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Die Staatsformenlehre

Im Dokument Kants kritisches Staatsrecht (Seite 27-42)

Kant bedient sich am Ende der Gewaltenlehre eines Superlativs, u m auf die komparativ-normative Funktion, die dem Begriff eines „Staates i n der Idee" für die weitere Ausgestaltung des Staatsrechts zukommt, hinzuweisen: E s ist der

„ Z u s t a n d der größten Ü b e r e i n s t i m m u n g der Verfassung mit Rechtsprinzipien", worin das „Heil des Staates (salus reipublicae)" zu sehen i s t .1 0 0 D i e „ V o l l s t ä n d i g -keit der Staatsverfassung"1 0 1 ihrerseits besteht nun — so hatte sich bislang ergeben

— i n der B e i - und Unterordnung der drei Gewalten g e m ä ß der Vorgabe des praktischen Syllogismus. Der B e g r i f f einer „völlig reinen Staatsverfassung" wie-derum ist — so die bereits eingangs e r w ä h n t e Vorarbeit z u m Streit der Fakultäten

— die „ I d e e einer R e p u b l i k " .1 0 2 K a n t r e s ü m i e r t i m § 5 1 :

„Die drei Gewalten im Staat, die aus dem Begriff eines gemeinen Wesens überhaupt (res publica latius dicta) hervorgehen, sind nur so viel Verhältnisse des vereinigten, a priori aus der Vernunft abstammenden Volkswillens und eine reine Idee von einem Staatsoberhaupt, welche objective praktische Realität hat."1 0 3

Die architektonische Grundentscheidung der Metaphysik der Sitten, die G e w a l -tenlehre i m Kontext einer respublica noumenon und die Theorie der Staatsformen im K o n t e x t der respublica phaenomenon anzusiedeln, hat nunmehr zur Folge, daß die drei klassischen Staatsformen als jeweils unterschiedene V e r h ä l t n i s s e eines alle drei Gewalten vorstellenden „ O b e r h a u p t e s " zur „ v e r e i n z e l t e n M e n g e

99 MdS V I 313.

100 M d S V I 318.

101 M d S V I 310.

102 X I X 609.

103 MdS V I 338.

als U n t e r t a n s "1 0 4 gefaßt werden: Kant geht bei der Diskussion der Staatsformen von der — gleichsam realistischen — Voraussetzung aus, d a ß die Legislativge-walt nicht durch den V o l k s w i l l e n selbst getragen wird: D i e Person, welche „die h ö c h s t e Staatsgewalt" darstellt, schafft vielmehr der Idee eines Oberhaupts „ W i r k -samkeit auf den V o l k s w i l l e n " , i n dem sie alle drei Gewalten, die „aus dem Begriff eines gemeinsamen W i l l e n s ü b e r h a u p t hervorgehen",1 0 5 i n einer physi-schen Person vorstellt. Autokratie, Aristokratie und Demokratie sind damit nicht etwa — wie bei Rousseau — die dem s o u v e r ä n e n V o l k s w i l l e n untergeordneten Formen der Exekutive, sondern vielmehr die spezifischen Organisationsformen der S o u v e r ä n i t ä t selbst. Dies kommt einerseits i n der n a c h d r ü c k l i c h e n Formulie-rung des § 51 zum Ausdruck, d a ß der M o n a r c h i m Rahmen der Staatsformenlehre korrekterweise „ A u t o k r a t o r " genannt werden m ü s s e1 0 6 und andererseits darin, d a ß Kant e x p l i z i t1 0 7 darauf hinweist, d a ß i n der autokratischen Staatsform „nur einer der Gesetzgeber" sei — die Frage nach der Gewaltenteilung sensu stricto ist hier kein Thema mehr. D i e Staatsformen als solche g e h ö r e n somit gewisserma-ßen b l o ß „ z u m Maschinenwesen der Staatsverfassung". Sie sind „ n u r der Buchsta-be der u r s p r ü n g l i c h e n Gesetzgebung" und m ö g e n („als statuarische Formen, die nur die U n t e r t h ä n i g k e i t des V o l k e s zu bewirken dienten") „durch alte und lange Gewohnheit (also subjektiv) für notwendig gehalten w e r d e n . "1 0 8

Die Stellung v o n Oberhaupt und Untertan hatte K a n t bereits i m § 41 des

„ Ü b e r g a n g s v o m Naturzustande z u m r e c h t l i c h e n "1 0 9 angesprochen und darauf hingewiesen, d a ß der „ V e r e i n " v o n Oberhaupt und Untertan nicht „ G e s e l l s c h a f t "

genannt werden k ö n n e : Beide seien nicht als „ G e s e l l e n (. . .) einander

beigeord-104 MdS V I 315.

105 MdS V I 338.

•°6 Weil er der Souverän ist, und ihn nicht bloß repräsentiert (339, 1 f., vgl. 339, 20 und X I X 570, 12, X I X 572: „Der allein nicht unter dem Gesetze steht, ist der Monarch.

Wenn er allein zugleich Gesetze giebt, ist er der Souverain (Autocrator). Wenn er zugleich das Gesetz in besonderen Fällen in Ausübung bringt, administriert oder richtet, so ist er despot." Zwar benutzt auch die Staatsformenlehre des Ewigen Frieden das Wort

„Autokrator" (vgl. aber auch X I X 570 f., XXIII 164 f.), allerdings nicht im Sinne dieser terminologischen Regel (vgl. auch „Monokratie" XXIII 160, 342; „Monarchie" Streit der Fakultäten VII 90, X I X 398, 581 f., XXIII 342, 352).

i °7 Ein paradigmatisches Mißverständnis dieser Stelle liefert Emst Bloch: Kant hat

„ . . . ganz im Sinne Rousseaus versichert, daß das Volk der einzige Gesetzgeber sei und der Fürst bloß Exekutor; doch wenige Seiten später wird, in vollem Widerspruch, der Fürst als Gesetzgeber eingeführt . . . " (Naturrecht und menschliche Würde, Frankfurt 1961, 82). Richard Saage zitiert Bloch zustimmend (Eigentum, Staat und Gesellschaft bei I. Kant, Stuttgart 1973, 119) und weist auf die — aus der historischen Situation des deutschen Bürgertums zu erklärende — Ambivalenz der Kantischen Lehre hin. Er über-sieht dabei, daß bei Kant statt einer Ambivalenz eine explizite Theorie der Vermittlung zweier Ebenen vorliegt: Die vermeintliche ideologiekritische Ergänzung bleibt hinter der Komplexität der Kantischen Theorie weit zurück.

los MdS V I 340.

109 MdS V I 306 f.

net", sondern als „ B e f e h l s h a b e r '4 und „ U n t e r t a n " „ e i n a n d e r untergeordnet". In einer früheren N o t i z heißt es dazu fast gleichlautend, d a ß :

„. . . Oberhaupt und Volk als Herrscher nie eine und dieselbe Person seyn können indem das letztere blos gehorcht der erstere aber blos gebietet (wie denn unter diesen beyden zwar eine Verbündung, Vnio, aber keine Gesellschaft superior et subiectus gedacht werden kann) mithin das Volk nicht durch sich selbst sondern nur durch Stimgebung an gewisse Repräsentanten unter ihnen herrschen k a n n . "1 1 0 Der letzte Teilsatz bringt allerdings ein Stichwort ein, welches i n der Rechtsleh-re an dieser Stelle nicht fällt, aber zentral für die StaatsformenlehRechtsleh-re als ganze sein wird: A l l e Staatsformen sind per se — w e i l sie Formen des V e r h ä l t n i s s e s eines Oberhauptes z u m V o l k als Untertan sind — ihrem Wesen nach r e p r ä s e n t a -t i v :1 1 1 Das Oberhaupt stellt als R e p r ä s e n t a n t den allgemeinen W i l l e n g e g e n ü b e r dem V o l k s w i l l e n vor.

E i n e weitere bedeutende Folge der Kantischen B e m ü h u n g , den Begriff der respublica phaenomenon vom M o m e n t der physischen Separation der drei G e w a l -ten i n der respublica noumenon zu trennen, zeigt sich am Begriff des Despotismus:

D i e Despotie stellt i n der Begrifflichkeit der Rechtslehre das P r ä d i k a t einer Perversion des „Staates i n der Idee" vor: D i e Usurpation der Legislative durch die E x e k u t i v e (§ 49). Sie kann somit nicht unmittelbar mit einer spezifischen äußeren Organisation eines Staatswesens verknüpft werden (denn als respublica phaenomenon ist e definitione keine der drei Staatsformen notwendig gewaltentei-lig), und es kann v o n vornherein keine besondere begriffliche Beziehung zu einer der drei Staatsformen erwartet werden. V i e l m e h r kann die Despotismus-Frage allein m i t B l i c k auf die Ideen erörtert werden: E i n Staatswesen, welches — ungeachtet seiner ä u ß e r e n Organisation als Autokratie, Aristokratie oder D e m o -kratie — so verwaltet w i r d , d a ß der Regent den gesetzgebenden W i l l e n als seinen Privatwillen behandelt, steht einer Idee der Despotie (sit venia verbo!) n ä h e r als dem Ideal der Republik. W ä h r e n d die Staatsformenlehre allein die Binnenstruktur der respublica phaenomenon bestimmt — eine systematische Absicht, mit der Kant (wie w i r gleich sehen werden) von einer Position der Friedensschrift A b -stand nimmt — , g e h ö r t die G e g e n ü b e r s t e l l u n g von Despotie und R e p u b l i k allein zur S p h ä r e der civitas noumenon. Hier hat die Frage nach der Staatsform keine e i g e n s t ä n d i g e Bedeutung mehr. Gemessen an der Idee hingegen k ö n n e n Staaten

n o X X I I I 161.

i n Zum Begriff der Repräsentation bei Kant siehe Näheres unten Anm. 137. — Ob Kant glaubt, durch obiges Argument die Notwendigkeit der Repräsentation erwiesen zu haben, mag bezweifelt werden. — Bereits in der spätscholastischen Staatsheorie wird dieses Argument — allerdings in seiner aristotelischen Form: die Trennung von Herrscher und Beherrschtem ist eine natürliche — u. a. von Bellarmin herangezogen, um gegen Suarez geltend zu machen, daß die Übertragung der Gewalt vom Volk (als dem Ursprung weltlicher Gewalt) auf eine davon unterschiedene Regierung nicht etwa kontingent, sondern vielmehr notwendig ist. Siehe dazu Charles N. R. McCoy, „Note on the problem of the origin of political authority", in: The Thomist 16 (1953), 71-81.

in der Erscheinung selbst „ d e s p o t i s c h " oder „ r e p u b l i k a n i s c h " regiert werden. In diesem Sinne betont K a n t i m Streit der Fakultäten, d a ß die republikanische Verfassung

„es entweder selbst der Staatsform nach sein mag, oder auch nur nach der Regie-rungsart, bei der Einheit des Oberhaupts (des Monarchen) den Gesetzen analogisch, die sich ein V o l k selbst nach allgemeinen Rechtsprincipien geben w ü r d e . "1 1 2

D e r B e g r i f f „ d e s p o t i s c h " wurde (s. o.) konsequenterweise i m Rahmen der E r ö r t e r u n g des Staates „in der Idee" definitorisch eingeführt (§ 49), und die Staatsformenlehre greift nur darauf z u r ü c k , indem sie der Idee der reinen, gewal-tenteiligen R e p u b l i k die Despotie mit ihrer Kontaminierung der Gewalten gegen-überstellt. 1 1 3

B l i c k t man v o n dieser K o n z e p t i o n z u r ü c k auf die Schrift vom Ewigen Frieden, so w i r d deutlich, d a ß K a n t die systematisch motivierte Trennung von „Idee eines Oberhauptes" und Staatsform i m Jahre 1795 noch nicht vollzogen hatte.1 1 4 D i e beiden Unterscheidungen, die sich i n der Rechts lehre jeweils auf Idee und Erschei-nung des Staates beziehen, werden hier beide g l e i c h e r m a ß e n auf die „ F o r m e n eines Staates" angewandt: A l s „ F o r m der Beherrschung (forma imperii)" und als „ F o r m der Regierung (forma regiminis)u.115 W ä h r e n d die erste Unterschei-dung die Person des Herrschers i n den drei Staatsformen Autokratie, Aristokratie und Demokratie thematisiert, zielt die zweite auf den Unterschied v o n R e p u b l i k a -nismus und Despotismus, und damit auf die Trennung von Herrscher- und Regie-rungsgewalt. Kants Argumentation ist an dieser Stelle vornehmlich dem Nachweis gewidmet, d a ß Republikanismus und Demokratie nicht identisch s i n d ,1 1 6 und letztgenannte vielmehr „ n o t w e n d i g e i n Despotismus" sei. — A l l e i n schon die

n 2 Streit der Fakultäten VII 88.

H 3 Selbstverständlich greift Kant auf den Begriff zurück, wo es um die Beurteilung bestehender Staatswesen am Maßstab dieser Idee geht („Allg. Anm. A " , MdS VI 318 f.).

— Kant vermeidet in der M d S den Terminus „republikanisch". Zwar wird „despotisch"

über die Usurpation der Gesetzgebung durch die Regierung definiert, der „Gegensatz"

ist hier jedoch „patriotisch" (wie auch schon im Gemeinspruch VIII 291). Letzterer wird wiederum eigenständig eingeführt vermittels der Behandlung der Untertanen als Staats-bürger und nicht etwa — als ein kontradiktorischer Gegenbegriff — über die Trennung der Gewalten (MdS V I 316 f., vgl. 318, 322, 339). — Die Gleichsetzung von Wohlfahrts-staatlichkeit und Despotie ist ein bei Kant häufig zu findender Topos. — In einer Polemik gegen Moser stellt Kant treffend dem „Prinzip der Eudämonie" das „eleutheronornische"

entgegen (Über die Buchmacherei VIII 434 Fn.).

i '4 In der Literatur wird gemeinhin eine Interpretation „der" Kantischen Staatslehre geliefert (so u. a. Kersting (Anm. 1) 275 ff.; Langer (Anm. 1) 106; Ludwig (Anm. 8) 6 und 165) und die systematische Neukonzeption — die durchaus auch inhaltliche Differen-zen von Friedensschrift und Rechtslehre hervorbringt (s. u.) — übersehen. Die Folge einer solchen Theorienkontamination ist die eingangs erwähnte irrige Auffassung, es gebe eine Fülle von Inkonsistenzen im Kantischen Staatsrecht zu beklagen.

i1 5 Ewiger Friede VIII352. Zur Vorgeschichte dieser Unterscheidungen siehe Kersting (Anm. 1) 275 ff.

n 6 Siehe Ewiger Friede VIII 351.

grundlegende Terminologie ist hierbei alles andere als s e l b s t v e r s t ä n d l i c h : Ist die

„ F o r m der Regierung" nun die F o r m der E x e k u t i v e ?1 1 7 Ist die „ F o r m der Beherr-schung'4 die Organisation der L e g i s l a t i v e1 1 8 oder die eines Oberhaupts, welches die Einheit der drei Gewalten vorstellt? K a n t gibt uns keinen expliziten H i n w e i s und der folgende Text der Friedensschrift bleibt hier letztlich dunkel.

Die Grundidee der eigenartig undurchsichtigen Argumentation läßt sich mit H i l f e einer V o r a r b e i t1 1 9 allerdings etwas genauer herausarbeiten. K a n t unterschei-det dort die Substanz von der F o r m des Staates, w o b e i erstere durch die forma imperii, letztere durch die forma regiminis bestimmt w i r d .1 2 0 D a b e i benennt er die drei A r t e n , die Substanz des Staates z u organisieren ( „ e i n e r " , „ e i n i g e " , „ a l l e " ) , paradoxerweise m i t dem N a m e n „ S t a a t s f o r m " . D i e „ F o r m des Staats" hingegen w i r d identifiziert mit der F o r m der Regierung, welche „ z w a r auf einer v o n den drey Staatsformen den Rechtsbegriffen g e m ä ß e r w i e aus den anderen g e g r ü n d e t werden kann eigentlich aber an solche empirische G r ü n d e garnicht gebunden ist". D i e F o r m der Regierung ist nun entweder despotisch oder republikanisch:

Ersteres ist der F a l l i n der „ b l o ß e n D e m o k r a t i e " (der Demokratie „ a n sich", i n der der „ S o u v e r ä n zugleich die R e g i e r u n g " führt), das zweite i n der Demokratie

„in einem r e p r ä s e n t a t i v e n System" sowie i n den beiden ersten Staatsformen, die

„als O b e r h ä u p t e r zugleich" das V o l k „ r e p r ä s e n t i r e n " — wenn sie „ v o r s a t z l i c h P r i n c i p i e n der republicanischen Regierungsart z u a l l m ä l i g e r E i n s c h r ä n k u n g ihrer Staatsgewalt durch die Stimme des V o l k e s angenommen haben". E i n K ö n i g , der das V o l k rechtskräftig r e p r ä s e n t i e r t , ist andererseits „ u n t e r allen Despoten der beste", die Adelsgewalt „ist schon ü b l e r " , „ a m M e i s t e n " (übel) ist die Despotie als Demokratie.

Der Republikanismus ist hier z u n ä c h s t offensichtlich durch z w e i — begrifflich voneinander u n a b h ä n g i g e — M e r k m a l e ausgezeichnet:1 2 1 Z u m einen durch die Trennung von Exekutive und Legislative, z u m anderen durch die R e p r ä s e n t a t i o n , d. i . die faktische Trennung v o n V o l k und Staatsoberhaupt. D a M o n a r c h i e und Aristokratie nun als — n a t u r g e m ä ß — r e p r ä s e n t a t i v e Staatsformen die Forderung nach R e p r ä s e n t a t i o n ohnehin e r f ü l l e n ,1 2 2 sind sie allein durch die v o r s ä t z l i c h e Aufnahme einer die Gewaltenteilung antizipierenden Regierungsart z u m „ R e p u

-"7 Womöglich nach Rousseauschem Vorbild? So z. B . X X I I I 352, 5; vgl. dazu auch Langer (Anm. 1) 106 F N .

• 18 Die Rede von der Herrschergewalt ist z. B . in der M d S — wenn terminologisch verwandt — auf die Gesetzgebung bezogen: „die Herrschergewalt (Souveränität) in der [Person] des Gesetzgebers" (MdS V I 313), und „das Organ des Herrschers, der Regent"

(MdS V I 319).

119 X X I I I 165 f.

120 Diese traditionelle Terminologie zeigt deutlich den Abstand zur Rechtslehre, wel-che an dieser Stelle mit der kritiswel-chen Unterswel-cheidung „Idee-Erswel-cheinung" operiert.

12 1 V g l . dazu auch Langer (Anm. 1) 110 f.

122 Siehe X X I I I 166: „Die zwey erstere Staatsformen repräsentiren als Oberhäupter zugleich das Volk die dritte ist an sich[!] garnicht repräsentativ"; vgl. auch X X I I I 160 f.

blikanismus" fähig. Daneben kann aber auch die „ d e m o k r a t i s c h e Verfassung in einem repräsentativen System" offensichtlich republikanisch sein, j a von allen drei Staatsformen gilt sie K a n t als diejenige, die am ehesten eine den Rechtsbegrif-fen „ g e m ä ß e " F o r m der Regierung erlaubt. D i e Demokratie i n ihrer nicht-reprä-sentativen F o r m hingegen führt „als S o u v e r ä n zugleich die Regierung welches Despotie ist".

Diese letzte Bewertung der Demokratie finden w i r auch i m Ewigen Frieden:

„ A l l e Regierungsform n ä m l i c h , die nicht repräsentativ ist, ist eigentlich eine Unform, w e i l der Gesetzgeber in einer und derselben Person zugleich Vollstrecker seines W i l l e n s sein k a n n . "1 2 3 Kant führt dies an, um den Despotie-Vorwurf an die Adresse der „ D e m o k r a t i e i m eigentlichen V e r s t ä n d e " zu b e g r ü n d e n : Der Republikanismus wird hier offensichtlich begrifflich gegen die Demokratie ent-faltet, er setzt die R e p r ä s e n t a t i o n , d. i . die institutionelle Differenz v o n Souverän und V o l k voraus.

D i e alternative Konzeption einer „ D e m o k r a t i e i n einem r e p r ä s e n t a t i v e n Sy-stem", mit der Kant noch in der Vorarbeit operierte, hat er hingegen nicht in den Drucktext ü b e r n o m m e n . A l l e r d i n g s wird die Struktur des Kantischen A r g u -ments auch in der Friedensschrift erst deutlich, wenn man auf das vollständige Viererschema der Vorarbeit B e z u g nimmt: A l s r e p r ä s e n t a t i v e Staatsformen sind Demokratie, Aristokratie und Monarchie g l e i c h e r m a ß e n des Republikanismus fähig (die letztgenannte der Vorarbeit zufolge sogar i n v o r z ü g l i c h e r Weise).

Anders als die beiden anderen kann die Demokratie (auch) i n einer n i c h t r e p r ä s e n -tativen Variante gedacht werden, und es ist ebendiese Variante, die für Kant notwendigerweise eine n i c h t - r e c h t m ä ß i g e exekutive Gewalt „ g r ü n d e t " , da „Alle, die doch nicht A l l e sind" wider einen Einzelnen b e s c h l i e ß e n .1 2 4 K a n t setzt damit in seiner pauschalen Demokratie-Kritik der Friedensschrift stillschweigend vor-aus, d a ß die Demokratie hier ausschließlich i m n i c h t - r e p r ä s e n t a t i v e n Sinne ver-standen wird, gleichsam als direkte Gesetzgebung und Regierung aller i m Sinne der attischen Staatsverfassung1 2 5 und suggeriert somit eine umstandslose Identifi-zierung v o n N i c h t - R e p r ä s e n t a t i o n und Demokratie und damit von Demokratie und Despotie. — Weshalb Kant die Demokratie hier allerdings ausschließlich im genannten Sinne der n i c h t r e p r ä s e n t a t i v e n Herrschaft erörtert, bleibt im D u n -keln: Seine Bemerkung, d a ß sie „eine dem Geiste eines r e p r ä s e n t a t i v e n Systems g e m ä ß e Regierungsart" nicht annehmen k ö n n e , „weil A l l e s da Herr sein w i l l "1 2 6

vermag ein Argument nicht zu ersetzen.1 2 7

123 Ewiger Friede VIII 352.

124 Ewiger Friede VIII 352.

125 Siehe X I X 595, 14.

"26 Ewiger Friede VIII 353.

127 Man kann sich einstweilen mit der Vermutung zufriedengeben, Kant habe mit der auf diese Weise möglich gewordenen kategorischen Verurteilung der Demokratie die politische Akzeptanz seiner Schrift in turbulenten Zeiten erhöhen wollen, so Langer (Anm. 1) 122.

Betrachtet man die Demokratie-Kritik der Friedensschrift vor der Folie der Metaphysik der Sitten, so m u ß die ältere Konzeption von vornherein verfehlt erscheinen: Sind die Staatsformen jene Formen der Verfassung, welche dem Oberhaupt Wirksamkeit auf den V o l k s w i l l e n verschaffen, dann gibt es für die

— durchaus denkbare — n i c h t - r e p r ä s e n t a t i v e Demokratie ü b e r h a u p t keinen syste-matischen Ort innerhalb einer solchen Staatsformenlehre: Ihre dortige Verortung zeugt vielmehr von einer Begriffsverwirrung, die eine „ U n f o r m " ,1 2 8 eine beliebige Perversion des Ideals der reinen Republik mit einer m ö g l i c h e n Realisierung des Staates i n der Erscheinung konfundiert — und das w ä r e i m Sinne der kritischen Philosophie ein schwerer Fehler. — U m die von uns herangezogene Vorarbeit ist es i n dieser Hinsicht auch nicht besser bestellt: Indem sie die n i c h t r e p r ä s e n t a t i -ve Demokratie mit Monarchie und Aristokratie — denen sie die r e p r ä se n t ati v e Demokratie als dritte r e p r ä s e n t a t i v e Staatsform beiordnet — i n eine Reihe stellt, hat sie die Unterscheidung v o n respublica noumenon und respublica phaenome-non ebenfalls i m Ansatz verfehlt.

D i e systematische Entkopplung v o n Despotismus- und Staatsformenlehre, zu der die Rechtslehre gelangt ist, stellt nun nicht etwa nur ein b l o ß - a r c h i t e k t o n i s c h e s Detail der Spätschrift dar, sondern macht sich vielmehr n a c h d r ü c k l i c h i n der v e r ä n d e r t e n Rangordnung der Staatsformen bemerkbar, womit sie auch politische Konsequenzen zeigt. I m Ewigen Frieden führte Kants Forderung nach m ö g l i c h s t umfassender R e p r ä s e n t a t i o n zu einer kategorischen A b l e h n u n g der Demokratie und zu einer absoluten Favorisierung der Monarchie, welche letztere er dort i n g r ö ß t e r Affinität z u m Republikanismus sieht:

„Man kann daher sagen: je kleiner das Personale der Staatsgewalt (die Zahl der Herrscher), je größer dagegen die Repräsentation derselben, desto mehr stimmt die Staatsverfassung zur Möglichkeit des Republikanism, und sie kann hoffen, durch allmähliche Reformen sich dazu endlich zu erheben. Aus diesem Grunde ist es in der Aristokratie schon schwerer als in der Monarchie, in der Demokratie aber unmöglich anders als durch gewaltsame Revolution zu dieser einzigen vollkommen rechtlichen Verfassung zu gelangen."1 2 9

Kant ü b e r n i m m t diese Rangfolge der Staatsfonnen zwar in die Schrift von 1797, s c h w ä c h t allerdings deren normative Funktion bis zur Bedeutungslosigkeit ab: E r verzichtet auf die — ohnehin eher befremdliche — Staats-Arithmetik, er revidiert die sich aus dieser ergebende kategorische Verurteilung der Demokratie und versieht schließlich den evaluativen Gehalt der Reihenfolge mit der einschnei-denden E i n s c h r ä n k u n g , d a ß sie nur unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität gelte:

128 Ewiger Friede VIII 352. In einer Reflexion verweist Kant auf die despotischen Demokratien der Antike (vgl.: „Demokratien ohne Repräsentationssystem", Ewiger Frie-de VIII 378) und bemerkt dann: „Es kann Frie-despotische Regirungen geben, es giebt aber keine despotische Staatsverfassung" ( X I X 595).

"29 Ewiger Friede VIII 353, vgl. X X I I I 432.

„Man wird leicht gewahr, daß die autokratische Staatsform die einfachste sei, nämlich von Einem (dem Könige) zum Volke, mithin wo nur Einer der Gesetzgeber ist (. . .) Was die Handhabung des Rechts im Staat betrifft, so ist freilich die einfachste auch zugleich die beste . . . "1 3°

A u f eine rein juridische A x i o l o g i e der Staatsformen, wie er sie i m Ewigen Frieden leisten zu k ö n n e n vorgab, verzichtet Kant in der Metaphysik der Sitten folglich weitgehend.1 3 1 Allerdings macht er hier nun geltend, d a ß es m ö g l i c h ist, die Tauglichkeit jener drei Staatsformen hinsichtlich der Antizipation der Repu-b l i k gegeneinander a Repu-b z u w ä g e n . Unter dieser leitenden Perspektive sieht er sich veranlasst, das Urteil aus der Friedensschrift zw revidieren. Kant setzt die obigen E r ö r t e r u n g e n fort:

„. . . aber, was das Recht selbst anlangt, [ist die Autokratie] die gefährlichste fürs Volk in Betracht des Despotismus, zu dem sie so sehr einladet. Das Simplificiren ist zwar im Maschinenwerk der Vereinigung des Volks durch Zwangsgesetze die vernünftige Maxime: wenn nämlich alle im Volk passiv sind und Einem, der über sie ist, gehorchen; aber das giebt keine Unterthanen als Staatsbürger".1 3 2

D i e Bewertung der Staatsformen kehrt sich hier offensichtlich um: D i e M o n -archie w i r d nun zum Einfallstor für den Despotismus, w ä h r e n d dieser in der Friedensschrift noch als notwendiges M o m e n t der Demokratie gegolten hatte.

D e r kritischen Unterscheidung i m Staatsrecht v o n 1 7 9 7 / 9 8 fällt damit eine politisch-rechtliche Position v o n 1795 zum O p f e r !1 3 3

Kants Auffassung einer g r u n d s ä t z l i c h e n juridischen Gleichwertigkeit der Staatsformen zeigt sich deutlich bei der Frage nach der r e c h t m ä ß i g e n U m w a n d -lung der Staatsverfassungen: D e r S o u v e r ä n — i m Kontext der respublica phaeno-menon: das alle drei Gewalten i n einer physischen Person vorstellende Oberhaupt

— vermag seine eigene Verfassung zu ä n d e r n , wenn diese „mit der Idee des u r s p r ü n g l i c h e n Vertrages nicht w o h l vereinbar" i s t .1 3 4 Eine solche U m w a n d l u n g der Verfassung steht nun zwar nicht i m völligen „ B e l i e b e n " des Oberhauptes

' 3 0 MdS V I 339.

"3i Kant betont auch in den Vorarbeiten, daß die Frage der Staatsform rechtlich sekundär ist (XXIII 160, 164). Hierin ist er u. a. mit der Hobbesschen Position konform, vgl. De Cive, Praefatio ad lectores. Hobbes bekennt dort, daß der Vorzug der Monarchie im 10. Kapitel der nachfolgenden Schrift nicht bewiesen, sondern nur wahrscheinlich gemacht werde und betont, daß dies die einzige derartige Schwachstelle des gesamten Werkes sei.

132 MdS V I 339.

133 Die Vorstellung der Kontinuität des Kantischen Staatsrechts in den neunziger Jahren stellt hingegen offensichtlich die Standard-Auffassung dar: Im ansonsten vorzügli-chen Republik-Artikel des Historisvorzügli-chen Wörterbuchs der Philosophie (hrsgg. v. / . Ritter und K. Gründer, Bd. 8, Basel 1992 Sp. 873) stellt Wolf gang Mager die positive Auszeich-nung der Autokratie der Friedensschritt unvermittelt neben die phaenomena-noumena-Unterscheidung der Streit-Schrift und bringt damit zwei letztlich unvereinbare Theo-riestücke zusammen.

134 MdS V I 340.

selbst, doch die verbleibende Restriktion ist erstaunlich schwach: Kant weist deutlich auf eine und — was daran bemerkenswert ist — eben nur diese eine Restriktion seiner „freien W a h l " hin: E s ist die Präferenz des V o l k e s , welche '35 Kant schweigt sich darüber aus, wie diese Präferenz ermittelt werden soll. Auffal-lend ist, daß er hier — und soweit wir sehen: allein hier — auf den empirischen Volkswillen als Rechtskriterium Bezug nimmt: Nicht „der Wille eines aufgeklärten Volkes", sondern ein partikularer Volkswille hat Verbindlichkeit für das Oberhaupt.

Kant verwandelt in dieser Passage offenbar eine Position, wie sie etwa von Sieyes in

„Qu'est-ce que le tiers etat" formuliert wurde, seiner Theorie an: „Es steht der Nation jederzeit frei, ihre Verfassung zu reformieren. Besonders wenn diese umstritten ist, kann sie nicht umhin, sich eine einwandfreie Verfassung zu geben. (. . .) Eine an Verfassungsre-geln gebundene Körperschaft kann nur nach ihrer Verfassung entscheiden. Eine andere Verfassung kann sie nicht geben. (. . .) Selbst die Generalstände wären, wenn sie tagen würden, nicht berechtigt, irgendetwas über die Verfassung zu entscheiden. Dieses Recht gehört allein der Nation — die wir wiederholen es immer wieder — an keinerlei Formen und Bedingungen gebunden ist." (E. J. Sieyes, Politische Schriften 1788-1790. Übersetzt und herausgegeben v. E. Schmidt und R. Reichard, München 2. Aufl. 1981, 172; eine umfangreiche Sammlung erschien bereits 1796, siehe, ebd. S. 8). Angesichts der 1796 gestifteten Beziehung zwischen Kant und Sieyes (vgl. dazu: Alain Ruiz, „Neues über Kant und Sieyes", in: Kant-Studien 68 (1977), 446-453) und der Parallelität im Aufbau der Argumentation ist die Vermutung nicht abwegig, daß Kant die Stelle im Auge hatte

— und sich gegen deren letzten Satz wandte.

136 M d S V I 341.

i?7 Der Text der Rechtslehre selbst gebraucht den Begriff der Repräsentation de facto vornehmlich im Zusammenhang mit der Demokratie (MdS V I 317, 319, 322, 341; auch Streit der Fakultäten VII 90), eine Abgrenzung vom universellen Gebrauch, wie wir ihn in früheren Schriften und Vorarbeiten finden ist u. E. jedoch weder terminologisch noch

i?7 Der Text der Rechtslehre selbst gebraucht den Begriff der Repräsentation de facto vornehmlich im Zusammenhang mit der Demokratie (MdS V I 317, 319, 322, 341; auch Streit der Fakultäten VII 90), eine Abgrenzung vom universellen Gebrauch, wie wir ihn in früheren Schriften und Vorarbeiten finden ist u. E. jedoch weder terminologisch noch

Im Dokument Kants kritisches Staatsrecht (Seite 27-42)