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Die menschliche Dimension ist keine «Schokoladenbüchse, aus

Im Dokument BULLETIN 2013 (Seite 40-46)

der man Stücke herauspicken

kann».

Die Praktikerinnen und Praktiker im EDA kennen die aktuellen Probleme der 57-köpfigen OSZE und machen sich deshalb bezüglich des Schweizer OSZE-Vorsitzes keine Illusionen. Auch Didier Burkhal-ter dämpfte am MinisBurkhal-terrat in Dublin Ende 2012 die Erwartungen. Der Schweiz werde es kaum gelingen, «morgen grosse Resultate und wich-tige Entscheide zu verkünden». Der Prozess der Konsenssuche sei nicht spektakulär, aber effizient. «Der Weg ist genauso wichtig wie das Ziel», betonte der Schweizer Aussenminister.78

Während andere Staaten wie Slowenien, Litauen oder Irland ihre OSZE-Vorsitze in der Vergangenheit nutzten, um Erfahrungen zu sam-meln für die spätere Übernahme der EU-Präsidentschaft, erhofft sich auch die Schweiz von den Troika-Jahren 2013 bis 2015 nützliche Ein-sichten in die hochrangige multilaterale Diplomatie. Eine gute OSZE-Präsidentschaft dürfte den Schweizer Ambitionen auf den anvisierten Sitz im UNO-Sicherheitsrat 2023/24 helfen. Gleichzeitig wurde in der verstärkten OSZE-Mission in Wien und in der OSZE-Task-Force in Bern eine neue Generation an Diplomatinnen und Diplomaten und EDA-Mitarbeitenden auf dem «Spielplatz OSZE» für die internatio-nale Zusammenarbeit auf höchstem Niveau gestählt. Diese Erfahrun-gen dürften bei der Kandidatur und allfälliErfahrun-gen Übernahme des UNO-Sicherheitsrats-Sitzes äusserst wertvoll sein.79

Innenpolitisch ist das verstärkte OSZE-Engagement vertretbar und weitgehend unkontrovers, weil es an die historische Tradition des Hel-sinki-Prozesses im Kalten Krieg und die Schweizer OSZE-Aktivitä-ten in Bosnien und in Kosovo anknüpft. Pragmatisch-praktische, kon-krete Aufgaben wie die als Schwerpunkte geplanten Guten Dienste im Westbalkan und im Südkaukasus sowie die Vertrauensbildung in der konventionellen Rüstungskontrolle und das Vorantreiben der institu-tionellen Reformen im Helsinki+40-Prozess passen zur Schweiz. Die OSZE-Präsidentschaft verspricht zudem hochrangige Treffen zwischen Aussenminister Didier Burkhalter und Amtskollegen aus dem

OSZE-78 Burkhalter, Didier. Rede an der OSZE-Ministerkonferenz in Dublin: Helsinki Plus Forty: Re-form of the OSCE. 6.12.2012 (Übersetzung des Autors).

79 Vgl. dazu Trachsler, Der OSZE-Vorsitz der Schweiz 2014; Trachsler, Daniel. Ein geschickter Schachzug. In: Tages-Anzeiger. 8. Juli 2013. Gemperli, Simon. Schweiz prüft Kandidatur für UNO-Sicherheitsrat. In: Neue Zürcher Zeitung. 13. August 2010. Auch Kasachstan benutzte die OSZE-Präsidentschaft als Sprungbrett für einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat.

Aktuelle Diskussion

BULLETIN 2013 ZUR SCHWEIZERISCHEN SICHERHEITSPOLITIK 40

Raum wie John Kerry (USA), Sergei Lawrow (Russland) oder die EU-Aussenbeauftragte Catherine Ashton, in denen auch bilaterale Aspekte angesprochen und die Beziehungen der Schweiz mit dem Ausland ver-tieft werden können.

schlUssBemerKUnGen

Die allgemeine Behauptung einer «OSZE-Krise» sollte nicht einfach unreflektiert wiedergegeben werden: Vorteile wie die inklusive Mitglied-schaft oder der umfassende Sicherheitsbegriff schaffen gegenüber ande-ren Organisationen auch heute noch einen einzigartigen, komparativen Mehrwert. Die Verantwortung für Stillstand innerhalb der OSZE liegt zudem primär bei den politisch Mächtigen in Washington, Moskau und anderswo und nicht etwa beim OSZE-Sekretariat in Wien oder dem Amtierenden Vorsitzenden in Bern.

Es gilt ferner, 2014 in der Öffentlichkeit sowohl in der Schweiz als auch im ganzen OSZE-Raum ein häufiges Missverständnis zu wider-legen: Die OSZE ist keine Wertegemeinschaft. Sie entstand historisch vielmehr als Dialogprojekt zwischen zwei antagonistischen Blöcken im Kalten Krieg. Wichtigstes Markenzeichen der KSZE und später auch der OSZE war es stets, Gegensätze zu überwinden und ideologische Trennlinien durch Vertrauensbildung, Dialog und Konsenssuche ab-zubauen. Die Helsinki-Schlussakte von 1975 war mit ihrem Fokus auf kooperative Sicherheit gerade deshalb sicherheitspolitisch innovativ und originär, weil sich zwei Erzfeinde auf gemeinsame Spielregeln für ein friedliches Zusammenleben einigten. Die Stärke der OSZE ist es also gerade, dass sie keine Wertegemeinschaft und Schönwetterorganisation darstellt, sondern eine Organisation ist, in der Staaten mit sehr schiedlichen Werten aus unterschiedlichen Kulturen und mit unter-schiedlichen historischen Erfahrungen aufeinanderstossen.80

Zwar strotzen die euphorische Charta von Paris (1990) und die Er-klärung von Astana (2010) von Formulierungen, die von einer Werte-gemeinschaft von Vancouver bis Wladiwostok sprechen. Und in den 1990er-Jahren profilierte sich die OSZE sehr stark als westliche Demo-kratieexport- und Menschenrechts-Organisation. Aber vielleicht hilft

80 Lynch, State of the OSCE, S. 6.

eine Rückbesinnung auf die Ursprünge der OSZE dabei, die Organisa-tion wieder ausgeglichener und relevanter werden zu lassen – ohne da-bei die erreichten Fortschritte im Bereich der menschlichen Dimension zu gefährden.

Der Schweiz gibt die OSZE-Präsidentschaft 2014 die Möglichkeit, sich als zuverlässige und aktive Brückenbauerin auszuzeichnen und die traditionellen Stärken ihrer vermittelnden, präventiven Diplomatie aus-zuspielen. Ihre Mediationstätigkeit profitiert vom Umstand, dass die neutrale Schweiz über keinen historisch belasteten Rucksack verfügt und über keine strategischen Hintergedanken. Die Schweiz kann sich dank des OSZE-Vorsitzes in der europäischen Sicherheitspolitik als Mode-ratorin empathisch und solidarisch engagieren und dabei sowohl zwi-schen Ost und West glaubwürdig vermitteln als auch gleichzeitig ihre eigenen aussen- und sicherheitspolitischen Interessen als Primus inter pares einbringen. Kurzum: Vom Projekt «OSZE-Vorsitz 2014» dürften sowohl die Schweizer Aussenpolitik als auch die OSZE profitieren. Al-lerdings erschwert die politische Grosswetterlage die Bemühungen der Schweiz, die konsensbasierte OSZE um den entscheidenden «goldenen Millimeter» voranzubringen.81

81 Der litauische Aussenminister Audronius Ažubalis prägte 2011 den Ausdruck des «goldenen Millimeters». Er sagte: «Die OSZE ist eine Organisation, in der Fortschritt in Millimetern gemessen wird, aber sie sind Gold wert.» (Übersetzung des Autors). Zitiert nach Janeliunas, Lithuanian OSCE Chairmanship, S. 72.

BestanDsaUfnahme eIner aUssenPOlItIschen aKzentsetzUnG

von Jonas Grätz

Die Schweiz strebt seit 2005 eine engere Partnerschaft mit Russland an. Sie ist aufgrund ihrer Neutralität und des sicheren Finanzplatzes interessant für die russische Wirtschaft und Politik. Russische Rohstoffe sind umgekehrt zent-ral für den Schweizer Finanzplatz und Transithandel. Bern gelang es, durch Vermittlungsdienste und konkrete Angebote in der zivilen und militärischen Zusammenarbeit das Verhältnis zur russischen Führung zu verbessern. Büro-kratische Hemmnisse und das politische System in Russland verhindern jedoch eine Weiterentwicklung des Potenzials. Ein stärkerer Fokus auf die Förderung zwischengesellschaftlicher Beziehungen tut Not.

eInleItUnG

2005 beschloss der Schweizer Bundesrat eine Neudefinition seiner aus-senpolitischen Prioritäten. Statt einer engeren Assoziierung mit der EU wurde eine vertiefte Zusammenarbeit mit den USA, aber auch mit «auf-strebenden» Staaten wie China, Russland, Brasilien oder Indien ange-strebt.1 Mit der «Aussenpolitischen Strategie 2012 – 2015» wurde diese Schwerpunktverlagerung zwar bereits wieder relativiert und grösseres Augenmerk auf Nachbarstaaten und -regionen gelegt.2 Dennoch lohnt es, der jüngsten Entwicklung der bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Russland nachzugehen, denn daraus lassen sich Hinweise auf Nutzen und Probleme des Konzepts der «strategischen Partnerschaf-ten» ziehen.

1 Möckli, Daniel. Schweizer Aussenpolitik: Wandel und Klärungsbedarf. CSS Analysen zur Sicherheitspolitik, Nr. 44 (2008); Häfliger, Markus. Ich bin keine Träumerin. In: NZZ am Sonntag. 22. Mai 2005.

2 Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Bericht über die aussenpolitischen Schwerpunkte der Legislatur (aussenpolitische Strategie 2012 – 2015). 21.2.2012.

Aktuelle Diskussion

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Historisch betrachtet sind die Voraussetzungen für engere Bezie-hungen zwischen der Schweiz und Russland heute so vielversprechend wie nie: Die tiefen ideologischen Gräben, welche die Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert prägten, sind nicht zu-, wohl aber aufgeschüt-tet worden. Russland ist kapitalistisch und hat – theoretisch – eine de-mokratische politische Ordnung. Es ist daher heute mit der Schweiz eher kompatibel, als es das despotische Zarenreich im 19. Jahrhundert oder die Sowjetunion in weiten Teilen des 20. Jahrhunderts war. Die Schweiz und Russland teilen zudem als Nichtmitglie-der von EU und Nato heute ein Interesse an der Stärkung derjenigen internationalen Organisationen, bei denen sie Vollmitglieder sind, wie etwa der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der UNO. Auch sprechen so-wohl die Schweiz als auch Russland davon, dass Recht statt Macht in internationalen Beziehungen bestimmend sein soll.

Nichtsdestotrotz bestehen deutliche Unterschiede fort oder vertie-fen sich gar. Zu nennen wäre hier die politische Kultur, die damals wie heute Differenzen in Bezug auf die Aufgaben des Staates und die Bür-gerrechte begründet.3 Hier hat eine Konvergenz bisher nicht stattge-funden, da in Russland unter Vladimir Putin eine Rückbesinnung auf einen omnipräsenten und nach aussen hin starken Staat stattgefunden hat, in dem Interessen der Amtsträger häufig über Individualrechten ste-hen. Auch die Grösse der Akteure bleibt sehr unterschiedlich: Russland ist eine Grossmacht mit Nuklearwaffen und ständigem Sitz im UNO-Sicherheitsrat und verfügt über Energierohstoffe als neue Einflussmög-lichkeit. Die Schweiz ist ein liberaler Handelsstaat und ein Knotenpunkt der Finanzwirtschaft mit geringem politischem Einfluss. Russland kann daher seine globalen Ansprüche mit grösserem Nachdruck vertreten und sieht seine Nachbarstaaten als beschränkt souverän an, während die Schweiz auf Rechtstaatlichkeit in internationalen Beziehungen angewie-sen ist. Diese Unterschiede verdichten sich zu unterschiedlichen geo-strategischen Interessen: Die Schweiz profitiert nach wie vor von dem

3 Collmer, Peter. Die Schweiz und das russische Reich 1848 – 1919: Geschichte einer europäischen Verflechtung. Zürich: Chronos, 2004.

Die Schweiz profitiert

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