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Die Einstellung angehender Lehrkräfte zu Forschendem Lernen im Praxissemester und

4. Die Einstellung gegenüber Forschendem Lernen im Referendariat

Die obige Auswertung zeigt, dass am Ende des Praxissemesters das Forschende Lernen überwiegend als nützlich eingeschätzt wird. Hinweise auf die Nutzen-einstellung von Studierenden im Referendariat versucht diese explorative Studie zu geben.

Es wurden vier leitfadenbasierte Interviews mit Referendarinnen im Juli/Au-gust 2018 durchgeführt, als die Studierenden ca. zehn Monate des Referendariats bereits absolviert hatten. Alle Interviewten nahmen am Praxissemester und den Begleitveranstaltungen zum Forschenden Lernen an der WWU Münster teil.

Der Interviewleitfaden beinhaltete Erzählaufforderungen und jeweils vertie-fende Fragen zu Lernerfahrungen im Studium und im Referendariat sowie situ-ativen Schilderungen zu Lernereignissen. Die Interviews dauerten in der Regel eine Stunde. Die Interviews wurden transkribiert und anschließend qualitativ

3,81 3,85 3,71 3,50 3,74

1 2 3 4 5

Kohorte 1 Kohorte 2 Kohorte 3 Kohorte 4 Kohorte 5

Antwortformat: 1 bis 5

Kohorten

Abb. 1: Nutzenerwartungen der Studierenden im Trend (n=266 über alle Kohorten)

Die Einstellung angehender Lehrkräfte zu Forschendem Lernen 171

inhaltsanalytisch mittels deduktiv gebildeter Kategorien von zwei Kodierenden konsensuell ausgewertet (Kuckartz, 2018).

Für die Analysen wurden ausschließlich Passagen zum Forschenden Lernen verwendet. Es wurden sowohl Bewertungen als auch Erzählungen aus den Inter-views hinsichtlich der Nutzeneinstellung gegenüber dem Forschenden Lernen analysiert.

Für die Kategorienbildung wurden die oben benannten theoretisch abgelei-teten Nutzenaspekte des Forschenden Lernens, also die Relationierung von The-orie und Praxis, der Erwerb spezifischer Erkenntnisse und Kompetenzen sowie die Anbahnung einer forschenden Grundhaltung weiter ausdifferenziert bzw. es werden andere Schwerpunktsetzungen, angeregt durch das Datenmaterial im Referendariatskontext, vorgenommen. Im Folgenden werden die Relationierung von Theorie und Praxis, eine evidenzbasierte Vorgehensweise im Lehrberuf und kritisches Denken als theoretisch benannte Zielsetzung des Forschenden Lernens fokussiert. Da hier eine weitere Ausdifferenzierung bzw. andere Schwerpunkt-setzung im Hinblick auf die ZielSchwerpunkt-setzungen erfolgt als in Kapitel 2, werden die Kategorien kurz erläutert und mit Beispielen veranschaulicht, bevor eine zusam-menfassende Ergebnisdarstellung erfolgt.

Die Kategorie Relationierung von Theorie und Praxis beinhaltet Einstellun-gen und Verhaltensweisen, die sich auf die Bedeutung und Verwendung von theoretischem Wissen, Modellen und empirischen Befunden für die eigene be-rufliche Praxis beziehen, also den Einbezug von Theorien für pädagogische Ge-staltungprozesse (Fichten, 2017). Es wird danach gefragt, ob Theorien, Modelle und empirische Befunde als wichtiges Kriterium in Entscheidungssituationen wahrgenommen und verwendet werden.

„und wenn ich jetzt fachdidaktische Literatur lese; […] und da gibt es dann so viele verschiedene Ansichten, und ich finde es total schwer sich zu entscheiden ja wie sollte ich es denn jetzt machen, und dann […] finde ich es einfach gut wenn man wirklich sagen könnte ja gut empirisch wurde belegt hier; am besten hier in Deutschland; auch irgendwie in NRW oder so, möglichst nah wurde es so und so getestet.“ ER20B (Abs.

676–680)

Die Kategorie Evidenzbasierte Vorgehensweise im Lehrberuf beinhaltet Einstel-lungen und Verhaltensweisen, die die Gewinnung von Erkenntnissen mit Hilfe einer empirischen Vorgehensweise (z.B. Informationssammlung, -auswertung) für die berufliche Praxis betreffen (z.B. zur Lösung von Problemen, Hilfestellung bei Entscheidungen). Das beinhaltet auch ein experimentelles Vorgehen, das die absichtsvolle Planung einer Intervention und deren Wirkung erfasst (z.B. Hy-pothesen bilden, Handlungsalternativen entwerfen, erproben und evaluieren).

172 Martina Homt, Bea Bloh & Christine Grosser

Werden diese Verhaltensweisen gezeigt, beschreibt Fichten (2017) dies als „ex-perimentierende Einstellung“ oder rahmt dies nach Weinert und Helmke (1996) mit der „quasi-experimentellen Einstellung“ (Fichten, 2010). Zeigt sich diese Vorgehensweise und wie wird diese bewertet?

„[…] ja man ja auch intuitiv so vorgeht wenn man jetzt zum Beispiel ein störenden Schüler hat; dass man sich erstmal eine Hypothese bildet ja woran kanns liegen; dann probiert man verschiedene Sachen aus; obs hilft und […] daraus zieht man seine Schlüsse wie man weiter mit ihm so vorgehen kann; […]“ ER20B (Abs. 760–788) Die Kategorie Kritisches Denken beinhaltet die Bereitschaft, Fragen zu stellen und nichts als gegeben hinzunehmen: „Gemeint ist die Verinnerlichung eines neugierigen, skeptischen Blicks auf die Praxis, der sich den Modus der Wissen-schaft zu eigen macht, Gewissheiten immer wieder zur Disposition zu stellen“

(Fichten, 2017, S. 156). Es geht darum, „eigene Zielsetzungen ständig kritisch zu überprüfen“ (ebd.) und eine „fragend-entwickelnde und kritisch-reflexive Hal-tung gegenüber der Praxis“ einzunehmen (ebd.). Inwieweit wird diese kritische Haltung geschildert?

„…ich eigentlich auch vom Wesen schon so bin dass ich äh viel beobachte, viel auch dann wahrnehme, natürlich immer auch da merkt man es geht einem viel durch die Lappen, wenn man sich auf etwas fokussiert; verliert man natürlich den Blick für vielleicht andere Sachen, das merkt man auch, also da gab es ja diese Wahrneh-mungsfehler oder wie auch immer die merkt man auch, dass man die selber auch macht“ JP21N (Abs. 121)

Die bisherigen Auswertungen zeigen auch hier insgesamt eine positive Nutzen-einstellung gegenüber Forschendem Lernen, wenn Forschendes Lernen als Me-thode des systematischen Erfahrungserwerbs zur Unterstützung professionellen Handelns von Lehrpersonen verstanden wird. Die einzelnen Zielsetzungen des Forschenden Lernens werden für die berufliche Praxis überwiegend als relevant eingeschätzt bzw. es wird versucht, diese zu erfüllen. Die Einstellungen diver-gieren von einer hohen Nutzenbewertung der Adaptation empirischer Befunde für die Gestaltung von Unterricht bis zur Verinnerlichung kritischen Denkens als Voraussetzung für die Gestaltung eigener beruflicher Lernprozesse. Wichtig erscheint die qualitätsverbessernde Funktion empirischer Forschung und kriti-schen Denkens in Bezug auf Unterricht, eigenes berufsbezogenes Handeln und Lernen.

Jedoch werden auch kritische Einschätzungen z.B. in Bezug auf die Theorie-Praxis-Relationierung deutlich. Zudem zeigen erste Zusammenhangsanalysen differierende Einstellungen gegenüber dem Forschenden Lernen in

Abhängig-Die Einstellung angehender Lehrkräfte zu Forschendem Lernen 173

keit des Verständnisses. Es werden zwar auf der Nutzenebene keine Unterschie-de geäußert, jedoch hinsichtlich Unterschie-der Einschätzung Unterschie-der Umsetzbarkeit, inUnterschie-dem im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Kalkulation zu hohe Kosten für das Forschende Lernen benannt werden. Insbesondere werden hier der zeitliche Aufwand und der Ressourceneinsatz thematisiert. Dieser Zusammenhang zeigt sich jedoch nur, wenn die Befragten Konzepte des Forschenden Lernens als eine reine Durchführung eines empirisch-wissenschaftlichen Forschungsprojektes aufwei-sen. Ein weiterer Zusammenhang, der sich für die experimentelle Einstellung andeutet, betrifft eine größere Fehlertoleranz gegenüber eigenen Fehlern, die dann geschildert wird.

Die vier Interviews stellen einen ersten Versuch dar, Einstellungen von Stu-dierenden, die mit dem Forschenden Lernen assoziiert sind, im Kontext der Referendariatserfahrung zu analysieren. In weiteren Schritten gilt es zum einen, mittels theoretischem Sampling die Aussagekraft der Ergebnisse zu erhöhen, und zum anderen, Zusammenhangsanalysen zur Identifikation relevanter Einfluss-größen auf Individual- und Strukturebene der Nutzeneinstellungen aufzuzeigen.