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Die Hamburger AssistenzGenossenschaft:

Im Dokument Zehn Jahre Autonom Leben: (Seite 21-25)

Zu einem würdigen und selbstbestimmten Leben gehört für hilfeabhängige Menschen im besonderen Maße, daß sie über die Art und Weise der benötigten Hilfe und darüber, wer diese Hilfe ausübt, selbst bestimmen können.

Um das zu ermöglichen, haben sich behinderte Menschen aus Hamburg, die auf die Hilfe und Pflege anderer Menschen angewiesen sind, in der Hamburger Assistenzgenossenschaft (H.A.G.) zusammengeschlossen. Die H.A.G. ist eine gemeinnützige Genossenschaft.

Persönliche Assistenz statt Betreuung

Hilfeabhängige Menschen wissen selbst am besten, welche Hilfe und Pflege sie brauchen und wie und wann sie diese bekommen wollen. Sie können selbst am besten entscheiden, was für Fähigkeiten und Qualifikationen die Menschen haben müssen, von denen sie Unterstützung bekommen.

"Helfen" führt sehr leicht zu einem Abhängigkeitsverhältnis. Gerade diejenigen, die auf viel Hilfe, auch bei den ganz persönlichen alltäglichen Verrichtungen angewiesen sind, werden von den Helfenden oft bevormundet und unselbständig gemacht. Eine solche "Betreuung" macht sie vielfach erst zu "Behinderten".

Die H.A.G. will eine Umverteilung der Macht zwischen Hilfegebenden und Hilfenehmenden. Die in der H.A.G. zusammengeschlossenen

behinderten Menschen wollen keine "Betreuung", sondern persönliche Assistenz.

Schon der andere, neue Begriff macht deutlich, daß die persönliche Assistenz durch die Wünsche und die Bedürfnisse des hilfeabhängigen behinderten Menschen bestimmt wird, sowie durch dessen individuellen Fähigkeiten, und

nicht durch die Bedürfnisse und Vorstellungen der Hilfegebenden, den Arbeitszeiten von ambulanten Pflegeanbietern oder durch die Regeln und Vorschriften von stationären Einrichtungen.

Persönliche Assistenz beinhaltet je nach Bedarf u.a.: Hilfe bei den alltäglichen Verrichtungen, wie Essen, Anziehen, Waschen, etc; medizinische Pflege; Hilfe bei der Haushaltsführung; soziale Begleitung; Assistenz am Arbeitsplatz oder in der Ausbildung; Unterstützung bei der Lebensgestaltung und -führung.

Die persönliche Assistenz soll gewährleisten, daß behinderte Menschen trotz Hilfeabhängigkeit so viel wie nur irgend möglich an eigener Kompetenz behalten oder zurückerhalten.

Mängel der Sozialstationen und Pflegefirme

Die persönliche Assistenz über einen längeren Zeitraum ist weder unter den gegenwärtigen Bedingungen der stationären Einrichtungen noch mit dem momentanen Angebot an ambulanten Hilfen durch die 41 Sozialstationen oder durch die rund 300 privaten Pflegeanbieter möglich.

Überall dort können behinderte, kranke oder alte Menschen gar nicht oder nur sehr eingeschränkt darüber bestimmen, werihnen hilft und wieund wann sie die Hilfe bekommen.

Ob im Heim, bei den Sozialstationen oder den Pflegefirmen, immer wird die Art, Form und der Zeitpunkt der Hilfe, der Arbeitsablauf und der Personaleinsatz von den Angebotsträgern und deren MitarbeiterInnen bestimmt. Die Interessen, Gestaltungs- und Veränderungswünsche der Betroffenen fallen meistens den Anforderungen an einen reibungslosen und effektiven Personaleinsatz zum Opfer.

Die Hilfeleistungen werden als Sachleistungen bei den Leistungsberechtigten erbracht und ihr Preis durch Pflege- oder Stundensätze zwischen den

Kostenträgern (Sozialämter, Krankenkassen, u.a.) und den Hilfeanbietern ausgehandelt.

Der Umfang der Hilfe orientiert sich an den Vorstellungen der Kostenträger über das, was den behinderten Menschen rechtlich zusteht. Diese selbst haben kaum Einfluß- oder Kontrollmöglichkeiten.

Diese Praxis widerspricht allerdings der tatsächlichen Rechtslage, die die Bedürfnisse und Gestaltungswünsche der Anspruchsberechtigten in den Mittelpunkt stellt. Soweit die finanziellen Mittel von den Leistungsberechtigten nicht selbst erbracht werden können, sind diesen die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen.

Um diese bestehenden Rechte auch wahrnehmen zu können, müssen die betroffenen Menschen die finanziellen Mittel unter eigener Kontrolle zur Verfügung gestellt bekommen.

Die Sozialstationen und die privaten Pflegeanbieter können die Nachfrage nach ambulanten Hilfen nicht befriedigen. Zeitlich umfangreiche Assistenzen oder Begleitdienste für Freizeit oder am Arbeitsplatz, also gerade das, was ein

würdiges Leben behinderter Menschen in der Gemeinschaft erst ermöglicht, sind dort nicht oder nur sehr ungenügend zu bekommen.

Wenn es zu Problemen zwischen den hilfeabhängigen Menschen und den hilfegebenden MitarbeiterInnen der Sozialstationen oder der privaten

Pflegeanbieter kommt, müssen die Betroffenen meist alleine damit fertig werden.

Es gibt keine Schlichtungsstelle, keine psychologische Begleitung oder andere Formen der Unterstützung für die Assistenznehmenden und die

Assistenzgebenden, wie regelmäßiger Erfahrungsaustausch oder Fortbildungsangebote.

Die Assistenzgenossenschaft

Dadurch, daß die Arbeitgeberfunktion bei den Heimträgern, den Sozialstationen oder den Pflegefirmen liegt, haben die hilfenehmenden Menschen nicht das Recht, das Personal auszuwählen, das bei ihnen arbeiten soll.

Viele Hilfen, insbesondere im Bereich der medizinischen oder körperlichen Pflege setzen ein besonderes Vertrauensverhältnis und gegenseitiges Verständnis voraus. Deshalb muß den Hilfenehmenden mindestens ein Ablehnungs- und Mitentscheidungsrecht zustehen.

Am weitesten geht dieses Recht, wenn die Hilfebenötigenden selbst die Arbeitgeberfunktion übernehmen. Sie müssen aber dann auch sämtliche

organisatorischen Leistungen, Risiken und Verantwortlichkeiten als Arbeitgeber selbst übernehmen. Viele dieser Menschen scheuen vor dieser Verantwortung und diesen Verpflichtungen zurück.

Gegenwärtig gibt es nur die Alternative, entweder auf die Einflußnahme auf Art und Weise der benötigenden Hilfe zu verzichten und sich dem Angebot der Sozialstationen und Pflegefirmen zu unterwerfen oder alleine die

Arbeitgeberfunktion zu übernehmen.

Die Hamburger Assistenzgenossenschaft will die Vorteile beider Möglichkeiten zusammenfassen und deren Nachteile vermeiden.

Die H.A.G. schließt mit den sich an sie wendenden behinderten Menschen sogenannte Assistenzverträge. In diesen werden die Verpflichtungen der

assistenznehmenden Menschen festgelegt und die Leistungen der H.A.G.

vereinbart.

• Die behinderten Menschen suchen sich die benötigten AssistentInnen selber - allein oder mit Hilfe der H.A.G. - und die H.A.G. stellt als gemeinsame Arbeitgeberin diese bei sich ein.

• Die H.A.G. schließt mit den AssistentInnen feste Arbeitsverträge, die die Arbeitsbedingungen, die Arbeitsinhalte und die gegenseitigen Erwartungen so genau wie möglich bestimmen, und die auch die tariflichen

ArbeitnehmerInnenrechte garantieren.

Nur durch tarifvertragliche Bezahlung und gegenseitige vertragliche Absicherung wird es möglich sein, ausreichend AssistentInnen zu finden und für die

AssistenznehmerInnen die nötige Kontinuität und Sicherheit zu schaffen.

• Die H.A.G. macht die Lohnbuchhaltung und die anderen organisatorischen, arbeits- und versicherungsrechtlichen Notwendigkeiten.

• Die H.A.G. unterstützt bei Bedarf die mit ihr zusammenarbeitenden behinderten Menschen bei den Verhandlungen mit den jeweils zuständigen Kostenträgern über Art und Umfang der benötigten Assistenz.

• Die H.A.G. hilft bei der Suche nach AssistentInnen. Sie organisiert AssistentInnen für Notdienste oder für die Vertretung im Krankheits- oder Urlaubsfall.

• Die H.A.G. vermittelt bei Problemen zwischen den AssistenznehmerInnen und den AssistenzgeberInnen. Sie organisiert regelmäßigen Erfahrungsaustausch und Fortbildungen für die hilfeabhängigen Menschen, ebenso für die

AssistentInnen.

• Die H.A.G. schafft auf diese Weise attraktive Arbeitsplätze für

unterschiedlich qualifizierte und ausgebildete Menschen - auch für diejenigen, die bereits aus den Pflegeberufen wegen der dortigen Arbeitsbedingungen

ausgeschieden sind.

Warum eine Genossenschaft ?

Eine Genossenschaft ist eine sehr demokratische Organisationsform. Jedes Mitglied hat eine Stimme, unabhängig davon wieviele Anteile der Genossenschaft es erworben hat.

Eine Genossenschaft verbindet ein großes Maß an Eigenständigkeit und Individualität der einzelnen GenossInnen mit der Möglichkeit und der Notwendigkeit des gemeinsamen Auftretens und Handelns.

Die persönlichen Assistenz,die ja ganz nach den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten des einzelnen behinderten Menschen ausgerichtet ist, setzt möglichst viel Mitarbeit der assistenznehmenden Menschen voraus. Gleichzeitig haben diese aber auch viele gemeinsame Probleme bei der Realisierung ihrer persönlichen Assistenz. Daher bietet sich die Genossenschaft als besonders geeignete Organisationsform an.

In die Genossenschaft können alle eintreten, die bereit sind, mindestens einen Genossenschaftsanteil zu bezahlen.

Die Genossenschaft hat einen geschäftsführenden Vorstand. Dieser wird vom Aufsichtsrat kontrolliert. Oberstes Entscheidungsgremium ist die

Mitgliederversammlung. Zusätzlich für alle Genossenschaftsmitglieder gibt es die AssistenznehmerInnenversammlung.

Durch diese demokratischen, sich gegenseitig kontrollierenden Gremien ist wirtschaftliche Effizienz gewährleistet, und gleichtzeitig wird dadurch ermöglicht, daß die behinderten Menschen ihre benötigte Assistenz nicht nur einfach kaufen oder vorgesetzt bekommen, sondern diese in allen Momenten selbst mitgestalten.

Im Dokument Zehn Jahre Autonom Leben: (Seite 21-25)