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Die Methode des explorativen Expert*inneninterviews

parlamentarischen und juristischen Aufklärung zur Rolle der akzeptierenden Jugendarbeit im

5 Forschungsdesign und methodische Umsetzung

5.1 Die Methode des explorativen Expert*inneninterviews

er-möglichen und über weitere Anschlussmöglichkeiten nachdenken zu können.

Dafür bietet sich die Methode des explorativen Expert*inneninterviews an, da es hierbei nicht darum geht, gezielt Wissenslücken zu schließen, sondern darum, das Deutungswissen der Personen sowie deren subjektive Sichtwei-sen zum Forschungsgegenstand zu interpretieren (vgl. Bogner et al. 2014:

19f.). Es geht hier also vor allem um die Interpretation kollektiver Deutun-gen über die Entstehungsgeschichte des NSU und der Rolle der pädagogi-schen Ansätze und Konzepte, die in den 1990er Jahren in den neuen Bun-desländern im Rahmen des Aktionsprogramms gegen Aggression und Gewalt umgesetzt worden sind. Das Forschungsinstrument bietet sich an, da es sich bei der akzeptierenden Jugendarbeit und dem NSU um komplexe Sachver-halte handelt, die in der Vergangenheit liegen und, wie die Darstellung des Forschungsstand belegt, kaum wissenschaftliche Auseinandersetzungen darüber vorhanden sind (vgl. ebd.: 22; vgl. Meuser/Nagel 2010: 457).

Die Methode des Expert*inneninterviews verlangt ein genaueres Verständnis vom Begriff der*des Expert*in, welcher oftmals eine theoretische Unschärfe aufweist. Was unter einer*einem Expert*in zu verstehen ist, ist in der For-schung nicht klar definiert, vielmehr existieren unterschiedliche Verständ-nisse von diesem Begriff (vgl. Meuser/Nagel 2010: 460; vgl. Misoch 2015:

126f.). Um den methodischen Zugang in dieser Arbeit von anderen Formen des Leitfadeninterviews abzugrenzen, wird zunächst der verwendete Ex-pert*innenbegriff geklärt, da es sich hierbei um einen relationalen Begriff handelt. Danach wird dieser spezifisch auf den vorliegenden Forschungs-gegenstand, auf die gewählte Fragestellung und auf die teilnehmenden Expert*innen bezogen (vgl. Bogner/Menz 2009: 73). Dabei wird sich an einer wissenssoziologischen Theorieperspektive orientiert, die den Begriff der*des Expert*in vor allem inhaltlich über die Struktur ihres*seines Wissens füllt:

„Der Experte verfügt über technisches, Prozess- und Deutungswissen, das sich auf ein spezifisches Handlungsfeld bezieht, in dem er in rele-vanter Weise agiert […]. Insofern besteht das Expertenwissen nicht allein aus systematisiertem, reflexiv zugänglichem Fach- oder Son-derwissen, sondern es weist zu großen Teilen den Charakter von Pra-xis- oder Handlungswissen auf, in das verschiedene und durchaus disparate Handlungsmaximen und individuelle Entscheidungsregeln,

kollektive Orientierungen, und soziale Deutungsmuster einfließen […].“ (vgl. Bogner/Menz 2009: 73f.)

Entscheidend bei der Betrachtung der*des Expert*in ist also die Frage, über welches spezifische Wissen diese*r verfügt. Alexander Bogner und Wolf-gang Menz benennen in dem Zitat drei Wissensformen, die von Bogner an anderer Stelle weiter ausgeführt werden: Technisches Wissen bilden Infor-mationen, die einen objektiven Anschein besitzen, wie z. B. Jahreszahlen oder konkrete Fakten, die als „sachdienliche Informationen“ (Bogner et al.

2014: 17) bezeichnet werden. An Prozesswissen gelangen Personen, die in Prozesse und Abläufe involviert sind und somit über Erfahrungswissen ver-fügen, das nur durch die eigene Beteiligung an bestimmten Handlungen und Prozessen gewonnen werden kann (vgl. ebd.: 18). Das Wissen hängt stark von den einzelnen Personen ab, die an den Geschehnissen beteiligt gewesen sind und muss daher über diese erlangt werden. Besonders interessant für die Interviews ist die Form des Deutungswissens, da hier „subjektive Relevan-zen, Sichtweisen, Interpretationen, Deutungen, Sinnentwürfe und Erklä-rungsmuster der Expertinnen“ (ebd.: 18f.) vorhanden sind. Das Deutungs-wissen muss immer als normativer Wissenstyp verstanden werden, es ist somit niemals neutral oder unabhängig von den jeweiligen Subjekten zu verstehen. Da das subjektive Wissen der einzelnen Personen jedoch nicht als individuell zu fassen ist, sondern von mehreren Personen geteilt wird, ist hier vor allem kollektives Deutungswissen interessant. Dieses „ist aber explizit perspektivisch und es wird als eine solche, von den Subjekten nicht abtrenn-bare Perspektive methodisch wahrgenommen“ (ebd.: 19).

Diese zunächst einfach anmutende Trennung der Wissensformen ist keine, die direkt kenntlich ist. Vielmehr handelt es sich bei der Frage, welches Wissen genau vorhanden ist, um eine Aufgabe, die die*der Forscher*in zu lösen hat. „Ob es sich um ein ‚Faktum‘ handelt, eine ‚Erfahrung‘ oder eine

‚Deutung‘ wird methodisch, nicht sachlich entschieden“ (Bogner et al. 2014:

20, Hervorh. im Original). Die genaue Unterscheidung kann oftmals erst in der späteren Betrachtung des Datenmaterials getroffen werden (vgl. Kaiser 2014: 45). In jedem Expert*inneninterview existieren immer alle drei For-men des Wissens, eine steht jedoch meist im Zentrum des Interesses. Ein wichtiges Kriterium, das eine Person als Expert*in charakterisiert, ist inwie-weit ihr*sein Wissen, welches nicht nur durch Reflexionsvermögen gekenn-zeichnet ist, eine Bedeutsamkeit für die Praxis besitzt und somit zur

„Kon-struktion von Wirklichkeit“ (ebd.) beiträgt. Es geht also um die Frage, ob das Wissen der Expert*innen die Möglichkeit besitzt, hegemonial zu werden und somit darum, ob ihre Deutungen und Interpretationen eine Bedeutsamkeit für das eigene Handlungsfeld besitzen (vgl. Bogner/Menz 2009: 73f.). Dabei wird auch nach der „sozialen Relevanz“ (ebd.: 70) gefragt, denn erst wenn das Wissen wirkmächtige Auswirkungen auf die Praxis hat, wird das kon-krete Handeln von anderen Personen, die in dem Handlungsfeld agieren, von dem Wissen der*des Expert*in bestimmt.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Deutungen zum NSU-Komplex innerhalb der Sozialen Arbeit, eine Perspektive, die nahe legt, auf Wissen von Expert*innen aus diesem Feld zurückzugreifen. Wie für das Expert*in-neninterview unumgänglich, verfügen die an den Interviews teilnehmenden Experten*innen über „Sonderwissen“ (Kaiser 2014: 36), welches durch die Ausübung des eigenen Berufes sowie der Einbindung in Institutionen ge-wonnen wurde. In der vorliegenden Arbeit sind die Expert*innen beruflich in die Institution der Fachhochschulen eingebunden. Im Zentrum des Interesses dieser Arbeit steht dabei das Deutungswissen der Expert*innen, auch wenn die Unterscheidung zwischen technischem, Prozess- und Deutungswissen erst in der Analyse getätigt werden kann. Daraus ergibt sich, dass auf Wissen zurückgegriffen wird, welches nicht nur über reflexive Perspektiven auf den Ansatz der akzeptierenden Jugendarbeit verfügt, sondern auch eine Bedeut-samkeit innerhalb der Profession der Sozialen Arbeit besitzt und Aussagen über Deutungen innerhalb dieser im Hinblick auf den NSU-Komplex treffen kann.

Es geht nicht darum, anhand der Interviews erneut kontrastierende Gegen-positionen zum Ansatz der akzeptierenden Jugendarbeit darzustellen. Die Auseinandersetzung mit dem Ansatz der akzeptierenden Jugendarbeit und die Kritik an diesem wurde bereits im theoretischen Teil dieser Arbeit darge-stellt. Vielmehr sollen Aussagen von Expert*innen interpretiert werden, die kollektive Deutungen innerhalb der Sozialen Arbeit darstellen. Die Wahl der Interviewpartner*innen ergibt sich aus dem Feldzugang. Die erste Inter-viewpartnerin Prof. Barbara Schäuble wurde letztes Jahr bei einem Work-shop zum Thema Soziale Arbeit und NSU-Komplex erlebt und daraufhin per Mail kontaktiert. Sie ist eine von wenigen Wissenschaftler*innen innerhalb der Profession der Sozialen Arbeit, die sich, wie bereits im Forschungsstand skizziert, zum NSU-Komplex geäußert hat und diesen Gegenstand in ihre

Lehrpraxis an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin miteinbezieht. Bei dem ersten Telefonat hat Barbara Schäuble an die zweite Interviewpartnerin Prof. Juliane Karakayalı verwiesen, die sich mit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und Analyse des NSU-Komplexes beschäftigt und in der Ausbildung von Sozialarbeiter*innen an der Evangelischen Hochschule in Berlin tätig ist. Heike Radvan, die Professorin an der Fachhochschule in Cottbus ist und zu genderreflektierter Rechtsextremismusprävention forscht, wurde auch von Barbara Schäuble empfohlen und stellt die dritte Inter-viewpartnerin dar. Bei der Wahl der Interviewpartner*innen entstand somit ein „Schneeballeffekt“ (Meuser/Nagel 2010: 464), der für die verwendete Methode des Expert*inneninterviews nicht unüblich ist. Durch die Vermitt-lung der Interviewpartner*innen verfügt die Interpretation über minimal kontrastierende Vergleiche, da es sich hier um einander nahestehende Wis-senschaftler*innen handelt. Diese Ausgangssituation passt zum Erkenntnis-interesse, kollektive Deutungen herauszuarbeiten, um diese im Hinblick auf die ausdifferenzierte Fragestellung und im Kontext des ersten Sinnabschnitts interpretieren zu können. Dementsprechend wird bewusst auf maximal kon-trastierende Vergleiche verzichtet.

5.2 Die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse