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Die Entschließungen der Datenschutzkonferenzen im Jahr 2017

16.1 Novellierung des Personalausweisgesetzes – Änderungen müssen bürger- und datenschutzfreundlich realisiert werden!

(Entschließung der Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder vom 24. Januar 2017)

Die Bundesregierung plant grundlegende Änderungen des Personalausweisrechts. Nach dem vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurf (Bundesrat-Drucksache 787/16) werden das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger übergangen und Datenschutz sichernde Standards unterlaufen. Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder fordert daher insbesondere folgende datenschutzrechtliche Anforderungen zu berücksichtigen:

- Die obligatorische Aktivierung der eID-Funktion ist dann hinnehmbar, wenn dauerhaft sichergestellt ist, dass daraus keine verpflichtende Nutzung der eID-Funktion des Personalausweises resultiert. Die Entscheidung über die Nutzung der eID-Funktion muss allein bei den Bürgerinnen und Bürgern liegen. Deren Selbstbestimmungsrecht muss gewahrt bleiben.

− An der bisherigen Verpflichtung der Ausweisbehörden, Bürgerinnen und Bürger über die eID-Funktion des Personalausweises schriftlich zu unterrichten, sollte festgehalten werden. Nur durch eine bundesweit einheitliche Vorgabe zu einer solchen Information wird sichergestellt, dass alle Bürgerinnen und Bürger in hinreichend verständlicher Form aufgeklärt werden.

− Vor einer Datenübermittlung aus dem Personalausweis müssen die Bürgerinnen und Bürger Kenntnis über den Zweck der Übermittlung erhalten; zur Wahrnehmung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung müssen die Betroffenen stets – wie bislang – nachvollziehen können, in welchem konkreten Kontext ihre Identitätsdaten übermittelt werden. Zudem sollte die bisherige Möglichkeit, die Übermittlung einzelner Datenkategorien auszuschließen, beibehalten werden.

− Die Einführung von organisationsbezogenen Berechtigungszertifikaten bei Diensteanbietern wird abgelehnt. Um sicherzustellen, dass Diensteanbieter nur die für den jeweiligen Geschäftsprozess erforderlichen Angaben übermittelt bekommen, sollte an der aktuellen Rechtslage festgehalten werden, nach der der antragstellende

Diensteanbieter die Erforderlichkeit der aus der eID-Funktion des Personalausweises zu übermittelnden Angaben nachweisen muss und an den jeweils festgelegten Zweck gebunden ist.

− Berechtigungszertifikate dürfen nur an Diensteanbieter erteilt werden, die Datenschutz und Datensicherheit gewährleisten. Daher sollten antragstellende Diensteanbieter nach wie vor durch eine Selbstverpflichtung die Erfüllung dieser Anforderungen schriftlich bestätigen und nachweisen müssen.

− Die maßgeblichen Regelungen für die mit der Anlegung und Nutzung von Servicekonten einhergehende Erhebung und Verarbeitung von Identitätsdaten aus dem Personalausweis sowie die sicherheitstechnischen Rahmenbedingungen sollten im Personalausweisgesetz getroffen werden.

− Die Voraussetzungen für die Erstellung und Weitergabe von Personalausweisablichtungen sollten gesetzlich konkreter normiert werden.

Insbesondere das Prinzip der Erforderlichkeit ist durch eine verpflichtende Prüfung der Notwendigkeit der Anfertigung einer Ablichtung sowie durch eine Positivliste von Erlaubnisgründen zu stärken. Die Einwilligung der Betroffenen als alleinige Voraussetzung birgt die Gefahr, dass in der Praxis Ablichtungen angefertigt werden, obwohl sie nicht erforderlich sind. Zudem dürfte fraglich sein, ob betroffene Personen in eine solche Maßnahme stets informiert und freiwillig einwilligen können.

− Die zum 1. Mai 2021 vorgesehene Einführung eines nahezu voraussetzungslosen Abrufs des Lichtbildes im automatisierten Verfahren durch die Polizeibehörden des Bundes und der Länder sowie die Verfassungsschutzbehörden und Nachrichtendienste wird abgelehnt. Bisher dürfen zur Verfolgung von Straftaten und Verkehrsordnungswidrigkeiten insbesondere die Polizeibehörden und Ordnungsbehörden Lichtbilder automatisiert abrufen, wenn die Personalausweisbehörde nicht erreichbar ist und ein weiteres Abwarten den Ermittlungszweck gefährdet. Diese gesetzlichen Einschränkungen für das Abrufverfahren sollen nun entfallen. Zudem sollen alle Nachrichtendienste künftig voraussetzungslos Lichtbilddaten abrufen können. Die bisherige Rechtslage ist völlig ausreichend.

16.2 Einsatz externer Dienstleister durch Berufsgeheimnisträger rechtssicher und datenschutzkonform gestalten!

(Entschließung der Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder vom 15. März 2017)

Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder fordert den Bundesgesetzgeber auf, mit dem derzeit vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung "zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen" (Bundesrat-Drucksache 163/17) den Einsatz externer Dienstleister durch Berufsgeheimnisträger rechtsicher und datenschutzkonform zu gestalten.

Die Schweigepflicht ist Grundlage des für die Berufsausübung notwendigen Vertrauensverhältnisses. Aber auch Berufsgeheimnisträger können heute nicht mehr wirtschaftlich agieren, ohne die moderne Informationstechnik und Kommunikationstechnik zu nutzen. Kaum ein Anwalt oder Arzt verfügt über das notwendige Spezialwissen, um diese Technik selbst zu warten und vor ständig neuen Bedrohungen abzusichern. Der vorliegende Gesetzentwurf will deshalb eine Praxis legalisieren, die aus Gründen der Praktikabilität längst etabliert ist.

Der strafrechtliche Schutz von Privatgeheimnissen soll die Beauftragung externer Dienstleister durch Berufsgeheimnisträger nicht länger erschweren. Im Gegenzug sollen diese Auftragnehmer künftig einer strafrechtlich sanktionierten Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Dennoch versäumt es der Gesetzentwurf, insbesondere mit der vorgeschlagenen Formulierung zu § 203 Strafgesetzbuch (StGB), klare Verhältnisse zu schaffen. Bisher sorgte unter Ärzten – und mitunter sogar Anwälten – der Umstand für Verwirrung, dass das, was datenschutzrechtlich legitim war, noch längst nicht strafrechtlich erlaubt sein musste. Was nach dem Gesetzentwurf nunmehr strafrechtlich erlaubt sein soll, könnte wiederum nach der neuen Europäischen Datenschutz-Grundverordnung mit empfindlichen Bußgeldern in Millionenhöhe sanktioniert werden. Denn es ist weder mit dem Schutzzweck von § 203 StGB vereinbar, noch datenschutzrechtlich zulässig, dass Berufsgeheimnisträger, wie im neuen § 203 StGB vorgesehen, die Verantwortung für die Datenverarbeitung ohne Einwilligung der Betroffenen an externe Dienstleister übertragen.

Nicht absehbar ist zudem, ob die Zeugnisverweigerungsrechte und das Beschlagnahmeverbot in einem weiteren Gesetzgebungsverfahren entsprechend weitgehend auf alle denkbaren Dienstleister ausgeweitet werden, die an der Berufsausübung durch Berufsgeheimnisträger mitwirken.

Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder dringt daher darauf, den Gesetzentwurf nachzubessern und die geplanten strafrechtlichen und berufsrechtlichen Regelungen mit den datenschutzrechtlichen Vorschriften zu synchronisieren. Es muss Berufsgeheimnisträgern möglich sein, externe Dienstleister zu Rate zu ziehen. Im Sinne der ungestörten Berufsausübung der Berufsgeheimnisträger und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen sollten die Pflichten, die den Berufsgeheimnisträger dabei aus unterschiedlichen Rechtsgebieten treffen, aber soweit als möglich gleichlaufend ausgestaltet werden.

16.3 Neues Bundeskriminalamtgesetz – Informationspool beschneidet Grundrechte

(Entschließung der Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder vom 16. März 2017)

Der "Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes"

(Deutscher Bundestag-Drucksache 18/11326 und 18/11163; Bundesrat-Drucksache 109/17) ändert das polizeiliche Datenschutzrecht grundlegend und betrifft Polizeibehörden in Bund und Ländern gleichermaßen. Er beschränkt sich nicht darauf, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Urteil vom 20. April 2016 zum Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) und aus der neuen EU-Richtlinie zum Datenschutz im Bereich Justiz und Inneres umzusetzen. Tatsächlich nimmt er sogar wichtige Datenschutzregeln und Verfahrenssicherungen zurück, die der Gesetzgeber nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts geschaffen hatte.

Der Entwurf ändert den bisherigen Informationsverbund für alle Polizeibehörden grundlegend. Dieser ist nicht mehr nach Dateien untergliedert und führt zu unverhältnismäßig weitreichenden Speicherungen. In dieser Form ist dies weder durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKAG noch durch die EU-Richtlinie zum Datenschutz im Bereich Justiz und Inneres veranlasst. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts fordert, den Zweck der jeweiligen Ermittlungsmaßnahmen bei allen weiteren Schritten zu berücksichtigen, bei denen die ermittelten Daten verwendet werden. Nicht im Einklang damit steht es, Verfahrenssicherungen und datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen aufzugeben.

Abzulehnen ist insbesondere der vorgesehene Verzicht auf Errichtungsanordnungen. Diese sind bislang Ausgangspunkt sowohl für datenschutzrechtliche Kontrollen als auch die Selbstkontrolle der Polizeibehörden. In ihnen wird festgelegt, zu welchen Zwecken personenbezogene Daten gespeichert sind. Dies ist eine wesentliche verfassungsrechtliche Vorgabe. Die neuen Regeln führen zu umfassenden themenübergreifenden Verknüpfungen

und Abgleichen aller gespeicherten Personen. Sie verkürzen die Kontrollmöglichkeiten der Datenschutzaufsichtsbehörden von Bund und Ländern.

Ebenso sind die künftig durch die geplante "Mitziehautomatik" erheblich längeren Speicherfristen abzulehnen. Die geplante Neuregelung hat zur Folge, dass alte Speicherungen – auch zu Personen, die lediglich im Verdacht standen, eine Straftat begangen zu haben und die nicht verurteilt wurden – bei jedem neuen Speicheranlass ungeprüft weiter fortgeschrieben werden. Dafür soll es schon genügen, wenn die betroffene Person als Zeuge oder Kontaktperson erneut in Erscheinung tritt. Auch dies verstößt gegen das durch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bekräftigte Übermaßverbot.

Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder fordert daher, den Gesetzentwurf in der parlamentarischen Beratung datenschutzkonform zu überarbeiten!

16.4 Gesetzentwurf zur Aufzeichnung von Fahrdaten ist völlig unzureichend!

(Entschließung der Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder vom 16. März 2017)

Die Bundesregierung hat im Januar 2017 einen Entwurf zur Novellierung des Straßenverkehrsgesetzes (Deutscher Bundestag Drucksache 18/11300) vorgelegt, um die Nutzung automatisierter Fahrfunktionen auf Deutschlands Straßen zu erlauben. Dabei sollen Fahrdaten aufgezeichnet werden, anhand derer bewertet werden kann, zu welchem Zeitpunkt das Auto jeweils durch den Fahrer oder durch eine "automatisierte Fahrfunktion"

gesteuert wurde und wann ein Fahrer die Aufforderung zur Übernahme der Steuerung erhalten hat. Ebenfalls aufgezeichnet werden sollen Daten zu technischen Störungen automatisierter Fahrfunktionen. Mit den Daten soll sich nach einem Unfall klären lassen, ob die Technik und damit der Hersteller oder der Fahrer für einen Unfall verantwortlich war.

Welche Daten dies sind und wie das Speichermedium ausgestaltet werden soll, regelt der Gesetzentwurf nicht.

Auf Verlangen der nach Landesrecht für Verkehrskontrollen zuständigen Behörden müssen die Fahrdaten diesen Behörden übermittelt werden. Die Fahrdaten sind auch Dritten zu übermitteln, wenn diese glaubhaft machen können, dass sie die Fahrdaten zur Geltendmachung, Abwehr oder Befriedigung von Rechtsansprüchen aus Unfällen benötigen.

Unklar ist, wer die Daten übermitteln muss. Es bleibt ebenfalls unbestimmt, ob gegebenenfalls auch die Behörden Fahrdaten übermitteln dürfen.

Im Gesetzentwurf sind außerdem weder die Zwecke noch die zu übermittelnden Daten hinreichend konkretisiert. Weiterhin geht nicht hervor, wie die Integrität, Vertraulichkeit und Verfügbarkeit bei der Aufzeichnung und Übermittlung der Fahrdaten sichergestellt werden soll.

Sollte der Entwurf in der vorgelegten Form in Kraft treten, besteht in Kraftfahrzeugen mit hochautomatisierter oder vollautomatisierter Fahrfunktion die Gefahr elektronischer Fahrtenschreiber, die personenbezogene Profile bilden.

Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder fordert den Gesetzgeber zu einer dem datenschutzrechtlichen Bestimmtheitsgebot genügenden Novellierung des Straßenverkehrsgesetzes und zur Stärkung der Datenschutzrechte der Fahrer auf.

Sofern man eine Datenverarbeitung überhaupt für erforderlich hält, ist folgendes zu regeln:

− die abschließende Aufzählung derjenigen Daten, die aufgezeichnet und gespeichert werden dürfen,

− die Bestimmung des für die Verarbeitung Verantwortlichen,

− die Ergänzung einer Übermittlungs-/Zugriffsregelung für den Fahrer/Halter,

− die Konkretisierung der Daten, die den nach Landesrecht zuständigen Behörden zu übermitteln sind,

− die datenschutzgerechte Ausgestaltung des Speichermediums, insbesondere die Festlegung einer angemessenen Speicherdauer anhand der Erforderlichkeit und des Zwecks der Beweisführung für die Haftung,

− eindeutige Festlegungen für die Trennung der Daten von den in den Fahrzeugdatenspeichern der Fahrzeuge gespeicherten Daten,

− die Konkretisierung der Zwecke für die Übermittlung der gespeicherten Daten,

− die Nennung des Adressaten für das Übermittlungsverlangen,

− die abschließende Nennung berechtigter Übermittlungsempfänger und ihrer jeweiligen Verarbeitungsbefugnisse mit im Übrigen strikter Zweckbindung und

− die Konkretisierung des Löschzeitpunkts der übermittelten Daten.

16.5 Einsatz von Videokameras zur biometrischen Gesichtserkennung birgt erhebliche Risiken

(Entschließung der Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder vom 20. und 21. März 2017)

In Pilotprojekten wird derzeit der Einsatz von Videoüberwachungssystemen erprobt, die erweiterte Möglichkeiten der Verhaltensauswertung und der Identifizierung von Beobachteten bieten. Neben der Mustererkennung steht besonders die biometrische Gesichtserkennung im Fokus dieser Projekte. Dies verschärft die ohnehin schon vorhandene Problematik derartiger neuer Überwachungsverfahren, mit denen "abweichendes Verhalten"

erkannt werden soll.5

Der Einsatz von Videokameras mit biometrischer Gesichtserkennung kann die Freiheit, sich in der Öffentlichkeit anonym zu bewegen, gänzlich zerstören. Es ist kaum möglich, sich solcher Überwachung zu entziehen oder diese gar zu kontrollieren.

Anders als bei konventioneller Videoüberwachung könnten Passanten mit dieser Technik nicht nur beobachtet und anhand bestimmter Muster herausgefiltert werden, sondern während der Überwachung anhand von Referenzbildern (Templates) automatisiert identifiziert werden. Damit wird eine dauerhafte Kontrolle darüber möglich, wo sich konkrete Personen wann aufhalten oder bewegen und mit wem sie hierbei Kontakt haben. Ermöglicht wird so die Erstellung von umfassenden Bewegungsprofilen und die Verknüpfung mit anderen über die jeweilige Person verfügbaren Daten.

Neben den genannten massiven gesellschaftspolitischen Problemen bestehen auch erhebliche rechtliche und technische Bedenken gegen den Einsatz solcher Überwachungstechniken. Biometrische Identifizierung arbeitet mit Wahrscheinlichkeitsaussagen; bei dem Abgleich zwischen ermitteltem biometrischen Merkmal und gespeichertem Template sind falsche Identifizierungen keine Seltenheit. Beim Einsatz dieser Technik durch Strafverfolgungsbehörden kann eine falsche Zuordnung dazu führen, dass Bürgerinnen und Bürger unverschuldet zum Gegenstand von Ermittlungen und

5 Siehe auch Entschließung der 83. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder

"Öffentlich geförderte Forschungsprojekte zur Entdeckung abweichenden Verhaltens im öffentlichen Raum – nicht ohne Datenschutz".

konkreten polizeilichen Maßnahmen werden. Dieselbe Gefahr besteht, falls sie sich zufällig im öffentlichen Raum in der Nähe von gesuchten Straftätern oder Störern aufhalten.

Es gibt keine Rechtsgrundlage für die Behörden von Bund und Ländern für den Einsatz dieser Technik zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung. Die bestehenden Normen zum Einsatz von Videoüberwachungstechnik erlauben nur den Einsatz technischer Mittel für reine Bildaufnahmen oder Bildaufzeichnungen, nicht hingegen für darüber hinausgehende Datenverarbeitungsvorgänge. Aufgrund des deutlich intensiveren Grundrechtseingriffs, der durch Videotechnik mit erweiterter Auswertung einhergeht, können die bestehenden gesetzlichen Regelungen nicht analog als Rechtsgrundlage herangezogen werden, da sie für einen solchen Einsatz verfassungsrechtlich zu unbestimmt sind.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Maßnahmen mit großer Streubreite ein erheblicher Grundrechtseingriff. So verlangt das Bundesverfassungsgericht bereits für das automatisierte Erfassen von Kfz-Kennzeichen zwecks Abgleichs mit dem Fahndungsbestand eine normenklare und verhältnismäßige Rechtsgrundlage, die einen anlasslosen und flächendeckenden Einsatz ausschließt. Da bereits die allgemeine Regelung zur Videoüberwachung nicht zur Erfassung von Kfz-Kennzeichen ermächtigt, muss dies erst recht für die viel stärker in die Grundrechte Betroffener eingreifende Videoüberwachung zwecks Abgleichs biometrischer Gesichtsmerkmale einzelner Personen gelten. Ein Einsatz der Videoüberwachung mit Gesichtserkennung darf daher auf derzeitiger Grundlage auch im Rahmen eines Pilotbetriebs nicht erfolgen.

Der europäische Gesetzgeber hat die enormen Risiken dieser Technik für die Privatsphäre erkannt und die Verarbeitung biometrischer Daten zur Identifizierung sowohl in der ab Mai 2018 wirksamen Datenschutz-Grundverordnung als auch in der bis Mai 2018 umzusetzenden Datenschutz-Richtlinie im Bereich Justiz und Inneres nur unter entsprechend engen Voraussetzungen für zulässig erachtet. Wird über den Einsatz dieser Technik nachgedacht, muss der Wesensgehalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt bleiben und es müssen angemessene und spezifische Regelungen zum Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten der Betroffenen vorgesehen werden. Hierzu gehören unter anderem eine normenklare Regelung für die Verwendung von Templates, zum Beispiel von Personen im Fahndungsbestand, für den Anlass zum Abgleich des Templates mit den aufgenommenen Gesichtern sowie zum Verfahren zur Zulassung von technischen Systemen für den Einsatz.

Etwaige gesetzliche Regelungen müssten die vorgenannten verfassungs- und europarechtlichen Bedingungen beinhalten und den mit dieser Technik verbundenen erheblichen Risiken für die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger angemessen Rechnung tragen!

16.6 Göttinger Erklärung – Vom Wert des Datenschutzes in der digitalen Gesellschaft

(Entschließung der Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder vom 20. und 21. März 2017)

Datenschutz ist zurzeit in aller Munde: Mit der Europäischen Datenschutzreform werden ab Mai 2018 in der ganzen Europäischen Union neue einheitliche Regeln gelten. Gegenwärtig sind die Gesetzgeber in Bund und Ländern mit Hochdruck dabei, das nationale Recht an die europäischen Vorgaben anzupassen. Zugleich schreitet die Digitalisierung der Gesellschaft mit großen Schritten voran, etwa mit dem Internet der Dinge, der Wirtschaft 4.0 und künstlicher Intelligenz, und fordert die Wahrung des Datenschutzes und die Gewährleistung der Persönlichkeitsrechte heraus. Auch der Staat erweitert fortwährend seine Befugnisse zur Verarbeitung personenbezogener Daten, sei es zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, sei es bei der Digitalisierung staatlicher Dienstleistungen.

Dabei gerät aber leichtfertig eines aus dem Blick: Datenschutz ist ein Grundrecht, wie die Meinungsfreiheit oder die Eigentumsgarantie. Es bindet alle Staatsgewalten unmittelbar, schützt die Menschenwürde und die freie Entfaltung der Persönlichkeit und kann auch Aspekte der Teilhabe und Chancengleichheit betreffen. Alle gesetzlichen Regelungen, sowie die Geschäftsmodelle und Anwendungen auch im Bereich der Wirtschaft, haben dies zu berücksichtigen. Immer häufiger stellen aber Verantwortliche in Politik und Wirtschaft dies grundrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung implizit oder sogar explizit in Frage. Datenschutz wird als Hindernis diskreditiert.

Dies betrachtet die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder mit großer Sorge. Es befremdet sehr, wenn Mitglieder der Bundesregierung und andere Stimmen in der Politik in letzter Zeit immer wieder betonen, es dürfe kein Zuviel an Datenschutz geben und das Prinzip der Datensparsamkeit könne nicht die Richtschnur für die Entwicklung neuer Produkte sein. Stattdessen wird für eine vermeintliche Datensouveränität geworben, deren Zielrichtung aber im Unklaren bleibt.

Die Konferenz betont, dass Informationen über Personen keine Ware sind wie jede andere und nicht allein auf ihren wirtschaftlichen Wert reduziert werden dürfen. Gerade in Zeiten von Big Data, Algorithmen und Profilbildung bieten die digitalen Informationen ein nahezu vollständiges Abbild der Persönlichkeit des Menschen. Mehr denn je muss daher die Menschenwürde auch im digitalen Zeitalter der zentrale Maßstab staatlichen und wirtschaftlichen Handelns sein. Zu einer menschenwürdigen und freien Entfaltung der Persönlichkeit gehört die freie Selbstbestimmung über das eigene Ich.

"Datensouveränität" verstanden als eigentumsähnliche Verwertungshoheit kann daher nur zusätzlich zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung greifen, dies jedoch keinesfalls ersetzen.

Die Konferenz fordert daher alle Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft auf, den hohen Wert des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung für eine freiheitliche Gesellschaft zu achten und sich nachdrücklich vertrauensbildend für die Persönlichkeitsrechte einzusetzen. Datenschutz stellt kein Hindernis für die Digitalisierung dar, sondern ist wesentliche Voraussetzung für deren Gelingen.

Die Entwicklung datenschutzkonformer IT-Produkte und IT-Verfahren muss nachhaltig gefördert werden, um den Datenschutz zu einem Qualitätsmerkmal der europäischen Digitalwirtschaft zu machen.

16.7 Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung im Medienrecht

(Entschließung der Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder vom 8. und 9. November 2017)

Das Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und deren Geltungsbeginn im Mai 2018 verlangt eine Anpassung der medienrechtlichen Datenschutzbestimmungen an die neuen Vorgaben. Dabei muss dem hohen Stellenwert der Meinungs- und Informationsfreiheit sowie der Presse-, Rundfunk- und Medienfreiheit gemäß Artikel 5 Grundgesetz (GG) und Artikel 11 EU-Grundrechtecharta (GRCh) für die freiheitliche demokratische Grundordnung ebenso Rechnung getragen werden wie dem Recht auf Informationelle Selbstbestimmung gemäß Artikel 1 in Verbindung mit Artikel 2 GG und dem Recht auf Schutz personenbezogener Daten gemäß Artikel 8 GRCh. Kollisionen der Schutzbereiche der Grundrechte sind im Sinne einer praktischen Konkordanz aufzulösen.

Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder weist daher auf die Anpassungsklausel des Artikels 85 DSGVO hin. Danach können die Mitgliedstaaten Ausnahmen und Abweichungen von bestimmten Vorgaben der DSGVO normieren, wenn "dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen". Das sich daraus ergebende Regel-Ausnahme-Verhältnis bedeutet, dass die Vorgaben der DSGVO grundsätzlich auch auf sämtliche Verarbeitungen personenbezogener Daten zu grundrechtlich besonders geschützten journalistischen, wissenschaftlichen,

Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder weist daher auf die Anpassungsklausel des Artikels 85 DSGVO hin. Danach können die Mitgliedstaaten Ausnahmen und Abweichungen von bestimmten Vorgaben der DSGVO normieren, wenn "dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen". Das sich daraus ergebende Regel-Ausnahme-Verhältnis bedeutet, dass die Vorgaben der DSGVO grundsätzlich auch auf sämtliche Verarbeitungen personenbezogener Daten zu grundrechtlich besonders geschützten journalistischen, wissenschaftlichen,