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Leistungen beeinträchtigen

5 Schlussfolgerungen und weitere Perspektiven

5.1 Die Hauptergebnisse

Kapitel 2 bietet eine Bilanz der sozialpsychologischen Forschungsarbeiten, die zeigen, dass Stereotype Threat, das heißt die Angst, aufgrund von mit der Zugehörigkeit zu einer sozia-len Kategorie verbundener negativer Stereotypen für unzulänglich befunden zu werden, die Bildungserfolge von SchülerInnen mit Migrationshintergrund und aus Minderheiten ernst-haft beeinträchtigen kann. Insbesondere unterstützt ein in diesem Kapitel ausgewerteter umfassender Korpus an gut konzipierter experimenteller Forschung die Annahme, dass der Glaube von SchülerInnen an die Existenz negativer Stereotype über die intellektuellen Fä-higkeiten der eigenen sozialen Gruppe tatsächlich einen negativen Einfluss auf ihre Leis-tungen haben kann. Stereotype Threat kann bereits die schulischen LeisLeis-tungen von Kin-dern im Alter von nur 5 oder 6 Jahren beeinträchtigen, und die Effekte können recht stark sein. Über die Beeinträchtigung der schulischen Leistung hinaus führt Stereotype Threat zu einer Reihe von Verhaltensweisen, die ebenfalls zu einer Vergrößerung der Bildungsdiskre-panzen beitragen können, wie etwa die Vermeidung von Herausforderungen, Selbstbehin-derung, die Ablehnung von Feedback zu den eigenen Leistungen und ein Verlust der Bil-dungsmotivation.

Die Mechanismen, durch die der Stereotype Threat seinen negativen Einfluss ausübt, sind nicht so gut dokumentiert wie die Tatsache, dass es den Effekt gibt. Allerdings weisen eini-ge Forschungsereini-gebnisse darauf hin, dass der Stereotype Threat Bildungserfoleini-ge beein-trächtigt, indem Ängste der SchülerInnen wachsen, indem die Erwartungen der SchülerIn-nen hinsichtlich ihrer voraussichtlichen Leistungen sinken und indem die intellektuelle Leistungsfähigkeit dadurch geschmälert wird, dass andernfalls für die anstehende geistige Tätigkeit zur Verfügung stehende kognitive Ressourcen eingesetzt werden, um Ängste hin-sichtlich des Stereotype Threat zu verarbeiten oder zu unterdrücken.

In einigen Situationen ist die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Stereotype Threat größer als in anderen, so treten bei schwierigen Aufgaben mit größerer Wahrscheinlichkeit Wirkungen von Stereotype Threat auf. Außerdem scheinen Individuen, denen gute

Leis-tungen ein wichtiges Anliegen sind, die sich stark mit der mit Vorurteilen behafteten Grup-pe identifizieren, die Vorurteile erwarten und sich an ihnen stören und zu deren Persön-lichkeitsmerkmalen internale Kontrollüberzeugungen und ein starkes Self-Monitoring ge-hören, anfälliger für Stereotype Threat-Effekte zu sein.

Zu den durch Forschungsergebnisse gestützten Ansätzen zur Abschwächung des negativen Einflusses von Stereotype Threat gehören Maßnahmen, die den Glauben an einen verän-derlichen Intelligenzbegriff bestärken sowie solche, die SchülerInnen darüber aufklären, dass Stereotype Threat Ängste hervorruft, und sie so gegen dessen Wirkung „immunisie-ren“. Andere Maßnahmen fördern das Selbstbewusstsein der SchülerInnen, indem diese z. B. vor Prüfungen dazu angehalten werden, über wichtige positive persönliche Überzeu-gungen oder Werte nachzudenken. Andere Strategien setzen bei Beziehungen zwischen Gruppen an (relational strategies), indem etwa gut strukturierte Gelegenheiten für positive Kontakte zwischen SchülerInnen aus negativ stereotypisierten und anderen Gruppen ge-schaffen werden oder eine sorgfältig strukturierte Zusammenarbeit zwischen SchülerInnen mit unterschiedlichem Hintergrund gefördert wird. Derartige Ansätze sind ebenso viel ver-sprechend wie einige kontextbezogene Strategien, etwa die Darstellung der schulischen Ak-tivitäten in einer Art und Weise, die sie nicht mit stereotypisierten Bereichen in Verbindung bringt, und dafür zu sorgen, dass die von Stereotypen bedrohte Gruppe stärker als nur symbolisch vertreten ist.

Kapitel 3 geht darauf ein, wie die Erwartungen von LehrerInnen hinsichtlich der Fähigkei-ten ihrer SchülerInnen die Bildungserfolge der SchülerInnen mit Migrationshintergrund beeinflussen können. Insgesamt wird festgehalten, dass Lehrererwartungen Einfluss auf die Leistungsentwicklung der SchülerInnen nehmen, der Umfang der Erwartungseffekte je-doch stark von einer Anzahl von Moderatoren und Mediatoren abhängt. So wirken sich Erwartungseffekte bei SchülerInnen aus unteren sozialen Schichten und bei SchülerInnen aus Minderheiten häufig stärker aus als bei anderen SchülerInnen. Zudem weist ein relativ kleiner Korpus an experimenteller Forschung darauf hin, dass die negativen Erwartungen, die viele LehrerInnen an Kinder aus unteren sozialen Schichten und aus Minderheiten ha-ben, zu unangemessen niedrigen Zensuren für diese SchülerInnen führen können. Insge-samt verweisen die Kapitel 2 und 3 auf noch wenig bekannte Wege, in denen die soziale Herkunft vermittelt über soziale Prozesse im Klassenraum die Bildungserfolge von Schüle-rInnen beeinträchtigen kann.

Lehrererwartungen scheinen Einfluss auf SchülerInnen auszuüben, indem sie zu einem un-terschiedlichen Verhalten der LehrerInnen gegenüber leistungsschwächeren bzw. leistungs-stärkeren SchülerInnen führen. Die Verbindung zwischen den Erwartungen und der Leis-tungsentwicklung der SchülerInnen wird offenbar vermittelt über eine Reihe von Faktoren, zu denen Unterschiede im sozio-emotionalen Verhalten der LehrerInnen gegenüber den jeweiligen SchülerInnen, Ausmaß und Art des Feedbacks, das SchülerInnen erhalten, der Einsatz von anspruchsvollem Lehrmaterial und die Möglichkeiten der einzelnen SchülerIn-nen zur Teilnahme am Unterrichtsgeschehen gehören.

Es ist davon auszugehen, dass Erwartungseffekte besonders in den ersten Grundschuljah-ren vorkommen und einen größeGrundschuljah-ren Einfluss auf SchülerInnen ausüben, die sich in einer ihnen fremden Situation befinden. Darüber hinaus ist es bei stillen SchülerInnen oder

SchülerInnen, die sich nicht so stark um eine Interaktion mit dem Lehrer bemühen, wahr-scheinlicher als bei anderen, dass sie - unabhängig von ihrem tatsächlichen Potential - nied-rige Erwartungen auf Seiten der LehrerInnen wecken. Dies wiederum hat weit reichende Konsequenzen hinsichtlich der festgestellten Diskrepanzen im Bildungserfolg, da Schüle-rInnen mit Migrationshintergrund aufgrund einer geringeren Vertrautheit mit der Unter-richtssprache unter Umständen häufiger solch ein Verhalten zeigen als ihre MitschülerIn-nen.

Einige WissenschaftlerInnen glauben, dass eine Aufklärung von LehrerInnen über die mögliche Existenz von Erwartungseffekten zu deren Abbau beitragen könnte. Bisher aller-dings ist diese Annahme nicht durch sorgfältige Forschungsarbeiten überprüft worden. Al-lerdings legen einige Studien nahe, dass es möglich ist, Verhaltensunterschiede von Lehre-rInnen gegenüber SchüleLehre-rInnen, denen hohe und niedrige Erwartungen entgegengebracht werden, anzugehen, und dass die Veränderung dieses Verhaltens zu verbesserten Bildungs-leistungen unter mit geringen Erwartungen konfrontierten SchülerInnen führen kann. An-dere Forschungsarbeiten zeigen, dass die Leistungen von SchülerInnen, An-deren Fähigkeiten als eher gering eingeschätzt werden, durch den Einsatz von anspruchsvollem Lehrmaterial verbessert werden können.

Kapitel 4 behandelt den Einfluss verschiedener Arten der Leistungsgruppierung auf die Bildungsdiskrepanzen. Zudem wird dort der Einfluss der sozioökonomischen Zusammen-setzung von Schulklassen und Schulen auf die Leistungen diskutiert. Das Kapitel kommt zu der Schlussfolgerung, dass die Leistungsgruppierung innerhalb einer Klasse keinen starken Einfluss auf die Diskrepanzen im Bildungserfolg zwischen Kindern mit und ohne Migrati-onshintergrund hat, obwohl leistungsschwächere Kinder in heterogenen Gruppen unter Umständen bessere Leistungen erzielen als in homogenen Gruppen. Auch die Leistungs-gruppierung in Form paralleler Klassen oder Kurse scheint nicht substantiell zu den Dis-krepanzen beizutragen, wenn nach einem einheitlichen Lehrplan unterrichtet wird.

Leistungsgruppierungen mit Lehrplandifferenzierung hingegen haben einen deutlichen Ein-fluss auf die Entstehung der Bildungsdiskrepanzen. Erstens beschleunigen Förderklassen für besonders leistungsstarke SchülerInnen offensichtlich deren Lernen. Gesetzt den Fall, dass SchülerInnen mit Migrationshintergrund weniger oft in diesen Gruppen vertreten sind als ihre MitschülerInnen, würden solche Klassen zu einer Vergrößerung der Diskrepanzen im Bildungserfolg beitragen. Zweitens steigert die Leistungsgruppierung mit Lehrplandiffe-renzierung, wie sie im Falle der Existenz unterschiedlicher Schultypen oder Kursniveaus vorkommt, die Diskrepanz im Bildungserfolg zwischen ursprünglich leistungsstärkeren und leistungsschwächeren SchülerInnen weiter, indem die Entwicklung derjenigen in den nied-rigeren Schultypen oder Kurszweigen beeinträchtigt wird. Zudem können Leistungsgrup-pierungen in manchen Fällen die Leistungsentwicklung in den oberen Schultypen oder Kurszweigen noch weiter begünstigen. Soweit es eine Verbindung zwischen Migrationshin-tergrund und ursprünglich niedrigem Leistungsniveau gibt, tragen Politiken und Strukturen, die eine Homogenität von Lerngruppen, begleitet vom Einsatz unterschiedlicher Lehrplä-ne, begünstigen, zur Vergrößerung der Bildungsdifferenzen zwischen SchülerInnen mit und ohne Migrationshintergrund bei. Dies gilt auch dann, wenn es nicht zu einer Diskrimi-nierung bei der Zuordnung zu verschiedenen Lerngruppen oder Schultypen kommt.

Die gängigen Unterschiede zwischen den Lernumgebungen in den oberen und unteren Schulzweigen oder Kurszweigen hinsichtlich ihrer Lehrinhalte, der pädagogischen Ziele und des pädagogischen Verhaltens verstärken offenbar den Zusammenhang zwischen der Existenz homogener Lerngruppen mit Lehrplandifferenzierung und den Bildungsdiskre-panzen. Zusätzlich können in diesen Umgebungen auch Unterschiede im Verhalten der MitschülerInnen einen eigenständigen Einfluss auf die einzelnen SchülerInnen ausüben und deren Leistungsentwicklung auch dadurch beeinflussen, indem die LehrerInnen in ih-rem Verhalten auf solche Unterschiede reagieren.

Die soziale Zusammensetzung von Schulklassen und Schulen scheint ebenfalls einen Ein-fluss auf die Bildungserfolge von SchülerInnen zu haben, wobei es sich förderlich auf die Bildungsentwicklung der einzelnen SchülerInnen auswirkt, wenn die MitschülerInnen vor-wiegend aus höheren sozialen Schichten kommen, wohingegen es die Bildungserfolge ein-zelner SchülerInnen beeinträchtigt, wenn die Schülerschaft vorwiegend aus unteren sozia-len Schichten kommt. Dieser Effekt kann substantiell sein und in einigen Fälsozia-len dem Ein-fluss des sozioökonomischen Hintergrunds der eigenen Familie der SchülerIn auf den Bil-dungserfolg gleichkommen oder diesen sogar übertreffen. Soweit SchülerInnen mit Migra-tionshintergrund vorwiegend Schulen mit einer Schülerschaft aus unteren sozialen Schich-ten besuchen – und dies ist in vielen Ländern der Fall – werden die Bildungsdifferenzen zwischen ihnen und SchülerInnen ohne Migrationshintergrund vermutlich dadurch gestei-gert.

Die Prozesse, durch die der durchschnittliche sozioökonomischen Status der Schülerschaft die Bildungserfolge beeinflusst, sind nicht umfassend bekannt, da zahlreiche Forschungsar-beiten diesen Effekt gezeigt haben, ohne gleichzeitig näher zu untersuchen, warum es zu diesem Effekt kommt. Es ist aber wahrscheinlich, dass der in einer Schule oder einem Klassenverband vorherrschende sozioökonomische Status seine Wirkung sowohl durch seinen Einfluss auf das Lehrerverhalten als auch auf das Verhalten der MitschülerInnen ausübt. Soweit das Lehrpersonal es vorzieht, mit SchülerInnen aus höheren sozialen Schichten und ohne Migrationshintergrund zu arbeiten, kann die Zusammensetzung von Schulen und Klassenverbänden auch beeinflussen, wie befähigt das zur Unterrichtung der SchülerInnen zur Verfügung stehende Lehrpersonal ist.

Es ist eine nahe liegende Schlussfolgerung aus der in Kapitel 4 erfassten Forschung, dass die Auflösung von Leistungsgruppierungen in Schulklassen und Schulen vermutlich zur Verringerung der Unterschiede im Bildungserfolg zwischen ursprünglich leistungsstärkeren und leistungsschwächeren SchülerInnen beitragen würde. In der Tat zeigen in Kapitel 4 diskutierte Studien, dass Schulen durch eine wohl bedachte und vorsichtige Auflösung der Leistungsgruppierungen zu beeindruckenden Ergebnissen kommen können. Allerdings sind Ansätze zu einer Aufhebung der Leistungsgruppierungen in nahezu allen Fällen poli-tisch kontrovers und schwer durchsetzbar. Eine weitere wichtige Schlussfolgerung aus der in Kapitel 4 ausgewerteten Forschung ist, dass soziale Faktoren oder eine Bildungspolitik, die eine Konzentration von SchülerInnen mit Migrationshintergrund in bestimmten Klas-senverbänden oder in Schulen mit einer Schülerschaft mit niedrigem sozioökonomischem Status bewirkt, aller Voraussicht nach ihre Bildungsentwicklung behindert und dazu bei-trägt, die Bildungsdiskrepanzen zwischen ihnen und anderen SchülerInnen zu vergrößern.

5.2 Übereinstimmende Schlussfolgerungen aus der Analyse