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DIE SCHRIFT DER TAFELN Beschriebene Tafeln

Im Dokument Büro (Seite 41-45)

Aus Sandkorn und Mohnkorn baut Archimedes ein Zahlsystem. Der Staub der Tafel wird selbst zur Einheit eines Rechenbretts, das beliebig große Zahlen benennen und berechnen kann. Die Oberfläche des Abakus entsteht dabei aus dem Sandkorn. Zwar spricht Herodot nur von Rechensteinen. Aber Archimedes führt es mit dem Sandrechner lebhaft vor, wie man aus den Operationen der Steine das Format der Tafel erschließen kann. Was sagen also die Tafeln? Wo findet man sie? Der Redner Lysias ist der erste Grieche, der eine Rechentafel erwähnt.69 Die Rechentafel (abakion) ist also schon im 5. Jahrhundert v. Chr.

bekannt. Aber wie wird die Tafel verwendet? Ist sie wirklich nur ein bloßes Werkzeug der Ökonomie? Die bekannteste und am häufigsten beschriebene griechische Rechentafel ist eine marmorne Tafel, die 1845 auf der Insel Salamis gefunden worden ist.70 Mit der Datierung tut sich die Forschung schwer: Man schätzt, dass sie um 500 entstanden ist. Sie enthält drei akrophonische Zahlenreihen. Aber ihr Zweck bleibt dunkel. Vielleicht wurden sie zur Geldumrechnung verwendet. Aber ebenso gut kann man annehmen, daß sie niemals zum Tausch von Geld und Waren verwendet worden ist. Womöglich wurde sie nur im Schulunterricht verwendet.71 Doch vielleicht wurde auf ihr noch nicht einmal gerechnet, vielleicht hat man die Steine nur zum Spielen bewegt.

Denn Spiel und Rechenbrett gleichen einander. Auf manchen Spielbrettern kann man auch eine Rechnung auslegen, auf Rechenbrettern auch Spielen.72

Einer der ältesten Abaci mit Zahlenreihe wurde 1976 in Korinth entdeckt. Seine Datierung ist jedoch sehr vage. Nur ein Bruchstück hat sich von diesem Abakus

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69 Vgl. Julius Pollux: Onomasticon X, 106.

70 Diese Tafel ist im Epigraphischen Museum in Athen ausgestellt. Ihre Signatur lautet IG II2 2777.

Über die Operationen der Salaminischen Rechentafel s. Alfred Nagl 1918. Karl Menninger: 1957: II 104-109.

71 Eine Zusammenfassung dieser Hypothesen mit Quellenangaben findet sich bei Alain Schärlig 2001: 66-67.

72 SEG XXVI 401 oder SEG XXXVI 310.

erhalten: Es ist ein Stück aus weißem, kristallinem Marmor. Die Korinthische Tafel enthält eine akrophonische Zahlenreihe:

Fig. 2 – Tafelrest aus Korinth (frühes 5. Jahrhundert)

Die Tafel ist spätestens im 5. Jahrhundert entstanden.73 Am Rand der Tafel befindet sich eine Inschrift: ΣΤΑΤΑ[...]. Die Tafel mag im Besitz eines Feldherrns gewesen sein. Vielleicht zählte sie den Sold unzähliger Soldaten, die Stadien ihres Vormarsches.74 Man weiß es nicht. Ist die Inschrift genauso alt wie die Tafel?

Nichts ist sicher.

Die ältesten Tafeln geben über ihre Verwendung nicht viel preis. Auf einem Pflas-terstein des Staatsmarkts von Ephesos ist das Spielfeld des Ludus duodecim scriptorum eingeritzt. Sein Liniengerüst lässt sich ebenso gut als Abakus nutzen.

Doch das Spiel ist älter: Auch auf den Linien der Salaminischen Tafel kann der Ludus duodecim scriptorum oder e grammai gespielt werden.75 Die Linien der Steintafeln verknüpfen so die Ökonomie immer schon mit dem Spiel und das Spiel mit der Mathematik. Wenn Zählen, Zeigen und Spielen auf ein und derselben Ta-fel stattfinden, sind Überträge und mit ihnen neue Verwendungsweisen wahrscheinlich. Das macht den Abakus zum Schauplatz von Zäsuren und kulturtechnischen Innovationen.

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73 Alain Schärlig 2001: 85.

74 Immerwahr 1986: 202.

75 Vgl. Waschkies 1989: 235.

Eine unbeschriebene Tafel und eine Kritzelei

Noch stummer als ihre numerischen Verwandten sind die Steintafeln, deren Linien keine Beschriftung aufweisen. Nur Linien lassen erahnen, dass sie auch als Abakus gedient haben könnten. Von den elf Tafeln, die gefunden worden sind, können nur wenige datiert werden.76 Eine Tafel ragt heraus. Ein gut erhaltenes Graffito verweist auf eine der ältesten Tafeln und auch auf ihren Verwendungszweck als Abakus. Sie ist 1975 von deutschen Archäologen auf der Insel Aegina [Aíyina] in der Nähe des Heiligtums der Nymphe Aphaia gefunden worden.77 Es ist eine Kalktafel mit 11 Linien. Und schon die Anzahl der Linien lässt vermuten, dass diese Tafel Spiel- und Rechenbrett zugleich ist. Die Datierung der Tafel erfolgt über eine flüchtige Inschrift. Von sieben Zeilen enthalten nur die letzten zwei Zeilen vollständige Wörter:78

Aber weder der Verweis auf Kleisthenes, noch auf »diese Tafel« helfen weiter.

Womöglich besiegeln diese Zeilen einen Vertrag. Die Lücken sind zu zahlreich:

Nicht die Wörter, nur die Buchstabenformen sind sprechend. Aus ihnen schließt Immerwahr, dass die Tafel spätestens zwischen 510 und 500 v. Chr. entstanden sein muss.79 Aber selbst diese Jahreszahlen markieren nur eine obere Grenze. Die Tafel kann ebenso gut älter sein. Denn die Linien verraten ihr Alter nicht. So lässt sich auch nicht feststellen, ob die Griechen zuerst die beschrifteten oder unbe-schrifteten Tafeln verwendet haben. Für jede Antwort gibt es gute Argumente.

Was bleibt also? Die Archäologie der Tafeln bringt nicht viel Licht. Von den 31 Tafeln, die bisher gefunden worden sind, kann man nur wenige sicher datieren.

Und selbst wenn es Anhaltpunkte gibt, sind die Datierungen häufig sehr ungenau.80 Einige Tafeln scheinen zum Ende des 6. Jahrhunderts schon zu existieren. Für die Griechen bleibt dies entscheidend, denn das Alter der akrophonischen Zahlen ist

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76 Für die Zusammenstellung s. Alain Schärlig 2001: 71-81.

77 SEG XXXVI 305.

78 Immerwahr 1986: 197, Fig. 3a.

79 Immerwahr 1986: 195 f. Es ist genau die Zeit, in der der Nymphentempel niederbrennt (510 v.

Chr.) und an derselben Stelle ein neuer Tempel entsteht (500 v. Chr.). Dazu findet sich allerdings bei Immerwahr nichts.

80 Vgl. Alain Schärlig 2001: 65-102.

epigraphisch nicht wesentlich früher nachweisbar. Die Mehrzahl der Tafeln stammt aus dem 5. Jahrhundert. Der Verwendungszweck der Tafeln ist dagegen wenig eindeutig. Wie sie verwendet wurden, bleibt unklar. Doch nichts spricht dagegen, dass dieselben Tafeln dem Schulunterricht, dem Handel und der Unterhaltung gedient haben können. Die Tafeln bleiben stumm. Und die Kieselsteine? Von ihnen kann man nicht ernsthaft erwarten, dass sie etwas über die ersten Rechensteine aussagen. So bleibt nur noch die Spur der Steine – das, was sie auf Papyrus, Ton und Stein hinterlassen haben.

DIE SPUR DER STEINE

Auf den Rechenflächen lässt sich der Gebrauch der Steine weiter zurückverfolgen.

Aber auch hier bleibt eine Schwierigkeit. Da Rechensteine auf jeder flachen Oberfläche operieren können, lassen sie sich nur in wenigen Fällen archäologisch nachweisen.81 Weil jeder Grund temporär zum Abakus werden kann, der Gebrauch des Abakus aber so selbstverständlich ist, dass wenig über ihn nieder-gelegt ist, beschränkt sich die Datierung auf Indizien. Deshalb möchte ich die Aufmerksamkeit zunächst weniger auf die Fläche richten. Sie droht im Sand zu verschwinden. Im folgenden will ich vielmehr die Operationen der Steine untersuchen. Das Kapitel folgt zwei Spuren, ehe es auf die Griechen stößt, auf ihren Umgang mit den figurierten Zahlen und den Übertrag auf die Beweisverfahren der deduktiven Geometrie: den Zählsteinen der Sumerer und den Punktdiagrammen der Ägypter.

Schrift oder Zahl

Die erste Spur führt zu kleinen geometrischen Objekten aus Ton und sind zahlreich. Sie liegen in der Nähe von Tempeln und Palästen. Sie füllen Gräbern, bevölkern Siedlungen, liegen in Flussbetten. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts haben sie die Archäologie als »sonderbare kleine Gegenstände« gefoppt. Sie werden mal als Murmeln, mal als Spielsteine interpretiert. Erst eine groß angelegte Studie von Denise Schmandt-Besserat hat sie als Zählsteine bezeichnet, die auf eine einfache Form der Buchhaltung verweisen.82 Zählsteine dieser Art gibt es vom frühesten 8. Jahrtausend bis 1500 v.Chr. Sie variieren in ihrer Form nur wenig.83 Die frühesten Vertreter haben einfache geometrische Formen: Es sind Zylinder, Kegel, Kuben, Kugeln, Pyramiden und Scheiben. Sie tauchen an fünf Orten in Syrien und Iran auf.84 Gelagert in Tonumschlägen oder an Bullen

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81 Pullan 1968: 93.

82 Die »sonderbaren kleinen Gegenstände aus Ton« von Julius Jordan sind nach Schmandt-Besserat 1992: I 48 zitiert. Eine elliptische Geschichte der Lesarten findet sich bei Stephen Lieberman 1980:

339-40, eine etwas ausführlichere bei Schmandt-Besserat 1992: 6-10.

83 Denise Schmandt-Besserat 1992: I 39.

84 Vgl. für Syrien – für Tell Mureybet, Scheikh Hassan und Tell Aswad -- Denise Schmandt-Besserat 1992: I 36 und für Iran -- für Ganj Dareh und Tepe Asiab -- dies.: 1992 I 40-41.

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