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2 Literaturüberblick

2.2 Definitionen von Walkability

2.2.1 Allgemeine Definition

Das „Handbuch zur Bewegungsförderung“ liefert einen Überblick über das Verständnis des Begriffes

„Walkability“ aus Sicht verschiedener Fachdisziplinen und geht auf methodische Aspekte zur Erfor-schung ein (Bucksch and Schneider 2014, p. 7). Der Auffassung von Bucksch et al. (2014) zufolge wird unter Walkability

„[…] nicht nur die Begehbarkeit, sondern in einem weiten Verständnis die gesamte Bewegungsfreund-lichkeit von Straßenzügen, Stadtteilen oder urbanen Räumen [gefasst]“.

Dieser Begriff ist an dieser Stelle bewusst offen formuliert, da er interdisziplinär ist und sich aus viel-zähligen Perspektiven wie etwa der Städteplanung, der Verkehrsplanung, der Umwelt- und Politik-wissenschaft, der Geographie und Psychologie begreifen lässt. Obschon dieser Begriff bereits

pas-15 send ist für die vorliegende Thesis, sollte er enger gefasst werden, um ein zum Ziel passendes Setting für den Feldversuch näher bestimmen zu können. Ein für die Städteplanung interessanter Begriff ist die „Bewegungsförderung“, die sich in ein weites und enges Verständnis unterscheiden lässt und nachfolgend beschrieben wird.

2.2.2 Walkability aus Sicht der Bewegungsförderung

Der Ansicht von Bucksch et al. (2014) zufolge solle der Fokus immer mehr auf die Bewegungsförde-rung gelegt werden, da aus gesundheitlichen Gründen bevölkeBewegungsförde-rungsweit Notwendigkeit dazu beste-he (ebd., S. 16). Grund dafür seien die Bewegungsdefizite bei Jugendlicbeste-hen und Erwachsenen und die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken. Bewegung als Prävention sei demnach der Schlüssel:

„Die aktuelle Datenlage führt somit zu der Erkenntnis, dass eine bewegungsfreundliche städtebauliche und sozialgeographische Wohnumwelt präventives Potenzial aufweist (Glanz und Bishop, 2010; King und Sallis, 2009; Macintyre, Ellaway und Cummins, 2002).“

Ein bewegungsfördernder Walkability-Begriff weist also präventives Potenzial im medizinischen Sinne auf. Um zu klären, wie Walkability auf Bewegungsförderung wirken kann und inwiefern dieser Begriff zur vorliegenden Thesis passt, sollte der Begriff ‚Walkability‘ zunächst fachlich eingegrenzt werden.

Zu unterscheiden sind an dieser Stelle ein weites und ein enges Verständnis von Walkability:

Abb. 4 Historische Begründung und schematische Abgrenzung eines engen und weiten Walkability-Verständnisses, Quelle:

Bucksch et al. 2014, S. 21

Die schematische Abgrenzung in Tabellenform gibt einen visuellen Überblick über die Elemente: Der weite Walkability-Begriff bezieht sich auf die physische Umwelt der Subjekte (Wohnquartier, Schule, Arbeitsplatz). Hier sind nach Bucksch et al. 2014, S. 20) die folgenden Punkte zu berücksichtigen:

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• strukturell bauliche Merkmale (Vorhandensein von Fuß- und Radwegen, die Breite und Ober-fläche von Straßen, die Konnektivität von Wegen und Straßen),

• allgemeine und verkehrsbezogene Sicherheit (Zebrastreifen, Beleuchtung),

• Ästhetik (attraktives und abwechslungsreiches Erscheinungsbild des Wohnquartiers)

• Entfernung von Zielpunkten,

• Qualität von Zielpunkten (Grünflächen, Haltestellen ÖPNV, Einkaufsmöglichkeiten),

• klimatische Bedingungen.

Das weite Verständnis von Walkability zeigt eine nahe Verbindung zur Public Health-Bewegung und bezieht sich in seiner Dimension auf wahrnehmbare Faktoren wie das Erscheinungsbild.

Ein enger Walkability-Begriff schlägt vor, dass „[Gehen und Fahrradfahren] eine Möglichkeit der Verkehrsmittelwahl [sei], um der persönlichen Mobilität nachzukommen.“ (Bucksch et al. 2014, S.

18). Gehen und Fahrradfahren stünden demnach im Fokus der Betrachtungen.

Verschiedene Kenngrößen nach Ewing und Cervero (2010) werden für diese Entscheidung zum Ver-kehrsmittel als relevant hervorgehoben:

• Density (Verdichtungsgrad des geographischen Raums, z.B. Einwohnerdichte, Arbeitsplatz-dichte, Bebauungsarten),

• Diversity (Nutzungsmischung bzw. geographische und soziale Vielfalt),

• Design (Verfügbarkeit und Gestaltung von Wegen sowie deren Vernetzung),

• Destination accessibility (Erreichbarkeit von wichtigen täglichen Anlaufpunkten),

• Distance to transit (kürzeste Wegstrecke im geographischen Raum).

Der enge Walkability-Begriff zeigt eine große Nähe zur Verkehrs- und Städteplanung. Aufgrund der Korrelation der verschiedenen „D“s wurde vom International Physical Activity and Environment Net-work IPEN ein kumulativer Walkability-Index entwickelt. Die enge Sicht eignet sich demnach eher zur Erfassung objektiver Daten.

Der enge und der weite Walkability-Begriff unterscheiden sich somit primär in Herkunft (Städte- und Verkehrsplanung vs. Public Health) sowie in ihrer Dimension (Flächennutzung und Konnektivität vs.

Erscheinungsbild und freizeitbezogene Ressourcen).

Während das Messniveau des engen Walkability-Verständnisses also primär objektiv messbar ist (z.B.

über räumliche Daten), muss das weite Walkability-Verständnis aus Wahrnehmungsaufzeichnungen bestehen. Eine qualitative Analyse kann z.B. über Instrumente der Sozialforschung durchgeführt werden, etwa mithilfe von Fragebögen. Weitere qualitative Aussagen können über die objektiven Messdaten (z.B. Räumliche Daten) erhoben werden. Für die vorliegende Thesis sind die beiden

vor-17 gestellten Verständnisse zur Bewegungsförderung unter der Fragestellung anwendbar, ob die städ-tische Umgebung auch bewegungsfördernd ist.

Eine andere Sichtweise als die der Bewegungsförderung ist die der Wohnumgebung.

2.2.3 Walkability aus Sicht der Wohnumgebung

Bucksch et al. (2014) sehen einen weiteren Ansatz zur Untersuchung der Walkability in der Analyse der Wohnumgebung. Vier Einflussfaktoren auf die Wohnumgebung werden genannt:

- Physische Wohnumgebung: Natur, Bebauung, physikalische und chemische Umweltbelastun-gen (Mehr Natur hat positive Effekte auf die Lebenserwartung, Straßen und Bebauungsdeich-te beeinflussen Bewegungsmotivation- und verhalBebauungsdeich-ten, verkehrsbezogene Luftverschmutzung wird mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert) (ebd., S. 30),

- Lokalpolitische Wohnumgebung: Lebensmittel- und Suchtmittelversorgung (Supermärkte, Fast-Food-Ketten, Biomärkte, Tabak, Alkohol), Gesundheitsversorgung (Ärzte- und Apothe-kendichte, Krankenhauszugang), Sportstätten (explizit für Sportausübung errichtete Berei-che), Verkehrsanbindung und -sicherheit (Tempo-30-Zonen in Wohngebieten, Zebrastreifen, Beleuchtung, Radnetzwege, Bus- und Bahnanbindung) (ebd., S. 31 f.),

- Ökonomische Wohnumgebung: Individuelles Einkommen kumuliert zum ökonomischen Sta-tus der Wohnumgebung (Ökonomischer StaSta-tus ist gesundheitsrelevant, auch in westlichen Ländern), der ökonomische Status beeinflusst auch die Ansiedlung gesundheitsrelevanter Inf-rastruktur (ebd., S. 32 f.),

- Sozio-kulturelle Wohnumgebung: hohes Sozialkapital (positives und freundliches Sozialklima, kohäsive Nachbarschaften) wirkt sich vermutlich positiv auf die individuelle Gesundheit aus (bisher gibt es noch keine gegensätzlichen Ergebnisse aus Studien) (Bucksch et al. 2014, S.

33),

- Kriminalität: Vertrauen zwischen Bewohnern und die Bereitschaft, im Notfall einzugreifen („Gelebte Umgebung“)

Bucksch et al. (2014) gehen auch auf die Wirkungsweise der Wohnumgebung auf die Gesundheit ein.

Sie konstatieren, dass „die Wirkungspfade […] nämlich u. a. von deren Wahrnehmung [abhängen]“.

Es könne beispielsweise in Walkability-Studien zum Einfluss von bebauter Umgebung auf körperliche Bewegung auch berücksichtigt werden, wie wichtig eine Person die bebaute Umgebung beim Ausü-ben von körperlicher Bewegung einstufe (ebd., S. 36). Dabei solle jedoch auch die Sozialisation und Wohnhistorie der befragten Person mitberücksichtigt werden um „[…] den Effekt einer Exposition

18 gegenüber Wohnumgebungsfaktoren unter der biographischen Perspektive zu verstehen.“ (ebd., S.

36). Die Einflussgrößen seien darüber hinaus direkten und indirekten Effekten unterworfen, die un-terschiedliche Stärken aufwiesen. Typisch wären beispielsweise Umwelteffekte wie Feinstaubbelas-tung, Lärmexposition oder Radonemission. Indirekte Effekte seien dagegen Einstellungen, Normen und wahrgenommene Verhaltenskontrolle. Als Beispiel hierfür sei die Bereitschaft und die Einstel-lung einer Person gegenüber gesundem Ernährungsverhalten oder körperlicher Bewegung. (ebd.)

Abb. 5 Modell zum Zusammenhang zwischen Wohnumgebung und Gesundheit (Bucksch et al. 2014, S. 39, basierend auf dem EnRG-Modell von Kremers et al., 2006)

Die Abbildung veranschaulicht die Komplexität der Wirkungspfade und kann als theoretischer Rah-men in der konkreten Forschung zur Wohnumgebungs-Walkability dienen. Die Wohnumgebung wird in diesem Beispiel als eine Konstante betrachtet, deren Auswirkungen direkt das Wohlbefinden und somit die Bereitschaft zum Gehen steuern können.

Für die Masterthesis ist die Sicht der Wohnumgebung zwar interessant, da sie wichtige Erkenntnisse für die Interpretation der Ergebnisse liefern kann; jedoch kann sie nicht abgebildet werden, da sie sich auf die Wahrnehmung der Bewohner einer räumlichen Einheit und nicht auf die Wahrnehmung durch Passanten in der Stadt bezieht.

Zwischenfazit: Demnach wird sich die Thesis mit dem Vergleich des engen Walkability-Begriffs mit dem weiten Walkability-Begriff befassen. Übergreifend lässt sich die Thematik der Walkability aus der Sicht verschiedener Konzepte begreifen, die beschreiben welchen Nutzenskontext die Untersu-chung von Walkability mit sich bringt. Die Inhalte überlappen sich oftmals. Es ist daher sinnvoll, einen groben Überblick über die vorhandenen Konzepte zu geben, um den für die Thesis vorrangigen Be-reich der Städteplanung besser abgrenzen zu können.

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