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Alltägliche Situation, prototypische Architektur

Im Dokument Architektur immaterieller Arbeit (Seite 149-153)

Die pneumatische Blase ist dabei der architektonische Prototyp des neuen Paradigmas des kreativen, virtuosen Unternehmersub-jekts: Die weiche, anschmiegsame Sphäre isoliert den Architekten von seiner unmittelbaren Nachbarschaft, die Blase stellt das arbei-tende Subjekt gewissermaßen heraus. Sie produziert ein insuläres Binnenklima 14, in das der Architekt eintaucht, um darin – egal wo

13 Vgl. Paolo Virno: Grammatik der Multitude, Verlag Turia + Kant: Wien 2005 (italienisches Original: 2001), S. 80.

14 Zur Diskussion insulärer Binnenklimata und ihrer zeitgenös-sischen Konstruktion möchte ich auf das Kapitel 1, „Insulie-rungen“, in Peter Sloterdijks „Sphären III“ verweisen, worin der deutsche Philosoph im Rekurs auf Georg Simmels Raum-theorie und Gille Deleuze’ frühe Inseltexte drei verschiedene Verfahren moderner Inselkonstruktionen als künstlichen Welt-modellen nachgeht: den absoluten Inseln, die eine dreidimen-sionale, absolute Isolation voraussetzen, vom spezifischen Ort losgelöst sind, im Vakuum schweben und als mobile Kapseln ausformuliert werden. Sloterdijk nennt die Raumkapsel, aber auch den Raumanzug (auf den auch Hollein immer wieder verweist) als Beispiele. Atmosphärische Inseln schaffen dagegen neue Klimata und basieren auf dem Prinzip der Ausschließung, Trennung und Verdrängung. Das römische Atriumhaus, aber vor allem die Mietshäuser (die seit dem 2. Jh. n. Chr. im Lateinischen als insulae bezeichnet wurden) sind für Sloterdijk frühe Beispiele von atmosphärischen Inseln, die mit der Konstruktion von Glasgewächshäusern im 19. Jahrhundert ihre zeitgenössische Form erlangen. Unter anthropogenen Inseln diskutiert Sloterdijk Inseln als soziale, einrichtende Bewegung: Gruppenbildungen oder Selbstein-schließungen. Vgl. Peter Sloterdijk: Sphären III. Schäume, Suhrkamp: Frankfurt am Main 2004, S. 309–500.

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Teil 2: Einrichten 225 × 120 cm

auf der Welt – aktiv zu werden und zeitgemäß leben, also arbeiten zu können. Mit anderen Worten: Die Blase ist als Design sowohl die Voraussetzung für nomadisches Arbeiten als auch die offene Struktur für die programmatische Veränderung von Ort zu Ort.

Das ikonische Pneudesign wirkt auf zweifache Weise als beson-deres Element des Projekts: Die Blase ist einerseits ihre eigene Metapher, sie ist Gedankenblase einer zukünftigen Architektur und steht andererseits für die absolute, monadische

Einge-schlossenheit des arbeitenden Subjekts. 15 Sie ist nicht funktional determinierter Versammlungsort einer Gruppe von Menschen zur Produktion von Gütern, sondern dezidiert ironisch überzeichneter, prototypischer Einzelarbeitsplatz eines entgrenzten Arbeitsalltags.

Hollein überspitzt seinen Architekturarbeitsalltag als Vorzukunft eines modellhaften Lebens für jedermann. Die Zukunft sei nahe und werde bald eintreten. Eine Zukunft, in der alle, herausgerissen aus der gewohnten Umgebung, in einer Blase isoliert, einmal da, einmal dort, an einen Infrastrukturknoten angeschlossen, nur über Kommunikationsmedien miteinander verbunden, tagaus, tagein ein Leben führen werden, das aus Arbeit besteht. Man ist zwar immer unterwegs, ist global agierendes Kreativsubjekt. Die Arbeit ist aber immer noch dieselbe: Man entwirft die ewig gleichen Häuser und versichert seinen Auftraggebern und Auftraggebe-rinnen, dass es ganz modernes Design sei … 16

Es ist eine technisch machbare und gesellschaftlich denkbare Vision, die Hans Hollein in Szene setzt. Der oben beschriebene Filmausschnitt, der die Performance des Mobilen Büros darstellt, reiht sich in eine Serie von Utopien des Designs Ende der 1960er Jahre ein, die sich, wie der Kunsthistoriker und Kunstkritiker Helmut Draxler konstatiert, „aus technologischen und aus sozialen

15 Mit dem französischen Philosophen Gilles Deleuze gespro-chen wirkt die Blase als außerordentliches Symbol, als Leer-stelle und Konvergenzpunkt des Projekts. Vgl. Gilles Deleuze:

Woran erkennt man den Strukturalismus?, Merve: Berlin 1992 (Original: 1973), S. 41.

16 So kann man das Mobile Büro auch als Kommentar zur eigenen Praxis und der der jungen Architekturkollegen und -kolleginnen (wie zum Beispiel: COOP Himmelb(l)au,

Haus-Rucker-Co, Zünd-Up, Salz der Erde) lesen: Man entwirft Blasen, denkt an utopische Projekte und neue Gesellschaften – doch die Auftraggeberinnen sind schon mit dem ganz

modernen Design einer klassischen Villa überfordert und müssen permanent ihrer Entscheidung versichert werden.

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Utopien zusammensetzten. Zur Voraussetzung hatten sie […]

eine stabile, durch eine keynesianische Wirtschaftspolitik abgesi-cherte Hochkonjunktur. Neben technologischen und konstruktiven Neuerungen war diese dafür verantwortlich, daß nicht Utopien der Hoffnung und der Erlösung erdacht wurden, sondern Utopien des Denkbaren als des, heute oder in naher Zukunft, Machbaren.“ 17 Das Mobile Büro ist dezidiert die Vision einer Arbeitsgesellschaft.

Im Gegensatz zu vielen anderen Pneuexperimenten der späten 1960er und frühen 1970er Jahre, die hauptsächlich den populären Diskurs über die Freizeitgesellschaft affirmierten und die Blasen-architektur als emanzipatorische Architekturprojekte verstanden 18, verwendet Hollein das neue Material und die neuartige Konstrukti-onsmethode, um ein Design für den Arbeitsalltag zu visualisieren.

Die Verwendung von Alltagsgegenständen, die mehr oder weniger triviale Teile eines modernen Lebens im Jahr 1969 sind, versichern einerseits die Normalität und Aktualität des Projekts, demons-trieren aber durch ihren Gebrauch gleichzeitig die Andersartigkeit der konstruierten Situation: der Staubsauger als Gebläse, die Flug-maschine als gewöhnliches Vehikel, das man ganz normal einfach am Rand der Betonpiste parkt, der Koffer, in dem die Behausung transportiert wird, oder das mobile Telefon … Die tragbare Blase, in der Hollein sitzt und arbeitet, wird der breiten Öffentlichkeit mit der etwas konventionelleren Form, dem Wohnwagen vermit-telt. Das neuartige, transparente Material wird zudem schon in anderen Ländern für Sportanlagen verwendet – ist also etwas ganz Normales, auch wenn es, wie der Sprecher betont, etwas verrückt klingen mag.

Heute kennt man das Mit-sich-tragbare-Haus in der Sammlung der Generali Foundation, in den Publikationen und den Ausstellungen

17 Helmut Draxler: Die Utopie des Designs. Ein archäologischer Führer für alle, die nicht dabei waren. Ausstellungskatalog, Kunstverein München: München 1991, o. S.

18 Zum Beispiel: Die Villa Rosa, die blaue Architekturmaschine vom COOP-Himmelb(l)au-Trio (Michael R. Holzer, Wolf D. Prix, Helmut Swiczinsky) für die mobile Freizeitgesellschaft, wird 1968 am UIEA-Kongress in Wien vorgestellt, im selben Jahr wird das Gelbe Herz von Haus-Rucker-Co als Prototyp für eine Freizeitarchitektur präsentiert (zu diesem Projekt mehr weiter unten im Abschnitt Rhythmisierende Vanillezukunft). Aber auch die US-amerikanischen Ant Farm verstanden die Blasen-architektur als emanzipatorisches Mittel: Pneus waren leicht und billig selbst herzustellen.

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Teil 2: Einrichten 225 × 120 cm

als das Mobile Büro oder auch als Im Koffer zu transportierendes Atelier. 19 Mit anderen Worten: Der Gebrauch des funktionsoffenen Objekts ist namensgebend. In der Sammlung wird es als

Architektur, Installation katalogisiert und ihre Elemente werden folgendermaßen festgehalten: „PVC-Folie, pneumatisch, elek-trisches Gebläse (oder Staubsauger), Schreibmaschine (Hermes Baby), Telefon, Zeichenbrett, Bleistift, Radiergummi, Reißnägel, 225 × ∅ 120 cm.“ 20

In den Publikationen sieht man meist einen Ausschnitt des Doku-mentationsfotos der Aktion (siehe Abb.), bei der rechts der Blase der Kameramann Erhard Jungnikl und sein Assistent das Blasen-innere mit Hollein filmen. Links vor dem Pneu steht ein Herr in weißem Anzug, der Gestalter von „Das österreichische Portrait“

Dieter O. Holzinger, der die Szenerie im Blaseninneren neugierig verfolgt. Er ist gerade im Begriff, einen Schritt in Richtung der Luftarchitektur und des im Schneidersitz arbeitenden Architekten zu machen. Im Hintergrund sieht man die geparkten Flugzeuge.

19 Um keine Verwirrung aufkommen zu lassen, werde ich im Folgenden das Projekt Mit-sich-tragbares-Haus als Mobiles Büro titulieren.

20 http://foundation.generali.at/; in den Ausstellungen wird meist der Nachbau der Originalblase inkl. der Elemente gezeigt.

Dokumentationsfoto der Dreharbeiten des Mobilen Büros von Hans Hollein im Sommer 1969 am Flugfeld in Aspern bei Wien, aus: Archiv Generali Foundation,

Wien, Fotograf: Erhard Jungnikl, ORF

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In beiden Darstellungen wird das ikonische Element des Projekts, die Blase, als Teil einer konkreten Arbeitssituation präsentiert:

Im Filmausschnitt ist es der Arbeitsalltag des jungen Architekten in der Blase, der überspitzt als allgemeines Zukunftsmodell porträ-tiert wird. Im Foto werden die Dreharbeiten der Performance Holleins, die Produktion der Vermittlung, für das Fernsehen fest-gehalten: Ein offensichtlich Schaulustiger und ein Kamerateam versammeln sich rund um das Architekturobjekt und sind interes-siert daran, was der Insasse in seiner selbstkonstruierten Archi-tektur so treibt.

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