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Die Lebenserzeugung im Organismus der Menschheit

E r s t e s C a p i t e l .

Die Polarität und das Gleichgewicht der Geschlechter.

•j. 1. Ethische Bedeutsamkeit der Frage. Monogamie, Einheit und gliedliche Organisation des Menschengeschlechts.

Es könnte auf den ersten Blick scheinen, als läge die Frage nach dem statistischen Verhältniss der beiden Geschlechter ausserhalb des Kreises meiner Untersuchung. Denn ob mein-Knaben oder Mäd­

chen, sei es in einer einzelnen E h e , sei es in einem ganzen Lande geboren werden, ob sich ein constantes Verhältnis der Knabenmehr-geburten nachweisen lässt, ob das männliche Geschlecht im jugend­

lichen, das weibliche im höheren Alter zahlreicher vertreten ist, j a selbst die wichtige und interessante Frage, ob wirklich zur Zeit der Geschlechtsreife ein Gleichgewicht eintritt, hat docli mit dem Willen des Menschen, also auch mit der Morali tat desselben gar nichts zu thun. Eltern, die sich vielleicht nach männlicher Nachkommenschaft sehnen, müssen die betrübende Erfahrung eines „töchterreichen"

Hauses machen, und Mütter, die im Hinblick auf ein „Regiment von Söhnen", mit welchem sie beschenkt worden, nach einer „Mädchenge­

burt" seufzen, müssen sich in die bittere Notwendigkeit schicken.

Wie gehört also diese Untersuchung in eine Moralstatistik? Welch1 ein ethisches, näher social-ethisches Interresse hat sie?

Ich glaube, ein sehr grosses und bedeutsames. Allerdings hängt die Gruppirung und V e r t e i l u n g der Geschlechter nicht vom mensch­

lichen Einzel-Willen ab. Aber ein Wille offenbart sich doch in dieser

„vortrefilichen Ordnung in der Fortpflanzung beider Geschlechter" — wie S ü s s m i l c h sie bezeichnet1) — ein Wille, der sich trotz tau­

sendfacher Störungen und sogenannter „Zufälligkeiten*' durchsetzt und nicht blos die Bestimmung des Menschen zur Monogamie, son­

dern auch die gottgewollte Einheit des Menschengeschlechts und die gliodlicho Zusammengehörigkeit desselben, wenn auch nicht geradezu beweist, so doch eigentümlich und interessant beleuchtet.

Was zunächst die Monogamie betrifft, so versteht sich's von 1) V g l . (iöttl. Ordnung I I , S. 243 ff.

§. 1. Die Polarität der Geschlechter und die Monogamie. 51 selbst, dass die Ausschliesslichkeit des ehelichen Verhältnisses durch andere als statistische Gründe ethisch motivirt sein will. Die sittliche Idee der Ehe, das Ein Fleisch und Ein Geist sein, die Begründung der Einen Hausgenossenschaft, das Wesen ehelicher Liebe, die Fa-miliengemeinsehaft und Kindererziehung — alle diese Moniente wer­

den die Monogamie als die einzig sittlich berechtigte Form ehelicher Gemeinschaft darthun können und müssen1). Nichts desto weniger ist es von tiefgreifender Bedeutung, dass auch die innerhalb der Menschheit waltende Naturordnung, der geordnete Haushalt in dem ewigen Kreislauf, in der steten Reproduction der Geschlechter die desfallsige Bestimmung des Menschen aufs Klarste und Unzweideu­

tigste kennzeichnet.

Wie häufig haben seichte und rohe Menschen, ohne zu wissen, was sie redeten, die vermeintlich aus der geschlechtlichen Naturord­

nung geschöpfte Behauptung gewagt, die grössere Zeugungskraft des Mannes berechtige, j a nöthige eventuell zur Polygamie. Allein die Idee, dass die Bevölkcrungsvermehruug durch Relaxationen in diesem Punkte, (1. h. mittelst Durchbrechung der strengen Monogamie ge­

fördert werden könne, ist längst statistisch widerlegt. Und von der andern Seite wird die sogenannte M a l t h u s ' s c h c Enthaltsamkeits­

theorie 2) , welche aus der Furcht vor allgemeiner Uebervölkerung und steigendem Pauperismus entstanden ist, dem durch die Statistik von neuem erhärtetem Urgesetz nicht gerecht, nach welchem es noch gegenwärtig heisst: „Und er schuf sie als Mann und Weib und seg­

nete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch unterthan." — Unglaublich aber erscheint es, wenn H o r n , wie einst M o n t e s q u i e u , für seine Behauptung eines Ueberschusses der weiblichen Geburten in orientalischen Län­

dern, wo Polygamie als Unsitte herrscht, das Zeuguiss „berühmter Reisenden" ( N i e b u h r , J o m a r d , B r u c e u. s. w.) anführt3) und dabei vergisst, dass erstens auf solche Conjecturalstatistik einzelner Beobachter gar nichts zu geben ist, und dass zweitens schon S ü s s ­ m i l c h diese veraltete Behauptung gründlichst widerlegt h a t4) . Im Gegentheil, es müssen in den Orient Frauen eingeführt werden, um dem widersinnigen und naturwidrigen Serailgelüste zu dienen5). End die ärmere Bevölkerung beschränkt sich nicht blos auf die Monogamie, sondern hat öfters wegen Mangel an Frauen gar nicht die

Möglich-1) V g l . meine „Christi. Sittenlehre". Erlangen. Peichert. 1873. §.

2) S. weiter unten §. 22 ff.

3) V g l . H o r n : Bevölkerungswissensehaftliche Studien aus Belgien I . Brief 21. Dagegen W a n n a u s a. a. 0. H , S. 202.

4) Güttl. Ordnung I L §. 415 ff. S. 253 ff.

5) V g l . W a p p ä u s a. a. 0. I I , S. 170.

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keit zu heirathen. Das allgemeine empirische Gesetz von dem Gleich­

gewicht der Geschlechter setzt sich trotz aller störenden pjinflüsse auch dort durch.

Allein nicht blos für die Frage nach der Monogamie erscheint es unmöglich, liier eine „höhere vorsehungsvolle Ordnung zu verken­

nen" ( W a p p i l u s ) , sondern auch für die tiefere Erfassung der organi­

schen Einheit und des social-ethischen Zusammenhangs der Mensch­

heit ist sie von grundlegender Bedeutung.

Dass die Menschheit, zunächst physisch betrachtet, Ein grosser verzweigter Organismus ist, beruht auf der ursprünglichen und durch alle Jahrhunderte sich bewährenden Polarität der Geschlechter, d. h.

auf jenem geheimnissvollen Gegensatz l) , in welchem die Ergänzungs­

bedürftigkeit derselben begründet liegt. Zwei Pole sind es, die in ihrer eigenartigen Gegensätzlichkeit (positiv und negativ, productiv und receptiv, zeugungskräftig und empfänglich) auf einander sich stetig beziehen und nur in dem Gleichgewicht dieser gegenseitigen Beziehung das lebensvolle Dasein und die gesunde, fruchtbare Ent­

wickelung der Menschheit bedingen. J a alles höhere organische Leben hat diese geschlechtliche Polarität und das fortwährende Gleichgewicht der polaren Elemente zu seiner Voraussetzung.

Wie nun einerseits durch die Polarität und das stete Gleichge­

wicht der Geschlechter die ursprüngliche Einheit der Gattung zur höchsten Wahrscheinlichkeit erhoben wird, so erklärt sich andrerseits die gegenwärtige gliedliche Zusammengehörigkeit der Gattung aus der bisher unwiderlegbaren Thatsache, dass aus der geschlechtlichen Ver­

mischung die Fortpüanzungsfähigkeit aller, auch der verschiedensten Itacen und Arten innerhalb der Menschheit sich ergiebt. Wir werden gleich seilen, dass bei den heterogensten Nationalitäten — bei Weissen und Schwarzen — sich jenes Gleichgewicht ebenso im Grossen und Ganzen bewährt, als bei den verschiedensten Mischungsverhältnissen.

Und „immer circulirt ein neues Blut," das doch wieder das alte ist und die Blutsverwandschaft des ganzen Geschlechtes bezeugt. Oder,

1) W . S t i e d a (in seiner gründlichen „statistischen Studie": DasSexual-verhältniss der Geborenen, Strassburg 1875 S. 1 f.) scheut sich zwar — nach­

dem er einen kritischen Seitenblick auf meine „teleologische Auffassung" ge­

worfen — mit jenem „geheimnissvollen Gegensatze zu operiren", muss aber doch zugestehen, dass er die „Thatsache der Polarität der Geschlechter" trotz ihrer „offenbaren Zweckmässigkeit," nicht im Stande sei zu erklären. Nicht blos das „Geheimnissvolle", sondern das „Teleologische" bleibt also auch bei ihm besteben, da die notorische Mehrgeburt der Knaben dazu keines­

wegs, wie er sagt, „in Gegensatz tritt", sondern das Gleichgewicht in der Pubertätsperiode erst ermöglicht, ja tatsächlich hervorruft, weil der Knaben-mehrgeburt ein relativ stärkeres Sterbecontingent derselben entspricht.

§. 1. Die Polarität der Geschlechter und die Monogamie 53 um lieber mit dem Wort des Apostels allen alten und neuen Athenern und ihrem atomisirenden Barbarismus gegenüber die gewichtige Wahr­

heit zu bezeichnen, in welcher der gottgesetzte Keimpunkt aller H u ­ manität verborgen liegt: „Gott hat gemacht, dass von Einem Blut aller Menschen Geschlechter auf dem ganzen Erdboden wohnen, und hat Ziel gesetzt, zuvor versehen, wie lange und wie weit sie wohnen sollen" !). —

Dass aber die „Einheit" des Menschengeschlechts nicht blos eine schön verzierte Initiale unseres Daseins (Lotze) ist, sondern in die Gegenwart hineinragt, vermag die Statistik auch in der ihr e i g e n t ü m ­ lichen Art zu erweisen.

Allerdings eröffnet sich uns hier zunächst nur der Blick in den Naturgrund des gattungsmässigen Zusammenhangs der Menschheit.

Aber die Naturordnung erscheint als der Anknüpfungspunkt für die mit derselben verwachsene Geschichtsordnung. Natur- und Sittenge­

setz stehen nicht notwendig in exclusivem Verhältniss, sondern tra­

gen und bedingen sich gegenseitig. Die über den Willen der Einzel­

nen hinausgehende und ohne die bewusste Absicht dei' Gattung sich stets wieder erneuernde Polarität der Geschlechter soll von dem Be­

wusstsein und Willen der geschichtsfähigen Creatur durchdrungen und sittlich v e r w e r t e t werden.

E s wird und muss die Erkenntniss sich mehr und mehr Bahn brechen, dass auf Grund jener geheimnissvollen Zeugungsgesetze, j a auf Grund des schöpferisch geheiligten Verhältnisses von Mann und Weib die Menschheitsfaniiüc sicli als ein geordnetes und gliedlich zu­

sammenhängendes Reich zu entwickeln und auszugestalten habe. Die auf monogamischer Ehe ruhende Familie bildet die Grundlage für alle social-ethische Bewegung. Das Familiengesctz ruht aber auf der allgemeinen Erfahrung, dass fort und fort dem „Männlein" sein „Fräu­

lein" zugesellt werden kann, ohne dass in der objectiven Naturord­

nung eine wesentliche Störung oder ein dauernder Mangel in Betreff der Durchführbarkeit dieser Norm eintritt.

Die Verkehrung dieser Naturordnung — sei es durch Polygamie, sei es durch wilde Ehe und zuchtlose B e t ä t i g u n g des Gcschleliis-triebes — kann und wird allerdings die Verkrüppelung der social­

ethischen Zustände in haarsträubender Weise uns vergegenwärtigen.

Wo die Brunnenstube des Lebens versumpft, wo sie vergiftet wird, da muss auch die Folge todtbringend sein und den sittlich gearteten Gesammtorganismus zerfressen. Von Geschlecht zu Geschlecht grassirt dann das Uebel, die Existenz der Gesannntheit und der einzelnen Glieder pestartig bedrohend.

1) Apostelgesch. 17, 26.

Aber der Missbrauch hebt nicht blos nicht den Gebrauch auf, sondern wirft sein düsteres Licht auf die heilige Bedeutsamkeit und ursprüngliche Herrlichkeit des geschlechtlichen Verhältnisses.

Die Corruption in der Menschheit hat, wie wir sehen werden, in der schamlosen Entartung der Ehe und des Familienlebens viel­

fach ihren Ursprungspunkt, und umgekehrt wird die Erneuerung der­

selben nicht ohne Regeneration auf diesem fundamentalen Boden sitt­

lichen und socialen Gemeinschaftslebens vor sich gehen können. Auch hier predigen die Thatsachen gewaltig und offenbaren als Symptome das innere Siechthum dos Gosauiuitleibes. Allein, obgleich zum Tode krank und mit mannigfachem Siechthum sich quälend, ist der Organismus der Menschheit doch zum Leben bestimmt und wird durch geheimnissvolle, stetige Erhaltungsgesetze vor dem Untergange be­

wahrt. Diese Erhaltungsgesotze zeigen sich aber in jener merkwür­

digen, allgemeinen Erscheinung des von Generation zu Generation sich bewährenden Gleichgewichts der Geschlechter.

§. 2, Ziffermussigcr Nachweis dos durchschnittlichen Gleichgewichts.

Treten wir an die zählbaren Thatsachen näher heran. Da muss es zunächst auffallen, dass auf den ersten Blick sich eine unseren obigen Behauptungen scheinbar widersprechende Differenz und zwar eine nicht unbedeutende zwischen Knaben- und Mädchengeburten herausstellt.

Vielleicht auf keinem Gebiete der Statistik hat das sogenannte

„Gesetz der grossen Zahl" in dem Maasse angewendet werden können, wie hier, lieber 60 Millionen Geburten überhaupt, und weit über 70 Millionen solcher Fälle sind schon von R i c k e s gezählt und grup-pirt worden, in welchen Lebend- und Todtgeborene unterschieden wurden, was leider in Betreff des Geschlechtsunterschiedos in mehre­

ren Staaten, z. Ii. in l'reussen, Oesterreich, Württemberg u. A . längere Zeit hindurch nicht geschehen ist, während es doch von höchstem Interresse ist, in's Auge zu fassen, in welchem Maasse die grössere Anzahl todtgeborener Knaben die durchschnittliche Knabenmehrgeburt neutralisirt. Leider sind wiederum in England, Schweden und (bis 1840) in Frankreich nur die Lebendgeborenen gezählt worden. Eine Uniformität auch in diesem Punkte müssten doch endlich die stati­

stischen Congresse erzielen!

Nach dem Vorgange S ü s s m i l c h ' s4) hat man lange Zeit ange­

nommen — auch B u c k l e hebt noch die ungenaue und veraltete An­

gabe hervor2) — dass auf 20 Mädchen immer 21 Knaben oder auf I i Göttl Ordnung I I §. 413: Das Verhältniss der Knaben- und Mäd-ehengehurten wird hier wie 20 : 21 oder (?) 25 : 26 angegeben.

2; V g l . B u c k l e : Gesch. der Civ. in England I , 1 S. 147.

§. 2. Das Verhältniss der Knaben- n. Mädehengcburten. 55 WO Mädchen 104 bis 105 Knaben geboren werden. Theils durch grössere Anzahl der Daten, theils durch sorgfältige Unterscheidung der lebend oder todt. Geborenen hat man neuerdings festgestellt, dass unter den Lebendgeborenen das Verhältniss allerdings wie 100 : 105 genauer 100 : 105,-18 (d. h. etwa auf 1« Mädchen 19 Knaben) sich gestaltet, während mit Hinzurechnung der Todtgcborcuen auf KtO Mädchen 106,31 Knaben, also auf etwa 16 Mädchen 17 Knaben kommen

Ks schwankt dieses Verhältniss in den einzelnen Jahren mehr oder weniger und verwirklicht sicli nicht alljährlich in jeder Einzel-gemeinde. W a p p ä u s verlangt, um die Regel klar hervortreten zu lassen, eine Bevölkerung von '2 Millionen Einwohnern, während bei einer Bevölkerung von einer halben Million „das einjährige Verhält­

niss nur noch sehr wenig von dem Mittelverhältniss abweicht" a) . Nach seiner Berechnung (incl. Todtgeb.) kam z. B . in Hannover (1844—55) am meisten (107,18), in England am wenigsten Knabeu-mehrgeburt vor (104,48). Fasst man aber, wie es allein richtig ist, da bei der Todtgeburt die Knaben sehr stark (bis 40ü/0) prüva-lieren, n u r d i e L e b e n d g e b o r e n e n ins Auge, so stellt sich die Scala der Knabenmehrgeburt nach den Angaben des „Movimento dello stato civile" (Indroduzione con confronti di stat. internationale. Borna 1880 p. C X V I I ) für die neueste Zeit (1865—78) folgenderniaassen (mit Wcglassuug der Decimalstcllen) heraus:

Auf je 100 Mädchen wurden geboren a) 101 Knaben in russisch Polen

b) 104 „ „ England und Wales, Württemberg und an­

nähernd neuerdings in Norwegen.

c) 105 „ „ Deutschland (Preussen, Sachsen, Bayern, Thürin­

gen, Baden) in Frankreich, Irland, Schweiz, Hol­

land, Skandinavien, Russland, Ungarn.

d) 10(1 „ „ Schottland, Oesterreich (Cisl.), Serbien.

e) 107 „ „ Spanien und Italien.

fj 111 ,, „ Rumänien und Griechenland.

Der Unterschied zwischen a und f beträgt 10°/0, ein Beweis, dass hier noch kein allgemein-gültiges „Gesetz" herrscht, wie B u c k l e sagt; die Schwankungen zeigen sich keineswegs „nur in sehr geringem Maasse" (Kolb).

1) Jenes Procentverhältniss, wie W a p p ä u s es vor ein paar Jahrzehn­

ten berechnet hat, stellt sich noch neuerdings fast genau ebenso dar. Dr.

G e i s s l er (vgl. Zeitschr. des säclis. st. Bur. 187(5, S. 3G1 ff.) hat für ein so kleines Land wie Sachsen durch Zusammenfassung von 35 Jahren (1834—75) gefunden, dass daselbst auf 100 Mädchen excl. Todtgeb. 105,3 3 Knaben, incl.

Todtgeb. 10ßH 2 treffen.

2) V g l . W a p p ä u s a. a. 0. I I , S. 152.

Aber der Durchschnitt bleibt doch für jedes Land einigermassen stetig. Mit Ausnahme des Jahres 1871 hat England z. B . immer nur 104 Knaben- auf 100 Mädchengeburten; Italien schwankt höchstens zwischen 106 und 107, russisch Polen — wenn die Statistik zuver­

lässig ist — weist 1865—70 eine stetige Gleichzahl zwischen Knaben-und Mädchengeburten auf, meines Wissens eine ganz abnorme Er­

scheinung, während Rumänien und Griechenland eine exorbitant hohe relative Knabenmehrgeburt zeigt (schwankend zwischen 108 u. 113).

Ausserdem werden Schwankungen hervorgerufen nicht blos da­

durch, dass die Todtgeborcnen mitgezählt werden können oder nicht, sondern auch durch die unehelichen Geburten, die in jenen Gesammt-zahlen mit fungiren. Höchst merkwürdig ist es, dass bei unehelichen Verbindungen durchschnittlich der Kuabenüberschuss geringer er­

scheint. In wiefern diese Thatsachc mit der H o f a c k e r - S a d l e i n ­

sehen Hypothese von dem Einfluss des Alters der Eltern auf die Progenitur coinbinirt werden kann, soll später untersucht werden.

Auch in dieser Hinsicht tragen die einzelnen Länder eine ver­

schiedene Physiognomie. Ausser Griechenland, wo (1871—77) nur 95 unch. geb. Knaben auf 100 uneh. geb. Mädchen kamen, stellt sich (Movin. dello stato civ. 1880 p. C X X V I ) folgende Scala heraus:

Auf 100 unehelich geborene Mädchen wurden ausser der Ehe geboren:

a) 99 Knaben in der Schweiz.

b) Ю2 „ in Württemberg, Belgien, Holland.

c) ЮЗ in Frankreich, Bayern, Baden, Finnland.

d) 104 „ in Italien, England, und Wales, Deutschland, resp.

Preussen, Dänemark, Spanien.

e) 105 in Sachsen und Thüringen, sowie im europ. Russ­

land und Rumänien.

f) 100 ., in Schottland, Irland, Oesterreich (Cisl.), Schweden und Norwegen.

Dass in Serbien unter den unehelichen Kindern sogar 111 Kna­

ben auf WO Mädchen geboren werden, kann bei dem kleinen Lande und der unzuverlässigen Statistik daselbst nicht ins Gewicht fallen.

Im Ganzen bestätigt sich auch nach den neuesten Daten meine frühere Behauptung, dass die Mehrgeburt der Knaben aus unehelicher Gemeinschaft etwa um 1—2 Procent geringer ist, als bei ehelicher.

Interessant ist der Nachweis für Italien (Mov. dello stato civ. C X X I I ) , dass sich unter den unehelichen Kindern, wenn man die ausgesetzten (esposti) abzieht, unverhältnissinässig mehr Knaben finden (109) als nach der allgemeinen Durchschnittszahl (104). Es erklärt sich das daraus, dass viel seltener — namentlich unter den illegitimen Kin­

dern — Knaben ausgesetzt werden. Für die letzten 12

Beobacht-§. 3. Gleichgewicht in verschiedenen Alterssufen. 57 ungsjahre stellte sich nach der genannten Quelle heraus, dass in Italien gezahlt wurden

Unter den Todtgeborenen ist der Knabenüberschuss noch viel bedeu­

tender, was sich aus der schwierigen Geburt der ineist stärker ent­

wickelten männlichen Kinder von selbst ergicbt. Auf diesen social-ethisch nicht unwichtigen Tunkt komme ich später 54) zurück.

Hier interessirt er uns nur insofern, als mit dadurch für die späteren Lebensjahre ein Gleichgewicht sich herausstellt.

Schon aus der eben angeführten Thatsache lässt sich der Schluss ziehen, dass der Ueberschuss der Knabengeburten sich einigermassen ausgleicht durch die grössere Sterblichkeit der männlichen Jugend.

Das bestätigt sich auch in der That, so dass sogar der Ueberschuss bei der Geburt in den späteren Altersperioden mehr als aufgeho­

ben wird.

Namentlich in den ersten Lebensjahren erscheinen die Knaben häufiger gefährlichen Krankheiten ausgesetzt, so dass durchgehende mehr Todesfälle bei männlichen Kindern im zarten Alter vorkommen als bei weiblichen1).

1) Diese Thatsache hat neuerdings Dr. G e i s s l er in der schon erwähn­

ten trefflichen Abhandlung (Vergleichende Statist, der Geburts- und Sterblich­

keitsverhältnisse in Sachsen von 1834—75. Zeitschr. des sächs. stat. B 1876 S. 361 ff.) ebenfalls bestätigt. Darnach starben — mit Ausschluss der Todt­

geborenen — unter je lOOOO dem Tode verfallenen Einwohnern:

Durchseh. E rw a c l i s e n e K i n d e r im ers 11 e n L e b e n s j a h r

Höchst interesant ist es, hieraus zu entnehmen — was in §. 4 weiter verwerthet werden soll — dass gerade in den Zeiten, wo die

Männersterblich-auf 100 illegitime Mädchen

§. 3. Das Gleichgewicht der Geschlechter in den verschiedenen Altersperioden.

Es starben unter den lebend geboreneu Kindern ') auf KW) Mädchen:

K n a h e n

In im ersten: im 2.— .'

Preussen ( 1 8 3 7 - 4 6 ) : 124,4 6 103,8 7 Belgien ( 1 8 4 1 - 5 0 ) : 125,& 3 » 8 ,5 6 Niederlande (1840—51): 122,I Ö 102) 7 9 Frankreich (1853 und 54): 1251 ü 9 104,2. Norwegen ( 1 8 4 6 - 5 5 ) : K )3,5 1 Dänemark (1845—54): 123,2» 101,79 Schleswig-Holstein (1845 - 5 4 ) : 128,и

England (1851)-56): 127„1 8 102,2, Schweden (1851—55): 121,9» 10»,4.

Mittel 124,7, 102,9 1

Also starben im ersten Lebensjahre beinahe 25 Procent Knaben mehr als Mädchen, im zweiten bis fünften, und zwar in abnehmender regelmässiger Progression, gegen 3 Procent. Von da ab bleibt sich im Durchschnitt die Absterbeordnung gleich bis in's 50. Jahr, von wo ab ein bedeutender Ueberschuss des weiblichen Geschlechts durch grössere Lebensdauer desselben entsteht. Jedenfalls verbraucht das Leben mehr Männer, sofern diese durch Kriegsdienst, Seedienst2), gefährliche Berufstätigkeit (in Bergwerken, auf dem Meere, Fische­

rei, bei Maschinen, bei Bauten) verhältnissmässig schneller absorbirt werden. J a , die neueste Zusammenstellung für die Jahre 1865—1878 (Mov. dello stat. civ. 1880 p. C C X I V ) beweist, dass die männliche Sterb­

lichkeit überhaupt die weibliche in demselben Maasse überragt, als die Zahl der Knabengeburten die der Mädchengeburten. In Rumä­

nien und Griechenland z. B . wird die hohe Knabenmehrgeburt (111) aufgewogen durch die Sterblichkeitsziffer, nach welcher in denselben Ländern 117 resp. 110 Männer auf je 100 Frauen dem Tode verHelen, während in allen übrigen europäischen Ländern die männliche Sterb­

lichkeit durchschnittlich um 5 —6f t/0 (in Deutschland 1872—78 um 9, in Oesterreich um 8%) die weibliche überragt.

In Folgen dessen stellt sich, obwohl vom 40. oder 50. Jahre ab das weibliche Geschlecht bedeutend (mitunter um 100 Procent in den keit grösser wird (besondeis 1871—75) die Knabensterblichkeit abnimmt d. h.

die Kinder männlichen Gesehlechts mehr geschont und gepflegt werden, um die durch Krieg etc. geschlagene Wunde zu heilen.

1) V g l . W a p p ä u s : Quellenbelege a. a. 0. Bd. I I , S. 205. Note 31.

2) Das ist wohl auch der Grund, warum z. B. in Schottland und auf den Inseln der britischen See (Man und Normannen) die weiblichen In­

dividuen die männlichen so sehr überragen (11,G bis lG,5"/0 vgl. B r a c h e i i i : vergleich. Stat. 1867. S. 76). Das „vielfach gefährliche Gewerbe der Schiff­

fahrt und Fischerei" fordert in jedem Jahr eine Menge von Opfern.

§. 3. Gleichgewicht in verschiedenen Altersstufen. 59 höchsten Altersstufen) überwiegt, doch für das heirathsfähige Alter ein merkwürdiges Gleichgewicht heraus. Im Allgemeinen ergiebt sich aus den constatirten Daten in allen civilisirten Ländern, dass ,,in den Altersclasseu zwischen etwa 17 und 45 Jahren, der wichtigsten Periode in Bezug auf das Zusammenleben beider Geschlechter, das grösste numerische Gleichgewicht unter ihnen zu herrschen pflegt, d. h. zwar nicht absolute Gleichheit der Zahl für jedes Alter, was unmöglich ist und auch zwecklos sein würde, aber jedenfalls grössere Gleichheit während dieser wichtigsten Altersperiode, dieselbe als ein Ganzes ge­

nommen, als in den höheren und niederen Altersclasseu, was eben als Hauptzweck der ganzen, das Geschlechts-Verhältniss unter den Geborenen und den Sterbenden regelnden höheren Ordnung hervor­

gehoben werden muss" »).

Merkwürdig ist dabei, dass in der Zeit der Geschlechtsreife vom

Merkwürdig ist dabei, dass in der Zeit der Geschlechtsreife vom