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Kapitel 3: Ergebnisse

3.1 Zur Datenbasis der Analysen

Die oben dargestellte Vorgehensweise zielte darauf ab, in der äußerst knappen zur Verfügung stehenden Zeit sowohl möglichst komplex als auch – zumindest exemplarisch – in die Tiefe gehend das durch den Auf-trag markierte Themenfeld mittels wissenschaftlich-theoretischer Analy-sen, vor allem aber in einem empirischen Zugriff aufzuarbeiten. Dieses Vorhaben kann insgesamt als gelungen betrachtet werden. Gleichwohl ist die angewandte Methodik und sind damit die über sie erzielten Er-gebnisse in ihren empirischen Anteilen abhängig vom Rücklauf von An-fragen. Festzustellen ist vorweg, dass trotz z. T. mehrfachen ‚Nachha-kens’ nicht in allen Feldern eine wünschenswerte Rücklaufquote erreicht werden konnte. Dafür lassen sich verschiedene Gründe nennen und An-nahmen formulieren:

FORMALE

HÜRDEN Die Aussagebereitschaft und -fähigkeit von Behörden, aber auch von Akteuren in öffentlicher Trägerschaft war mitunter aus formalen Gründen eingeschränkt. Von Seiten kommunaler Jugendämter und ihnen direkt unterstellter öffentlicher Träger von Angeboten wurde in mehreren Fäl-len darauf verwiesen, dass entsprechende überinstanzliche Genehmi-gungen (von Ministerien und Landkreistagen als kommunalen Selbstver-waltungsstrukturen) nicht vorliegen. Allerdings stand dies in anderen Fällen Auskünften nicht im Wege.

Einzelne Ministerien, Behörden, Institutionen und Verbände verzichteten mit dem Hinweis auf akut zu lösende anderweitige Probleme (so etwa das Hochwasser und dessen Folgenbeseitigungen in Ostdeutschland) sowie auf eine nicht zu bewältigende ,Flut‘ von wissenschaftlichen und medialen Anfragen zu verschiedenen Themenkomplexen auf eine in-haltliche Beantwortung.

ÜBERSCHNEI-DUNGEN VON NACHFRAGEN

Eng mit dem vorherigen Punkt verbunden verwiesen Praktiker_innen aus programmfinanzierten Projekten auf intensive wissenschaftliche Be-gleitungen, vor deren Hintergrund von einer Beantwortung Abstand genommen wurde. Parallel dazu wurde mitunter auch auf gleichzeitig laufende ähnlich gelagerte, zum Teil mit BIKnetz in Verbindung stehen-de ostehen-der gebrachte, Expertisen, auf weitere Erhebungen, aber wiestehen-derum auch auf Medienanfragen verwiesen. Exemplarisch hieß es in Bezug auf den ersten Punkt in der Antwort-Mail eines Praxis-Akteurs: „Ich blicke

inzwischen nicht mehr recht durch, wer alles im Auftrag von BIKnetz welche Expertisen macht und die Projekte anfragt“.

GENERELLE BEDENKEN GEGENÜBER NACHFRAGEN UND ÖFFENT-LICHKEIT

Zum Teil, so der im Laufe der Recherchen gewonnene Eindruck, hat eine kritische Haltung gegenüber staatlich-offiziellen Akteuren (darun-ter wird auch BIKnetz subsumiert) die Bereitschaft zur Beteiligung eingetrübt. Zum Teil – insbesondere bei regelgeförderten Akteuren aus den Bereichen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, aber vor allem der Aufsuchenden Arbeit – können daneben auch Stigmatisierungs-befürchtungen das Antwortverhalten beeinflusst haben, die sowohl die

‚betreute’ Klientel als auch die eigene ‚Arbeit mit Rechten’ betreffen.

Besonders deutliche Hinweise – insbesondere aus informellen Gesprä-chen mit Gatekeepern – auf diesen zweiten Punkt beziehen sich auf das Feld der Fanprojektarbeit.

DEFINITORISCHE

UNSICHERHEITEN Ein gewichtiger Aspekt ist der keinesfalls einheitliche und eher vage Gebrauch der ‚weichen’ Kategorie der „Gefährdung“ (siehe auch bereits Pingel/Rieker 2002, 16). Wenngleich in der Anfrage eine basale Defini-tion des zugrundegelegten Gefährdungsbegriffes kommuniziert wurde, erwies sich die Kategorie vielfach noch als so unbestimmt, dass Akteure dazu tendierten, sich selbst als „nicht passend“ einzustufen und auf eine Beteiligung zu verzichten, zumal sie durch den zeitlichen Aufwand das

‚Alltagsgeschäft’ belastet sahen. Dies betraf insbesondere solche Ak-teure, die nach eigenem Selbstverständnis nicht unbedingt konzeptio-nell gezielt fokussierend2 mit rechtsextrem affinen Jugendlichen arbei-ten, unter Umständen aber durchaus Erfahrungen auf diesem Gebiet sammeln.

GENERELLE RÜCKLAUFBE-SCHRÄNKUNGEN

Diese ergaben sich neben dem zur Verfügung gestandenen engen Zeit-rahmen und dem Umstand, dass die Kernzeit der Recherche in die Sommer- und damit in die Urlaubszeit fiel, auch daraus,dass gerade auf Seiten von Trägern Sozialer Arbeit im Themenfeld ein hohes Maß an personeller Fluktuation und ein niedriger Grad an ‚institutionellem Ge-dächtnis’ vorliegt, so dass in einer Reihe von Fällen schlicht keine Infor-mationen über frühere Erfahrungen in diesem Handlungsfeld mehr vorlagen oder recherchierbar waren.

Diagramm 1: Rückmeldequoten nach Recherchefeldern sortiert

2 Vgl. Fußnote 5.

Aus dieser schematischen Darstellung der nach Recherchefeldern sor-tierten Rückmeldequoten geht hervor, dass die Rücklaufquoten von Re-cherchefeld zu ReRe-cherchefeld zum Teil erheblich variieren. Mit Blick auf Ministerien, Behörden, Wohlfahrtsverbände und mit dem Thema verbun-dene Netzwerke und Koordinierungsstellen lässt sich sagen, dass der Kenntnisstand zu Erfahrungen und Angeboten im Handlungsfeld auf um-fassende Weise abgefragt wurde. Eingeschränkt ist dies hingegen der Fall in Bezug auf Jugendverbände, den Bereich der politischen Bildung,3 die konfessionsgebundene Jugendarbeit sowie den Bereich der Schule.4 Neben den in Diagramm 1 aufgeführten Auskunft- und Hinweisgebern (die in manchen Fällen auch selber Träger von Angeboten sind), erfasst Diagramm 2 jene, die nach Recherchelage – also aus der Literatur, durch Auskunft Dritter aus den in Diagramm 1 aufgeführten Feldern oder nach eigenem Wissen – seit 2007 in pädagogischen Settings mit rechtsextrem orientierten bzw. gefährdeten Jugendlichen befasst sind, sei es konzep-tionell gezielt fokussierend oder nicht.5 Darunter fallen in dieser Darstel-lung also auch die im Weiteren gesondert zu behandelnden Akteure oh-ne einschlägige pädagogische Profession und Angebote, die sich kon-zeptionell und faktisch nicht an Jugendliche, sondern an Multiplika-tor_innen, also an zu Interessierende, bereits Engagierte, Eltern und An-gehörige sowie pädagogische Fachkräfte richten.

Diagramm 2: Rückmeldungen direkt kontak-tierter Fanprojekte6

3 Repräsentiert durch die Landeszentralen für politische Bildung(-sarbeit) als auch Jugendbil-dungsstätten.

4 Repräsentiert durch die abgefragten Schulämter und weitere schulbezogene Akteure wie et-wa „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ oder das „Netzwerk demokratische Kultur“.

5 Unter die Kategorie „konzeptionell gezielt fokussierend“ subsumieren wir im Folgenden jene Angebote, in denen zielgerichtet und unter Zugrundelegung eines auf sie zugeschnittenen Konzeptes (ausschließlich oder unter anderem) mit rechtsextrem orientierten bzw. gefährde-ten Jugendlichen pädagogisch gearbeitet wird. Eine weitere Unterscheidung zwischen Ange-boten, die sich nur an „gefährdete“ oder nur an rechtsextrem „orientierte“ Jugendliche rich-ten, ist nur abstrakt denkbar. Faktisch gehen in der sozialen und pädagogischen Praxis die beiden Adressat_innengruppierungen in der Teilnehmerschaft ineinander über.

6 Die 48 bestehenden Fanprojekte wurden – ohne jeglichen Rücklauf – alle über die KOS kon-taktiert; selbst kontaktiert wurden auf Grundlage eigener Recherchen 21 von ihnen, weil Hin-weise darauf vorlagen, dass bei ihnen mit einer extrem rechten Klientel gearbeitet wurde bzw.

wird.

Diagramm 3: Rückmeldungen aktuell beste-hender staatlicher und nicht-staatlicher Aus-steigerprojekte

Diagramm 4: Rückmeldungen weiterer aktuel-ler Praxisträger

Die oben genannten Hürden bilden sich in diesen drei Grafiken deutlicher ab.7 Pointiert gesagt ist festzustellen, dass Probleme der Erreichbarkeit bzw. Einbeziehung mit steigender Nähe zum Feld der Praxis – z. T. uner-warteterweise und wohl aus unterschiedlichen Gründen – eher zu- als

ab-7 Noch niedriger fallen die Rückmeldequoten erwartbarerweise aus, wenn man alle (mutmaßli-chen) Akteure einer mit rechtsextrem orientierten bzw. gefährdeten Jugendlichen befassten pädagogischen Arbeit seit den 1980er Jahren einbezieht.

nahmen. Dies gilt sowohl, etwa mit Blick auf die ausstiegsorientierten Angebote, für intensiv evaluierte Projekte aus Kontexten der Pro-grammförderung, als auch für Angebote aus dem Bereich der Regelför-derung, die in geringerem Maße wissenschaftlich begleitet werden.

Auch vor diesem Hintergrund erwies es sich als methodisch sinnvoll, die Rechercheergebnisse durch Expert_inneninterviews gezielt abzusichern.

Unter dieser Prämisse wurden insgesamt neun Expert_inneninterviews geführt, die in ihrer Gesamtheit die relevanten pädagogischen Hand-lungsfelder Aufsuchende Arbeit, Offene Kinder- und Jugendarbeit, Au-ßerschulische Jugendbildungsarbeit, schulbezogene (Bildungs-)Arbeit, soziale Gruppenarbeit, Einzelfallhilfe sowie Verbands- und Vereinsbezo-gene Beratungsarbeit abdecken.

IW1: Aufsuchende Arbeit (mit Anteilen von Einzelfallhilfe)

IW2: Offene Kinder- und Jugendarbeit (mit Anteilen von Aufsuchen-der Arbeit)

IW3: Aufsuchende Fanarbeit (mit Anteilen von Bildungsarbeit und Einzelfallhilfe)

IW4: Schulbezogene und außerschulische soziale Gruppen- und Ein-zelarbeit (mit Anteilen Aufsuchender Arbeit)

IW5: Aufsuchende und Offene Kinder- und Jugendarbeit IW6: Schulische und außerschulische Bildungsarbeit

IW7: Außerschulische Bildungsarbeit, Einzelfallhilfen und soziale Gruppenarbeit

IW8: Verbands- und vereinsbezogene Beratungsarbeit IW9: Schulische und außerschulische Bildungsarbeit

Insgesamt vermag die vorgelegte Expertise damit, trotz der genannten Einschränkungen, profunde Resultate auf einer Datenbasis vorzuweisen, die bislang nicht einmal annähernd in der vorliegenden Komplexität und Detaillierung vorhanden sind.8 Insbesondere stellt sie neben theoreti-schen Überlegungen ein über Jahrzehnte hinweg angehäuftes Praxiswis-sen und desPraxiswis-sen Analyse in einem Umfang und in einer Differenziertheit zusammen, die einen neuartigen Zugang zur Thematik erschließen. Sie kann daher als eine Orientierungs-, Argumentations- und Legitimations-hilfe für (jugend-)politische Entscheidungen ebenso wie für pädagogi-sche und sozialarbeiteripädagogi-sche Weichenstellungen genutzt werden.