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des Nuntius

5.1 Bestätigung der Hauptthesen

Die zu Beginn dieser Untersuchung aufgestellten drei Thesen werden durch die Korrespondenz und Instruktionen der Nuntien bestätigt.Erstenswurde das Bild von der Schweiz und den Schweizern, wie es Kardinal Karl Borromäus 1570 be-schrieben hat, von den Nuntien–zumindest zwischen 1586 bis 1654–in ihren Briefen wiederholt aufgegriffen. Es gab keine Annäherung der Nuntien oder ei-nen veränderten Blick auf Protestanten in der Eidgenossenschaft. Die Protestan-ten in der Schweiz galProtestan-ten durchgehend als„Häretiker“. Wurde unter Borromäus dieser Begriff auch auf die katholischen Geistlichen und Gläubigen angewandt, die nicht den katholischen Moralvorstellungen entsprachen, so benützten die Nuntien diesen Begriff jedoch einzig für die Protestanten. Diese Bezeichnung war negativ konnotiert. Die Korrespondenz der Nuntien zwischen 1586 und 1654 zeigt auf, dass sie das„Fehlverhalten“der Katholiken administrativ betrachte-ten und behandelbetrachte-ten. Das lag wohl daran, dass sie die Zahl und Art und Weise der Schweizer Katholiken, die„dem katholischen Weg abhandenkamen“, so be-urteilten, wie sie es von ihren italienischen Heimatbistümern her kannten.

Zweitenszeigen die Briefwechsel der Nuntien mit der Zentrale in Rom auf, dass sie sich neben der Tätigkeit als Kirchenvertreter auch um andere Belange kümmerten. Die Nuntien folgten vor allem den Zielen der Tridentinischen Re-form und waren diesbezüglich erfolgreich. Damit sie dies auch durchsetzen konnten, haben sie auf eine konstante Arbeit an der Basis des Kirchenvolkes und bei den Priestern bis hin zu den Politikern (Behörden, Patrizier) gesetzt.

Zur Umsetzung wurden die Jesuiten und Kapuziner berufen.1

Ihre Korrespondenz zeigt auf, dass die Nuntien zwar Diözesanbischöfe wa-ren, doch ihre Arbeit in Luzern auch politisch aktiv und strategisch intensiv wahrnahmen. Sie kümmerten sich um religiöse Angelegenheiten, wie Ehedis-pense und Segensurkunden oder kirchenrechtliche Belange, die Geistliche–ob Bischöfe, Priester oder Ordensleute–betrafen. Gleichzeitig meldeten sie detail-reich die politische Situation, militärische Bündnisse und behördliche Beschlüs-se der EidgenosBeschlüs-sen. Einen wichtigen Aspekt bildete hierbei der Söldnerhandel, an dem der Apostolische Stuhl auch beteiligt war.2

Open Access. © 2021 Mario Galgano, publiziert von De Gruyter. Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz. Weitere Informationen finden Sie unter

http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.

https://doi.org/10.1515/9783110718270-005

1Vgl. Lukas Vischer, Lukas Schenker, Rudolf Dellsperger (Hrsg.): Ökumenische Kirchenge-schichte der Schweiz, S. 153.

2Vgl. StichwortNuntiatur, in: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011742/2011-11-03/ (31. De-zember 2020):Die zu Beginn des 16. Jahrhundert in die Eidgenossenschaft entsandten

Nun-Die Korrespondenzmenge und die aufwendige Informationsbeschaffung der Nuntien in Luzern zeigt, wie mühevoll die behördliche Arbeit der römischen Ku-rie war. Inhaltlich ist festzuhalten, dass es nicht nur um kirchliche oder rein theologische Themen ging. Die Bittsteller konnten seit Ende des 16. Jahrhun-derts statt direkt an Rom ihre Anfrage zunächst an die Nuntien richten. Diese wurden somit zu einem Filter der verschiedenen Anträge.

Drittens verschoben sich insgesamt die Einstellungen gegenüber den Schweizern im Laufe der Zeit nicht. Kein Nuntius berichtete, dass sich die Schweizer verändert hätten oder dass eine Vorstellung, die man aus„alten“ In-struktionen kannte, nicht mehr gültig sei. Vielmehr bestätigten sie in ihren Brie-fen nach Rom, was man südlich der Alpen über die Schweizer dachte: Die Schweizer Katholiken seien ein Bauernvolk, die gute Gardisten für den Papst stellen können und sich gleichzeitig auf „unverständliche Weise“mit„ Häreti-kern“verbünden, obwohl sie nichts Gemeinsames verbindet, außer die finanzi-ellen Interessen.

Der Begriff„Schweiz“(„Svizzera“) wurde als Fremdbezeichnung verwendet.

Das war aber weit mehr als ein Sammelbegriff. In den Beschreibungen der Nun-tien und den Antworten aus Rom erscheint dieses Stichwort wie eine Art, eine

„Kulturnation“zu umschreiben. Die sprachlichen Unterschiede spielten offen-bar keine Rolle. Deutsch galt als Sprache der Baroffen-baren und wurde nicht verwen-det. In den Instruktionen und Briefen„italianisieren“sie deutschsprachige Orts-namen oder Begriffe.

Mit dem Aufkommen der„barocken Kultur“wird die Schweiz –vor allem die Zentralschweiz – durchaus als ein „lebenswerter Raum“wahrgenommen, auch für einen Adeligen aus Italien. Theater und pompöse Kirchen sind auch zu späteren Zeiten noch sichtbare Zeichen dieser Entwicklung. Diese wurden von den von den Nuntien berufenen Jesuiten gefördert.3

Im Grunde bestätigten die Nuntien das Schweiz-Bild, welches die römische Kurie ihrerseits pflegte und das weitestgehend jenem Bild des„Barbaren“ ent-sprach, das Tacitus mehrere Jahrhunderte zuvor beschrieben hatte. Der Barba-ren-Topos prägte das Bild einer aus römischer Sicht durchaus homogenen „Kul-turnation“. Das beweist die ungenaue politische und geographische Einordnung der Eidgenossenschaft. Sie wird als „Republik“ beschrieben, bei der die eigentlich nur zugewandten Orte wie Wallis oder Graubünden ohne wei-tere Erklärung einfach mitgezählt wird.

tien waren mit politischen Aufgaben wie Militärkapitulationen und der Anwerbung von Söld-nern betraut.

3 Vgl. ebd., S. 176.

Das Schweiz-Bild war fast ausschließlich negativ konnotiert. Was nördlich der Alpen lag, galt als unkultiviert, schlecht und war deshalb der Kritik ausge-setzt. Im Grunde wurde eine Schablone aufgelegt, die man nicht hinterfragte.

Das lag auch daran, dass man in Rom die Schweiz nicht kannte und kein Inter-esse aufzeigte, von den Nuntien in Luzern eines BInter-esseren belehrt zu werden.

Und so lautet das Fazit dieser Untersuchung, dass die Art und Weise, wie vorge-gangen wurde, mehr über die Betrachter– also die römische Kurie–als über die Betrachteten–die Schweizer–aussagt. Die Beschreibungen und Einstellun-gen an und aus der römischen Kurie sind ein Spiegelbild, und darin sehen wir, wie man mit fixen Schemata zwar jahrzehntelang erfolgreich auf das Land ein-wirken konnte, aber wo eine solche Schwarz-Weiß-Unterscheidung zwischen

„Wir sind die zivilisierte Gesellschaft“und„Ihr seid die Barbaren“hinführt. So markiert die Bezeichnung„Häretiker“einen Topos, dem nie etwas Neues hinzu-gefügt wurde.4

Diese Einstellung präsentiert sich wie ein Dogma während der rund 70 Jahre dieser Nuntienphase. Kontinuität und Tradition stehen im Vordergrund. Es fin-det kaum eine Durchbrechung dieser Gedankenwelt statt. Selbst die Zäsur des Dreißigjährigen Krieges führt zu keiner Änderung dieser Einstellung. Das wahr-genommene Fremde bestand für die Nuntien in der Schweiz in zweierlei Hin-sicht. Einerseits waren die Katholiken in der Schweiz„anders“als die Katholiken in Italien. Andererseits lebten in der Schweiz viele Häretiker (Protestanten), die nicht nur als Fremde, sondern als Feinde eingestuft wurden. Beide Fremden– Schweizer Katholiken und Protestanten–waren jedoch Projektionen des Eige-nen. Auf die Schweizer Katholiken wurden die eigenen Ideale der römischen Ku-rie projiziert. Die Häretiker wurden als Gegenbild zunächst als Feinde eingestuft und während des Dreißigjährigen Kriegs als Konversionsmasse betrachtet.

Eine Rolle spielte die Sprache als diplomatisches Kommunikationsmittel.

Der schriftliche Verkehr erfolgte fast ausschließlich auf Italienisch, doch ein Großteil des Austauschs in der Schweiz fand mündlich statt. In der Korrespon-denz mit Rom wird nicht sonderlich viel über die Sprache geschrieben. Die Nun-tien hatten bekanntlich Dolmetscher und viele Schweizer Katholiken– vor al-lem jene, die in Italien tätig waren (Handel, Söldner, Päpstliche Garde)– spra-chen Italienisch, sodass man davon ausgehen kann, dass die sprachliche Hürde keine große Rolle spielte bzw. die italienischsprechenden Gesprächspartner der Nuntien in der Schweiz das italienische Schweiz-Bild bestätigten.

4Vgl. Christoph Wulf: Bilder des Menschen, S. 21:Unsere Wahrnehmung der Welt ist in der europäischen Neuzeit dadurch gekennzeichnet, dass die Welt den Menschen als Objekt gegen-übersteht und dadurch zum Bild wird. Ein Beispiel aus einer anderen Kultur zeigt den kultu-rellen Charakter der europäischen Ordnung der Sinne.

Somit ist die Genese des„Barbaren“ als„Fremdartiges“ und„Böses“der Grund, weshalb die Nuntien–und die römische Kurie–davon ausgingen, dass die Schweizer Katholiken trotz ihrer Zugehörigkeit zur „richtigen Kirche“ wei-terhin mit den Schweizer Protestanten zusammenhielten. Das Schweiz-Bild hat-te große Ähnlichkeit mit dem Germanenbild des Tacitus, wenn auch in den Do-kumenten der römische Autor nie namentlich erwähnt wird. Es gibt aber so vie-le frappierende Paralvie-levie-len. Es könnte durchaus sein, dass man das„alte Bild“ der Barbaren einfach auf die Schweizer übertrug, denn die Gegenwelt zum rechtgläubigen Italien lag in der Schweiz, die einerseits als barbarisch und poli-tisch abwegig organisiert, andererseits als mit Häresie infiziert galt.

Ein Vergleich mit anderen, ähnlichen Völkern Europas im 16. Jahrhunderts zeigt auf, dass es sich nicht um einen„Sonderfall Eidgenossenschaft“handelte.

Auch die Basken galten im 16. Jahrhundert in Rom als„Bergvolk“, mit„mutigen Soldaten“und wie bei den Schweizern war das Bild der Basken von römischen Schriftstellern geprägt.5Wie bei den Schweizer Katholiken zählte die Zugehörig-keit zur katholischen Kirche als wesentliches Element der eigenen Identität.

Und wie für die Schweizer Patrizier fehlte im Baskenland ein aus römischer Sicht ebenbürtiger Adel.6Diese„demokratische Einstellung“sorgte für Skepsis in Rom.7Wie Seidel festhält, sei dem Kastilischen„ein höheres soziales Prestige und ein herausragender kultureller Rang eingeräumt“worden.8

So zeigt aber die Korrespondenz der Nuntien auch auf, dass die persönli-chen Verflechtungen und Interessen vielfältig auf personale Netzwerke ange-wiesen war. Die persönliche Ebene spielte eine große Rolle was die individuelle Einstellung und das eigene Schweiz-Bild bei den einzelnen Nuntien betraf, doch änderte dies nicht jenes Bildkonstrukt, dass Rom über die Schweizer hat-ten.

5 Die Existenz baskischer Stämme stammten von Autoren wie Sallust und Plinius dem Älteren sowie von den Geographen wie Strabon und Claudius Ptolemäus. Vgl. Carlos Collado Seidel:

Die Basken.

6 Vgl. Carlos Collado Seidel: Die Basken, S. 54:Ein besonderes Merkmal des neuzeitlichen Foralsystems der drei baskischen Provinzen bestand darin, dass der traditionelle Adel nicht mehr als privilegierter Stand in Erscheinung trat.

7 Vgl. Carlos Collado Seidel: Die Basken, S. 54:Alle Landsleute besaßen den gleichen Rechts-status. Dies wird häufig als demokratischer Gleichheitsgrundsatz interpretiert. Eine solche Les-art ist allerdings nicht angemessen. So bestand nicht nur keine soziale oder gar wirtschaftliche Gleichheit. Die lokalen Eliten behielten durch eine Reihe von entscheidenden Regelungen die Kontrolle innerhalb der Juntas Generales.

8 Zit. nach Carlos Collado Seidel: Die Basken, S. 58.

5.2 Forschungsperspektiven

Dank der großen Quellenlage und der Tatsache, dass das Material vor allem an einem zentralen Ort auffindbar ist, nämlich dem Vatikanischen Geheimarchiv, kann das Forschungsinteresse der Nuntiatur in der Eidgenossenschaft – aber auch allgemein der Nuntiaturen in Europa–sich auf vier Bereiche richten: ers-tens, inwieweit die Konzilskongregation die Nuntiatur prägte und welche Rolle das Staatssekretariat in diesem Verhältnis-Dreieck einnahm. Um die Einstellung der Nuntien und das Bild der Kurie über die Schweiz noch vertiefender zu ana-lysieren, könnte man auch klären, ob und welche andere Kongregationen oder Dikasterien sowie Ordensoberen den Nuntien in Luzern Anweisungen gaben.

Im Hinblick auf das von Karl Borromäus geprägte„Urbild“und die Anlie-gen des Konzils von Trient stellen sichzweitensweitere Fragen: Welche Mittel wurden eingesetzt und woher kamen diese Mittel? Schließlich könnte man drit-tens auch untersuchen, was die Schweizer von Nuntien hielten, anhand der Briefwechsel, die sie mit den Papstgesandten in Luzern führten.

Undviertenswäre es interessant zu studieren, wie die verschiedenen Ent-scheidungssysteme untereinander wirkten oder nicht. Inwieweit beeinflussten die Schweizer Bischöfe nicht nur die Nuntien, sondern direkt die Kurie in Rom?

Es wäre spannend zu erfahren, ob das auch Konsequenzen brachte.