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Der Kindergarten und sein Anschluss an das Bildungssystem

Wie oben angeführt, vertrat bereits Fröbel die Ansicht, Kindergärten sollten als erste Stufe des Bildungssystems an das Schulsystem angebunden werden. Progressive Kräft e versuchten ab Beginn der Geschichte der Kindergärten diesen Grundgedanken durchzusetzen: So wur-de 1848 am Enwur-de einer von Fröbel einberufenwur-den „Lehrerversammlung“ (Allen 2000, S. 96) eine Bittschrift an die Frankfurter Nationalversammlung gerichtet und diese dazu aufgefor-dert, den Kindergarten „in die öff entlichen Schulsysteme“ (ebd.) einzugliedern, was sich je-doch nicht durchsetzte. Eine 1898 vom Bund deutscher Frauenvereine an die deutschen Re-gierungen gerichtete Petition ging wesentlich weiter als die Forderungen von 1848: Neben Appellen, die Kindergärten unter Schulaufsicht zu stellen sowie staatliche Regelungen für

12 Zur Besonderheit der Fachschulen für Sozialpädagogik sowie zur Problematik der „unechten Fachschulen“ siehe z.B. Janssen 2010.

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Entwicklungslinien der institutionellen Kinderbetreuung

einen verpfl ichtenden Besuch der Kindergärten einzuführen, forderten die Frauen gleichzeitig die Übernahme der Ausbildung durch staatliche Institutionen sowie eine Gleichstellung der Kindergärtnerinnen mit den Lehrerinnen/Lehrern (vgl. Aden-Grossmann 2011, S. 39). Auch diese Petition blieb erfolglos. Beide Ansätze konnten sich nicht gegen die jeweils herrschenden Kräft e durchsetzen. Eine weitere historisch bedeutsame Chance zur Eingliederung der Vor-schulinstitutionen in das Bildungssystem ergab sich in der ersten Hälft e des 20. Jahrhunderts im Rahmen der Reichsschulkonferenz (1920), die sich mit Fragen der Zukunft des Bildungs-systems befasste (vgl. Reyer 2006, S. 115). Auch hier wurden „Forderungen nach Verankerung des Kindergartens im Bildungsbereich“ (ebd.) diskutiert, die jedoch erneut erfolglos blieben (vgl. ebd., S. 115). In der Folge der Reichsschulkonferenz setzten sich mit der Verabschiedung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes (RJWG) von 1922 wiederum die konservativen Stimmen durch, obwohl der Fröbelverein erneut eine Zuordnung des Kindergartens in das Bildungssys-tem forderte (vgl. Balluseck 2009, o.S.). Mit dem Gesetz wurde „die Zuordnung des Kinder-gartens zum Kinder- und Jugendhilfebereich festgeschrieben“ (Reyer 2006, S. 115), was als folgenschwer bezeichnet werden kann und nach Reyer „bis heute“ nachwirkt (ebd.). Denn auch ein neuerlicher Anlauf zur entsprechenden Zuordnung scheiterte bei der Bildungsge-samtplanung der Bund-Länder-Kommission 1973 (vgl. Balluseck 2009, o.S.). Dies obwohl infolge der Ausrufung einer „deutschen Bildungskatastrophe“ (1964 durch Georg Picht) der Deutsche Bildungsrat in seinen Empfehlungen 1970 gefordert hatte, den Elementarbereich als erste Stufe in das Bildungssystem aufzunehmen (Deutscher Bildungsrat 1970). Hierauf verweist auch Carle (2000), wenn sie mit Bezug auf Woodhead (1981, S. 171-195) aufzeigt, dass bereits 1971 Empfehlungen des Symposions der Europäischen Bildungsminister das Be-streben einer Zusammenarbeit von Kindergarten und Grundschule beinhalteten. In der Kon-kretisierung drei Jahre später sei gefordert worden sicherzustellen, „dass die Untrennbarkeit von Vorschul- und Primarerziehung anerkannt“ werde (Carle 2000, S. 208 f.). Doch bis heute ist es in Deutschland nicht gelungen, diesen Gedanken des Anschlusses tatsächlich und fl ä-chendeckend umzusetzen und die Einrichtungen der Kindertagesbetreuung als Bildungsin-stitution verbindlich in das Schul- bzw. Bildungssystem zu integrieren. Reyer spricht daher von „Abgrenzungsmotiven“, die die Geschichte von Kindergarten und Grundschule geprägt hätten (Reyer 2006, S. 9). In den vergangenen Jahren haben sich beide Institutionen einander zwar kooperativ genähert (vor allem durch Projekte wie z.B. „Frühes Lernen“13, „TransKigs“14,

„Bildungshaus 3-10“15), jedoch sind sie nach wie vor konzeptuell getrennt: nicht nur in der strukturellen Zugehörigkeit zu verschiedenen politischen Ressorts, sondern auch in der öf-fentlichen Bewertung der Tätigkeit und damit einhergehend im Ansehen der verschiedenen Fachkräft e – Erzieherinnen/Erzieher hier, Lehrerinnen/Lehrer dort – oder auch z.B. beson-ders in ihrer Tarifi zierung. Gegenwärtig sind die Kindergärten in verschiedenen Bundeslän-dern zwar politisch administrativ dem Ressort Bildung zugeordnet (s. hierzu: Dreyer 2010),

13 „Frühes Lernen – Kindergarten und Grundschule kooperieren“: Projekt der Universität Bremen mit dem Ziel der Entwicklung von Kooperationsverbünden zwischen Kindergärten und Grundschulen. Laufzeit 2003-2005. Ab-schlussbericht: http://www.fruehpaedagogik.uni-bremen.de/docs/abschlussbericht_frue_lern_.pdf [zuletzt ge-prüft : 14.08.2016].

14 Verbundprojekt verschiedener deutscher Bundesländer mit dem Ziel, „die Bildungs- und Erziehungsqualität in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen zu stärken und den Übergang […] zu verbessern“ (Lenkungsgruppe Transkigs 2009, S. 5); Laufzeit 2005-2009.

15 Modellprojekt des Landes Baden-Württemberg mit dem Ziel, Erkenntnisse über Grenzen und Nutzen der Ver-zahnung von Kindergarten und Grundschule zu gewinnen. Projektlaufzeit 2008-2015. URL: http://www.znl-bildungshaus.de [zuletzt geprüft : 14.08.2016]

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eine tatsächliche Angliederung der Institution Kindergarten an das Schulsystem als erste Stufe des Bildungssystems steht indes noch aus. Vor allem im Hinblick auf die Qualifi zierung der Fachkräft e unterscheiden sich die beiden Bereiche noch immer grundlegend. Während die tertiäre Ausbildung der Grundschullehrkräft e an Universitäten (und Pädagogischen Hoch-schulen in Baden-Württemberg) deutschlandweit vollständig anerkannt ist, wird demgegen-über eine akademische Ausbildung für frühpädagogische Fachkräft e noch immer kontrovers diskutiert. Deutschlandweit bieten derzeit erst zwei Universitäten gemeinsame Studiengänge für Elementar- wie Primarpädagogik an und schaff en damit eine Verbindung beider Bereiche in der Ausbildungsphase (s. Kap. 2.4).

Zusammenfassend können an dieser Stelle anhand der historischen Entwicklung der außerfami-lialen Kinderbetreuung und der Qualifi kation der Fachkräft e drei Aspekte konstatiert werden, deren Wirkungen bis in die Gegenwart hinein zu beobachten und für das Verständnis des Ge-samtzusammenhangs für die vorliegende Untersuchung relevant sind:

1. Institutionen für Kinderbetreuung wurden als soziale Einrichtungen der Armenfürsorge ge-gründet und unabhängig vom Schulsystem dem Sozialressort zugeordnet. Historisch wur-den bis heute mehrfach Chancen verpasst, die Einrichtungen als Institutionen des Bildungs-systems anzuerkennen und sie folgerichtig auch an dieses anzuschließen.

2. Die Institutionen entwickelten sich von Beginn an als ein in erster Linie weibliches Tätig-keitsfeld, geprägt von Vorstellungen von der „Mütterlichkeit als Profession“ (Rabe-Kleberg 2006, S. 95 f.). Dem Beruf der Erzieherin kommt als typischem Frauenberuf nur eine geringe gesellschaft liche Reputation zu (vgl. z.B. Bundesjugendkuratorium 2001, Balluseck 2008a).16 3. Die Qualifi zierung der Fachkräft e für eine Tätigkeit im Bereich der Kinderbetreuung ist von Anfang an auf niedrigem bis mittlerem Niveau angesiedelt. Eine hochschulische Ausbildung für die Arbeit mit Kindern im vorschulischen Bereich wurde mehrfach angestrebt, aber bis zur letzten Jahrtausendwende nicht realisiert. Eine damit verbundene statusbezogene Gleichstellung der Erzieherinnen/Erzieher mit den Grundschullehrkräft en (ehem. Volks-schullehrkräft en) wurde in Deutschland bis heute nicht erreicht.

Anhand dieser Ausführungen wird deutlich, dass im Bereich der Entwicklung des Kindergar-tens seit ihrem Beginn starke Beharrungskräft e wirken, die die traditionelle Trennung von Be-treuung und Bildung seit langer Zeit prägen. Zwar fi ndet spätestens seit dem Jahr 2004 mit dem Start des ersten hochschulischen Studiengangs für Kindheitspädagogik eine breite Entwicklung unter anderem im Hinblick auf die akademische Qualifi zierung der Fachkräft e statt, die das Bestreben nach einer höherwertigen Ausbildung für die Beschäft igten in der FBBE fortführt und in Teilen erstmals einlöst. Jedoch ist der Fortgang dieser Entwicklung noch keineswegs ge-sichert, wenngleich es in der Bundesrepublik inzwischen mehr als 100 Studiengänge mit un-terschiedlichen Ausrichtungen für den Bereich der Kindheitspädagogik gibt (vgl. Kap. 2.4).

Die Gründung kindheitspädagogischer Studiengänge allerdings kommt in Deutschland einem Paradigmenwechsel gleich, der im Zusammenhang mit zahlreichen weiteren Entwicklungen im Bereich der FBBE steht, die zusammengefasst in ein Bestreben nach weitergehender Pro-fessionalisierung der Kindheitspädagogik münden. Die Studiengänge stellen einen Teil dieser vielfältigen Veränderungen dar. Die Möglichkeit ihrer Entstehung fußt auf zahlreichen

Ent-16 Dies zeigt sich auch z.B. an Äußerungen wie der von Gerhard Mayer-Vorfelder (1982, in seiner Funktion als Kultus-minister in Baden-Württemberg), die von Peter Cloos (2008) zitiert wird: Meyer-Vorfelder frage „weshalb man für den Beruf der Kindergärtnerin den Realschulabschluss brauche. Die können dann zwar unheimlich psychologisch daherreden, sind aber nicht in der Lage, ein Kind auf den Topf zu setzen“ (Cloos 2008, S. 151).

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Professionalisierung der Kindheitspädagogik – Europapolitische Impulse

wicklungen aus unterschiedlichen Richtungen. Im Folgenden sollen zentrale Impulse, die dazu beigetragen haben, aufgezeigt werden.17