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6. Institutionen, Publikationen und wissenschaftliche Arbeit im Bereich der Gesellschaft für Militärmedizin der DDR

6.6 Der Rudolf-Virchow-Preis der DDR und die Militärmedizin

Für hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der medizinischen Forschung, Wissenschaft und Literaturentwicklung wurde in der DDR der Rudolf-Virchow-Preis ausgelobt. Der Preis sollte vorrangig der Anerkennung von Leistungen junger Wissenschaftler und damit deren wissenschaftlicher Anregung dienen423. Die Bedingungen, unter denen die Vorschläge zur Preisverleihung eingereicht werden konnten und die Adressaten dieser Vorschlagsschreiben wurden im Gesetzblatt der DDR vom 28. Juni 1978 veröffentlicht. Es ist davon auszugehen, dass schon ab 1976 das in diesem Gesetzblatt festgeschriebene Verfahren angewandt worden ist. Die Vorsitzenden der Medizinisch-Wissenschaftlichen Gesellschaften der DDR wurden im Februar 1976 von Dr. Rohland vom Koordinierungsrat davon in Kenntnis gesetzt, dass im November 1975 neue Bestimmungen bezüglich des Verfahrens zur Einreichung von Vorschlägen zur Auszeichnung mit dem Rudolf-Virchow-Preis in Kraft getreten seien, wobei

Militärverlag der DDR, (1989), 400 S.

423Vgl. SCHÖNHEIT, Brief an Fanter, 1979

ein Beschluss des Ministerrates zugrunde gelegen habe424. Diese Bestimmungen beträfen insbesondere die notwendigen Abstimmungsrunden. Diese machten es erforderlich, die Termine zur Einreichung der Vorschläge zur Auszeichnung erheblich vorzuziehen.

Desweiteren sei vereinbart worden, dass beabsichtigte Vorschläge zunächst in der kürzest möglichen Form erfasst und einer Vorabstimmung zugeführt würden, damit nicht zu realisierende Vorschläge nicht mit einem erheblichen Aufwand an Begründungen und Stellungnahmen in die Abstimmungsrunde gingen.

Dass dieser Beschluss des Ministerrates im Jahre 1978 dann in geltendes Recht umgewandelt worden ist, ließ sich auch anhand eines Schreibens feststellen, das Gestewitz als Antwort auf einen Auszeichnungsvorschlag aus der „Abteilung Kader“ des Ministeriums für Gesundheitswesens im März 1976 erhielt425. Er hatte, nachdem er zur Vorschlagsabgabe aufgefordert worden war, zunächst seine Sektionen der GMM per Fernschreiben befragt.

Antworten auf dieses Fernschreiben - bis auf eine Fehlmeldung seitens der Sektion für Luftfahrtmedizin - fanden sich nicht im Aktennachlass. Daraufhin hatte er Anfang März 1976 Oberst Dr. Zucker und Oberstleutnant Dr. Wulff für ihre Untersuchungen „Zur Bedeutung der serologisch-nephelometrischen Zweistufenmethode nach Hoigne zur Diagnostik von Arnzeimittelallergien in der klinischen Praxis“ zur Preisverleihung vorgeschlagen und an zweiter Stelle Oberst Prof. Heber und Oberstleutnant Dr. Kretschmer für ihre tierexperimentellen morphologischen Untersuchungen „Zur Frage der Beeinflußbarkeit des Verhaltens unspezifischer Transplantationstumoren und des tumortragenden Organismus durch RES-Aphine-Substanzen“426. In seinem Antwortschreiben setzte ihn Dr. Clauß davon in Kenntnis, dass er diese Vorschläge mit der übergeordneten Dienststelle abzustimmen habe und bezog sich auf „eben diese Verordnung über die Stiftung des Rudolf-Virchow-Preises vom 10.11.1960 (Gesetzblatt II, Seite 449) und auf die Hinweise für die Vorbereitung von Auszeichnungsvorschlägen für den Rudolf-Virchow-Preis vom 09.05.1969 (Verfügungen und Mitteilungen)“.

Gestewitz stimmte diese Vorschläge mit seinen Vorgesetzten ab und erhielt die Zustimmung des Ministers für Nationale Verteidigung.

Im März 1979 schlug er erneut den Oberstleutnant Dr. Kretschmer, diesmal gemeinsam mit dem Dipl.-Kameramann Riemer, für ihre Arbeit mit dem Titel „Tierexperimentelle morphologische Untersuchungen zu Problemen der Abwehrreaktion des Organismus bei malignen Tumoren“ zur Auszeichnung mit dem Rudolf-Virchow-Preis vor427 und erhielt auch hierfür die Zustimmung des Ministers für Nationale Verteidigung. Der Vorschlag wurde an

424Vgl. ROHLAND, Rundschreiben an die Vorsitzenden der zentralen medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften der DDR, 04.02.1976

425Vgl. CLAUß, Brief an Gestewitz, 24.03.1976

426Vgl. GESTEWITZ, Brief an Rohland, 02.03.1976

427Vgl. GESTEWITZ, Ausführliche Begründung des Vorschlages zur Verleihung des Rudolf-Virchow-Preises, 22.03.1979

den Minister für Gesundheitswesen weitergereicht, von dem im Oktober des Jahres eine Absage eintraf. Es hätte nach wie vor Zweifel an der Berechtigung der aus den Forschungsergebnissen gezogenen Schlußfolgerungen gegeben, schreibt der Minister auf dem Dienstwege über den Verteidigungsminister an Gestewitz428. Der Chef des Medizinischen Dienstes, Generalleutnant Rewald, bat Gestewitz um Stellungnahme429. Gestewitz teilte Rewald mit, dass er mit einer solchen Verfahrensweise des Ministers für Gesundheitswesen nicht einverstanden sei.

Erstens stimmte es nicht, dass die genannten Forschungsergebnisse „zu wenig dem wissenschaftlichen Meinungsstreit in unserem Lande unterzogen worden seien, so dass nach wie vor Zweifel an der Berechtigung der aus den Forschungsergebnissen gezogenen Schlußfolgerung gehegt werden“ könnten. Die vorgelegten Forschungsergebnisse waren im Rahmen eines Promotions-B-Verfahrens an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität verteidigt worden.

Zweitens seien die Forschungsergebnisse dem Präsidenten der Akademie der Wissenschaften vorgestellt und ausführlich erläutert worden. Desweiteren seien sie mit 25 Professoren der Akademie der Wissenschaft „durchdiskutiert“ worden. Darüber hinaus seien sie auf einer Reihe von Kongressen und Tagungen vorgetragen worden. Auf all diesen Veranstaltungen seien die Ergebnisse anerkannt worden, die Autoren seien sogar

„bewundernd beglückwünscht“ worden.

Drittens hielte er die Verfahrensweise des Ministers für völlig unverständlich, weil der Antrag seit Mai 1979 vorgelegen habe und erst im Oktober eine Beantwortung erfolgte, ohne dass der Minister die Möglichkeit nutzte, die Forschungsergebnisse verstehen zu lernen.

„Meines Erachtens ist es nicht vertretbar, wegen bestehender Zweifel zu einer Sache, die ich nicht verstanden habe, eine Entscheidung zu fällen“430.

Die Unterstellung von anzweifelbaren wissenschaftlichen Schlußfolgerungen, ohne mit dem Gegenstand vertraut zu sein, sei unparteilich431.

Viertens erscheine ihm eine erneute Preisbeantragung unzweckmäßig, weil das vom Minister für Gesundheitswesen hinzugezogene Gremium im Jahre 1977 bereits den Antrag auf die Verleihung des Virchow-Preises überhaupt nicht beantwortet habe und im Jahre 1978 desgleichen.

Aus diesem Grund wird nun meinerseits in Zweifel gestellt, ob das beratende Gremium tatsächlich über jene wissenschaftliche Reife verfügt, die für die

428Vgl. MECKLINGER, Brief an Hoffmann, o.D.

429Vgl. REHWALD, Aktennotiz für Gestewitz, 25.10.1979

430Anm.: Eine derartige Ungehörigkeit einem Minister der Regierung gegenüber kann sich nur erlauben, wer sich in einer absolut überlegenen Position sieht. Vielleicht liegt der Grund für dieses Verhalten Gestewitz` in der Tatsache begründet, dass Minister Prof. Dr. Mecklinger seine Karriere als Untergebener von Gestewitz im Bereich der Militärmedizin der DDR begonnen hatte.

431Anm.: Diese Ausdrucksweise macht nur Sinn, wenn man sie im Sinne eines „nicht im Interesse der Partei – also der SED – liegend“ interpretiert.

Bearbeitung derartiger Anträge aus der militärmedizinischen Forschung erwartet werden müßte432.

Bemerkenswert ist die „Kurzbiographie“ gewesen, die ein zur Preisvergabe vorgeschlagener Wissenschaftler vorzulegen hatte. Nach dem Dienstgrad, dem Namen, dem Vornamen und dem Geburtsdatum und -ort, wurde die Nummer des Mitgliedsbuches der SED aufgeführt und die Personenkennzahl des Militärs. Es folgten Angaben zum Wohnsitz und zur jetzigen Tätigkeit, gefolgt von Angaben zur sozialen Herkunft.

Danach wurden die Eltern des künftigen Preisträgers aufgeführt mit Namen, Vornamen, Geburtsdatum und -ort sowie Beruf und Parteizugehörigkeiten vor und nach 1945.

Es folgten Angaben zum Beruf, zur beruflichen Entwicklung, zu speziellen Kenntnissen und praktischen beruflichen Erfahrungen und zur Tätigkeit im Ausland. In der Folge wurde die Schul- und Hochschulbildung mit Fachrichtung und akademischen Grad dezidiert aufgeführt, danach die Weiterbildung. Es folgten Angaben zu Fremdsprachen. Außerdem musste die politische Entwicklung des zukünftigen Preisträgers vor und nach 1945 dargestellt werden, erweitert durch seine gesellschaftlichen Funktionen und die bisher erhaltenen Auszeichnungen. Der Familienstand wurde angegeben, danach Name, Vorname, Geburtsdatum, Beruf und Wohnsitz der Ehefrau, desgleichen der Kinder. Es folgten diese Angaben für die Geschwister, für die Schwiegereltern und für die Geschwister des Ehepartners. Abgeschlossen wurde die Kurzbiographie „mit der Angabe über den illegalen Verzug von Verwandten ersten Grades in kapitalistische Länder und nach West-Berlin“433.