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Der Einfluss der Lernumgebung auf epistemologischen Überzeugungen von

A. Abkürzungsverzeichnis

I. Theoretischer Teil

5. Auswirkungen auf die Unterrichtspraxis

5.1. Der Einfluss der Lernumgebung auf epistemologischen Überzeugungen von

Es wurde schon einige Zeit in der Fachliteratur diskutiert, inwiefern Lernumgebungen Einfluss haben könnten auf epistemologische Überzeugungen bzw.

welche Lernarrangements sich als besonders förderlich erweisen. Schommer (1994a, S. 38) nimmt an, dass sich epistemologische Überzeugungen auswirken auf a) den Lerneifer, b) das Durchhaltevermögen bei schwierigen Aufgaben, c) das Verständnis von Textmaterial und d) den Umgang mit schwach strukturierten Domänen.

Tolhurst (2007) sah dies als Anlass, um die Effekte von Lernumgebungen auf epistemologische Überzeugungen genauer zu untersuchen. Ihre Studie wurde mit Bachelor-Studierenden der Wirtschaftsinformatik durchgeführt, nachdem die Dozenten Charakteristika bei ihren Studierenden festgestellt hatten, die auf eher naive epistemologische Überzeugungen hindeuteten. Dies veranlasste sie, darüber nachzudenken, ob die „Frontallehre“, die sie bis dato praktiziert hatten und bei der die Studierenden passive Rezipienten von Informationen darstellten, zu dem Verhalten der Studierenden beitrug. Sie gewannen den Eindruck, dass die Studierenden sich aufgrund der Organisation der Lehrveranstaltungen zu sehr auf Autoritäten als Informationsquelle verließen und es ihnen dadurch an Unabhängigkeit und Verantwortungsgefühl für ihr eigenes Lernen mangelte.

Insgesamt wiesen die Studierenden ein recht niedriges Niveau beim kritischen Denken auf (vgl. Tolhurst (2007), S. 221).

Nachdem die Notwendigkeit einer Umstrukturierung des Kurses erkannt worden war, wurden Maßnahmen ergriffen, um große Vorlesungsgruppen zu minimieren, einen unabhängigen Lernstil bei den Studierenden zu fördern und diesen die Möglichkeit zu geben, in kleinen Gruppen zu interagieren und somit auch Schlüsselkompetenzen zu fördern wie z.B. Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit und flexibles und kreatives Problemlösen. Insgesamt zielten die eingeleiteten Maßnahmen auf problemorientierte Lernziele ab wie diese von Biggs (1999) beschrieben worden sind, d.h. konkret, dass Wissen anwendungsorientiert strukturiert werden muss; dass Argumentationsstrukturen entwickelt werden sollen,

77 das Ziel des selbstgesteuerten Lernens verfolgt wird, dass die Lernmotivation gesteigert und die Fähigkeit zur Arbeit in Gruppen gefördert werden sollte (vgl.

Tolhurst (2007), S. 222). Zu der neuen Kursstruktur gehörten web-unterstützte sebständige Aktivitäten (WSIA=web supported independent activities, d.h.

Zeitungsartikel lesen, an online-Tutorien teilnehmen, Diagramme entwerfen oder Fragen beantworten) und regelmäßige Workshops in Kleingruppen, bei denen z.B.

Referate gehalten wurden oder auch Videos gezeigt und auf spezielle Websites aufmerksam gemacht wurde. Die Vorlesung wurde minimiert auf fünf einstündige Veranstaltungen in 14 Wochen. Es wurde erwartet, dass die Überzeugungen der Studierenden durch die neue Lernumgebung beeinflusst werden würden und zwar hin zu „reiferen“ Überzeugungen, bei denen Wissen als komplex und wandelbar begriffen wird sowie aus Argumentationen abgeleitet und schrittweise erworben. In der Studie von Tolhurst (2007) wurden epistemologische Überzeugungen zu Beginn des Kurses und zwölf Wochen später erhoben. Dabei wurde sowohl ein Fragebogen, der generelle epistemologische Überzeugungen erhebt, eingesetzt (Schommer 1998) als auch ein Fragebogen, der domänenspezifische epistemologische Überzeugungen erhebt (Hofer 2000) (vgl. Tolhurst (2007), S. 225). Mit dem Fragebogen von Schommer (SEQ) ließen sich signifikante Unterschiede erzielen zwischen pre-test und post-test Mittelwerten auf fünf der 13 Subskalen. Dabei zeigten sich „reifere“

epistemologische Überzeugungen auf zwei Subskalen. Es wurde deutlich, dass sich die Überzeugung von der „Einfachheit des Wissens“ und der damit verbunden Suche nach nur einer richtigen Antwort signifikant reduziert hatte. Auch hatten sich die Überzeugungen bei den Studierenden signifikant erhöht, dass es möglich sei, zu lernen, wie man lernt. Allerdings zeigten sich auch weniger wünschenswerte Tendenzen, da sich auch der Glaube an eine schnelle Wissensaneignung und an eine

„allwissende Autorität“ signifikant erhöht hatte. Auch beim domänenspezifischen Fragebogen zeigten sich signifikant gestiegene Werte für die Überzeugung, Autoritäten seien die wesentlichen Wissensquellen, wobei in dem Fragebogen von Hofer (2000) der Begriff der „Autorität“ anders definiert wird. Der Begriff umfasst dort z.B. auch Expertenwissen oder Texte. Positiv aber war die Feststellung, dass die Studierenden beim Posttest Wissen als weniger sicher und einfach betrachteten.

Auch konnte Tolhurst (2007) signifikante Korrelationen zwischen Kursabschlussnote und epistemologischen Überzeugungen feststellen. Diejenigen Studierenden, die der

78 Auffassung waren, die Wissensaneignung vollziehe sich schnell und Wissen sei

„einfach und sicher“ erreichten signifikant schlechtere Noten in dem Kurs als jene Studierende, die entwickeltere epistemologische Überzeugungen aufwiesen (vgl.

Tolhurst (2007), S. 229). Auch wenn diese Ergebnisse mangels Kontrollgruppe mit Vorsicht zu interpretieren sind und sich auch keine umfassenden Änderungen bei den epistemologischen Überzeugungen der Studierenden nachweisen ließen, so kann es zumindest als wichtige Erkenntnis aufgefasst werden, dass sich offensichtlich infolge der veränderten Kursorganisation überhaupt Änderungen ergeben haben und zwar schon nach 12 Wochen. Auch ist es nicht auszuschließen, dass sich die Überzeugungen über das Wissen und den Wissenserwerb bei einzelnen Individuen ebenfalls verändert haben, dies aber durch das statistische Instrument nicht abgebildet werden kann. Darüber hinaus kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Veränderungen durch den „normalen“ Reifungsprozess der Studierenden oder auch durch die Komplexität der Domäne selbst verursacht worden sind. Die Erfahrungen der Dozenten sprechen allerdings gegen diese beiden potentiellen Faktoren (vgl.

Tolhurst (2007), S. 230). Auch wenn die Studie mit Studierenden durchgeführt wurde, so lässt sich dennoch hieraus die Erkenntnis ziehen, dass auch in der Schule darauf geachtet werden sollte, Schüler zu einem aktiven und unabhängigen Lernen zu ermutigen und die Lernumgebungen entsprechend zu gestalten. Dies bedeutet für den Lehrer, dass er sich bewusst sein muss, dass die Organisation bzw. die Struktur des Unterrichts Effekte haben kann auf die Überzeugungen von Wissenserwerb und Wissen von Schülern und sich deshalb die impliziten Botschaften seines Unterrichts bei dessen Planung vor Augen führen sollte.

Ähnliche Erkenntnisse lieferte die Studie von Brownlee und Kollegen (2001). Der Zusammenhang zwischen der Entwicklung epistemologischer Überzeugungen und

der Lernumgebung wurde anhand von 29 angehenden

Grundschullehramtsstudierenden der technischen Universität Queensland, die im Rahmen ihres Masterstudiums einen sich über ein Jahr erstreckenden Psychologie-Kurs belegen mussten, sowie anhand einer Kontrollgruppe von 25 Studierenden, die den gleichen Kurs, jedoch ohne veränderte Lernumgebung belegten, erhoben. Die Studierenden der beiden Gruppen beschäftigten sich mit den gleichen Kursinhalten, jedoch hatten die 29 Probanden die Aufgabe, Gedanken über ihre epistemologischen Überzeugungen im Zusammenhang mit den gelernten Inhalten niederzuschreiben.

79 Die Reflexionen wurden in einer Art Tagebuch aufgeschrieben, wobei der Schreibprozess von den Studierenden verlangte, eigene Gedanken und die Theorie zu verknüpfen. Brownlee und Kollegen (2001, S. 253) betonten daher auch, dass die relationale Pädagogik zu den Lehrstrategien gehörte. Hingegen leiteten die Dozenten den Kurs der Kontrollgruppe „traditionell“ mit Diskussionen in Kleingruppen über die Themen des Kurses, Diskussionen im Plenum und Lerneraktivitäten mit dem Kursmaterial, welches die aktive Beteiligung der Studierenden fördern sollte. Die Studierenden der Versuchsgruppe erhielten Regeln für die Einträge ins Tagebuch und es fanden insbesondere Diskussionen über Reflexionsprozesse statt (vgl. ebd., S.

254). Quantitativ wurden die epistemologischen Überzeugungen in beiden Gruppen mit dem SEQ von Schommer erhoben, und zwar zu Beginn des Kurses und nach Ablauf von einem Jahr. Darüber hinaus wurden auch qualitativ Daten mit semi-strukturierten Interviews gewonnen bzw. in der Kontrollgruppe mit Hilfe von schriftlichen Stellungnahmen zu Überzeugungen von Wissen und von Wissenserwerb. Beim Vergleich der Ergebnisse der quantitativen Datenerhebung zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen bei den Dimensionen „Geschwindigkeit der Wissensaneignung“ und „Sicherheit von Wissen“. Während die Studierenden der Kontrollgruppe am Ende des Jahres mehr zu der Überzeugung tendierten, Wissen ließe sich schnell aneignen, reduzierte sich die Zustimmung hierzu bei den anderen Studierenden mit veränderter Lernumgebung leicht. Darüber hinaus gab es signifikante Unterschiede bei der „Sicherheit von Wissen“. Die Zahl der Studierenden in der Versuchsgruppe, die der Auffassung waren, dass Mehrdeutigkeit vermieden werden sollte, reduzierte sich, wohingegen sich in der Kontrollgruppe keinerlei Veränderungen zeigten. Brownlee und Kollegen (2001) werteten den Rückgang der Überzeugungen, dass Mehrdeutigkeit vermieden werden sollte, als einen Trend hin zu einer relativistischeren Sichtweise von Wahrheit (vgl. ebd., S. 260). Bei Auswertung der qualitativen Daten wurden die Studierenden in vier unterschiedliche Gruppen eingeteilt:

Auswertung der qualitativen Erhebungen: Einteilung der Kategorien

Kategorie Beschreibung

„Construct reasoned truths“ (CON) Die von den Individuen persönlich konstruierte Wahrheit wird durch Beweismittel untermauert;

Experten erleichtern die Konstruktion von begründeten Wahrheiten

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„Construct reasoned truths and receive absolute truths“ (CONREC)

Individuen konstruieren ihre eigenen Wahrheiten, untermauern diese mit Beweisen und rezipieren absolute Wahrheiten aus externen Quellen.

„Construct subjective truths and receive absolute truths“ (SUBREC)

Individuen konstruieren persönliche Wahrheiten, die aber nicht durch Beweise gestützt werden und rezipieren absolute Wahrheiten aus externen Quellen.

„Receive absolute truths“ (REC) Individuen erhalten absolute Wahrheiten aus externen Quellen, nehmen also eine rein passive Rolle ein.

Abb. 3: In Anlehnung an: Brownlee et al (2001), S. 258/259 [Eigene Übersetzung]

Diejenigen Studierenden, deren Äußerungen nicht eindeutig einer Kategorie zugeordnet werden konnten, wurden als „inkonsistent“ klassifiziert. Die größte Veränderung bei den beiden Gruppen am Ende des Jahres zeigte sich bei den inkonsistenten Überzeugungen. Brownlee und Kollegen folgerten, dass der Anstieg inkonsistenter Überzeugungen in der Versuchsgruppe auf die Ausbildung „reiferer“

epistemologischer Überzeugungen zurückzuführen sei, zumal sich ein solcher Trend bereits bei Auswertung der schommerschen Fragebögen abgezeichnet hatte (vgl.

Brownlee et al (2001), S. 260). Allerdings kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die wachsende Zahl an inkonsistenten Überzeugungen in der Versuchsgruppe durch das Wissen um epistemologische Überzeugungen zustande gekommen ist und nicht unbedingt auf Veränderungen hindeutet (vgl. ebd., S. 262). Letztlich aber macht auch diese Studie deutlich, dass sich epistemologische Überzeugungen beeinflussen lassen. Unklar bleibt, ob diese Veränderungen durch die veränderte Lernumgebung bzw. Lernorganisation erfolgt sind oder lediglich durch die Bewusstmachung der Existenz epistemologischer Überzeugungen bei den Studierenden. Dennoch lässt sich für die Unterrichtspraxis hieraus folgern, dass insbesondere Oberstufenschüler im Rahmen des propädeutischen Unterrichts auf die Existenz epistemologischer Überzeugungen hingewiesen werden sollten und regelmäßig Aufgaben erfolgen sollten, bei denen die Schüler ihre Überzeugungen bzw. Reflexionsprozesse explizieren und dokumentieren sollten. Aufgrund der überwiegend schwach-strukturierten Problemstellungen im sozialwissenschaftlichen Unterricht eignet sich gerade dieses Unterrichtsfach besonders gut dazu.

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