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A. Abkürzungsverzeichnis

II. Empirischer Teil

1. Der Epistemic Belief Inventory (EBI) von Gregory Schraw (2002) im

1.7. Zur dritten Fragestellung: Gibt es Unterschiede im Bereich epistemologischer

1.7.6. Diskussion

24 F [3, 2]=5,76, p < 0,05; η2=0,70

25 F [3,2]=8,82, p<0,05; η2=0,10

26 Zur Überprüfung der Richtigkeit der Ergebnisse der Post-Hoc-Tests wurden diese mit dem Scheffé-Test und dem Tukey-HSD-Test wiederholt, die dieselben Resultate lieferten.

126 Die MANOVA zeigt, dass auch hier ein Nachweis dafür erbracht werden konnte, dass epistemologische Überzeugungen sich mit der Zeit im Rahmen der Bildungslaufbahn eines Individuums verändern bzw. reifen. Nur kann nicht eindeutig bestimmt werden, ob diese Veränderungen tatsächlich durch die Intensität der Beschäftigung mit sozialwissenschaftlichen Sachverhalten oder allgemein durch das wissenschaftliche Arbeiten bzw. die persönliche Reife eingetreten sind. Schon der bloße Vergleich der Mittelwerte zu Beginn der Auswertung deutete darauf hin, dass die Gruppe der Experten im Vergleich zu den Anfängern und Fortgeschrittenen tendenziell mehr von der Komplexität des Wissens überzeugt ist und Fähigkeiten in stärkerem Maße für erlernbar hält als Anfänger und Fortgeschrittene, die den angeborenen Fähigkeiten mehr Gewicht einräumen. Dies konnte durch signifikante Ergebnisse bei den POST-Hoc-Tests unter Beweis gestellt werden. Das Ergebnis bei der Dimension „Geschwindigkeit der Wissensaneignung“ hingegen verwundert, da es keinen Unterschied zwischen den Anfängern, den Fortgeschrittenen und Experten gibt. Es ist hervorzuheben, dass der Mittelwert von 4,57 der Anfänger, welcher zum Ausdruck bringt, dass diese eher nicht bzw. gar nicht der Überzeugung sind, Wissen lasse sich schnell aneignen, nach Schommer von einer sehr „reifen“ Überzeugung von der Geschwindigkeit der Wissensaneignung zeugt und somit bei diesem Datensatz nicht bestätigt werden kann, dass Studienanfänger tendenziell eher der Auffassung sind, dass sich Wissen schnell aneignen ließe – wie dies von Perry (1970) postuliert worden war. Dies kann jedoch auch ein spezieller Effekt des deutschen Bildungssystems oder auch des Bielefelder Studiengangs sein, da die Erstsemester, die ja immerhin gut die Hälfte des Datensatzes ausmachen, gleich in ihrem ersten Semester laut Studienordnung u.a. die Module „Einführung in die Soziologie“ und „Methoden der empirischen Sozialforschung“ belegen sollten. Die

„Einführung in die Soziologie“ umfasst eine Vorlesung und eine dazugehörige Übung, in der Texte der „großen“ Soziologen gelesen werden müssen (z.B. von Bourdieu oder Luhmann). Aufgrund des Stils dieser Texte wird den Studierenden oftmals ein hohes Maß an Geduld und Frustrationstoleranz abverlangt, da ein schnelles Überfliegen der Texte selten möglich ist und somit eine schnelle Wissensaneignung ebenso. Auch bei der Einführung in die Forschungsmethoden werden die Studienanfänger mit sehr vielen Themen konfrontiert, zu denen diese in ihrer Schullaufbahn zuvor wahrscheinlich keine Vorkenntnisse erworben haben, wie beispielsweise der Ablauf eines Forschungsprozesses, die vielen Facetten qualitativer

127 Datenaufbereitung und –analyse in Abhängigkeit der Forschungsfrage oder auch die Vielfalt an quantitativen statistischen Analyseverfahren. Dies dürfte dazu führen, dass Studienanfänger schon zu Beginn ihres Studiums feststellen, dass sich Wissen nicht schnell aneignen lässt.

In den USA hingegen erstrecken sich die Bachelor-Programme normalerweise über vier Jahre, wobei die Studierenden in den ersten beiden Jahren ein sogenanntes „core curriculum“ absolvieren müssen, welches ähnlich der deutschen Oberstufe, allgemeinbildend ausgerichtet ist (vgl. Bendl (2000), S. 225; http://www.in-usa-studieren.de/usastudium/hochschulsystem_usa/hochschulsystem_usa.html). Daher könnte der Unterschied zwischen den deutschen und amerikanischen Studienanfängern auf die unterschiedlichen Erfahrungen am Anfang des Studiums zurückzuführen sein. Während die deutschen Studierenden ihre ersten wissenschaftlichen Erfahrungen in den von ihnen als Schwerpunkt gewählten Fachgebieten gewinnen, können die amerikanischen Studierenden ihren Lernstil aus der Schule beibehalten, da sie auch weiterhin zunächst viele verschiedene Fächer haben, in denen die jeweiligen Themen, wie zuvor auch in der Schule, nur

„oberflächlich“ behandelt werden können. Diese Interpretation ist nur spekulativ, würde jedoch auch Schommer’s Forderung, Schüler und Studierende mit fortgeschrittenem, uneindeutigem Wissen zu konfrontieren, um die Entwicklung epistemologischer Überzeugungen voranzutreiben, Nachdruck verleihen.

Grundsätzlich steht diese Interpretation auch nicht im Widerspruch zu der Erkenntnis, dass es einen signifikanten Unterschied zwischen Anfängern/Fortgeschrittenen und Experten bei der Dimension „Angeborene Fähigkeiten“ gibt. Der Schulunterricht sowohl in Deutschland als auch in den USA scheint bei den Schülern den Eindruck zu erwecken, dass das Potenzial der Wissensaneignung in nicht zu vernachlässigendem Maße von angeborenen Fähigkeiten abhängt, während sich dieses Bild bei Studierenden mit mehr

„Bildungserfahrungen“ relativiert. Ein möglicher Grund dafür könnte darin bestehen, dass es Lehrern in Deutschland angesichts von 20-30 Schülern pro Klasse kaum möglich ist, für jeden Schüler individuell Fördermöglichkeiten bei erkannten Schwächen zu bieten und der Schüler tendenziell in der Schule eher selten erfährt, dass Schwächen durch zielgerichtete Anstrengungen ausgeglichen werden können.

Sicherlich würde es zu kurz greifen, diesen Grund als einzige tatsächliche Ursache zu deklarieren, da aufgrund der Komplexität der Umwelt, in der sich ein Individuum

128 bewegt bzw. ein Schüler aufwächst, viele weitere Erfahrungen und Einflüsse wirken.

Da aber der Bildungseffekt in verschiedenen Studien vor allem bei Studierenden bereits nachgewiesen werden konnte als Indikator für eine Entwicklung hin zu

„ausgeklügelteren“ epistemologischen Überzeugungen, scheint es zumindest nicht abwegig zu sein, dass den Erfahrungen in den Bildungsinstitutionen der Kindheit und Jugendzeit ebenso eine zentrale Rolle bei der Entwicklung epistemologischer Überzeugungen beigemessen werden kann. Angesichts des nicht signifikanten Ergebnisses bei der Dimension „Geschwindigkeit der Wissensaneignung“ erstaunt es ein wenig, dass die Dimension „Einfachheit vs. Komplexität“ ein signifikantes Ergebnis aufweist; denn wenn die Studierenden aufgrund der angesprochenen Veranstaltungen tatsächlich in ihrem ersten Semester bzw. ihren ersten Semestern die Erkenntnis erlangen, dass Wissen nicht schnell zu erlernen ist, so erscheint es einerseits eher widersprüchlich, dass dieselben Studierenden der Überzeugung sind, Wissen sei einfach und nicht komplex. Andererseits aber könnte Schommers Vermutung der unabhängigen nicht gleichförmig entwickelten Dimensionen epistemologischer Überzeugungen hier Bestätigung finden, die ggf. darauf zurückzuführen sein könnte, dass die Studierenden zwar bereits in ihren ersten drei Semestern zu der Erkenntnis kommen, dass sich Wissen nicht schnell aneignen lässt, sie jedoch vermutlich aufgrund ihrer Erfahrungen mit Schulstoff, der ja auch komplizierte Vorgänge einfach erscheinen lässt, weiterhin der Überzeugung sind, dass Wissen, sobald es einmal verstanden wurde, auch nach langwieriger Aneignung, einfache Strukturen aufweist; schließlich stecken auch hinter den Texten der „großen Soziologen“ oftmals relativ „einfache Aussagen“; dass diese vermeintlich einfachen Aussagen häufig aber in ein komplexes Theorienetzwerk eingebunden werden können, kann den Studienanfängern aufgrund mangelnder Erfahrungswerte noch nicht bekannt sein.

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