Die internationale Aufsicht ist in Bosnien und Herzegowina besonderen Spannungen unterworfen. Da schon die militärische Intervention der NATO umstritten war, durfte das Engagement der internationalen Staatengemein-schaft zur politischen Neuordnung des Landes in keinem Fall scheitern. In der Folge zeigte sich jedoch, dass das von der internationalen Staaten-gemeinschaft angestrebte Modell der Konkordanzdemokratie bei voller Ver-antwortlichkeit der lokalen Akteure für den Friedensprozess zwar in Dayton durchgesetzt, aber im bosnischen Regierungsalltag nur schwer umgesetzt werden konnte. Der Wunsch nach einer stabilen Lösung unter demokrati-schen Vorzeichen machte im weiteren Verlauf die permanente autoritative Einmischung des HR nötig. Um den Reformprozess voranzutreiben, Investi-tionen in Infrastruktur und Wirtschaft zu befördern und die Rückkehr der Flüchtlinge zu ermöglichen, musste er Entscheidungsblockaden durch den extensiven Einsatz seiner "Bonn Powers" überwinden und die dafür nötigen Gesetze erlassen. Damit konterkarierte er demokratische Entscheidungsver-fahren in den Parlamenten und demokratische Auswahlverfahren der Man-datsträger. Der gut gemeinten Idee der Demokratisierung folgte damit eine autoritär anmutende Implementierung, die von den lokalen Akteuren, ver-ständlicherweise, nicht toleriert wurde. Zugleich gingen aber auch alle
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ßen Fortschritte, vom Erlass einer Verfassung über die Reform der Wahl-gesetze und die Reform des Justizsektors bis hin zur Polizeireform auf eine direkte externe Intervention oder zumindest auf erheblichen externen Druck zurück.
Die Einmischungen der internationalen Gemeinschaft über den HR/EUSR sowie über die anderen vor Ort tätigen internationalen Organisationen wur-den auch deshalb nötig, weil die konkordanzdemokratischen Institutionen das Zerwürfnis über die Existenzberechtigung eines Gesamtstaats Bosnien und Herzegowina und die Angst davor, einer anderen Ethnie schutzlos aus-geliefert zu sein, nicht überwinden konnten. Im Gegenteil: Die Existenz des HR, der immer wieder unbeliebte Entscheidungen traf und dafür die Verant-wortung übernahm, erleichterte es den drei großen Parteien (HDZ, SDA und SDS) die nationalistische Karte erfolgreich auszuspielen und ihre Wäh-lerklientel über nationalistisch gefärbte Hetze zu mobilisieren. Dementspre-chend gingen die HDZ und die SDA in der Föderation Bosnien und Herze-gowina und die SDS in der Republika Srpska- mit Ausnahme der Wahlen von 2006- überwiegend als stärkste Kraft aus den Wahlen hervor. Die tiefe ethnische Segregation, die sich durch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zog, stellte (und stellt noch) das größte Hindernis für die Demokratisierung dar. Der mangelnde Fortschritt bei der Transformation hält die internationa-len Akteure wiederum davon ab, sich aus Bosnien und Herzegowina zu-rückzuziehen, was seinerseits den Unwillen zur Kooperation und zur Um-setzung von Reformen auf lokaler Seite verstärkt. Damit bleibt Bosnien und Herzegowina ein von der finanziellen Hilfe internationaler Organisationen abhängiges Semiprotektorat.
Die Transformation Bosnien und Herzegowinas ist durch mannigfaltige Ambivalenzen geprägt. Mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens von Dayton setzte die internationale Kontaktgruppe zugleich eine vorab vorbereitete demokratische und rechtsstaatliche Verfassung in Kraft. Damit gilt für den bosnischen Fall, dass mit Druck bei Verhandlungen durchaus die Einsetzung demokratischer Spielregeln erzwungen werden konnte. Al-lerdings erfüllten sich die daran geknüpften Hoffnungen, dass der Friedens-prozess in geordneten Bahnen verlaufen und die Konfliktparteien nach de-mokratischen Regeln spielen würden, nicht. Die in der Daytoner Verfassung eingebauten strikten Proporzregeln, die für ein kleines Land extrem hohe Aufsplitterung in drei bzw. vier Verwaltungsebenen und die starken Veto-rechte der "konstituierenden Völker" erschwerten das Regieren erheblich.
Obwohl ein konkordanzdemokratisches System nach dem Lehrbuch gebaut worden war, gelang es nicht, die tiefe ethnische Spaltung des Landes zu überwinden. Zugleich, das ist das Paradox, garantierte die Daytoner Verfas-sung, dass das fragile Vielvölkergemisch überhaupt zusammengehalten und eine erneute Eskalation der Gewalt verhindert werden konnte. Etwas
ande-res als der komplexe, in Dayton ausgehandelte politische Kompromiss wäre nach dem Bürgerkrieg kaum zu erreichen gewesen.
Inwieweit die Aussicht auf eine EU- und NATO-Mitgliedschaft und auf einen gemeinsamen Binnenmarkt mit den anderen Nachfolgestaaten Jugo-slawiens die Demokratisierung beleben kann, bleibt abzuwarten. Besonders die EU mit ihren Beitrittskonditionalitäten wird ein zentraler Akteur in der bosnisch-herzegowinischen Demokratisierung bleiben, da sie potentiellen Kandidaten mit ihren standardisierten Beitrittsverfahren die Benchmarks für den zu erreichenden Grad an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorgibt.
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