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Der virtuose Unternehmer

Im Dokument Architektur immaterieller Arbeit (Seite 144-149)

Es ist die letzte von 20 Folgen von „Das österreichische Portrait“, die am 7. Dezember 1969 den damals 34-jährigen Architekten Hans Hollein porträtiert. Zuvor wurden unter anderem der sozialis-tische Gewerkschafter Anton Benya, der Architekt Roland Rainer, der Komponist Gottfried von Einem, der Bildhauer Fritz Wotruba und auch der Autokonstrukteur Ferdinand Porsche als wichtige Persönlichkeiten Nachkriegsösterreichs präsentiert.

2 Siehe weiter unten im Kapitel „Zeichenhafte Blasenarchi-tektur“ sowie „Episode #2: Rhythmisierende Vanillezukunft“.

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In der halbstündigen Fernsehsendung wird eine enge, ja senti-mentale Verbindung Holleins zum alten, zum traditionellen Wien und zu Österreich konstruiert: die Nähe seiner revolutionären Ideen zur Geschichte Österreichs und seiner Architektur wie auch zur Gemütlichkeit des Lebens in der ehemaligen Weltstadt, zu den Fiakern, dem Riesenrad. Es werden die Nachbarschaftsbe-ziehungen der von ihm gestalteten Geschäfte zu den Traditions-häusern wie der Hofkonditorei Demel oder dem Hotel Sacher betont. Kurz: Hollein wird als charmanter Wiener inszeniert, als junger visionärer Österreicher, der weltgewandt und welterfahren eine große Affinität zu Wien und seiner Geschichte hat. Eine junge Hoffnung, die nach langem Auslandsaufenthalt wieder nach

Österreich zurückkehrt, um hier zu wirken und das neue Österreich wieder aufzubauen:

Der junge Architekt lebt mit seiner Frau im vierten Wiener Gemein-debezirk. Dort ist er aufgewachsen und in die Volksschule und später auch in die Realschule gegangen. Nach seinem Studium bei Clemens Holzmeister an der Akademie der bildenden Künste in Wien hat er in Schweden gearbeitet und anschließend, durch ein Stipendium finanziert, einen Master of Architecture in Kalifor-nien erworben. Bekannt wurde er mit dem Umbau des Kerzen-geschäfts Retti. 1969 unterrichtete er in Düsseldorf, unter anderem plante er eine Bank in Wien und eine Galerie in der 79. Straße in New York und arbeitete an einem Projekt für die Weltausstellung in Osaka, Japan, sowie an einem Sonderprojekt der Firma Olivetti in Amsterdam. 3

Hans Hollein inszeniert sich als hybrides Arbeitssubjekt: Er ist kosmopolitischer Unternehmer und Kreativsubjekt in einem.

Er arbeitet zielorientiert weltweit an einer Vielzahl von Projekten, ist teamfähig und arbeitet auch mit seiner Frau zusammen, die als Modedesignerin die Kostüme für den von Hollein gestalteten Österreichbeitrag der Triennale in Mailand entworfen hat. Seine Arbeit ist nicht nur Architektur, sondern auch Design, Werbung und Kunst. Hollein beschäftigt sich zudem mit medialen Innovati-onen und neuen Informationstechnologien.

Am Beginn von „Das österreichische Portrait“ stellt er sich als virtuoser Architekt vor, der außerhalb der Norm denkt: „Ich bin

3 So die biographischen Eckdaten, wie sie in „Das öster-reichische Portrait“ präsentiert werden.

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Teil 2: Einrichten 225 × 120 cm

nicht so ein Architekt, der nur baut. Mich interessiert Verschie-denes. Auch die Werbung und dergleichen. Ich mache Produktvor-schläge. Ich bin so etwas wie ein Idea-Man“ (0:39). 4 Mit anderen Worten: Er ist virtuos, immer ein wenig verrückt, visionär und dennoch pragmatisch an der Lösung von Problemen interessiert.

Das Bauen müsse man ein Stück weit verlassen und Architektur mit technologischen Neuheiten in Relation setzen. „Ich finde, dass das Bauen allein nicht mehr die Antwort ist. Wenn Sie einen Katalog aufstellen, was ein Haus alles erfüllen soll an Anforde-rungen, so erfüllt ein Raumanzug diesen Zweck viel besser als irgendein Haus“ (0:54).

Die Arbeitsplätze des jungen Architekten sind „seine Wohnung […], auf dem Weg zu seinen Bauten das Flugzeug, und sein

dritter Arbeitsplatz ist das Atelier“ (12:55). Holleins Arbeitsplatz ist entgrenzt: Das Büro ist nicht nur mobil und überall auf dieser Welt, sondern auch ausgeweitet – Leben und Arbeiten verschmelzen in ihm. Das Atelier, das Flugzeug, die Wohnung müssen verschie-dene Programme, verschieverschie-dene Funktionen ermöglichen können, sie sind seine Arbeitsräume und gleichzeitig sein Lebensraum.

Hans Hollein lebt und arbeitet überall, sei es im Schaukelstuhl, in dem er hin und her wippt und von seiner imaginierten Arbeitszu-kunft fabuliert, oder auch im transparenten Pneu.

Die Inszenierung des holleinschen Arbeitslebens lässt sich als post-bürokratische Praxis benennen, die seit den frühen 1970er Jahren zu einer Avantgarde der Arbeitskultur avanciert und sich an den Rändern der korporatistischen Großorganisationen ent-wickelt. Das allgemeine Modell des post-bürokratischen Organi-sationstypus wird von Charles Heckscher als ein System definiert,

„in which people can enter into relations that are determined by problems rather than predetermined by the structure“. 5 Es beruht auf einer projekt- und teamförmigen Kreativarbeit und umfasst

„symbolproduzierende Tätigkeiten in der neuen Kulturindustrie:

4 Die hier und im Folgenden in Klammer gestellten Zahlen sind der Timecode der vom ORF-Kundendienst erstellten DVD des „Österreichischen Portraits“ über Hans Hollein, das am 7. Dezember 1969 ausgestrahlt wurde. Vgl. Dieter O. Holzinger:

Das österreichische Portrait, DVD-Archiv des Österreichi-schen Rundfunks ORF, 2008.

5 Charles Heckscher: Defining the Post-Bureaucratic Type, in:

Charles Heckscher, Anne Donnellon (Hg.): The Post-Bureau-cratic Organization. New Perspectives on Organizational Change, Sage: Newbury Park, CA 1994, S. 14–62, hier: S. 24.

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Beratung, Informationstechnologie, Design, Werbung, Tourismus, Finance, Unterhaltungsindustrie, Forschung und Entwicklung“. 6 Die Herausbildung dieser neuen Arbeitspraxis folgt einer Vielzahl gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und technologischer Bedin-gungen der 1960er Jahre, zum Beispiel in Verbindung mit dem veränderten, neoliberalen Managementdiskurs der Chicago School und ihrer direkten Verbindung mit der in Teil 1 beschrie-benen Restrukturierung der Unternehmungen durch die Organi-sationskybernetik, 7 aber auch getriggert durch die von den Gegen-kulturen eingeleitete Modifizierung von Arbeitsidentitäten hin zum kreativen Künstlerideal, 8 ein verändertes, individualisiertes Konsumverhalten oder durch neue Kommunikationstechnologien, die den „Rahmen für eine Auflösung der Arbeitsbedingungen von Gleichräumigkeit und Gleichzeitigkeit“ 9 lieferten.

In dieser neuen Arbeitspraxis geht es weniger um Wissens- und Informationsarbeit im eigentlichen Sinn, in der Wissen das Produkt darstellt, sondern vielmehr um eine Arbeit, bei der „die

‚produktive‘ Manipulation der Zeichen selbst den Zweck der Arbeit

6 Andreas Reckwitz: Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Post-moderne, Velbrück Wissenschaft: Göttingen 2006, S. 500.

7 Die Chicago School kann als Gegenposition zum keynesia-nischen Modell verstanden werden, das vor allem im Europa der 1960er Jahre für eine Hochkonjunktur sorgt. Sie stellt die Grundlage der Wirtschaftspolitik Ronald Reagans und Margaret Thatchers in den 1980er Jahren dar. Für meine Arbeit ist die Verbindung zu den Kybernetikern (vgl. Teil 1:

„Mobilisieren: Nicht-Räume der Arbeit“) interessant: Die als Chicago Boys bekannt gewordene Gruppe chilenischer Ökonomen hatte nach dem Militärputsch 1973 die Wirt-schaft Chiles radikal nach dem Modell der Chicagoer Schule umstrukturiert und dabei ein von dem Unternehmensberater und Managementkybernetiker Stafford Beer entwickeltes Computerprogramm in Santiago de Chile installiert. Ziel war es, Daten der Betriebe des Landes zentral zu sammeln, in Echtzeit Optimierungen vorzunehmen und Anweisungen an die Betriebe zurückzuschicken. Beer entwarf sogar ein Real-Time-Feedback-System für die Bevölkerung über TV-Geräte.

Der Sollwert: ein glückliches Volk.

8 Zum Künstlerideal vgl. Luc Boltanski, Ève Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, Edition Discours, UVK: Konstanz 2003.

9 Andreas Reckwitz: Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Post-moderne, Velbrück Wissenschaft: Göttingen 2006, S. 503.

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Teil 2: Einrichten 225 × 120 cm

bildet“. 10 Es ist eine Art der Arbeit, die Performativität – die Virtuo-sität – des Arbeiters einfordert. Für den italienischen Philosophen Paolo Virno 11 hat diese Art der post-bürokratischen Arbeit, die er postfordistisch nennt, traditionelle Eigenschaften des politischen Handelns angenommen (u. a. das „Sich-den-Blicken-der-anderen-Aussetzen“). Für Virno wird die Virtuosität, also die Tätigkeit, die vormals ausschließlich dem Künstler zugesprochen wurde, eine Tätigkeit, die ihre Erfüllung und ihren Zweck in sich selbst findet,

ohne in einem Produkt zu enden, eine Tätigkeit, die vor allem die Anwesenheit anderer voraussetzt, zur zentralen und allge-meinen Kategorie der neuen Arbeitspraxis. Die Virtuosität wird zur Massenarbeit und das Spektakel zum Verständnisinstrument.

Wo für Guy Debord das Spektakel die zur Ware gewordene mensch- liche Kommunikation darstellt und daher für den Wortführer der Situationisten zu kritisieren sei, 12 stellt Paolo Virno die doppelte Natur des Spektakels in den Vordergrund. Einerseits sei es ein spezifisches Produkt eines (vormals) besonderen Industriezweigs und andererseits die Quintessenz des gesamten zeitgenössi-schen Produktionsmodus. Das Spektakel ist für Virno Produkti-onsprozess im Werden, der monologische Charakter der Arbeit verschwindet, und die Relation zu den anderen stellt nunmehr eine grundlegende Voraussetzung für die Arbeit dar, die ohne Skript

10 Ebd., S. 504.

11 Vgl. hier und im Folgenden: Paolo Virno: Grammatik der Multitude, Verlag Turia + Kant: Wien 2005 (italienisches Original: 2001).

12 Vgl. Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels. Kommen-tare zur Gesellschaft des Spektakels, Klaus Bittermann/

Edition Tiamat: Berlin 1996. Einen kurzen und prägnanten Kommentar zum Begriff des Spektakels als unbeschadetem Begriff der zeitgenössischen Criticality zeichnet die deutsche Philosophin Juliane Rebentisch. Rebentisch verweist auf das doppelt Unzeitgemäße der Kritik des Spektakels. In einer Situation, in der sich die Demokratie in eine Post-Demo-kratie (Rancière) zu verkehren droht, in der der gesellschaft-liche Konflikt aufgehoben wird und die Teilungen der Gesell-schaft (Macht/GesellGesell-schaft) in einer neoliberal verstandenen klassenlosen Gesellschaft verschwinden, verstelle die „diffuse Rede von der Herrschaft des Spektaktels“ eine Kritik der Repräsentation. Vgl. Juliane Rebentisch: Spektakel, in: Texte zur Kunst, Juni 2007, 17. Jahrgang, Heft 06, Kurzführer / Short Guide, S. 120–123.

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auskommen müsse und nur über die menschliche Erfahrung, den Intellekt und die Virtuosität zu bewältigen sei. 13

Die Performance Holleins im oben beschriebenen Fernsehaus-schnitt, in der er sich eindrücklich als kreative ICH-AG präsentiert und in der das Design des Mobilen Büros seine architektonisch adäquate Form findet, ist auf doppelte Weise prototypisches Modell eines post-bürokratischen/post-fordistischen Arbeitsle-bens: Einerseits ist sie der dargestellte Alltag des Architekten, der irgendwo arbeitet und fernmündlich mit seiner Bauherrschaft Kontakt aufnimmt, andererseits aber auch das Mobile Büro als Architektur-Performance, die als Modell gilt.

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