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Das Verhältnis der Nuntien zu den Schweizer Bischöfen

des Nuntius

3.5 Das Verhältnis der Nuntien zu den Schweizer Bischöfen

Die Nuntiatur ist eine Bezeichnung, die vor allem das päpstliche Gesandt-schaftswesen (Diplomatie) betrifft. Da sie im Laufe des 16. Jahrhunderts in Euro-pa entstanden ist, war anfangs das Verhältnis zu den Ortsbischöfen nicht im-mer einfach und von Missverständnissen und Kompetenzansprüchen gekennzeichnet. Hinzu kam die Tatsache, dass der päpstliche Gesandte den Rang eines Bischofs einnahm. Der Nuntius übte somit eine Doppelfunktion aus.

Einerseits war er als diplomatischer Vertreter des Heiligen Stuhls ein Informati-onsbeschaffer der römischen Kurie, indem er Informationen zu seinem Gastland sammelte und gleichzeitig von Rom Instruktionen erhielt. Andererseits vermit-telte er in seiner kirchlichen Funktion zwischen Bischöfen, Klerus und Kurie und war somit wie ein„Zwischenbischof“. Eine weitere wichtige Aufgabe–und das barg wohl das größte Konfliktpotential–war die Überprüfungsfunktion des Nuntius bei Bischofswahlen und -ernennungen, um die Tauglichkeit der Kandi-daten zu untersuchen.68

Waren die zu Beginn des 16. Jahrhunderts in die Eidgenossenschaft ent-sandten Nuntien vor allem mit politischen Aufgaben wie Militärkapitulationen und der Anwerbung von Söldnern betraut, was das Verhältnis zu den Ortsbi-schöfen wenig tangierte, wurden die Nuntien nach dem Konzil von Trient vor

66Vgl. Anton Pieper Zur Entstehungsgeschichte der ständigen Nuntiaturen.

67Vgl. StichwortKarl Borromäus, in: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010211/2012-06-25/

(31. Dezember 2020):Um die Ausbildung und Disziplin des Klerus zu verbessern und gleich-zeitig der Verbreitung des Protestantismus Einhalt zu gebieten, regte Borromäus 1579 die Er-richtung einer ständigen Nuntiatur in der Schweiz an; da die röm. Kurie aber zögerte, wurde diesem Begehren erst 1586 entsprochen.

68Vgl. Alexander G. Flierl: Diplomatenrecht als Soft Power des Heiligen Stuhls.

allem in den Dienst der Gegenreformation und der Katholischen Reform gestellt.

Und seither übten sie zum Teil quasibischöfliche Funktionen aus. Das bedeutet, dass, nachdem 1586 auf Wunsch der Fünf Orte (Uri, Schwyz, Unterwalden, Lu-zern und Zug) in LuLu-zern, dem katholischen Vorort,69die ständige Nuntiatur er-richtet wurde, die mit Unterbrechungen bis 1873 dort ansässig blieb, die römi-sche Kurie einen Gesandten hatte, der die Bischöfe in der Schweiz kontrollieren konnte.70

Das Verhältnis zwischen den Nuntien und den Ortsbischöfen in der Eidge-nossenschaft war dadurch erschwert, dass es durch parallele Amtshandlungen zu Reibereien kommen konnte. Ein Beispiel dafür konnten die Pontifikalhand-lungen durch den Nuntius sein. Dennoch gab es „keinen Zündstoff für eine grundsätzliche Auseinandersetzung“.71

Eine Besonderheit dieser diplomatischen Beziehung war der Umstand, dass die Eidgenossenschaft beim Heiligen Stuhl keine ständige diplomatische Missi-on errichtet hatte.72 Nach der französischen Botschaft in Solothurn war sie– wie bereits schon oben beschrieben – die zweitälteste ständige Gesandtschaft in der Schweiz.73

Die Nuntien hatte es mit sechs Bischöfen zu tun. Am einfachsten war es mit dem Bischof von Como, der für die Tessiner Gebiete zuständig war. Bereits unter Kardinal Borromäus, der Erzbischof von Mailand war, gehörte das Tessin zu je-nen Gebieten, die aus römischer Sicht vorbildlich waren.

Größere Schwierigkeiten im 16. und 17. Jahrhundert machten die Bistümer Konstanz und Basel. Die Reformation führte dazu, dass der Bischofssitz von Ba-sel verlorenging und ab 1528 nach Pruntrut übertragen wurde.74 Hier lag das Augenmerk der Nuntien im 16. und 17. Jahrhundert vor allem darauf, die Stel-lung des Bischofs von Basel im Schweizer politischen Kontext zu stärken.

Das Bistum Konstanz bildete den flächenmäßig größten Teil der Nuntiatur.

Dort lag das Konfliktpotential vor allem darin, dass der Bischof von Konstanz sich wenig um die Schweizer Gebiete kümmerte und sich die meisten

Konstan-69 Wegen Differenzen mit dem katholischen Vorort residierte die Nuntiatur 172530 in Altdorf und 183543 in Schwyz. Vgl. StichwortNuntiatur, in: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/

011742/2011-11-03/ (31. Dezember 2020).

70 Vgl. Martin Papenheim: Machen Päpste Politik?; Alexander G. Flierl: Diplomatenrecht als Soft Power des Heiligen Stuhls.

71 Zit. nach: Bettina Braun: Princeps et episcopus, S. 191.

72 Erst ab 1991 ließ sie sich durch den Botschafter in Prag in Sondermission vertreten. Er wurde 2004 zum regulären Botschafter ernannt. Vgl. StichwortNuntiatur, in: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011742/2011-11-03/ (31. Dezember 2020).

73 Vgl. Urban Fink: Die Luzerner Nuntiatur 15861873.

74 Vgl. StichwortBistümer/Diözesen, in: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/027048/2010-10-01/ (31. Dezember 2020).

zer Bischöfe nicht auf derselben Augenhöhe wie die Nuntien betrachteten, da die Fürstbischöfe von Konstanz zu den geistlichen Reichsfürsten zählten.75

Die Nuntiatur in der Schweiz umfasste neben den katholischen Kantonen der Eidgenossenschaft, die zum Bistum Basel oder Konstanz gehörten, auch de-ren Untertanengebiete sowie die Drei Bünde (einschließlich Veltlin, Bormio und Chiavenna) und das Wallis. Chur (Graubünden) und Sitten (Wallis) waren zwei Bistümer, die im 16. und 17. Jahrhundert ebenfalls wie Basel mit Machtansprü-chen der weltliMachtansprü-chen Machthaber zu kämpfen hatten. In Chur war das Problem ähnlich wie in Basel der Konflikt mit den Herrscherfamilien, der dann im Laufe der Reformation zur konfessionellen Auseinandersetzung führte.76In Sitten hin-gegen bestand die Konfrontation darin, dass der Bischof mit der Bevölkerung und deren herrschenden Familien über Machtansprüche stritt. In beiden Fällen diente der Nuntius als Vermittler bzw. Impulsgeber, um die Stellung der beiden Bischöfe im weltlich-politischen Bereich zu stärken.77

Die Nuntien waren auch für das Oberelsass, einige süddeutsche Gebiete so-wie Teile Vorarlbergs und Tirols zuständig, aber da spielte das Verhältnis zu je-nen Bischöfen eine marginale Rolle.

Was die Westschweiz betraf, führte die Reformation auch zum Verlust der Bischofssitze von Lausanne (ab 1615 in Freiburg) und Genf (ab 1586 in Annecy).

In diesen Fällen waren die Nuntien beauftragt, diese Bischofssitze zu rehabili-tieren.78

Während des Dreißigjährigen Krieges bestand die Aufgabe der Nuntien vor allem in der Förderung der katholischen Streitparteien. Die Schweiz hatte

hier-75Vgl. StichwortKonstanz (Fürstbistum), in: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008561/

2008-10-28/ (31. Dezember 2020):Der Fürstbischof von Konstanz gehörte zu den geistlichen Reichsfürsten; eine Verleihung der Regalien ist erstmals 1248 überliefert.

76Vgl. StichwortChur (Diözese, Fürstbistum), in: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011403/

2020-01-09/ (31. Dezember 2020):Die Ilanzer Artikel von 1524 und 1526 reduzierten die bi-schöfliche Herrschaft auf den noch 1514 von Kaiser Maximilian I. als von der Stadt exemt er-klärten Hof Chur, das in Tirol gelegene Fürstenburg, die Herrschaft Grossengstingen in Schwa-ben (1717 Verkauf an das Kloster Zwiefalten) sowie auf einige Reste der früheren weltlichen Herrschaft in Graubünden, so im Münstertal, in Obervaz und in Fürstenau.

77Vgl. StichwortSitten (Fürstbistum), in: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008560/2014-09-25/ (31. Dezember 2020):Versuche der Bischofsfürsten Walter Supersaxo und Matthäus Schiner, im Rahmen der Neuaufzeichnung des Walliser Gewohnheitsrechts auch ihre Herr-schaft in den Landrechten von 1475 und 1514 gesetzlich zu festigen, scheiterten. 1571 gelang zwar die verfassungsmäßige Verankerung; die weltlichen Rechte des Fürstbischofs waren da als Folge der politisch und konfessionell gespaltenen Landschaft nach Schiner, der als Sach-walter von Papst und Kaiser wie keiner nach ihm die reichsfürstliche Stellung verkörpert hatte, aber faktisch bereits zugunsten der Zenden ausgehöhlt.

78Vgl. StichwortNuntiatur, in: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011742/2011-11-03/ (31.

Dezember 2020)

bei eine militärische und geopolitische Funktion. Deshalb prägte diese Aus-gangslage die Verhältnisse der Nuntien zu den Bischöfen der Schweiz. Nach dem Westfälischen Frieden lockerten sich die Beziehungen zu den außerschwei-zerischen Gebieten zusehends.

Die Nuntien mussten sich nicht nur mit den Protestanten, den katholischen Patriziern und den Bischöfen in der Schweiz auseinandersetzen: nach französi-schem Vorbild versuchte auch Österreich, Appellationen Vorderösterreichs an die Luzerner Nuntiatur zu unterbinden. Auf diese Weise gerieten die Nuntien immer stärker in das Spannungsfeld mit den Bischöfen hinein. Ein Beispiel hier-für war der Streit mit dem Fürstbischof von Konstanz um die geistliche Gerichts-barkeit und um die Klosterfreiheit.

Ende des 16. Jahrhunderts war die Politik des Kirchenstaates dahingehend aus-gerichtet, die Macht der protestantisch-reformierten Kräfte nördlich der Alpen aufzuhalten oder zumindest im Blick zu halten. Die Einsetzung eines ständigen Nuntius in der Eidgenossenschaft kann und muss aus dieser Perspektive be-trachtet werden. Der Papstgesandte in Luzern hatte gemäß den ersten Instruk-tionen–sowie den darauffolgenden Schriften–die Hauptaufgabe, die Katholi-ken in der Schweiz zu unterstützen und ausfindig zu machen, was die refor-mierten Kantone„im Schilde führen“. Während der Pontifikate von Sixtus V.

(1585–1590), Gregor XIV. (1590–1591), Innozenz IX. (1591), Clemens VIII. (1592–

1605), Paul V. (1605–1621) und Gregor XV. (1621–1623) spielten die jeweiligen Nuntien in Luzern eine wichtige Rolle bei der Söldneranwerbung. Die Eidgenos-senschaft galt nicht nur als„Bollwerk der Häretiker“, sondern auch als„ Roh-stoff-Land“für gute Söldner und politische Verbündete bei Kriegshandlungen in Europa.

Die meisten Briefe und Korrespondenz sind ab der Nuntiaturperiode von Ot-tavio Paravicini (1587–1591) im Vatikanischen Geheimarchiv zu finden. Der Papstgesandte in Luzern war auch als Mittelsmann und Beobachter der Bischö-fe in der Schweiz: So gab es immer wieder Probleme und Auseinandersetzungen zwischen der römischen Kurie und einzelnen Bischöfen. So war dies beispiels-weise 1586 mit dem Bischof von Chur der Fall.1Nuntius Santonio referierte nach Rom, was im Bistum Chur vor sich ging. Was sich in Graubünden abspielte, galt aber auch für andere Bistümer. Die Diözesanbischöfe mussten an zwei Fronten

„kämpfen“: Einerseits war ihre bisherige„weltliche Macht“durch die Reforma-tion stark eingeschränkt worden, andererseits war auch ihre katholische Autori-tät bei den eigenen Gläubigen beeinträchtigt, wie die Nuntien in dieser Periode feststellen mussten.2

Die Nuntien in Luzern waren von 1586 bis 1654 alle Italiener. Diese Klassifi-zierung kann anachronistisch wirken. Das Italien im heutigen Sinne gab es da-mals noch nicht. Dennoch verband alle Nuntien in Luzern von 1586 bis 1798 die italienische Sprache, ähnliche kulturelle und religiöse Werte sowie fast gleiche Einstellungen– auch gegenüber den „Schweizern“. Sicher, auch die Bezeich-nung„Schweizer“ist mit Vorsicht zu gebrauchen. Auch hier gilt: Die Schweiz im heutigen Sinne gab es noch nicht.3

Open Access. © 2021 Mario Galgano, publiziert von De Gruyter. Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz. Weitere Informationen finden Sie unter

http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.

https://doi.org/10.1515/9783110718270-004

1Vgl. Michael Durst: Studien zur Geschichte des Bistums Chur (4512001), S. 124 ff.

2Vgl. Brigitte Degler-Spengler: Der schweizerische Teil der ehemaligen Diözese Konstanz.

3Wie Würgler schreibt, konnte sich schon die frühneuzeitliche Staatstheorie nicht darauf ver-ständigen, ob es sich bei der alten Eidgenossenschaft um eine Art Bundesstaat oder nicht doch

Um die Nuntien zu verstehen, muss man logischerweise ihre Biographien kennen. Solche Lebensläufe haben bekanntlich das Ziel, ein möglichst lücken-loses Bild des„Protagonisten“zu zeichnen. Oftmals ist es aber so, dass Biogra-phien über Wissenslücken stolpern, weil nicht alles immer dokumentiert ist.

Das gilt auch im Falle der Nuntien im 16. und 17. Jahrhundert. Man könnte nun in Versuchung geraten, die Löcher gesicherten Wissens mit„wahrscheinlichen Fakten“zu füllen, was aber auch dazu führen könnte,„Unwahrscheinliches“ mit zu vermischen. Eine weitere Gefahr besteht darin, die Nuntien zu„ psycho-logisieren“, doch die Erkenntnis der Psyche eines Menschen bedarf der genaus-ten Kenntnis von dieser Person. Biographische Lücken „auszuschmücken“ kommt auch einer Fälschung gleich, und somit ist jede Biographie in Gefahr, ihren Gegenstand zu verfehlen.

Stattdessen ist ein anderer Weg von Vorteil, wenn man nämlich die Lebens-umstände der einzelnen Nuntien von den historischen Lebensbedingungen her zu verstehen versucht. Auf diese Weise können wir ihren Alltag genauso wie die historischen Prozesse besser einordnen. Denn wir können davon ausgehen, dass eine Biographie immer auch Kulturgeschichtsschreibung beinhaltet. So können wir die Nuntien in der Eidgenossenschaft sowohl aus der Nähe anhand ihrer Briefe als auch aus der Distanz anhand des historischen Kontextes der Schweiz im 16. und 17. Jahrhundert betrachten und verstehen.4