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Im April 1896 bemerkte Nietzold:

„Schon vor zehn Jahren wurde der Versuch unternommen, die zur Lehrschmiede in Dresden kommandierten Militär-Beschlagschmiede dahin auszubilden, daß sie zur Unterstützung des Roßarztes herangezogen werden könnten.

Durch Verfügung des Königl. Sächs. Kriegsministeriums vom 25/9. 1893 wurde der roßärztliche Heilgehilfenunterricht der Beschlagschüler systematisch eingerichtet und nach einem provisorischen Plane durchgeführt.

[Es] sollte […] streng vermieden werden, die roßärztlichen Heilgehilfen zu roßärztlichen Empirikern auszubilden; es wurden deshalb wesentlich nur die Heilverrichtungen dargestellt, von Krankheiten und deren Behandlung nur soviel erwähnt, daß in Abwesenheit des Roßarztes der Heilgehilfe die einfachste Ersthilfe einleiten kann.“95

Nietzold gestand den rossärztlichen Heilgehilfen zwei Hauptaufgaben zu:

1. „Die Unterstützung des Roßarztes:

a. bei Untersuchungen und Operationen, welche die Hilfe eines oder mehrerer damit vertrauter und eingerichteter Leute und die richtige Anwendung der Untersuchungs- und Zwangsmittel verlangen […];

b. bei der Ausführung von bestimmten methodisch anzuwendenden Heilverrichtungen […].

2. Die Vertretung des Roßarztes:

Sie hat dann stattzufinden, wenn ein Roßarzt oder Tierarzt nicht zu erlangen ist (Detachements im Manöver), und eine schnelle, nicht aufzuschiebende Hilfe nötig wird. (Blutungen, Wunden, Kolik […]).“96

Die rossärztlichen Heilgehilfen lernten das Skelett und die einzelnen Körperteile des Pferdes. Sie bekamen den korrekten Umgang mit den Pferden sowie die dafür zur Verfügung stehenden Zwangsmitteln und ihre Anwendung beigebracht. Die Heil-gehilfen waren im Umgang mit den Pferden bei leichten und schweren Eingriffen und den Untersuchungen der Vorder- oder Hinterbeine geschult. Das Aufhalten eines

95 Nietzold, O., Heilgehilfe, 1896, Vorwort.

96 Nietzold, O., Heilgehilfe, 1896, 1.

Fußes hatten die Heilgehilfen bereits im Hufbeschlagkurs gelernt. Sie bemühten sich um ein schnelles und wenig schmerzhaftes Vorgehen am aufgehobenen Bein.97

Die Heilgehilfen beherrschten die verschiedenen Zwangsmittel, ihren Aufbau und ihre Anwendung. Sie wendeten sie aber nur bei Erfolglosigkeit anderer Maßnahmen wie dem Anbieten von Zucker oder dem Drohen mit der Peitsche an. Mit den Zwangsmitteln schützten die Heilgehilfen die Beteiligten vor etwaigen Verletzungen und beschleunigten die Behandlung des Pferdes. Zu den Zwangsmitteln gehörten die die Oberlippe zusammenschnürende Stock- oder Strickbremse und der den Nasenrücken prellende Kappzaun. Die Heilgehilfen hielten den Vorderfuß zwangsweise mit dem Raren’schen Riemen oder der Plattlonge auf. Den Hinterfuß hoben sie dagegen nötigenfalls mit Hilfe eines Plattseiles oder eines Fesselriemens mit Strick hoch.98

Abb. 1: Raren’scher Riemen, Plattlonge, kurzes Pla ttseil (v. l. n. r.), Nietzold, 1896.

Die Heilgehilfen spannten bei Bedarf einen oder beide Hinterfüße. Sie verhinderten auf diese Weise das Ausschlagen mit den Hinterbeinen und reduzierten die Gefährdung des Untersuchers. Sie verstanden sich auch auf das für das Niederlegen eines Pferdes für z. B. größere Operationen notwendige Werfen des Tieres. Dabei unterschieden sie die Berliner Wurfmethode – „das Niederlegen mit einem Seile

97 Nietzold, O., Heilgehilfe, 1896, 2ff.

98 Nietzold, O., Heilgehilfe, 1896, 5-9.

unter Zusammenziehung aller vier Beine“ – von der Stuttgarter Wurfmethode – „das Niederlegen mit zwei Seilen unter Zusammenziehung je eines Vorder- und Hinterbeines“. Sie waren sich der Gefahren des Niederlegens, wie Hautwunden oder Knochenbrüchen, und der einzuholenden Erlaubnis für das Werfen des Pferdes durch den verantwortlichen Offizier oder den Besitzer bewusst.

Abb. 2: Umschlag „Der Rossärztliche Heilgehilfe“, Nietzold, 1896.

Abb. 3: Deckblatt „Der Rossärztliche Heilgehilfe“, Nietzold, 1896.

Vor dem Werfen bereiteten die Heilgehilfen den Wurfplatz und das Pferd vor.99 Für eine ruhige und sichere Operation längerer Zeit empfahl Nietzold das auch Narkotisieren genannte Chloroformieren des Pferdes. Er beschrieb den Heilgehilfen die Durchführung der Narkose mittels einer Chloroformmaske oder eines Flanelllappens. Die Heilgehilfen, die chloroformierten, kontrollierten die Atmung und den Puls des Pferdes und meldeten jede Auffälligkeit dem Operateur.100

Die Heilgehilfen öffneten die Maulspalte mit Hilfe des Maulgatters für die Untersuchung der Maulhöhle oder die Behandlung der Zähne. Fachkundig setzten sie das mit einem beweglichen und einem festen Steg versehene U-förmige Eisen in das Maul des Pferdes ein. Als Alternative zum Maulgatter nahmen sie die Zunge seitlich aus dem Maul heraus, richteten sie senkrecht auf und sperrten so den Ober- und Unterkiefer auseinander.101

Abb. 4: Maulgatter, Nietzold, 1896.

Die Heilgehilfen waren durch ihre Ausbildung auf die Hilfe bei den Operationen vorbereitet. Sie richteten den Ort der Operation und den Patienten her. Der Ort durfte weder schmutzig noch staubig sein. Das Pferd musste nach Anweisung des Rossarztes geschoren und gründlich mit warmem Seifenwasser gereinigt werden. Die Heilgehilfen kannten die rossärztlichen Instrumente. Dazu gehörten verschiedene

99 Nietzold, O., Heilgehilfe, 1896, 10f.

100 Nietzold, O., Heilgehilfe, 1896, 17.

101 Nietzold, O., Heilgehilfe, 1896, 18f.

scharfe Instrumente wie Scheren, Lanzetten oder die feststehende Heftnadel und stumpfe Instrumente wie Pinzetten, Sonden oder das Maximalthermometer.102 Die Heilgehilfen eigneten sich den Unterschied zwischen den zum „Ausspritzen von röhrenförmigen oder Höhlenwunden“ benutzten Wundspritzen und den feineren Injektionsspritzen mit dazugehörigen Hohlnadeln an. Die Injektionsspritzen dienten dem „Einspritzen gewisser, schnell wirkender Arzneimittel (z. B. Morphium) unter die Haut“. Außerdem trennten die Heilgehilfen den zum Ausspülen von Wunden geeigneten Irrigationsapparat von dem zum Einspülen von Wasser in den Mastdarm gebräuchlichen Infusionsapparat. Es handelte sich um Blechgefäße unterschiedlicher Größe mit einem Ausflussrohr und einem Gummischlauch an ihrem Boden. Zur Vorbereitung einer Operation nahmen die Heilgehilfen nach Anweisung die Des-infektion der Instrumente mit Carbolwasser vor. Sie legten Watte und Handtücher zurecht. Zusätzlich stellten sie desinfizierende Mittel wie z. B. Sublimat- oder Creolinlösungen für die Desinfektion der Hände und des Operationsfeldes her.

Nietzold hatte sie gelehrt:

„Während und nach der Operation sind die vom Operateur für nötig befundenen und angeordneten Hilfeleistungen von den Gehilfen mit größter Sorgfalt, Aufmerksamkeit, Schnelligkeit und Peinlichkeit auszuführen.

Die Darreichung der Instrumente erfolgt während der Operation nach Angabe des Roßarztes durch einen hierzu bestimmten Gehilfen. Die geforderten Instrumente werden aus der desinfizierenden Flüssigkeit herausgenommen und dem Operateur so in die Hand gegeben, daß der scharfe Teil des Instruments ihn nicht verletzt.“103

Die Heilgehilfen waren mit verschiedenen Verbänden und Umschlägen vertraut.

Neben dem Sinn der Schutz-, Gips- und Druckverbände waren sie auch über den korrekten Aufbau eines Verbandes unterrichtet: Dem Arzneimittel – häufig das Jodoform – folgten erst der Verbandstoff – meistens Watte oder Holzwolle – und schließlich das Deckmaterial aus u. a. baumwollenen, leinenen oder halbwollenen Binden. Die Heilgehilfen führten das Aufwickeln einer Binde und die Bindentour als einmalige Umwicklung durch. Zum Bandagieren nutzten sie hauptsächlich die Spiraltour. Dabei legten sie „nach der ersten kreisförmigen Tour die nachfolgende stets so […], daß sie die vorhergehende um ein Drittel oder die Hälfte deckt[e]“, und wickelten „dabei stets von unten nach oben allmählich aufsteigend“ ab. Am Ende knüpften sie die Bindenbänder zu einer außen liegenden Schleife und versteckten sie.

Zusätzlich hatten die Heilgehilfen Kenntnis über die „aufeinander horizontal

102 Nietzold, O., Heilgehilfe, 1896, 19ff.

103 Nietzold, O., Heilgehilfe, 1896, 22f.

abgewickelt[e]“ Kreis - oder Zirkeltour, den das Klaffen einer Binde vermeidenden Umschlag und die notwendige Festigkeit eines Verbandes. Sie waren bewandert im Anlegen verschiedener Verbände. Dabei handelte es sich u. a. um den Verband um Huf und Krone, Fessel und Schienbein, um die Vorderfußwurzel, das Sprunggelenk und den Widerrist. Ebenso kannten sie den bei Strahlwunden benutzten Hufspanverband, das Deckeleisen, den Lederschuh und den Kokosfaserstiefel.104 Die Heilgehilfen konnten zwei Arten von Umschlägen anlegen: den Prietznitz’schen Umschlag und den Hufumschlag. Den Prietznitz’schen Umschlag – eine nasse Einhüllung „unter wollenen Bedeckungen“ – wendeten sie bei Entzündungen zur Erwärmung an. Mit Hilfe des Hufumschlages brachten sie Arzneimittel auf die Hufsohle auf. Sie ließen das Pferd auf das sich auf einem Lappen befindende Mittel treten und befestigten den Lappen mit zwei Bändern.105

Abb. 5: Hufspanverband, Lederschuh, Kokosfasers tiefel (v. l. n. r.), Nietzold, 1896.

104 Nietzold, O., Heilgehilfe, 1896, 24-33.

105 Nietzold, O., Heilgehilfe, 1896, 33-37.

Abb. 6: Hufverband, Nietzold, 1896.

Die Heilgehilfen durften einfache Heilverrichtungen im Rahmen der Behandlung äußerer und innerer Erkrankungen ausführen. Sie kühlten Entzündungen und Quetschungen mit Hilfe von kalten Fußbädern, Kaltwasserumschlägen, kühlenden Hufumschlägen, Lehmanstrichen oder Berieselungen. Die Wunden und Entzün-dungen am Pferdefuß behandelten sie mit lauwarmen Fußbädern. Zur „Zerteilung [einer] Schwellung oder [zur] Reifung einer Eiterung“ bedienten sie sich des Bähens.

Dabei legten sie einen mit warmen Leinsamen gefüllten Bähbeutel auf die Schwellung und gossen ihn regelmäßig mit warmem Wasser an. Bei Quetschungen aller Art führten die Heilgehilfen in die Haut eindringende Waschungen mit Wasser unter Zusatz von Essig, Kochsalz oder Arnikatinktur durch. Salben, Öle und Linimente (seifenartige Lösungen) rieben die Heilgehilfen nach Anweisung des Rossarztes in die Haut des Pferdes ein. Sie waren besonders in der Anwendung von Augensalben, von eine Hautentzündung hervorrufenden scharfen Salben und von dem sich schnell verflüchtigenden, verwässerten Senföl an der Brust des Pferdes unterwiesen. Zusätzlich beherrschten sie das Anlegen von mit Senfteig bestrichenen Leinwandlappen an die Brustwand des Pferdes, „das Eingeben von Pillen (länglich-runde, festweiche Arzneibissen)“ und „Latwergen (breiartigen Arzneimassen)“ im Einzelnen. Sie beherzigten dabei das von Nietzold verlangte gewalt- und zwanglose Vorgehen. Im Notfall konnten die Heilgehilfen dem Pferd eine klare, lösliche Flüssigkeit eingeben.106

Nietzold hatte ihnen ebenfalls das Frottieren oder Reiben gelehrt. Das „schnellere, leichtere Reiben der Haut“ führten die Heilgehilfen in trockener oder reizender Form mit Kampfer- oder Seifenspiritus bzw. mit „vom Roßarzte verordneten Flüssigkeiten“

106 Nietzold, O., Heilgehilfe, 1896, 38-46.

über 10 bis 20 Minuten durch. Ähnlich verlief das Massieren oder Kneten. Die Heilgehilfen massierten Anschwellungen an Sehnen oder Knochen trocken oder mit verordneten Salben. Die Dauer und die Häufigkeit des Massierens bestimmte der Rossarzt. Er ordnete auch die Dunstbäder zur Behandlung von Krankheiten der Luftwege wie z. B. Druse an. Die Heilgehilfen führten sie durch. Den durch das Einatmen der Warmwasserdämpfe gelösten Schleim sollten die Pferde auf diese Weise aushusten. Mit Hilfe der Irrigations- und Infusionsapparate machten die Heilgehilfen bei Bedarf Einläufe in den Mastdarm der Pferde. Weitere Instrumente nutzten sie bei der subkutanen Injektion. Die Injektionslösung verordnete der Rossarzt.

„Die Ausführung [geschah nach Nietzold] folgendermaßen: Man reinigt an einer handtellergroßen Fläche einer Halsseite oder der Schulter die Haut mittelst desinfizierender Flüssigkeiten […] und Watte. Mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand hebt man sodann eine Hautfalte ab, in deren oberes Ende mit der rechten Hand die Hohlnadel eingestochen wird, sodaß sich die Spitze im lockeren Unterhautzellgewebe befindet und leicht bewegt werden kann. Während nun die linke Hand die Hohlnadel hält, wird mit der rechten die vorher gefüllte Injektionsspritze in die Ansatzstelle der Hohlnadel dicht eingedreht und sodann langsam entleert. Hierauf zieht man die Hohlnadel wider heraus und verstreicht die entstandene Anschwellung der Haut nach allen Seiten.“107

Nietzold hatte die Heilgehilfen auf die Ersthilfe bei äußeren und inneren Erkrankungen vorbereitet. Als Symptome von Wunden erkannten die Heilgehilfen den Schmerz, die Blutung, das Klaffen der Wundränder und den sich entwickelnden Ausfluss in Form von Wundlymphe oder Eiter. Sie führten dann die Ersthilfe bei Wunden in drei Schritten durch. Der erste war die Stillung stärkerer Blutungen, bei Bedarf unter Benutzung von zusammenziehenden Mitteln wie Eis, Essigwasser oder Eisenchloridlösungen und Verbandstoffen für u. a. das Anlegen eines Druckver-bandes. Dann reinigten die Heilgehilfen die Wunden und sondierten sie. Sie entfernten Fremdkörper und desinfizierten die Wunden mit Hilfe des Irrigations-apparates oder einer Wundspritze. Die dritte Maßnahme beinhaltete die „Bereinigung der Wunde“. Die Heilgehilfen strichen z. B. Kollodium auf die Wunde oder drängten durch einen Verband die Wundränder aneinander. Lediglich der Rossarzt durfte eine Wunde nähen. Die Heilgehilfen wechselten regelmäßig den Verband und sorgten für die Ruhigstellung des betreffenden Körperteils. Sie bemühten sich um einen

„genügenden Abfluß der Wundflüssigkeiten“ und strichen zum Schutz der Haut

107 Nietzold, O., Heilgehilfe, 1896, 46ff.

„unterhalb stark absondernder Wunden die Haut dick mit Schweinefett [ein]“. Sie wussten Weiteres über die Wunden am Auge, im Maul und an der Zunge, an Brust und Bauch, an den Gliedmaßen und Sehnenscheiden. Die Heilgehilfen versorgten sowohl den Kronen- und Nageltritt als auch das Vernageln. Sie behandelten ebenso die eventuell auftretenden Folg ekrankheiten. Hierzu zählten die Lymphgefäßent-zündung, der Wundrotlauf und das Wundfieber. Nietzold hatte sie zur rechtzeitigen Hinzuziehung des Rossarztes ermahnt und ihnen die Behandlung der Blutvergiftung und des Starrkrampfes untersagt.108

Die Heilgehilfen wussten fünf Formen der Quetschungen und ihre Behandlungen: die weiche, teigartige Schwellung, die elastisch gespannte Blutbeule, die derbe, oft später eiternde Quetschungsentzündung, der lederartig harte, später als Brandschorf abgestoßene Hautbrand und die mit Verlust der Oberhaut einhergehende Schürfung.

Am häufigsten betreuten sie u. a. Pferde mit Sattel- oder Geschirrdruck, Quet-schungen im Bereich der Augen, Stollbeulen109 auf dem Ellbogenhöcker und Piephacken110 auf dem Sprungbeinhöcker. Nietzold hatte den Heilgehilfen spezielle Ratschläge für die Behandlung der einzelnen Quetschungen gegeben.111

Die Heilgehilfen eigneten sich das Wissen für die Durchführung einer Lahmheitsuntersuchung an. Sie stellten auf diese Weise den Sitz und die Art der Erkrankung des Bewegungsapparates fest. Sie ließen sich das Pferd auf hartem und weichem Boden vorführen und achteten u. a. auf das Aufnehmen der Körperlast, die Lautstärke des Hufschlages, das Kopfnicken oder „das ungleiche Heben und Senken der Kruppe“. Zudem kannten sie den Unterschied zwischen einer Hang- und einer Stützbeinlahmheit. Nach dem Vorführen des Pferdes betrachteten sie es aus der Entfernung von vorne, hinten und beiden Seiten und nahmen dabei Schwellungen oder Auftreibungen sowie die „Stellung und Richtung der Schenkel und der Fußachse“ zur Kenntnis. Nach der Ermittlung der lahmenden Gliedmaße schlossen die Heilgehilfen die nähere Untersuchung derselben an. Sie begannen mit dem Huf.

Durch Druck mit der Hufuntersuchungszange überprüften sie die Schmerzhaftigkeit der Huflederhaut und durch Beklopfen mit dem Hammer u. a. den Zustand der Hornwand. „Weiterhin legt[en] [sie] die Hand flach an die Hornwand und Sohle und prüft[en], ob vermehrte Wärme vorhanden [war]. Endlich untersucht[en] [sie] durch Druckbewegungen mit dem Daumen die Beweglichkeit der Hufknorpel.“ Dann kontrollierten die Heilgehilfen die Gelenke. Sie prüften die Hufrolle, das Huf-, Kron- und Fesselgelenk sowie die Gleichbeine. Schließlich drückten sie mit ihren Fingern

108 Nietzold, O., Heilgehilfe, 1896, 49-55.

109 Jede Umfangsvermehrung im Bereich des Ellbogenhöckers wird als Stollbeule bezeichnet.

110 Jede Anschwellung im Bereich des Fersenhöckers wird als Piephacke bezeichnet.

111 Nietzold, O., Heilgehilfe, 1896, 55-60.

die Sehnen und Sehnenscheiden bei gebeugtem Unterfuß seitlich ab und zogen aus der Reaktion ihre Schlüsse. „Die oberen Partien des Vorder- und Hinterschenkels“

untersuchten die Heilgehilfen lediglich auf Schwellungen und Schmerzen mit Hilfe der gezielten Bewegung der Gliedmaße. Außerdem hatte Nietzold den Heilgehilfen die Ursachen, Erscheinungen und Behandlungen derjenigen Lahmheiten näher gebracht, „welche der roßärztliche Heilgehilfe in Abwesenheit eines Roßarztes zur Not feststellen und vorläufig behandeln soll[te]“. Hierzu zählten die „Entzündungen der äußeren Haut und der Unterhaut“ wie die Mauke und der Einschuss, die

„Entzündung der Huflederhaut“ wie z. B. die Steingallen und die Rehe, die „Ent-zündung der Gelenke“, insbesondere des Huf-, Kron- und Fesselgelenkes, sowie die

„Entzündung der Sehnen und Sehnenscheiden“ mit dem Hinweis auf die Sehnenzerreißungen. Die Feststellu ng und Behandlung von mit starker Lahmheit einhergehenden Knochenbrüchen, Verrenkungen oder Verstauchungen oblag dem Rossarzt. Die Heilgehilfen sorgten nur für die sofortige Ruhigstellung oder Kühlung der entsprechenden Gliedmaße.112

Nietzold hatte den Heilgehilfen über die „Ersthilfe bei inneren Erkrankungen“ gesagt:

„Die Feststellung und Behandlung innerer Krankheiten kommt dem Roßarzte zu. Doch soll bei detachierten Truppenteilen der roßärztliche Heilgehilfe im Stande sein, zu erkennen, ob überhaupt ein Pferd innerlich krank, ob deshalb die Zuziehung des Roßarztes notwendig ist, ferner zu wissen, das Not-wendigste in Bezug auf Behandlung […] zu veranlassen.

Zur Beurteilung, ob eine innere Erkrankung vorliegt, ist eine genaue Kenntnis der gewöhnlichen Erscheinungen der Gesundheit des Pferdes unbedingt nötig.

Die gewöhnlichen Gesundheitserscheinungen sind folgende: Freier Blick, Munterkeit, Aufmerksamkeit gegen die Umgebung. Weidepferde bleiben im Rudel. Die Haut ist gleichmäßig warm, das Haar ist glatt und glänzend, Maul- und Nasenschleimhaut sind feucht, die Augenbindehäute sind schwach rosa gefärbt. Der Appetit ist rege (Wiehern, Unruhe beim Futterschütten). Die Atmung ist ruhig, in der Minute zählt man 10 bis 14 Atemzüge mit gleichmäßigem ruhigen Heben und Senken der Bauchwandungen; nur bei jüngeren Pferden und bei höherer Lufttemperatur ist die Atmung schneller.

Gesunde Pferde prusten sich nach einer kurzen angestrengten Bewegung ab.

Der Puls ist voll und kräftig. Er wird an der Gesichtsarterie gezählt und zwar so, daß man den Kopf des Pferdes mit der linken Hand durch Greifen in das Halfterbackenstück ruhig hält und mit drei Fingern der rechten Hand die

112 Nietzold, O., Heilgehilfe, 1896, 60-69.

Arterie dort, wo sie sich um den Unterkiefer herumschlägt, locker auf den Unterkiefer drückt. Die normale Pulszahl beträgt 28-42 in der Minute.

Die innere Körpertemperatur beträgt gewöhnlich 37,5-38,5°.

Beim Horchen an den Bauchwandungen hört man fortgesetzt Darmgeräusche z. T. Flüssigkeits- (Dünndarm-), z. T. leicht knisternde (Dickdarm-) Geräusche.

Kot und Harn werden regelmäßig entleert.“113

Die Heilgehilfen waren kundig über die Abweichungen von diesen physiologischen Körperzuständen. Sie ergriffen bei Bedarf die vorläufigen Maßnahmen bei inneren und fieberhaften Erkrankungen. Sie nahmen das Pferd aus dem Dienst, hielten es mit geeigneten Mitteln warm und sorgten für die Wasser- und Futteraufnahme. Nietzold hatte ihnen die inneren Erkrankungen verdeutlicht, „welche von dem roßärztlichen Heilgehilfen zunächst erkannt und bis zum Eintreffen des Roßarztes behandelt werden soll[ten]“. Bei einer Kolik brachten die Heilgehilfen das Pferd in den Stall, frottierten seinen Bauch und seine Flanken und deckten es warm ein. Sie gestatteten dem Pferd das Niederlegen und leichtes Wälzen. Stärkeres Wälzen unterbanden sie.

In den Fällen einer Krampf- oder Anschoppungskolik bewegten sie das Pferd oder gaben ihm Klistiere ein. Sehr unruhigen Pferden injizierten sie Morphium. Die Heilgehilfen wickelten den an einem Erkältungsfieber erkrankten Pferden die Beine mit Wollbinden ein. Unterstützend frottierten sie ihnen den ganzen Körper und deckten sie ein. Die gleiche vorläufige Behandlung wendeten die Heilgehilfen bei der mit einer vermehrten Absonderung wässrigen oder schleimigen Sekretes einher-gehenden katarrhalischen Entzündung der Atmungsorgane an. Die „Entzündung der Schlund- und Kehlkopfschleimhaut“, die Bräune, versorgten die Heilgehilfen mit einem Drusenlappen und rieben die Kehlgegend des Pferdes mit Kampfer-Liniment oder Lorbeeröl ein. Sie fütterten das Pferd mit Schlappfutter. Bei der Druse, „einem eitrigen Nasenkatarrh mit nachfolgender eitriger Entzündung der Kehlgangs-lymphdrüsen“, behandelten die Heilgehilfen die Tiere wie im Falle des Erkältungsfiebers. Druseverdächtige Tiere separierten die Heilgehilfen umgehend.

Bei der von Tier zu Tier übertragbaren und häufig durch den Menschen verschleppten Rotlaufseuche kümmerten sie sich um eine angepasste Unterbringung sowie eine ausreichende Futter- und Wasserversorgung. Sie wussten um die Wichtigkeit der Desinfektion ihrer Hände oder des Thermometers. Die aufgeführte Behandlung ergänzten die Heilgehilfen bei der Brustseuche mit dem Frottieren mit Strohwischen oder Kampferspiritus, dem Eindecken des Pferdes und den Prietznitz’schen Umschlägen um die Pferdebrust.

113Nietzo ld, O., Heilgehilfe, 1896, 69ff.

Abb. 7:Aufheben eines Pferdes, Nietzold, 1896.

Abb. 7 (Forts.).

Nietzold hatte die Heilgehilfen ebenfalls über den Rotz unterrichtet:

„Rotz- oder Wurmkrankheit ist eine ansteckende, unheilbare Krankheit. Die Ansteckung wird durch Nasenausfluß und durch Geschwürseiter vermittelt.

Die Rotzkrankheit äußert sich durch einseitigen Nasenausfluß von übler Beschaffenheit, einseitige Drüsenschwellung, die hart und unschmerzhaft, und Geschwürsbildung auf der Nasenschleimhaut. Bei der Wurmkrankheit fahren am Körper Beulen auf, welche durch bindfadenstarke Stränge von Lymphgefäßen verbunden sind, reihenweise stehen und sich zu Geschwüren umwandeln.

Die Krankheit ist hier nur zu erwähnen, damit der roßärztliche Heilgehilfe bei Wahrnehmung derartiger, rotzverdächtiger Erscheinungen möglichst bald eine

Die Krankheit ist hier nur zu erwähnen, damit der roßärztliche Heilgehilfe bei Wahrnehmung derartiger, rotzverdächtiger Erscheinungen möglichst bald eine