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Die auswärtige Repräsentation der Bundesrepublik

Das Grundgesetz legt zwar die völkerrechtliche Vertretung der Bundesrepublik in die Hände des Bundespräsidenten, doch die außenpolitische Entscheidungs-gewalt hatte von Beginn an de facto der Bundeskanzler.176 Bis 1955 war die auswärtige Politik im Bundeskanzleramt angesiedelt. Aber auch nachdem die Bundesrepublik mit dem Deutschlandvertrag im Mai 1955 weitgehend souverän geworden war und ein Minister die Geschäfte des neugegründeten Auswärtigen Amtes übernahm, blieb die Außenpolitik eine Domäne des Kanzlers, um weiter-hin den Kurs der Westbindung entscheidend beeinflussen zu können. Heuss gab zwar gegenüber Adenauer zu bedenken, dass er den künftigen Außenminister Heinrich von Brentano nicht dadurch desavouieren dürfe, dass er diesen auf außenpolitische Nebenschauplätze abschiebe und selber als eigentliches Macht-zentrum zu sehr international in den Vordergrund rücke. Brentano dürfeVertreter eines anderen Deutschland: Die auswärtige Repräsentation der Bundesrepublik

„nicht bloß als Ihr junger Mann figurieren, sondern muß vorher, muß nachher bei sol-chen Konferenzen vorhanden sein. Denn sonst werden die zweitrangigen Dinge, die er wahrzunehmen hat, in ihrem Eindruck entwertet – was die kleineren Staaten, die wir doch pflegen müssen, ‚übelnehmen‘. Da muß also die rechte Form gefunden wer-den, die nach der Situation variabel sein wird. Nur darf, zum mindesten nach außen, der Amtsbeginn B[rentano]s aber nicht mit einer erkennbaren Entwertung einsetzen.“177 Aber das waren allein atmosphärische Sorgen, welche die Außenwahrnehmung betrafen.DassAdenauerdieZügel der Außenpolitik faktisch in den Händen behal-ten müsse, um Kontinuität zu gewährleisbehal-ten, davon war auch Heuss überzeugt.178

Diesem Anspruch wollte der Bundespräsident selbst nichts entgegensetzen.

Zwar zeigte er durchaus Interesse an außenpolitischen Themen und vertrat in Fragen der Deutschlandpolitik oder der Wiederbewaffnung seine Standpunkte, aber diese wichen in der Sache nicht von der Grundlinie der Bundesregierung ab. Im Zeichen des Kalten Krieges ließ er – auch auf seinen Staatsbesuchen – keinen Zweifel an der nicht allein politischen, sondern auch geschichtlichen und kulturellen Zugehörigkeit Deutschlands zum Westen aufkommen und setzte sich für die deutsch-französische Verständigung ein.179 Doch über diese allgemeinen

175 Nr. 79; vgl. auch K.GOEBEL, Streit; E.W.BECKER, Theodor Heuss, S. 133–136; P.M ERSE-BURGER, Theodor Heuss, S. 506–514.

176 Vgl. auch zum Folgenden F.GÜNTHER, Heuss auf Reisen, S. 25–36.

177 Nr. 38.

178 Vgl. Nr. 38.

179 Vgl. G.MÜLLER, Theodor Heuss.

Bekenntnissehinaussindvonihm,dersichzu vielen Themen breit und ausführlich geäußert hat, keine außenpolitischen Konzepte überliefert. In den Gesprächen mit Adenauer hielt er sich in diesen Fragen zurück.180 Und bei Kontakten mit Staatsgästen überließ er die politischen Gespräche dem Außenminister oder gleich dem Bundeskanzler. Seine offiziellen Reden im Ausland stimmte er eng mit dem Kanzleramt und dem Auswärtigen Amt ab. So tritt in der Außenpolitik die „Ar-beitsteilung“ zwischen Heuss und Adenauer noch schärfer in Erscheinung: hier das repräsentierende Staatsoberhaupt, dort der machtbewusste Kanzler, der auch außenpolitisch die Richtlinien bestimmte. Trat dieser Bundespräsident also als außenpolitischer Eunuch in Erscheinung?

Heuss war zunächst „nicht allzu scharf darauf“, Auslandsreisen zu unterneh-men, weil er befürchtete, dass er selber die Dinge, die ihn interessieren würden, nicht zu Gesicht bekomme werde, und weil er sich in Fremdsprachen nicht sicher ausdrücken konnte.181 Doch seit Beginn seiner zweiten Amtszeit zeigte er Inter-esse am außenpolitischen Tagesgeschäft, indem er wiederholt beim Auswärtigen Amt anmahnte, ihm die Berichte der Missionen und Botschaften zuzuleiten.182 Aufmerksam, teils besorgt registrierte er in seiner Korrespondenz vor allem mit Moritz Julius Bonn, Albert Schweitzer oder Toni Stolper die Brennpunkte der außenpolitischen Entwicklung in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre: die Ver-folgung von vermeintlichen Kommunisten in den USA durch den „McCarthy-Rummel“,183 die weltpolitischen Krisen im Herbst 1956,184 die französische Verfassungsrevision durch Charles de Gaulle zugunsten einer starken Exeku- tive185 oder die Zuspitzung des Kalten Krieges durch das sowjetische „Berlin-Ultimatum“.186 Doch blieben dies vertrauliche, folgenlose Äußerungen.

Nach außen sichtbar trat Heuss als oberster Vertreter der Bundesrepublik in Erscheinung, als Mitte der fünfziger Jahre die Zeit der Staatsbesuche begann.

Schon für den November 1954 und Februar/März 1955, also noch vor der offiziel-len Übertragung der Souveränitätsrechte an die Bundesrepublik, hatte Heuss zwei ausländische Monarchen eingeladen, die sich ohnehin gerade auf Europa-Reise befanden. Mit dem äthiopischen Kaiser Haile Selassi und dem persischen Schah erreichte nach Jahren der Isolation internationales und exotisches Flair ein Land, das sich wieder prunkvoll präsentieren konnte und seinen begeisterten Bürgern ein prächtiges Schauspiel bot.187 Vor allem die Frau des Schahs, Soraya, löste

180 Vgl. K.ADENAUER /TH.HEUSS, Unter vier Augen.

181 Nr. 4.

182 Vgl. Nr. 5.

183 Nr. 69.

184 Vgl. Nr. 101.

185 Vgl. Nr. 184.

186 Vgl. Nr. 195.

187 Vgl. F.GÜNTHER, Heuss auf Reisen, S. 76–83.

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unter der Bevölkerung eine regelrechte Hysterie aus, der Heuss fremd gegenüber-stand und die ihn zum Statisten geraten ließ. Wohler fühlte er sich, als im Herbst 1956 der liberianische Staatspräsident William Tubman die Bundesrepublik be-suchte, den er als einen Bruder im Geiste ansah: „Mr. Tubman könnte offenbar, anders gefärbt, auch Mr. Heuss heißen.“188 Einen Zugang fand Heuss auch zu dem indischem Vizepräsidenten und Philosophen Sarvepalli Radhakrishnan, dem er im Herbst 1958 in Bonn begegnete.189

So sehr diese Besuche ausländischer Staatsgäste auch demonstrierten, dass die Bundesrepublik wieder ein souveräner und selbstbewusster Staat war, gab die dabei präsentierte Prachtentfaltung auch Anlass zu Kritik in einem „Wirtschafts-wunderland“, dessen Wohlstand jedoch bei Weitem noch nicht alle Bürger er-reicht hatte. Heuss trat diesem Eindruck entgegen und machte darauf aufmerk-sam, dass im internationalen Vergleich der westdeutsche Staat sich bescheiden gebe.190 Dennoch kritisierte auch er ein Jahr später die zunehmende Anzahl von Staatsbesuchen in der Bundesrepublik sowie den dabei betriebenen Aufwand an Repräsentation und regte beim Kanzler eine Reduzierung in Absprache mit den westeuropäischen Verbündeten an.191 Gegenüber protokollarischen Usancen hatte er,dersichals„Staats-SklaveimFrack“bezeichnete,192eingespaltenes Verhältnis, wie er Eugen Gerstenmaier gestand:

„Die protokollarischen Dinge, über die Sie sich vielleicht, da Sie mehr Temperament haben als ich, stärker ärgern als ich, sind eine sachliche Notwendigkeit, um einen Kata-rakt von Taktlosigkeiten zu vermeiden, aber sie sind eingefroren, da sie sich immer noch an das Wiener Protokoll vom Jahre 1815 halten.“193

Erheblich mehr Bedeutung maß Heuss seinen eigenen Besuchen im Ausland bei.

Aus ihnen ließ sich ein möglicher Bedeutungszuwachs der Bundesrepublik auf internationalem Parkett ablesen. Deshalb stießen diese Ereignisse auf große Re-sonanz in der deutschen Bevölkerung und den Medien. Den Auftakt machte der Bundespräsident mit einem Staatsbesuch in Griechenland im Mai 1956.194 Schon dieser Besuch macht deutlich, wie sich Heuss vom militärischen und anmaßenden Stil früherer deutscher Staatsoberhäupter abhob. Er verstand sich nicht allein als offizieller Repräsentant der Bundesrepublik, sondern auch als Bildungsreisender, der sich nicht nur protokollarischen Zwängen fügen, sondern auch Zeit für die Kultur des Landes nehmen wollte:

188 Nr. 97; vgl. auch F.GÜNTHER, Heuss auf Reisen, S. 96–98.

189 Vgl. Nr. 177; auch Nr. 219.

190 Vgl. Nr. 12, Nr. 34.

191 Vgl. Nr. 96.

192 TH.HEUSS, Tagebuchbriefe, S. 352, 17. 10. 1958.

193 Nr. 146.

194 Vgl. F.GÜNTHER, Heuss auf Reisen, S. 84–90.

„Meine Reise wird ja teilweise ein fragwürdiges Vergnügen sein, da ja das Protokol-larisch-Offizielle, zumindest beim Athen-Aufenthalt, eine Beengung darstellen wird, aber das Reiseprogramm soll nun doch immerhin so gemacht werden, daß ich auf dem Peloponnes ein paar Dinge sehen kann, die ich bei meiner ersten Griechenlandreise aus Zeitbedrängnis versäumen mußte.“195

Mit seinem zivilen und bildungsbürgerlichen Auftreten verriet er eine „Haltung zur Zurückhaltung“, die mit dem kulturimperialistischen Gebaren der Vergangen-heit brechen wollte.196 Bei der Programmplanung, die er bis ins Detail mitbe-stimmte, sorgte er auch bei anderen Staatsbesuchen dafür, dass neben dem offi-ziellen Programm Besuche kultureller Sehenswürdigkeiten vorgesehen waren.197 Wenn es sich anbot, zog er sich zurück und zeichnete.198 Durch seine ungezwun-gene Art vermochte er das steife Protokoll immer wieder aufzulockern. Der griechischen Königin übersandte er als Dank für den freundlichen Empfang in GriechenlandZeichnungenundBüchervonihmund bereitete sie scherzhaft darauf vor, dass bei dem Gegenbesuch des griechischen Königspaares in Bonn keine Hofknickse zu erwarten seien.199 Dass die Planungen und die Durchführung der Staatsbesuche mit dem so betont entspannt und bescheiden auftretenden Heuss nicht immer einfach waren, daran erinnerte der damalige bundesdeutsche Bot-schafter in den USA, Wilhelm Grewe:

„Hinter [Heuss’] bewußt zur Schau getragenen Attitüde des schlichten und Pomp ab-geneigten Bürger-Präsidenten verbarg sich ein gehöriges Maß anspruchsvollen Selbst-gefühls, das leicht verstimmt reagierte, wenn man eine Geste der Selbstbescheidung zu rasch für bare Münze nahm. Adenauer war stets bereit, sich pflichtbewußt den Strapazen und Unbequemlichkeiten des Protokolls und der Public-relations-Pflege zu unterwerfen. Heuss mußten Anstrengungen dieser Art häufig mühsam abgerungen werden. Viel hing bei ihm von seiner jeweiligen Stimmungslage ab.“200

Zwei weitere Aspekte der Griechenlandreise sind typisch für die Repräsentation der Bundesrepublik durch Heuss. In politischen Fragen legte er sich, in Absprache mit Adenauer und mit Rücksicht auf Großbritannien, größte Zurückhaltung auf und ließ sich zu keiner klaren Stellungnahme im schwelenden Zypernkonflikt hinreißen.201 Wenn es hingegen um Gesten der Versöhnung gegenüber den

Län-195 Nr. 78.

196 J.PAULMANN, Auswärtige Repräsentationen, S. 1.

197 Als ihm dies beim Besuch der Brüsseler Weltausstellung im Juli 1958 nicht möglich war, rea-gierte Heuss ungehalten; vgl. Nr. 171.

198 Vgl. Abb. 13, S. 304.

199 Vgl. Nr. 87. Auch gegenüber anderen ausländischen Staatsmännern vermochte Heuss einen derartig persönlichen und unverkrampften Ton anzuschlagen, so in einem Glückwunschschreiben an den englischen Premierminister Winston Churchill (vgl. Nr. 11) oder in einem Genesungs-schreiben an US-Präsident Dwight D. Eisenhower (vgl. Nr. 54).

200 Zit. n. F.GÜNTHER, Heuss auf Reisen, S. 65.

201 Vgl. Nr. 86; zur Kritik an dieser Zurückhaltung vgl. F.GÜNTHER, Heuss auf Reisen, S. 88–90.

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dern ging, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im Zweiten Weltkrieg gelitten hatten, setzte er symbolische Akzente, die es an Klarheit nicht fehlen ließen. Obwohl ihm der bundesdeutsche Botschafter in Athen entschieden abgeraten hatte, ehrte Heuss in Kalavrita die griechischen Opfer einer brutalen Vergeltungsaktion der deutschen Besatzer mit einem Strauß weißer Lilien.202

Fand dieser Akt in der deutschen Presse noch wenig Beachtung, so erregte die Kranzniederlegung am Mahnmal der Fosse Ardeatine während des Staatsbesuches in Italien anderthalb Jahre später großes Aufsehen. Heuss hatte damit die über 300 italienischen Geiseln geehrt, die von der SS 1944 bei einer Vergeltungsaktion erschossen worden waren.203 In das größtenteils positive Echo mischten sich aber auch kritische Töne, die Heuss eine Missachtung deutscher Opfer und eine Legitimierung des Partisanenkrieges vorwarfen. Diesen ließ der Bundespräsident durch seinen persönlichen Referenten entgegnen:

„Da Professor Heuss die Erschießung von Geiseln, die mit einem Geschehen gar nichts zu tun haben, wo immer und wem immer sie geschieht, für die widerwärtigste Begleiterscheinung kriegerischer Auseinandersetzungen hält, berühren ihn Zuschriften wie die Ihrige nicht all zu sehr.“204

Besondere Bedeutung kam dem Staatsbesuch in den USA zu, dem wichtigsten Verbündeten der Bundesrepublik, dem der Bundespräsident für die Unterstützung nach1945dankenwollte.205DenerstenfestgesetztenTerminimMärz1957musste Heuss wegen einer schweren Lungenentzündung absagen, so dass der Besuch nach langen Terminverhandlungen erst Anfang Juni 1958 stattfinden konnte. Die Programmgestaltung war kompliziert, weil Heuss nach dem offiziellen dreitägigen Teil in Washington eine zweiwöchige halboffizielle Rundreise durch das Land plante – es war das erste Mal, dass er die USA bereiste. Dabei galt es, persönliche Interessen wie auch Verpflichtungen gegenüber zahlreichen Gruppen, die ihn sehen und ehren wollten, zu vereinbaren: „Ein bißchen steht die ganze Reise unter einer Doppelfrage: a) soll ich etwas von Amerika sehen und b) was und wieviel soll Amerika von mir sehen.“ Ihm war klar, dass er nicht als Privatmann durch die USA reisen werde, er wolle aber, „daß mein Programm etwas nach der Richtung gelenkt wird, in der meine persönlichen Interessen liegen, also etwas Geschichte, etwas Bildungspolitik, etwas Museenwesen.“206 Schon vorab präsentierte er den Amerikanern als „eine Art von individueller Visitenkarte“ in einem Aufsatz für die Zeitschrift „The Atlantic Monthly“ sein Bild von einem weltoffenen

Deutsch-202 Vgl. Nr. 135, Anm. 9; F.GÜNTHER, Heuss auf Reisen, S. 49f, 86f.

203 Vgl. Nr. 135, Nr. 136; F.GÜNTHER, Heuss auf Reisen, S. 50–52, 106–108; J.STARON, Fosse Ardeatine.

204 Nr. 137.

205 Vgl. auch im Folgenden F.GÜNTHER, Heuss auf Reisen, S. 128–143.

206 Nr. 114; vgl. auch Nr. 151.

land, das sich auch mit den Verwerfungen seiner Geschichte auseinandersetze und daraus gelernt habe.207 Er hatte „zehn Reden und Ansprachen für Amerika fabriziert, mit dem Ehrgeiz, nicht immer das gleiche zu sagen.“208 Nachdem er im Vorfeld Kanada einen Staatsbesuch abgestattet hatte, traf er am 4. Juni 1958 in Washington ein, wurde vom US-Präsidenten herzlich empfangen und hielt vor den beiden Häusern des Kongresses eine Rede, die, „wie man heute sagt, gut

‚angekommen‘ zu sein scheint.“209 Auf der anschließenden Rundreise traf er mit zahlreichen Deutsch-Amerikanern, befreundeten Amerikanern und mit in die USA emigrierten Deutschen wie Heinrich Brüning zusammen, erhielt mehrere Ehren-doktorwürden und staunte über die „kleinen Universitäten, in denen noch die Luft des 18. Jahrhunderts zu stehen scheint“.210 Er werde, wie er dem US-Außen-minister schrieb, „mit dem Reichtum neuer Eindrücke, auch mit dem persönlichen Gewinn durch manches gute Gespräch belohnt, in meine Heimat zurückkehren.“

Bei Politikern und Bürgern schien dieser liberale, Bildung, Intellektualität und Humor ausstrahlende Bundespräsident Eindruck gemacht zu haben:

„Die Aufnahme, die ich überall fand, war so freundschaftlich, ja herzlich, daß die Empfindung von mir ausgesprochen werden kann, daß über das persönliche Erlebnis hinaus diese Reise psychologisch-politisch der Verfestigung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Nationen förderlich war.“211

Heuss’ letzter Staatsbesuch führte ihn im Oktober 1958 für vier Tage nach Großbritannien.212 Wiederum bedurfte die Programmplanung einer gründlichen Vorbereitung, da Heuss auch eine größere Anzahl von Freunden und Bekannten treffen wollte. Persönlich schaltete er sich bei der Beschaffung von Gastgeschen-ken für die Königin ein.213 Aber schon im Vorfeld zeigte sich, dass sich Heuss bei diesem Staatsbesuch auf vermintem Gelände bewegen würde. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Großbritannien war nicht nur durch die Geschichte weiterhin belastet, sondern ebenso tagespolitisch angespannt.214 Die britische Bevölkerung, die noch die Wunden des Krieges vor Augen hatte, begegnete Deutschland mit Misstrauen. Schon vor dem Eintreffen von Heuss missbilligten einzelne Pressestimmen den ihrer Ansicht nach zu frühen Staatsbesuch durch den Vertreter eines Landes, das britische Städte mit Bomben überzogen hatte und von dem beispiellose Menschheitsverbrechen ausgegangen waren. Zwar gelang

207 Nr. 104.

208 Nr. 161.

209 Nr. 163.

210 Ebd.

211 Nr. 162.

212 Vgl. auch im Folgenden F.GÜNTHER, Heuss auf Reisen, S. 147–160.

213 Vgl. Nr. 169.

214 Vgl. F.GÜNTHER, Heuss auf Reisen, S. 148f.

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es Heuss, während seines Staatsbesuches durch sein herzliches, ungezwungenes und ziviles Auftreten und durch seine abwägenden und persönlichen Reden die Atmosphäre zu lockern und Anerkennung bei der Queen wie auch in der öffent-lichen Meinung zu finden; doch als offiziellem Vertreter des ehemaligen Kriegs-gegners schlugen ihm in der Presse vereinzelt auch Skepsis und Ablehnung ent-gegen, die große Verbreitung in den deutschen Medien fanden. Ein Foto, auf dem Oxforder Studenten dem deutschen Staatsoberhaupt mit lässig in den Hosen-taschen steckenden Händen begegneten, galt als Affront und vermeintliches Anzeichen einer reservierten Haltung der Bevölkerung. So drohte dieser Staats-besuch zum Menetekel für die deutsch-britischen Beziehungen zu werden.

Heuss teilte diesen Eindruck nicht und versuchte – wenngleich vergeblich – dieser

„Stimmungsmache“ entgegenzusteuern.215 Dieser Staatsbesuch schien die Gren-zen der Einflussmöglichkeiten des Staatsoberhauptes auf die Repräsentation der Bundesrepublik in der Welt aufzuzeigen.

Insgesamt waren die Staatsbesuche von Theodor Heuss dennoch ein großer Erfolg und stießen in der Regel auf ein positives bis euphorisches Echo. Vor allem durch seine Person, seinen Lebensweg, sein unprätentiöses und integres Auftreten wie auch seine Reden und symbolischen Gesten stand er für ein anderes, nämlich demokratisches, friedliebendes und ziviles Deutschland, das eben auch seine liberale und bürgerliche Tradition hatte. Politisch folgenlos blieb diese aus-wärtige Repräsentation nicht, sicherte sie doch die Rückkehr des Landes in die Gemeinschaft des Westens atmosphärisch ab und gab damit der Politik Adenauers einen wichtigen Rückhalt. Mit dieser Außendarstellung kam der Bundespräsident auch den Bedürfnissen vieler Deutscher nach Harmonie und Normalität entgegen, dieihreWunschvorstellungenvonHeussimAuslandangemessenvertretensahen.216 Doch dieses positive Bild bekam bei den letzten Staatsbesuchen allmählich Risse.

Schon die Reisen nach Kanada und in die USA wurden vom Magazin „Der Spie-gel“, das sich zu dieser Zeit von der Politik Adenauers abwandte, als unprofessio-nell und banal im Ergebnis bewertet. Dabei machte sich ein Unbehagen an der Außenwirkung des Bundespräsidenten bemerkbar, der im Ausland einem anti-quiertenNationsverständnisanhängeundeinenicht zeitgemäße Rhetorik pflege.217 Heuss verfasste einen Leserbrief und wehrte sich gegenüber dem Herausgeber Rudolf Augstein gegen diesen Artikel, „der in großen Stücken einfach erfunden ist und in anderen Stücken billige Polemik.“218 Vor allem das Medienecho auf den heiklen Staatsbesuch in Großbritannien gab Anlass, in deutschen Presseorganen über das Selbstverständnis und die Außenwahrnehmung der Bundesrepublik zu

215 Nr. 176.

216 Vgl. F.GÜNTHER, Heuss auf Reisen, S. 162f.

217 Vgl. Der Spiegel, H. 24, 11. 6. 1958, S. 15f.

218 Nr. 166.

diskutieren. So wurde eine schonungslosere Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit angemahnt als Voraussetzung für eine dauerhafte Integration in die westliche Staatengemeinschaft. Zunehmend zeigte sich ein Unbehagen, ob dieser Bundespräsident, den ein Hauch des 19. Jahrhunderts umgab, die Bundes-republik noch zeitgemäß und mit dem nötigen diplomatischen Fingerspitzen- gefühlvertretenkönne.IndieserDebattekündigtesich ein politisch-gesellschaft-licher Wandel an, den eine nachwachsende Generation Ende der fünfziger Jahre initiierte, die sich von den Gründungsvätern der Republik emanzipierte und einen gesellschaftlichen Liberalisierungsprozess wie auch eine Politisierungswelle anstieß. Die Nachkriegszeit neigte sich ihrem Ende zu.219 Davon blieb auch die Wahrnehmung der Präsidentschaft von Theodor Heuss nicht unberührt.

Die Banalisierung des Erfolgs und ein Abschied mit Schönheitsfehlern