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Kapitel 4: Mittelstandspolitische Korrekturmaßnahmen

4.4 Die Erzeugung rationaler Entscheidungsstrukturen

Das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen hatte Alteigentümern ein Wahl-recht auf Entschädigung eingeräumt. Die Novellierungen des Vermögensgesetzes änderten an diesem Anspruch nichts. Altes wie neues Vermögensgesetz bestimmen zwar in § 9 VermG „Grundsätze der Entschädigung“, wonach „Entschädigung in Geld“ gewährt wird445, eine nähere inhaltliche Ausgestaltung über Art und Umfang der Entschädigung in Form eines Gesetzes, wie es § 9 Abs. 3 VermG formuliert446, erfolgte jedoch nicht. Weiterhin bestimmt § 29 a Abs. 2 VermG, daß ein Entschädi-gungsfonds zu bilden ist, wobei über dessen Finanzierung keine Aussage im Vermö-gensgesetz enthalten ist.447 Insofern beschränkte sich die Entscheidung der zuständi-gen Verwaltungsbehörde (entsprechendes LARoV) auf die Feststellung des Anspruchs dem Grunde nach und auf die Feststellung der Ausübung des Wahlrechts, wohingegen „das weitere Verfahren“ der Regelung eines gesonderten Gesetzes vor-behalten blieb.448

Mitte 1992 setzte die Bundesregierung eine Kommission der Koalitionsfraktionen unter der Leitung von Johannes Gerster (CDU) und Detlev Kleinert (FDP) ein, die sich mit der Ausarbeitung eines Entschädigungsgesetzes befassen sollte. Für die

444 So die Ansicht von Hans Hinrich Boie, Leiter des Referats Reprivatisierung im sächsischen Wirtschaftsministerium. In: Drost (1993: 6).

445 Bei Ansprüchen auf Grundstücke möglicherweise auch in Form von Ersatzgrundstücken.

446 „Das nähere regelt ein Gesetz“.

447 Zur Problematik des fehlenden Entschädigungsgesetzes und -fonds vgl. Barkam (1991).

448 § 33 Abs 1 VermG.

Unternehmensreprivatisierung erarbeitete die Kommission folgende Eckpunkte, die in den Gesetzesentwurf zum EALG vom 10.5.1993 eingingen:449

Alteigentümer erhalten nur noch dann eine Entschädigung, wenn die Rückgabe aus objektiven Gründen, vor allem wegen Unmöglichkeit oder wegen redlichen Erwerbs entfällt. Wenn der Alteigentümer freiwillig auf die Rückgabe verzichtet, erhält er keine Entschädigung.

Alteigentümer, die ihr Grund- und Betriebsvermögen aufgrund der Anwendung der Vorfahrtsregelungen für Investitionen gemäß dem Vermögensgesetz nicht zurückerhalten, werden allerdings auch nach Inkrafttreten des Entschädigungs-gesetzes weiterhin entschädigt, und zwar zum heutigen Verkehrswert („Erlösauskehr“).

Ansonsten wird bei Ausschluß der Rückgabe wegen redlichen Erwerbs oder Unmöglichkeit folgendermaßen entschädigt: Bei Grundvermögen zum 1,3fachen Einheitswert von 1935 und bei Betriebsvermögen zum einfachen Einheitswert bis höchstens 250.000 DM.

Zur Finanzierung des Fonds, aus dem die Entschädigungen gezahlt werden, sollen auch Alteigentümer herangezogen werden, die ihr Unternehmen zurücker-halten. Vorgesehen war eine Vermögensabgabe von einem Drittel des pauschal ermittelten Wertes zum 3. Oktober 1990, die bei unentgeltlicher Rückgabe gezahlt werden muß.450

Allerdings wird eine 100%ige Befreiung von der Vermögensabgabe gewährt, wenn der Alteigentümer entweder bis zum 9. November 1989 in der DDR lebte oder wenn er nach Rückübertragung eines gewerblichen Unternehmens für min-destens drei Jahre den Erhalt von minmin-destens 90 % der Arbeitsplätze zusichert.

Der vorgelegte Gesetzesentwurf stieß jedoch bei allen Betroffenen, Verbänden, Parteien und auch innerhalb der eingeschalteten Ministerien weitgehend auf Ableh-nung. Im Kreuzfeuer der Kritik stand die geplante Vermögensabgabe für reprivati-sierte Unternehmen. Im Bundestag forderte die Fraktion der SPD deren Streichung.

Auf ihrer Seite hatte sie auch den Ministerpräsidenten Mecklenburg-Vorpommerns, Berndt Seite (CDU). In den Verhandlungen setze sich aber auch bei der CDU/CSU die Überzeugung durch, „daß eine Vermögensabgabe in größerem Umfang volks-wirtschaftlich nicht sinnvoll wäre und die überall anzutreffenden

449 Vgl. o.V., Entschädigungsgesetz. Aus „Rückgabe vor Entschädigung“ wird „Rückgabe statt einer Entschädigung“ (1992: 5) bzw. BT-Drs. 12/4887.

450 Damit sollte das nicht vertretbare Ungleichgewicht zwischen heutigen Verkehrswerten und den Entschädigungen zum Einheitswert von 1935 ausgeglichen werden.

probleme besonders bei restituierten Unternehmen noch verstärken würde.“451 Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens konnte eine konsensuelle Einigung zwischen Bundestag und Bundesrat bezüglich der diskutierten Vermögensabgabe erzielt werden, noch bevor das EALG dem Vermittlungsauschuß zweimalig übergeben wurde.452 Der eigens dafür vorgesehene Artikel 3 EALG wurde ersatzlos gestrichen.

Darüber hinaus einigten sich Bundestag und Bundesrat auf eine Anhebung der Bemessungsgrundlage der Entschädigung für Unternehmen vom 1,3fachen auf den 1,5fachen Einheitswert von 1935.453

Am 1. Dezember 1994 trat das Entschädigungs- und Lastenausgleichsgesetz in Kraft.454 Die bislang partielle Regelung des Wahlrechts zwischen Restitution und Entschädigung konnte nach vierjähriger Verhandlungsdauer abgeschlossen werden.

Damit existierte für Alteigentümer jetzt erstmals die Basis für eine rationale Abwä-gung zwischen Naturalrestitution und EntschädiAbwä-gung, wie es das Vermögensgesetz vorsah. Für fortführungswillige Anspruchsberechtigte bedeutete der Wegfall der Vermögensabgabe eine weitere Konsolidierung der Unternehmensbilanz. Es kann davon ausgegangen werden, daß sich dadurch die Investitionsbereitschaft und die Möglichkeiten der Fremdfinanzierung verbesserten. Andererseits war fortan von der Klientel der Berechtigten, die kein Interesse daran hatten, ihr Unternehmen tatsäch-lich zurückzunehmen, keine wesenttatsäch-liche Verhaltensänderung zu erwarten. Die fest-gelegte finanzielle Entschädigung in Höhe des 1,5fachen Einheitswertes von 1935 würde kaum einen Alteigentümer dazu veranlassen, sich für die Entschädigungs-alternative zu entscheiden. Er hielt vielmehr am Anspruch auf Rückübertragung fest, um sich nach der Privatisierung des Unternehmens mit dem erzielten Verkehrswert entschädigen zu lassen. Durch die vielfältigen Möglichkeiten des Investitions-vorrangs war in solchen Fällen jedoch nicht mit volkswirtschaftlich bedenklichen Opportunitätskosten in Form ausbleibender Investitionen zu rechnen. Die Eigen-tumsgarantie stellte insofern kein weiteres Investitionshindernis bei der Privati-sierung mittelständischer Unternehmen dar.

451 Stellungnahmen von Reiner Krziskewitz (CDU) in der Bundestagsdebatte am 11.11.1993 über den SPD-Antrag zur Problematik des Eigentums als Investitionshemmnis in den neuen Bundesländern und zur Sicherung des Rechtsfriedens. Abgedruckt in: Das Parlament Nr. 48 vom 26.11.1993, S. 6.

452 Vgl. Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) vom 18.5.1994. BT-Drs. 12/7593, S. 2 und Jahresbericht der Bundesregierung (1994: 1).

453 Vgl. BR-Drs. 467/94, S. 5. Der zu entschädigende Betrag unterliegt je nach Höhe einer zuneh-menden Kürzung (soziale Degression). So führt beispielsweise ein Anspruch mit einer Bemes-sungsgrundlage von 100.000 DM zu einer Entschädigung von 47.000 DM, während bei einer Bemessungsgrundlage von 1 Mio. DM die Ents chädigung 202.000 DM beträgt.

454 BGBl. I 1994, S. 2593.

Mit dem Inkrafttreten des EALG endete die rechtliche Konkretisierung für Unter-nehmensreprivatisierungen, die das VermG nach sich zog. Es folgten keine weiteren Gesetze oder Novellierungen. Mitte 1992 begann sich die seit der Wiedervereinigung bestehende „Reprivatisierungsblockade“ allmählich aufzulösen, wobei aber erst ab 1993 wieder „richtig reprivatisiert wurde“.455 Im Gegensatz zu den 72er-Repri-vatisierungen war - bedingt durch die Fristsetzung für die Umwandlung von PGH zum 31. Dezember 1992 - die überwiegende Zahl der PGH-Umwandlungsverfahren zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen.

Das nächste Kapitel erläutert den endgültigen Stand der Unternehmensreprivati-sierungen und PGH-Umwandlungen.