise der Vergleich des Hirngewichts, welches bei domestizierten Tieren immer geringer ist als bei ihrer wilden Stammform (HERRE u. RÖHRS 1990): Das Gehirn des Haushundes ist kleiner als beim Wolf, jedoch größer als beim Schakal.

Ethologische Vergleiche zwischen Wölfen, Kojoten, Schakalen und Kreuzungen dieser drei Arten mit Pudeln in den 1970er Jahren ergaben ebenfalls eindeutig artkennzeichnende Unterschiede (FEDDERSEN-PETERSEN 2004).

Aufgrund dieser und weiterer (z.B. biochemischer und morphologischer) Belege gilt der Wolf heute unbestritten als alleiniger Vorfahr des Hundes (HERRE u. RÖHRS 1990), was sich auch in der korrekten Bezeichnung des Haushundes nach BOHLKEN (1961) widerspiegelt: Canis lupus forma familiaris.

Der Wolf lebte bis vor wenigen Jahrhunderten nahezu flächendeckend auf der gesamten nördlichen Erdhälfte und hatte damit die größte Verbreitung aller landlebenden Säugetiere (ZIMEN 2002; OKARMA u. LANGWALD 2002). Dass Wölfe wiederholt und zumeist unabhängig voneinander in verschiedenen Teilen ihres Verbreitungsgebietes domestiziert

wurden, kann nach FEDDERSEN-PETERSEN (1997) inzwischen als gesichert gelten.

Unklarheit herrscht indessen immer noch über den Zeitraum, in dem der Wolf zum Hund wurde – mehrere genetische Studien des letzten Jahrzehnts weichen diesbezüglich erheblich voneinander ab:

VILA et al. (1997) geben rund 100.000 Jahre als Divergenzzeit zwischen Wolf und Hund an, THALMANN (2001) postuliert rund 150.000 Jahre und SAVOLAINEN et al. (2002) gehen von nur 15.000 Jahren aus.

LINDBLAD-TOH et al. (2005) siedeln nach der kompletten Entschlüsselung des Hunde-Genoms den Domestikationsprozess vor rund 27.000 Jahren an.

Dies deckt sich am ehesten mit den frühesten archäologischen Zeugnissen von Haushunden:

Der Fund eines rund 14.000 Jahre alten Unterkiefers bei Bonn (NOBIS 1986) und der rund 25.000 Jahre alte Abdruck einer Hundepfote in einer Höhle in Südfrankreich (EVERS 1999).

Haustiere sind nach HERRE u. RÖHRS (1990) „Teile von Wildarten, bei denen unter den veränderten Umweltbedingungen eines Hausstandes im Laufe von Generationen ein unerwarteter Reichtum an erblich gesteuerten Entwicklungsmöglichkeiten zur Entfaltung kommt, den Menschen in Bahnen lenken, die ihnen zunehmend vielseitigen Nutzen bringen oder besondere Freude bereiten“.

Ein Beispiel für die Modifikation des Verhaltens beim Hund im Vergleich zum Wolf ist etwa die bessere Verträglichkeit mit dem Menschen (ASKEW 1997) bzw. eine verringerte Ängstlichkeit und Fluchttendenz ihm gegenüber (ZIMEN 2003).

Generell resultiert aus der Domestikation eine größere Variabilität von Aussehen, Körperfunktion und Verhalten (HERRE u. RÖHRS 1990). Die domestikationsbedingten Verhaltensänderungen bei Hunden erläutert ZIMEN (2003):

• Einzelne Verhaltensweisen, wie etwa bestimmte Körperbewegungen oder agonistische Signale, werden in geringerer Intensität gezeigt, sind also hypotrophiert.

• Beim Wolf zusammenhängende Verhaltenssequenzen können beim Hund unvollständig sein, wie beispielsweise das Vergraben von Futter.

• „Ernstverhalten“ vom Wolf wird beim Hund teilweise auch von adulten Tieren in spielerischem Kontext gezeigt, z.B. Teile des Jagdverhaltens.

• Auch Hypertrophien bzw. zunehmende Differenzierung einzelner Verhaltensweisen kommen vor, so etwa beim Bellen.

FEDDERSEN-PETERSEN (1994 b) betont, dass die Ausprägung der Domestikationserschei-nungen nicht pauschal bei allen Rassen gleich ist, da sie von der Relation zwischen natürlicher Selektion und künstlicher Zuchtwahl abhängt.

Dass es gerade der Wolf war, der dem Menschen zum engsten tierischen Sozialpartner wurde, ist offensichtlich kein Zufall: Zwischen den beiden Spezies bestehen einige wichtige biologische Ähnlichkeiten (ASKEW 1997). So stellt ZÄHNER (2003) fest: Sowohl Wolf als auch Mensch sind vorwiegend tagaktiv, kommen als Nesthocker zur Welt und verfügen über die Fähigkeit zu differenzierter Kommunikation und Verständigung; zudem leben beide in einem strukturierten Sozialverband, der ihnen Schutz gewährt und eine Aufgabenteilung bezüglich der Nahrungsbeschaffung und der Aufzucht ihrer Nachkommen ermöglicht. Diese Analogien in den Familienkonzepten von Mensch und Wolf zeigen sich auch im Eltern-Nachkommen-Verhältnis: Menschliche wie wölfische Eltern geniessen bestimmte Vorrechte durch Ressourcenkontrolle, der Nachwuchs wird zur Selbständigkeit angeleitet und lernt Vieles durch Beobachtung der Adulten, wie BLOCH (2004) ausführt.

Haushunde haben sich als Haustiere eng an den Menschen als Sozialpartner angepasst, wodurch sich ihre ökologischen Bedürfnisse im Vergleich zum Wolf verändert haben, betont FEDDERSEN-PETERSEN (2004).

ZIMEN (2003) beobachtet in diesem Zusammenhang: Einige Verhaltensweisen haben für den Hund an Bedeutung verloren, beispielsweise Nahrungserwerb, Verteidigung und soziale Organsiation im Rudel; indessen sind andere lebenswichtige Verhaltensbereiche wie Fortbewegung, Ernährung, Körperpflege und Fortpflanzung im Vergleich zum Wolf kaum verändert.

Nach der Beobachtung von ASKEW (1997) entspricht menschliches Verhalten dem Hund gegenüber generell modifiziertem Elternverhalten: Der Mensch übernimmt die Verantwortung für Ernährung, Ausbildung und Schutz des Hundes wie für ein Kind; diese Beziehung spiegelt sich auch in verbalen Äußerungen wider.

Insoweit ist der Hund durch seine domestikationsbedingt verminderte Selbständigkeit optimal an seine neuen Lebensumstände als Sozialpartner des Menschen angepasst, was ASKEW

(1997) als eine biologisch nachvollziehbare und vernünftige evolutionäre Adaptation erkennt.

Wie weit diese Adaptation reichen kann, veranschaulicht eine Aussage von Ex-Bundespräsident RAU (2007) über seinen Hund: „Als Hund ist er eine Katastrophe, aber als Mensch ist er einfach unersetzlich“.

Generell jedoch, so betont ZIMEN (2003), ist der Hund trotz aller Modifikationen seines Verhaltens immer noch ein soziales und territoriales Raubtier und somit weitgehend wölfisch geblieben.