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Die Zirkularität von einbettender Matrix und verbindendem Muster

Im Dokument Von der Viabilität des Selbst (Seite 164-170)

4. Anthropologie des Selbst

4.6 Die Zirkularität von einbettender Matrix und verbindendem Muster

Die beiden Metaphern der einbettenden Matrix und des verbindenden Musters dienten in den letzten zwei Kapiteln dazu, jeweils die Integrations- und Differenzierungsfunktionen der Selbstkonstruktion darzulegen. Obgleich es sich dabei um scheinbar konträre Aspekte des Selbst handelte, sind diese hinsichtlich der Frage nach der Viabilität des Selbst nur als gemeinsames Wirkungsgefüge denkbar. Die Viabilität des Selbst, so lautete die allgemei-ne Hypothese, schöpft sich aus der operationalen Komplementarität von Selbstkonstrukti-on und SelbstorganisatiSelbstkonstrukti-on. Als Grundbedingung dieser Komplementarität wurde die Syn-poiese als synergetische, synchrone Erzeugung von Selbst und Nicht-Selbst

vorausge-renzierungsfunktionen des Selbst, sprich, in der Synpoiese verflechten sich das Selbst als einbettende Matrix und das Selbst als verbindendes Muster. Die Beziehung, die sich dar-aus zwischen einbettender Matrix und verbindendem Muster ergibt, basiert fundamental auf Synchronizität, Non-Dualität, Synergie und Potenzialität.

4.6.1 Synpoiese durch Synchronizität und Non-Dualität

Synpoiese spricht eine prinzipielle Synchronizität und Non-Dualität von Selbstkonstruk-tion und SelbstorganisaSelbstkonstruk-tion an. „Synchronizität“ wird hier im Sinne C.G. Jungs und Wolfgang Paulis aufgefasst und bezieht sich auf Parallelen zwischen inneren und äuße-ren, mit Bedeutung ausgestatteten Ereignissen. Jung und Pauli sahen in der Synchronizität ein neues Naturprinzip, welches den Ansatz der Physik erweitern sollte (Peat 1992:32 ff.).

Entscheidend ist dabei, dass Synchronizität einen Ursprung in Form eines schöpferischen Augenblicks darstellt (Peat 1992:171). Zu einer solchen Synchronizität verbinden sich auch Selbstkonstruktion und Selbstorganisation durch das menschliche, inventive Hinzu-fügen von Kontext und Relevanz, welches sich als kreative Konstruktion neuer Existenz-nischen realisiert. Hinter dem inventiven Hinzufügen von Kontext und Relevanz, das dem Streben nach Äquilibration entspringt, steht das Selbst als verbindendes Muster zwischen Selbstkonstruktion und Selbstorganisation. Das Selbst als verbindendes Muster durch-dringt jeden erschlossenen Bedeutungszusammenhang dadurch, dass der Mensch alle seine Erfindungen ausschließlich aus sich selbst und auf sich selbst bezieht. Durch diese ausnahmslose Selbstanwendung ist jede Erfindung, jede Codierung von Zusammenhän-gen immer auch eine selbsterhaltende und selbsterweiternde Selbst-erfindung. Sich selbst zu organisieren und sich selbst zu konstruieren fallen in dem Muster, das verbindet, zu-sammen. Die Synchronizität von Selbstorganisation und Selbstkonstruktion beläuft sich dabei auf der Wechselseitigkeit und somit der Non-Dualität des Strebens nach kognitiv-subjektiver (innerer) und lebenspraktischer (äußerer) Äquilibration. Selbstkonstruktion und Selbstorganisation vollziehen sich daher über dieselben, auf Äquilibration abzielen-den Paradigmen von Verbesserung, Kontrolle und Differenzierung. Dies entspricht einem von Ashbys Gesetzen, welches besagt, dass jeder gute Regulator eines Systems ein Mo-dell ebendieses Systems sein muss. Jeder Systemzustand ist damit auch ein Regulatorzu-stand (vgl. Conant / Ashby 1970). Mit Maturanas Worten hieße dies: „Es gibt so viele kognitive Bereiche, wie es Bereiche der Existenz gibt“ (Maturana 2000:200).

Jeder äußere Zustand spiegelt damit einen inneren Zustand, jedes äußere Ziel ist so auch ein inneres Ziel. Das Muster, das verbindet, potenziert sich darin selbst als Unterschied,

der einen Unterschied macht. Die Setzungen des verbindenden Musters beginnen jedoch nicht bei Null, weder kognitiv noch lebenspraktisch. An ebendiesem Punkt kommt es auf die Einbettungsfunktion des Selbst als Matrix an. Das Selbst als einbettende Matrix stellt dahingehend einen selbstreferentiellen Bezugsrahmen zur Verfügung, der sich über die menschheitsgeschichtliche Kumulation von konstruierter Selektivität konstituiert. Diese Kumulation ist ihrerseits das auf größeren raum-zeitlichen Skalen basierende Ergebnis der Wirkung des verbindenden Musters. In der einbettenden Matrix kommt es zu holo-grammatischen Überlagerungen von vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Kon-struktionen von Selektivität, die allesamt aus dem Unterschiede erzeugenden, verbinden-den Muster hervorgehen. Die einbettende Matrix ist die über lange Zeiträume hinweg

„geronnene“ Form des verbindenden Musters. Diese Form unterliegt jedoch einer dyna-mischen Stabilität, sprich, sie evolviert immer weiter. Hierin vermengen sich Mikro- und Makrozustände, individuelle und kollektive Ebenen menschlichen Lebens. Schrödinger fasste dies wie folgt zusammen: „Selbst jeder einzelne Tag im Leben eines Individuums muss ein wenn auch noch so geringfügiges Stück Artentwicklung, einen wenn auch noch so unbedeutenden Meißelschlag an dem ewig unfertigen Bilde unserer Spezies darstel-len“. Aus Myriaden solcher geringfügiger Meißelschläge setzt sich die gesamte Evolution zusammen. Die Form, die der Mensch eben noch besaß, muss er bei jedem seiner Schritte

„abändern, überwinden, zerstören“. Schrödinger nimmt dabei ein physisches Korrelat

„unseres primitiven Willens“ an, welches er in dem „Widerstand der bestehenden Form gegen den umbildenden Meißel“ sieht. Der Mensch ist Überwinder und Überwundener zugleich – „es ist eine wirklich beständige Selbstüberwindung“ (Schrödinger 2006:112 f.).

Die Matrix bedingt sonach die Richtung des verbindenden Musters und das verbindende Muster bedingt ebenso die Form der Matrix. Dabei wird Synpoiese gleichermaßen durch die einbettende Matrix sowie das verbindende Muster bedingt. Die einbettende Matrix und das verbindende Muster sind lediglich zwei Aspekte ein und desselben umfassende-ren Entwicklungsprozesses der menschlichen Konstruktion von Selektivität, die sich über das kumulierende Verknüpfen von Kontext und Relevanz vollzieht. Hierbei greifen bio-logische und nicht-biobio-logische Lebenzbezüge ineinander. Zur Folge hat dies eine Ver-schränkung von individuellen und kollektiven Zuständen, von Phylo- und Ontogenese und sonach von Mikro- und Makroebenen menschlichen Lebens. Gerade diese Ver-schränkung ist die Quelle der Viabilität des Selbst und indiziert durch ihre

koevolutionä-ren und selbstüberschreitenden Eigenschaften eine Non-Dualität des Selbst. Bateson sprach davon, dass der „individuelle Nexus von Bahnen“, den er mit dem Selbst gleich-setzte, in einem umfassenderen Kontext nicht mehr so „kostbar“ ist, „weil dieser Nexus nur ein Teil des größeren Geistes ist“ (Bateson: 1994:597). Dieser „größere Geist“ ist hier die Synchronizität und Non-Dualität von einbettender Matrix und verbindendem Muster.

Kein Lebenszusammenhang, weder ein biologischer noch ein nicht-biologischer, ist darin fundamentaler als ein anderer, Selbst und Nicht-Selbst bilden eine unauftrennbare, zirku-läre Wechselbeziehung.

4.6.2 Synpoiese durch Synergie und Potenzialität

Neben Synchronizität und Non-Dualität zeichnet sich Synpoiese vor allem durch Syner-gie und Potenzialität im Sinne von emergenten Eigenschaften und epigenetischen Wech-selwirkungen aus. Wesentlich dabei ist die mehrfach angesprochene Logik eines morpho-genetischen Prozesses einer Selbstbegründung und Selbstunterscheidung, die ein Zusam-menfallen von Ursache und Wirkung impliziert. Einer derartigen Logik entspricht auch die Beziehung von einbettender Matrix und verbindendem Muster, in der das Sein in ei-nem Werden charakterisiert ist. Damit einher geht eine Koevolution von Selbst und Nicht-Selbst, die in einer unaufhörlich zirkulierenden Synthese von wahrgenommenen Unterschieden und konstruierten Kontexten mündet. Viable Setzungen und Vorausset-zungen können sich darin zu Reproduktionsprogrammen manifestieren und durch aktive Rückbezüglichkeit stetig bereits gesetzte Bedeutungszusammenhänge überschreiten.

Synpoiese steht insofern für eine ungerichtete, weit offene Potenzialität von Existenzrea-lisierungen, die durch eine globale Kooperation und globale Kohärenz von Selbst und Nicht-Selbst bedingt wird. In der Synpoiese verbinden sich Erzeugender und Erzeugtes zu einer synergetischen Einheit. Der Erzeugende, die aktive, schöpferische Kraft ist das Selbst als verbindendes Muster. Das Erzeugte hingegen ist die bewahrende, integrierende Funktion des Selbst als einbettende Matrix. Die synergetische Einheit von verbindendem Muster und einbettender Matrix synchronisiert in sich vorgefundene und gemachte, gene-tische und epigenegene-tische, konkrete und abstrakte Lebensbedingungen. Vor diesem Hin-tergrund sind Synergismus, Neuartigkeit, Unreduzierbarkeit, Unvorhersagbarkeit, Kohä-renz und Historizität als zentrale Aspekte der Synpoiese festzuhalten. Eine allgemeine Konsequenz dessen ist eine unaufhörliche Evolution evolutionärer Prozesse, in der prin-zipiell kein Lebenszustand des Menschen fest verankert ist, was sich in Emergenz und

von Zuständen, die stetig neue Formen und Gesetze und damit andauernd neue Zusam-mensetzungen von Kontext und Relevanz hervorbringt. Allerdings werden derartige For-men und Gesetze erst in Rückkopplungen erzeugt und bleiben lediglich dann stabil, wenn sie wirkungsvolle Unterschiede hervorrufen, die wiederrum die Ausmaße der Gesetze bestätigen oder redeterminieren.

Indem der Mensch kontinuierlich in seine eigenen Erhaltensbedingungen kreativ, unter-scheidend, planend, verwerfend eingreift, verändert er seine Weisen des Wahrnehmens, Denkens, Erkennens und Erinnerns. In diesem Kontext bedeutet die Kopplung von ein-bettender Matrix und verbindendem Muster eine stetige veränderung durch Selbst-anwendung und umgekehrt. Synpoiese ist darin eine von niemandem getroffene, sich selbst treffende Entscheidung zur Unterscheidung. Gerade in dieser Entscheidung wurzelt die Viabilität des Selbst, die weder einem evolutionären Plan, noch dem Zufall folgt. Die operationale Komplementarität von Selbstkonstruktion und Selbstorganisation entspringt dabei der Selbsterweiterung und Selbstreproduktion unter der Voraussetzung der fortwäh-renden Selbsterhaltung. Diese zirkuläre Schleife, die aus der Parallelität von Selbsterwei-terung, Selbstreproduktion und Selbsterhaltung resultiert, ist die Basisrelation von ver-bindendem Muster und einbettender Matrix. Innerhalb dieser Basisrelation schöpft sich die Viabilität des Selbst gleichermaßen aus Identifikation (Matrix) sowie Differenzierung (Muster). Der Mensch bleibt damit „eingetaucht in das blinde aber produktive Spiel von Angebot und Auswahl, wonach alles, was existiert, die Bedingungen erfüllt, die ihm das Ganze stellt, das Ganze, dessen Teil er ist“ (Wahlefeld 2008:259). Dahingehend handeln die nächsten Abschnitte von einigen gegenwärtigen Formationen und Konsequenzen der Synpoiese als Beziehung zwischen einbettender Matrix und verbindendem Muster und hinterfragen im selben Zuge erneut die Viabilität des Selbst. Folgende bildliche Übersicht fasst abschließend die wichtigsten Grundelemente der Synpoiese vereinfacht zusammen.

4.7 Übersicht: Grundelemente der Synpoiese

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