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Deutschland als Ziel

4. Was sind die Ursachen der Flucht? Warum kommen sie und wie gelangen sie

4.3 Deutschland als Ziel

Ungefähr die Hälfte der hier Befragten hat sich Deutschland bewusst als Zielland ausgesucht, die andere Hälfte berichtet, dass sich erst im Verlauf ihrer Flucht her-aus kristallisierte, wohin sie gehen würden. Häufig waren es andere Flüchtende o-der zufällige Bekanntschaften, die diese Befragten darauf brachten, dass Deutsch-land ein attraktives Fluchtziel für sie darstellen könnte, nachdem sie beispielsweise erfolglos versucht hatten, sich in anderen Ländern zu etablieren und absehbar blieb, dass eine legale Existenz in den Transitländern nicht zu erlangen sein würde.

„In Italien gibt es keine Arbeit, auch die Italiener die haben keine Arbeit, kein Job, keine Unterstützung. Die Italiener suchen selbst. Man bekommt keine Arbeit und dann geht man weiter.“ (QMR Flü_44_BE_Somalia_DLD-AB_m-w_21-21)

„Istanbul und die Türkei sind schön, das Land ist sehr schön. Aber man hat dort keine offiziellen Papiere, dass man bleiben darf. Es gilt nur für einen Tag. Sie kön-nen zwei Tage später sagen, dass man wieder gehen muss. Die Bezahlung war auch sehr niedrig.“ ( QMR Flü_01_SN_Syrien_AB_m_21)

„Alles geschah ganz plötzlich. Ich habe nicht beschlossen nach Deutschland oder irgendwo anders hinzugehen. Wir hatten ein sehr gutes Leben im Iran und wollten nicht weg. Das geschah ganz plötzlich und das Schicksal hat mich hierher verschla-gen.“ (QMR Flü_73_NRW_Iran_AB_m_28)

„Das habe ich unterwegs gehört, von den anderen Leuten.“ (QMR Flü_12_SN_Irak_AS_m_19)

„Ich war in Italien, nur 2 – 3 Stunden in Mailand. Dann hat ein kurdischer Mann, der hat mir gesagt, lieber Deutschland, das wäre am besten hier in Europa.“ (QMR Flü_41_BW_Syrien_SCH_m_26)

Diejenigen, die Deutschland von Anfang an als ihr Fluchtziel vor Augen hatten, hol-ten – wenn die Zeit dies zuließ – vorab und aktiv Informationen über Deutschland ein: über das Internet, durch Gespräche mit bereits in Deutschland lebenden Freun-den und Verwandten oder indem sie aufmerksam verfolgten, was man im Fernse-hen oder vom Hören-Sagen an Informationen über Deutschland aufschnappen konnte.

Verschiedene Äußerungen in den Interviews weisen darauf hin, dass sich viele Per-sonen Deutschland schon seit langer Zeit als „Sehnsuchtsziel“ erträumt hatten, doch die Umstände, etwa fehlende finanzielle Mittel oder die Erlaubnis der Familie, ließen einen Aufbruch bis dahin nicht zu. Andere zögerten, weil die Repressionen und Ge-fahren im Herkunftsland zunächst noch erträglich erschienen.

„Ich habe immer schon lange über Deutschland nachgedacht, ich wollte unbedingt nach Deutschland, schon vor 7 Jahren, als ich noch jung war. Ich hatte immer im Kopf, dass ich irgendwann nach Deutschland gehe. […] Egal wie, wir haben wenig Geld, aber trotzdem habe ich gesagt: ich muss nach Deutschland, auch wenn ich unterwegs sterbe, hier bin ich schon tot, ich muss unbedingt nach Deutschland und dort leben.“ (QMR Flü_91_BY_Irak_AB_m_23)

„Ich sagte meinen Freunden damals: „Hoffentlich kann ich eines Tages nach Deutschland!“ Meine Freunde schüttelten dann immer den Kopf, so nach dem Mot-to: „Hört euch nur an was sich dieses Mädchen da einbildet.“ Aber ich erzählte ihnen immer wieder wie gerne ich Deutschland mag. [lacht] „Aber von wem haben Sie mehr über Deutschland erfahren? Von Touristen? Oder durch die Medien?“ – „Ja, von Touristen. Und manche Dinge habe ich auch über Google recherchiert. Dort habe ich deutschsprachige Seiten besucht und mich gefragt, wann ich wohl selber in der Lage sein würde diese Sprache zu sprechen.“ (QMR Flü_84_BW_Gambia_AB_w_37)

„Ich habe viel gehört, viele Verwandte von mir waren auch in Hamburg und die ha-ben immer Gutes über Deutschland erzählt.“ ( QMR Flü_28_BE_Afghanistan_AB_m-w_46-32)

Deutschland bietet Sicherheit und Frieden – das ist das Hauptargument der Befrag-ten für ihre Entscheidung, in Deutschland um Schutz anzusuchen. Auch andere europäische Länder bieten dies. Warum sie letztendlich also Deutschland den Vor-zug gaben, begründen die Interviewpartner mit der hier gebotenen besonderen

Zu-kunftsperspektive: 1. Die Wirtschaftskraft Deutschlands und die damit verbundene Perspektive, Arbeit aufnehmen zu können und 2. die erwarteten Bildungsmöglich-keiten lassen das Land äußerst attraktiv erscheinen.

Dass Deutschland den Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg geschafft hat und wirt-schaftlich erstarken konnte, bewerten die Menschen, die aus zerrütteten Kriegsregi-onen stammen, als ermutigend.

„Ich habe die Geschichte von Deutschland nach dem 2. Weltkrieg gelesen. Ich habe die Geschichte gelesen, wie Deutschland nach dem 2. Weltkrieg wieder aufgebaut wurde, das hat mir gefallen.“ (QMR Flü_31_BY_Syrien_SCH_m_25)

„Es geht um die Zeit während des zweiten Weltkriegs, Fotos von Berlin und Köln, Städte in Deutschland, die im zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Als ich das sah, habe ich geweint, weil ich an mein Land gedacht habe. Manchmal denke ich, dass Deutschland ein starkes Land ist. Nicht nur jetzt, sondern schon immer. Als es im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, sind sie wieder aufgestanden und die Frauen und

alle Menschen haben zusammengearbeitet.“ (QMR Flü_76_NRW_Syrien_SCH_w_40)

Es gilt unter den Befragten als weitverbreitete Botschaft, dass Flüchtlinge in Deutschland willkommen sind, als Arbeitskräfte benötigt werden, ihnen mit Wert-schätzung begegnet wird und sie ausdrücklich geschützt werden.

Viele der hier Befragten berichten, dass sie die im Sommer und Herbst 2015 über Medien und Gerüchte transportierte Stimmung als explizite Einladung nach Deutschland interpretiert haben. Hier wurde vereinzelt auch direkt auf die Aussagen von Bundeskanzlerin Angela Merkel Bezug genommen. Sie gilt für viele als persön-licher Garant für ein offenes Deutschland. Die Aussicht auf „offene Grenzen“, relativ problemlose Gewährung von Asyl und anfängliche finanzielle Unterstützung be-schreiben die Schutzsuchenden als ermutigende Argumente, den Weg nach Deutschland zu wagen.

Personen aus der Balkanregion, von denen sich einige bereits während der Jugo-slawienkriege in Deutschland aufgehalten hatten berichten, dass sie für sich eine mögliche Chance ergreifen möchten, nach Deutschland zurückzukehren bzw. hier eine neue Existenz zu etablieren.

„Das Wichtigste, in Deutschland kriegt man keine Duldung. Da gibt es nicht so viele Fälle, dass die Leute eine Duldung kriegen und zurückschicken.“ – „Nicht so viele Abschiebungen?“ – „Ja.“ (QMR Flü_18_SN_Afghanistan_AB_m_26)

„Und dann habe ich gehört, in Deutschland gibt es Asyl, und dann bin ich mit meiner Frau und den Kinder nach Deutschland.“ (QMR Flü_08_SN_Albanien_DLD_mw_24_23)

„Ich hatte Deutschland geplant, weil wegen der Nachrichten und Merkel, dass sie Flüchtlinge aufnehmen und alle willkommen sind. Und ich habe keine Verwandt-schaft woanders - außer USA und da ist es ganz schwierig. So habe ich mein Glück in Deutschland versuchen wollen.“ (QMR Flü_90_BY_Irak_SCH_m_25)

Es ist das klar formulierte Ziel aller befragten Personen, sich hier ein möglichst nor-males, unabhängiges Leben aufbauen zu können bzw. den eigenen Kindern eine Zukunftsperspektive zu ermöglichen. Die hiesigen Rahmenbedingungen dazu scheinen ihnen hierfür ideal zu sein - zumindest zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung für Deutschland.

„Das einzige, was wir mitgenommen haben, war unser Leben, damit meine Kinder hier in Deutschland eine bessere Zukunft haben.“ ( QMR Flü_28_BE_Afghanistan_AB_m-w_46-32)

Die genannten Argumente für Deutschland als Ziel im Überblick:

Sicherheit und Frieden

Zukunftsperspektive für die eigenen Kinder

Bildung hat hier einen hohen Wert, gute Bildungseinrichtungen und -chancen

Kostenloses Studium

Wirtschaftsstärke des Landes, Aussicht auf Arbeit

Demokratisches Land mit klaren, allgemeingültigen Regeln und funktionierender Bürokratie

Gerechter Lohn für Arbeit wird gezahlt

Trennung von Staat und Religion, Werte wie Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Minderheitenschutz werden gelebt

Unterstützungsleistungen an Flüchtlinge, gute Startchancen

Verwandte und Freunde sind bereits in Deutschland

Erleichterte Einreisemöglichkeiten, „offene Grenzen“, „Merkel lädt uns ein“

Relativ hohe Bleibeperspektive

Medizinische Versorgung, korruptionsfreies Gesundheitssystem

Gute Behandlung, Freundlichkeit der Menschen in Deutschland

Nicht zu heiß, ein ähnliches Klima wie in Syrien Sicherheit, Frieden und Normalität

„Ich habe einfach einen Ort gesucht, wo ich ein friedliches, ganz normales Leben führen kann. Nichts Besonders, einfach ganz normal, vielleicht irgendwo, wo ich

meine Ausbildung fertig machen kann. Zur Schule gehen, arbeiten, ein ganz norma-les Leben führen.“ (QMR Flü_75_NRW_Iran_AB_m_23)

„Wenn man Angst um seine Frau und seine Kinder hat, dann ist das ein großes Problem. Das einzige, was man in der Situation braucht, ist ein sicherer Ort. Dass niemand dir was tun kann.“ (QMR Flü_54_Iran_AB_m-w_40-39)

„Als ich angekommen bin, habe ich mich sicher gefühlt und wusste, dass mich nun niemand mehr töten will.“ (QMR Flü_51_BE_Somalia_AB-AB_w-w_39-40)

Zukunftsperspektive für die eigenen Kinder/ Bildung

„Ich war mir ziemlich sicher, dass es uns hier besser gehen wird als in Albanien. In Albanien haben wir keine gute Bildung für unsere Kinder. Ich hatte keinen Job um mich selbständig um meine Familie kümmern zu können. Das ist aber meine Ver-antwortung als Vater. Daher.“ (QMR Flü_80_BW_Albanien_AB_m_38)

Minderheitenschutz, Asyl

„Uns war klar, dass Deutschland die Menschen schützt und die Menschenrechte hier gelten und wir wissen auch, dass wir auch Pflichten haben. Aber ein großer Punkt war, dass sie uns schützen“. (QMR Flü_33_BY_Iran_AS_mw_33_33: 77 - 77)

„Alles, in Syrien wir sehen Autos, Mercedes, Bosch, wir fragen woher das Auto ist, wir mögen Deutschland, Deutschland hat viele große Firmen, ist ein starkes Land.

Die Medizin, die Bildung, die Wirtschaft.“ (QMR Flü_25_BE_Syrien_SCH_m_23) Bildung / Bildungseinrichtungen

„Deutschland hat einen sehr guten Ruf, die Bildungsqualität ist sehr hoch angese-hen und auch wenn man später arbeitet, hat man auch eine gute Chance Arbeit zu bekommen.“ – „War das der Hauptgrund oder gab es noch andere Gründe warum Sie nach Deutschland wollten?“ – „Das war der Hauptgrund.“ (QMR Flü_26_BE_Syrien_AS_w_25)

Wirtschaftsstärke des Landes, Aussicht auf Arbeit

„Als deutsche Politiker nach Albanien kamen. Sie sagten, dass sie Leute brauchen, die arbeiten wollen. Wir brauchen junge Menschen weil die Bevölkerung in Deutsch-land immer älter wird. Sie haben es nicht so direkt gesagt, aber es hat sich danach angehört. Ich dachte mir, vielleicht kann ich eine Arbeit finden und es wäre besser für meine Kinder. Also habe ich die Entscheidung getroffen, hierher zu kommen.“

(QMR Flü_80_BW_Albanien_AB_m_38)

„Es gibt hier viel Arbeit. Man kann Arbeit finden.“ - „Gab es noch mehr Gründe, nach Deutschland zu wollen?“ – „ Es ist auch schön.“ (QMR Flü_39_NRW_Syrien_SCH_m_36)

Demokratisches Land mit klaren, allgemeingültigen Regeln / Disziplin / Ord-nung

„Ich habe die Information bekommen: hier in Deutschland kannst Du ohne Arbeit nicht leben, ohne was zu machen, einfach zuhause bleiben, das kann man nicht, weil es Gesetze gibt. Dass es hier viele Regeln gibt, ganz anderes wie in meiner Heimat.“ – „Und wie fanden Sie das?“ – „Dass alles geregelt ist, hat mir gefallen.

Wenn es solche Gesetze auch in meiner Heimat gegeben hätte, dann hätten wir keine Probleme gehabt.“ (QMR Flü_21_BE_Irak_AB_m_39)

Medizinische Versorgung

„Der erste Grund war die Freiheit, die man in Deutschland genießen darf, kann.

Dann der zweite Grund war die medizinische Versorgung, da habe ich gehört, dass es die beste ist, ich habe noch Kriegsverletzungen.“ (QMR Flü_94_BY_Eritrea_SCH_m_32)

Freundlichkeit der Menschen / Unterstützungsleistungen an Flüchtlinge, gute Startchancen

„Ich weiß, dass der Staat Flüchtlinge willkommen heißt. Die Menschen auch! Das ist nicht in vielen Ländern so. Hier, in Deutschland, wird man willkommen geheißen.

Das ist ein weiterer Punkt. Was ich hier habe… Deutschland ist das Land, das sich am besten um Flüchtlinge kümmert und damit beschäftigt. Das ist einer der Gründe, weshalb ich Deutschland gewählt habe.“ (QMR Flü_50_BE_Irak_AB_m_26)

„Deutschland ist das einzige Land was ich kenne, das die Flüchtlinge unterstützt und ihnen hilft.“ (QMR Flü_91_BY_Irak_AB_m_23)

Verwandte und Freunde in Deutschland

„Weil in Deutschland bekommt man Hilfe, und auch die Verwandten, Bruder, Schwester sind auch da.“ ( QMR Flü_72_NRW_Irak_AB_m_21)

Expertensicht:

Die drei von uns befragten Experten mit eigenem Migrationshintergrund bestätigen, dass es der Mix aus Grundbedürfnissen wie Sicherheit, Grundabsicherung und me-dizinische Versorgung gepaart mit der Aussicht auf eine Zukunftsperspektive (Ar-beit, Ausbildung, viel Geld verdienen) ist, die Deutschland so attraktiv machen.

„Für uns Iraner ist die Erlaubnis oder Zulassung von einer kanadischen oder ameri-kanischen Universität nicht so einfach. So was kriegt man nicht so einfach. Dann habe ich mir über Deutschland Gedanken gemacht. Bei uns im Iran ist die deutsche Kultur so eine bekannte Kultur. Die Leute mögen so was.“ (QMR Exp_26_Kulturmittler)

„Ich habe da sehr drüber nachgedacht. Deutschland hat eben Sozialsystem, Ge-sundheitssystem, diese Struktur, diese Organisation. Deutschland ist stark und das spricht sich so rum. Und den Menschen wird ja auch was versprochen, was erzählt.

Die machen sich Bilder. Die machen sich Gedanken. Die sitzen zusammen, die re-cherchieren, die sprechen.“ (QMR Exp_22_Ehrenamt)

Gleichzeitig warnen sie davor, dass es schnell zu Ernüchterung kommt, wenn die Grundbedürfnisse erfüllt sind und der Geflüchtete feststellt, dass der Zugang zu Arbeit, Bildung und Wohlstand mit hohen Hürden verbunden ist. Sie berichten von verzerrten Wahrnehmungen und Erwartungshaltungen, was die Wohlstandssituation und Möglichkeiten in Deutschland betrifft.

„Warum hast du kein Dienstmädchen? Du bist doch in Deutschland. Die dachten, Du bist in einem Schloss und bist Prinzessin. Was haben die für eine Vorstellung?

So ist Deutschland für die. Wenn du in Deutschland bist, hast du viel Geld. Aber die können sich nicht vorstellen, dass diese Menschen, die nur Urlaub machen wollen, das ganze Jahr dafür arbeiten, sparen.“ (QMR Exp_22_Ehrenamt)