• Keine Ergebnisse gefunden

Das schiedsrichterliche Verfahren; Überblick

Vorbemerkungen vor § 1025

I. Das schiedsrichterliche Verfahren; Überblick

1. Das Verlangen der Praxis nach privaten Streitentscheidungsmöglichkeiten und Entstehung des neuen 10. Buches

1 Es entspricht einem unleugbaren praktischen Bedürfnis des Wirtschaftslebens, dass in 1 gewissen Grenzen das staatliche Monopol des Privatrechtsschutzes durch Schaffung einer auf dem Willen der Beteiligten beruhenden, außerstaatlichen Gerichtsbarkeit durchbro-chen wird. Als Gründe hierfür werden angegeben: Die kürzere Verfahrensdauer, die durch den Instanzenwegfall bedingte Kostenersparnis, der Ausschluss der Öffentlichkeit, Sach- und Branchenkundigkeit der Schiedsrichter, die Möglichkeit, Schwerfälligkeiten des materiellen Rechts, insbesondere in Fällen mit internationalem Bezug, zu überbrü-cken. Seit den Forschungen von Klaus Kohler1 können zwar manche dieser Aussagen nicht mehr aufrecht erhalten werden. Das Grundbedürfnis nach einer Alternative zur staatlichen Justiz ist gleichwohl geblieben. Dem Wunsch nach einer außerstaatlichen Ge-richtsbarkeit in privatrechtlichen Angelegenheiten wird vom Gesetz durch die Anerken-nung des schiedsrichterlichen Verfahrens RechAnerken-nung getragen. Das Gesetz beschränkt sich jedoch nicht darauf, die Rechtskraft und die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs zu

si-1 Siehe Ältere Lit Aus England krit. auch Kerr Journal of Business Law 1980, 163 ff.

Peter Schlosser

vor § 1025 Schiedsricherliches Verfahren 6

chern, sondern stellt zugleich Regeln über die Schiedsvereinbarung oder die sonstige Ein-setzung des Schiedsgerichts (§ 1066) und über das Verfahren vor den Schiedsgerichten auf, die erfüllt sein müssen, wenn der Schiedsspruch der staatlichen Anerkennung teilhaf-tig werden soll. Das Wichteilhaf-tigste ist die Garantie der Freiwilligkeit der Unterwerfung unter das Schiedsgericht → § 1029 Rdnr. 16 ff. und der Unparteilichkeit der Schiedsrichter →

§ 1036 Rdnr. 4 ff. Selbst die lange Zeit herrschende Vorstellung einer besonderen Anstö-ßigkeit verbandsmäßig organisierter Schiedsgerichtsbarkeit für innerverbandliche oder sonst verbandsrelevante Streitigkeiten2 ist einer auf die heutigen Realitäten ausgerichte-ten differenzierteren Betrachtung gewichen3. Zahllose Organisationen bieten voll- oder teiladministrierte Schiedsgerichtsbarkeit, aber auch nur Schiedsordnungen für ad-hoc Verfahren an4. Die wichtigsten sind die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS)5 und die Internationale Handelskammer mit Sitz in Paris (für internationale Fälle)6

→ Rdnr. 16 ff., → § 1042 Rdnr. 3.

2 Auf diesem Hintergrund ist das neue 10. Buch entstanden. Es baut auf dem UNCITRAL 2 Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit auf (im folgenden ML), das von der Vollversammlung der UN am 31.12.1985 den Mitgliedsstaaten zur An-nahme empfohlen wurde7. Die deutschen Reformbemühungen standen von Anbeginn im Zeichen der Anlehnung an diese Vorgabe, aber nicht beschränkt auf internationale Ver-fahren, sondern generell. Die 2006 beschlossenen Änderungen hat Deutschland auch spä-ter nicht aufgegriffen8. In diesem Sinne legte im Februar 1994 die beim Bundesminister gebildete Expertenkommission einen kommentierten Diskussionsentwurf vor9. Der Re-gierungsentwurf10 und die endgültige Fassung folgten dem Diskussionsentwurf bis auf wenige Details. Am 1.1.1998 ist das Gesetz in Kraft getreten11. Es wird, von wenigen

2 Kind Staatsrechtliche Aspekte der Verbandsschiedsgerichtsbarkeit im Kartellwesen (1958), 94 ff.; Habscheid KTS 1959, 117; Kronstein Arbitration is Power NJULRev. 38 (1963), 661 ff.; ders.

Das Recht der internationalen Kartelle (1967), 212 ff.

3 Aufgrund eingehender empirischer Untersuchungen etwa Klaus Kohler aaO 103, 124.

4 Überblick bei MünchKommZPO-Münch4 Rdnr. 88 ff.

5 SchiedsO 1998 www.dis-arb.de/scho/Schiedsvereinbarung98.html, abgedruckt auch bei Schwab/Walter7 Anh. u. Raeschke-Kessler/Berger3 Anh.; XXIII YCA (1998) 288 (engl.). Kommen-tiert in Böckstiegel u. a. 655 ff.

6 SchiedsgerichtsO 2012: www.iccwbo.org/court/english/arbitration/rules.asp. Grundlegend:

Fry/Greenberg/Mazza The Secretariat’s Guide to ICC Arbitration, ICC-Publication No 729E, Paris 2012.

7 Official Records of the General Assembly, 14th Session Supplement No. 17 (A 140/17). Annex 1.

Englischer und deutscher Text in Berger Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit RWS-Dokumen-tation 21 (1998) 53, 65; dort auch Abdruck von Auszügen aus den Materialien bei den betreffenden Vorschriften der ZPO. Deutscher Text auch in Schwab/Walter7 516. Lit: Calavros Das UNCITRAL Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (1988); Granzow Das UNCIT-RAL Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (1988); Hußlein-Stich Das UNCITRAL Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (1990); Holtz-mann-Neuhaus A Guide to the UNCITRAL Model Law on International Arbitration (Deventer-Bos-ton 1989); Bachand/Gélinas The UNCITRAL Model Law after Zwenty-Five Years: Global Perspec-tives on International Commercial Arbitration, 2013; weitere NW in Schlosser Das Recht der inter-nationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit Rdnr. 122 und in MünchKommZPO-Münch4 vor § 1025 Rdnr. 136 ff.

8 S. www.UNCITRAL.org/Text of the Model Law (amended, explanatory note).

9 Hsg. vom BMJ, im Buchhandel nicht erhältlich. Mitglieder MinDir Dr. Rolland (Vorsitzender), RA Bredow (DIS), RA Dr. Glossner (DIS), Dr. Herrmann (UNCITRAL), RAin Möller (DIHT), RA Dr. Rabe (Dt. Juristentag), Prof. Dr. Schlosser (Universität München), Dr. Schmidt-Syaßen (LG Hamburg), MinR Dr. Weiß (Bay Justizministerium), MinRat Dr. Schumacher (Sekretär).

10 Art. 1 Nr 6 Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts, BGBl 1997 I 3224.

11 Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks 13/9124.

Peter Schlosser

vor § 1025

7 Schiedsricherliches Verfahren

Einzelheiten abgesehen, als gelungene Gesetzgebung betrachtet12. Zu Art. 4 enthält es folgende Übergangsvorschrift:

§ 1 Schiedsverfahren

I. Die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ge-schlossen worden sind, beurteilt sich nach dem bisher geltenden Recht.

II. Für schiedsrichterliche Verfahren, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes begonnen, aber noch nicht beendet sind, ist das bisher geltende Recht mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des schiedsrichterlichen Vergleichs der Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut tritt. Die Parteien können jedoch die Anwendung des neuen Rechts vereinbaren.

III. Für gerichtliche Verfahren, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes anhängig sind, ist das bisher geltende Recht weiter anzuwenden.

IV. Aus für vollstreckbar erklärten schiedsrichterlichen Vergleichen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes geschlossen worden sind, findet die Zwangsvollstreckung statt, sofern die Entschei-dung über die Vollstreckbarkeit rechtskräftig oder für vorläufig vollstreckbar erklärt worden ist.

2. Die dogmatische Einordnung der Schiedsgerichtsbarkeit

3 Eine ältere, ursprünglich auch vom RG vertretene13 Lehre qualifizierte die Schiedsge- 3 richtsbarkeit als rein materiell-rechtliche, privatrechtliche Institution. Grundlage eines Schiedsverfahrens ist hier die – selbstverständlich materiell-rechtlich zu qualifizierende – Schiedsvereinbarung, aus welcher allein die Schiedsrichter ihre Befugnisse ableiten, Befugnisse, die dann nicht anders erklärt werden können denn als Formen einer Art Ver-tretungsmacht14 zur Fällung des ebenfalls materiell-rechtlich zu qualifizierenden Schieds-spruchs15.

4 Auf der Einsicht, dass der liberale Staat weder ein Rechtsetzungs- noch ein Gerichts- 4 barkeitsmonopol beanspruchen kann, beruht die neuere prozessuale Lehre, die aus dem Fehlen des Rechtsprechungsmonopols des Staates die Folgerung zieht, dass auch eine pri-vate Gerichtsbarkeit echte Gerichtsbarkeit, »materiell Rechtsprechung«16 – wenngleich nicht öffentliche Gewalt17 – ist und daher prozessual qualifiziert werden muss, der Schiedsspruch daher auch ohne Exequatur ein urteilsgleicher Akt18 ist, wofür § 1055 un-schwer als Beleg dienen kann. Die sogenannten vermittelnden Theorien beziehen sich fast ausschließlich auf die Rechtsnatur der Schiedsvereinbarung → dazu § 1029 Rdnr. 1 ff., wie überhaupt der grundsätzliche Theorienstreit meist im Hinblick auf Einzelaspekte und -komplexe aufgeworfen und dann meist auch in einseitig verzerrter Art behandelt wurde.

Praktische Bedeutung kommt der Streitfrage nicht mehr zu. Dass Nebenpflichten aus der

12 Kraft/Kröll Ten Years of UNCITRAL Model Law in Germany, World Arbitration and Mediati-on Review (2008) 439 ff.

13 RGZ 30, 368; RGZ 116, 77; RGZ 117, 386; RG SeuffArch 67, 426, freilich unter Erwähnung dessen, daß der Schiedsvertrag auch »prozessuale« Bedeutung habe.

14 So ausdrücklich Homberger ZSchwR 32, 3 ff. Die meisten Anhänger der privatrechtlichen The-orie ziehen diese Konsequenz allerdings nicht.

15 Lorenz AcP 157, 265 ff.; Karl Blomeyer FG Rosenberg (1949), 51 ff., 61 ff.; zu den Vertretern dieser früher in anderen Ländern weit verbreiteten Ansicht: G. Roth Der Vorbehalt des ordre public gegenüber fremden gerichtlichen Entscheidungen (1967), 119 ff. Außerhalb des deutschen Sprach-raums Frédéric Edouard Klein Considérations sur l’arbitrage en droit international privé (1955), 181 ff.; Balladore Pallieri Recueil des Cours 35, 291 ff.

16 BGHZ 51, 255 = NJW 1969, 750; BGHZ 54, 392 = NJW 1971, 139; BGHZ 65, 59, 61 = NJW 1976, 109; BGHZ 98, 70, 72 = NJW 1986, 3077, 3078; ebenso OLG Hamm ZIP 2000, 1013.

17 Geimer (einige Fn weiter) 121; Gottwald FS Nagel (1987), 54.

18 Habscheid KTS 1959, 119; ders. NJW 1962, 7; Roth aaO 120, 122; Kornblum aaO 77 ff.;

Schwab/Walte7 Kap. 1 Rdnr. 1. Ausführliche Darstellung der historischen Entwicklung des Theori-enstreits in den wichtigsten Ländern bei Schlosser aaO Rdnr. 41 ff.

Peter Schlosser

vor § 1025 Schiedsricherliches Verfahren 8

Schiedsvereinbarung erwachsen, die über deren Derogationseffekt und der Begründung der schiedsgerichtlichen Entscheidungszuständigkeit hinausgehen und wie die Verpflich-tung zur Tragung von Kosten und Erbringung von Vorschüssen auf Kosten materiell-recht-licher Natur sein können, hat mit der grundsätzlichen Einordnung »der Schiedsgerichts-barkeit« nichts zu tun → § 1029 Rdnr. 1.

5 Rechtsordnungsfreie Schiedsgerichtsbarkeit? Zu Fällen, in denen ein Auslandsbezug 5 besteht, wird in manchen Staaten die These vertreten, Schiedsgerichtsbarkeit sei losgelöst vom staatlichen Recht. Von den so denkenden Gerichten ist das prominenteste der Supre-me Court of Canada19, der sagte: »Arbitration is part of no state’s judicial system. . . . The arbitrator has no allegiance or connections to any single country. . . . In short, arbitration is a creature that owes its existence to the will of the parties alone«. Damit sollte aber nur dargetan werden, dass der konkrete Fall nicht wegen der Schiedsklausel allein schon ein

»foreign element« hätte, was in Verbrauchersachen zur Unwirksamkeit der Abbedingung der Zuständigkeit der Gerichte Quebecs geführt hätte. Wie selbstverständlich hat er auch die in Quebec für die Schiedsgerichtsbarkeit geltenden Rechtsnormen für anwendbar ge-halten. Ähnlich hatte gleichzeitig die französische Cour de cassation20 gesagt: »Der inter-nationale Schiedsspruch, der nicht in irgendeine staatliche Rechtsordnung integriert ist (»rattaché«) ist eine Entscheidung der internationalen Justiz (»justice internationale«), deren Regularität nach den Regeln überprüft wird, die in dem Lande gelten, in dem seine Anerkennung und Vollstreckung geltend gemacht wird«.

6 Aus der Literatur hat vor allem Gaillard21 die internationale Schiedsgerichtsbarkeit als 6 eigenständige Rechtsordnung neben staatlichen Rechtsordnungen und dem Völkerrecht darzustellen versucht. Der Versuch ist aber im luftleeren Raum geblieben. Welches mate-riell-rechtliche Substrat diese »Rechtsordnung« (»ordre juridique« oder »justice interna-tionale«) unterfüttern soll, bleibt völlig im Dunkeln. Nicht einmal über das Zustandekom-men einer wirksaZustandekom-men Schiedsvereinbarung werden Aussagen gemacht. Außerhalb des frankophonen Bereichs ist eine solche Hypothese auch noch nicht ernsthaft in Erwägung gezogen worden.

3. Schiedsgerichtsbarkeit, Verfassungsrecht22 und Europarecht

7 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Institut einer privaten Gerichtsbarkeit nach 7 Art der in der ZPO geregelten Schiedsgerichtsbarkeit sind, weil jede Schiedsgerichtsbar-keit auf freiwilliger Unterwerfung beruht23, unbegründet24. Das Verfassungsrecht ver-langt aber, dass ein Schiedsverfahren Integritätsanforderungen unterworfen ist, die durch das staatliche Gericht kontrolliert werden25. EMRK → § 1042 Rdnr. 6.

19 Dell Computer Corp. v. Union des Consommateurs (2007) Supreme Court of Canada 34, 284.

20 Société PT Putrabali Adyamulia v. société Rena Holding, RevArb. 2007, 512 = (engl) 24 Arb.

Int. 293 – Übersetzung des nachfolgenden Textes vom Verf.

21 Aspects philosophique du droit de l’arbitrage international, Recueil des Cours 329 (2007) 49 ff.

22 Dazu grundlegend Geimer und Walder in Schlosser (Hsg.) Die rechtliche Organisation der Rechtsberatung und Schiedsgerichtsbarkeit und Verfassungsrecht, Bd. 7 der Schriftenreihe der Wis-senschaftlichen Vereinigung für Internationales Verfahrensrecht (1994).

23 Erl. Zur östrr. Regierungsvorlage des ZivilverfahrensänderungsG 2004, 173 Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrats 22. GP 21: »Prinzip der absoluten Freiwilligkeit der Parteien«.

24 BAG NJW 1964, 268; BGHZ 65, 59 = NJW 1976, 109; Geimer aaO I C; V m. w. N.; Herzog in Maunz/Dürig Art. 92 Rdnr. 145 ff., 165; Art. 101 Rdnr. 22; allg.M.

25 Geimer aaO 172 ff.; Walder aaO.

Peter Schlosser

vor § 1025

9 Schiedsricherliches Verfahren

8 Vom Anwendungsbereich der VO (EG) 44/2000 – »Brüssel I« – ist die Schiedsgerichts- 8 barkeit grundsätzlich ebenso ausgeschlossen, wie sie in deren Neufassung (EU) Nr. 1215/

2012 trotz vorangegangener ausgiebigen, z. T. polemisch-leidenschaftlich geführter, Dis-kussion ausgeschlossen geblieben ist, Art. 1 Abs. 2 Buchst d. Das betrifft vor allem Ent-scheidungen staatlicher Gerichte über Fragen der Schiedsgerichtsbarkeit, da Schiedsge-richte ohnehin keine GeSchiedsge-richte eines Mitgliedsstaates sind26. Eine Entscheidung zur Haupt-sache, in deren Gründen die Existenz einer gültigen Schiedsvereinbarung abgelehnt wird, entfaltet aber in »civil-law« Staaten keine Bindungswirkung nach Art eines »issue estop-pel«27.

4. Völkerrechtliche Immunität

9 → § 1060 Rdnr. 40. 9

5. Obligatorische »Schiedsgerichtsbarkeit«

10 Ausgehend von diesem Legitimationsgrund ist konstituierend für Schiedsgerichtsbar- 10 keit eine auf einem Rechtsgeschäft beruhende Anordnung der Entscheidungsgewalt Pri-vater. Auch nach Ansicht der Europäischen Menschenrechtskommission verstößt eine

»Zwangsschiedsgerichtsbarkeit« gegen die von Art. 6 EMRK aufgestellte Garantie des Zugangs zu den Gerichten28. Später hat der EMRG diese Linie abgeschwächt und die Zu-lässigkeit einer obligatorischen »Schiedsgerichtsbarkeit« bei Vorliegen besonderer Grün-de anerkannt29. Das 10. Buch der ZPO ist gleichwohl nicht anwendbar auf »Schiedsgerich-te«, die durch ein Gesetz30 berufen sind und bei denen der Name »Schiedsgericht« ein besonderes Gericht, ein Verwaltungsgericht oder eine Verwaltungsbehörde bezeichnet31. Wenn nicht durch Gesetz oder Börsensatzung angeordnet, sind Börsenschiedsgerichte Schiedsgerichte im Sinne des Gesetzes → § 1030 Rdnr. 7, sonst fehlt ihnen diese Eigen-schaft, auch wenn die Parteien ihre Zuständigkeit abbedingen können32. Auch die öster-reichischen Börsenschiedsgerichte werden nach österreichischer33 und deutscher34 Auf-fassung nicht generell als Schiedsgerichte angesehen. Nur soweit ihre Zuständigkeit auf Parteivereinbarungen gegründet ist, stellt sie § 15 des deutsch-österreichischen

Vollstre-26 Ausführliche Darstellung der zahlreichen englischen Entscheidungen zur »arbitration excepti-on« bei Merkin/Flannery Arbitration Act 19965 (London 2014) section 66. S. auch. Kommentare zu

»Brüssel I«.

27 A. M. Court of Appeal, National Navigation Co v. Endesa Generacion [2009] EWCA Civ. 1397

= YCA [2010] 463.

28 Bramelid ./. Schweden. Dazu Matscher FS Nagel (1987) 240 ff. Für verfassungswidrig gehalten von Geimer aaO; Für verfassungswidrig erklärt vom Verfassungsgericht Kolumbiens, C-330/2012, Communicato no 18 vom 9. Mai 2012.

29 Lithgov v. United Kingdom v. 08.07.1986, zit. nach Haas SchiedsVZ 2009, 73, 80, dort nähere Erläuterungen.

30 BGHZ 48, 43 = JZ 1967, 603 ff.; RGZ 107, 352; RGZ 108, 198 f.; RGZ 157, 114; OLG Düssel-dorf NJW 1950, 877.

31 Im deutschen Recht gibt es dafür kaum noch Beispiele. Beispiele aus dem ausländischen Recht: Schlosser aaO Rdnr. 12 ff. Neuerdings ebenso SchwBG 4A_533/2012 BullASA 2011, 370.

32 Dazu, insbesondere zu den »Börsenschiedsgerichten« in Düsseldorf und Frankfurt Schlosser aaO Rdnr. 10 ff., 15 ff.; Ernemann Zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprü-che nach 1044 ZPO (1979), 9 ff.

33 öOGH v. 24.IV.1916 Nr. 1739 NF 18, 41.

34 OLG München JW 1930, 2805; KG NJW 1961, 417 (LS); Volkmar LeipZ 1925, 415; Riezler Internationales Zivilprozeßrecht (1949), 597. – A. M. in redaktioneller Fn. zu KG.

Peter Schlosser

vor § 1025 Schiedsricherliches Verfahren 10

ckungsvertrags → Anhang § 723 B IV entgegen früherer Praxis Schiedsgerichten gleich.

In internationalen Fällen, wo es keinen verfassungsmäßig garantierten Richter gibt, der verlässlich effizierten Rechtsschutz gewähren könnte, kann durch Staatsvertrag aber eine Streitbeilegung angeordnet werden, die der üblichen Schiedsgerichtsbarkeit gleicht.

»Zwangsschiedsgerichtsbarkeit« ist aber eine gesetzliche Streitbeilegungsregelung nicht, die durch öffentlich-rechtliche Akte zur Voraussetzung einer Vergünstigung gemacht wird wie etwa in früheren wettbewerbsrechtlichen Gruppenfreistellungen35. Heute scheint eine solche Politik aufgegeben worden zu sein36. Verhandlungsübergewicht →

§ 1029 Rdnr. 26.

6. Schiedsgerichtsbarkeit und Vereinsgerichtsbarkeit

11 Maßnahmen privater Vereinsstrafgewalt, insbesondere Vereinsausschluss, Entziehung 11 einzelner Mitgliedschaftsrechte, Auferlegung von Bußgeldern sowie Erteilung von Ver-warnungen und Verweisen werden weitgehend nicht im Wege eines schiedsgerichtlichen Verfahrens getroffen, sondern vom Vereinsvorstand, der Mitgliederversammlung oder einem besonderen Organ (Spruchkammer, Ehrenrat, Ehrengericht) im Rahmen des dem Verein zustehenden Rechts auf Selbstverwaltung verhängt37. Diese vom Verein ausgeübte Tätigkeit bedarf einer besonderen Rechtsgrundlage, welche sich meist in der Satzung oder in einer besonderen Verfahrensordnung, für politische Parteien aber schon in § 14 des Parteiengesetzes (»Parteienschiedsgerichte«), findet38. Die §§ 1025 ff. ZPO kommen ohne Rücksicht auf die Bezeichnung des zuständigen Organs als »Schiedsgericht«39 nur zur Anwendung, wenn die gesteigerten Voraussetzungen erfüllt sind, die an ein Schiedsge-richt in Abgrenzung zu einem einfachen VereinsgeSchiedsge-richt zu stellen sind. So muss es nach seiner Zusammensetzung als »Schiedsgericht« qualifiziert werden können40. Weiter muss deutlich sein, dass es unabhängig von anderen Vereinsorganen und überparteilich ist.

Schließlich kennzeichnet ein Schiedsgericht, dass es unter Ausschluss des staatlichen Rechtsweges endgültig und verbindlich über eine Rechtsstreitigkeit entscheidet41

§ 1029 Rdnr. 30 ff. Sonst steht gegen einen von einem Vereinsorgan erlassenen Rechtsakt, insbesondere eine Vereinsstrafe, dem betroffenen Vereinsmitglied unabdingbar, der Rechtsweg (meist in Form der negativen Feststellungsklage42) offen43. Zuvor muss freilich

35 Dazu s Blessing Arbitration and EU-merger control in Kaufmann-Kohler (ed) Arbitration of Merger and Acquisition Disputes, ASA special series 24 (2005) 135 ff.; Heukamp Schiedszusagen in der Europäischen Fusionskontrolle (2006); Schlosser G. P. Cahiers de l’arbitrage 2009, 22, 27 ff.;

Sachs SchiedsVZ 2004, 123 ff.

36 S. GruppenfreistellungsVO 461/2010 ABlEU L 129/52.

37 Ältere Lit: Meyer-Cording Die Vereinsstrafe (1957); Reis Die Strafgewalt der Vereine Diss.

Köln (1969); Ernst Die Ausübung der Vereinsgewalt, Diss. Köln (1968); Flume Die Vereinsstrafe FS Bötticher (1970), 101 ff.; Baumann Die Vereinsstrafgewalt des Deutschen Fußballbundes über die Bundesligavereine, Lizenzspieler und Fußballlehrer Diss. Bonn (1971); Schlosser Vereins- und Ver-bandsgerichtsbarkeit (1972); H. P. Westermann Die Verbandsstrafgewalt und das allgemeine Recht (1972); Aktuelle Lit: Reichert/r Handbuch Vereins- und Verbandsrechts12 (2010) 498 ff.; Fritzwei-ler/Pfister/Summerer Praxishandbuch Sportrecht2 (2007) 175 ff. (Bearb. Summerer).

38 Daher Entscheidung eines ohne Rechtsgrundlage amtierenden Organs ohne weiteres unwirk-sam: OLG Frankfurt GRUR 1985, 992.

39 So schon RG Gruch 58, 1102; Fenn FS Henckel (1995) 174.

40 BGH NJW 1995, 583, 587. So angenommen für Schiedsgericht der deutschen Eishockey-Liga OLG München SpuRt 2012, 22.

41 Fenn aaO 185.

42 Reichert aaO 560 ff. – keine Gestaltungsklage auf Aufhebung der Vereinsentscheidung.

43 BGHZ 29, 354; OLG Celle WM 1988, 495; LG München I SpuRt 1995, 162 (DLV-Rechtsaus-schuss kein Schiedsgericht).

Peter Schlosser

vor § 1025

11 Schiedsricherliches Verfahren

der vereinsinterne »Rechtsweg« erschöpft sein44. Überprüfungsgremien sind im Zweifel keine echten Schiedsgerichte45, wohl aber sind sie es dann, wenn ausdrücklich auf die ZPO verwiesen wird46. Die staatlichen Gerichte überprüfen – neben der Richtigkeit der Sachverhaltsfeststellung47 Vereinsmaßnahmen allgemein jedoch nur dahingehend, ob der Strafbeschluss in der Satzung eine Stütze findet, das vorgesehene Verfahren beachtet wurde, die Strafvorschrift gesetz- oder sittenwidrig ist und ob die Bestrafung nicht eine offenbar unbillige Maßnahme darstellt48. Davon wird allerdings für Ausschlussentschei-dungen eine Ausnahme bei solchen Verbänden gemacht, die aufgrund ihrer Bedeutung im sozialen Leben einem Aufnahmezwang unterliegen49. Unter dieser Voraussetzung unter-nimmt die Rechtsprechung auch eine Inhaltskontrolle der vereinsinternen Normen50. Die Tatsachenfeststellung im Disziplinarverfahren hält die Rechtsprechung mit Recht für vollinhaltlich überprüfbar51. Richtiger Ansicht nach unterliegen nämlich die Rechtswirk-samkeit von Rechtsakten der Vereinsautonomie in gleichem Maße richterlicher Kontrolle wie diejenige sonstiger privatautonom gesetzter Rechtshandlungen auch. Nur den Verein-sorganen eingeräumte Bewertungsspielräume und Sanktionszumessungsermessen sind weitgehend richterlicher Kontrolle entzogen52. Soweit Nicht-Mitglieder Einrichtungen ei-nes Vereins oder Verbandes benutzen (Sportwettbewerb), können sie sich in gleicher Wei-se unterwerfen, wie Mitglieder unterworfen sind53. Die Rechtsbeziehungen sind dann aber vertragsrechtlicher Natur.

12 Verschiedentlich wird in den Vereinssatzungen versucht, die an sich bestehende richter- 12 liche Kontrolle dadurch auszuschließen, dass ein »Schiedsgericht« über die Rechtswirk-samkeit und die Rechtsfolgen des Strafausspruchs eines Vereinsorgans endgültig zu ent-scheiden hat. Ein solches Entscheidungsgremium ist nach einhelliger Meinung als echtes Schiedsgericht im Sinne der §§ 1025 ff. ZPO zu betrachten, wenn die »Schiedsrichter« den Anforderungen an Unparteilichkeit und sachlicher Unabhängigkeit entsprechen, wie sie auch für staatliche Richter gelten54 und »allen Streitparteien gegenüber stets faires und unparteiliches Verfahren aufgegeben ist«55. Die unter § 1025 Abs. 2 a. F. erörterte Frage, ob wegen des Monopolcharakters der Sportveranstalter ein »abgenötigter« »Schiedsver-trag« vorliegt, ist überholt. Dass solche Schiedsvereinbarungen im Prinzip wirksam sind,

44 BGHZ 49, 396; BGHZ 47, 174; OLG Düsseldorf NJW RR 1988, 1271, 1272. Für politische Parteien ebenso: KG NJW 1988, 3159 – Überprüfung parteiinterner Wahlen.

45 BayObLG MDR 2003, 1132.

46 OLG Hamburg SpuRt 2001, 247; OLG Braunschweig SchiedsVZ 2005, 262 – Schlichtungsaus-schuss des Landesverbands der Kleingärtner.

47 BGHZ 93, 151 = NJW 1985, 1216; BGH NJW 1997, 3368.

48 BGHZ 21, 373 = NJW 1956, 1793; BGHZ 29, 352 = NJW 1959, 982; BGHZ 36, 105 = NJW 1962, 247, 391; BGHZ 45, 314 = NJW 1966, 1751; BGHZ 47, 172 = NJW 1967, 1268; BGHZ 47, 381

= NJW 1967, 1657; BGH NJW 1973, 35; OLG Düsseldorf NJW-RR 1988, 1271, 1272.

49 BGHZ 102, 265, 276 = NJW 1988, 552, 554 – als verfassungsrechtlich vertretbar bezeichnet durch BVerfG NZA 2007, 514 – Nichtannahmebeschluss.

50 BGHZ 105, 306, 318 = NJW 1989, 1724.

51 BGHZ 87, 337, 344; KG NJW 1988, 3159; m. zust. Anm. Vollkommer (Anfechtung organisati-onsinterner Wahlen einer politischen Partei).

52 BGH NJW 1997, 3368 mit diffizilen Differenzierungen; BGH NJW 1994, 2610 – politische Partei. Näher Soergel/Hadding13 § 25 Rdnr. 61 Fn. 385.

53 BGHZ 128, 93 =NJW 1995, 583.

54 SchwBG Gundel ./. Internationale Reiterliche Vereinigung v. 15.3.1983, in englischer Über-setzung abgedruckt in International Arbitration Report vol. VIII (1993) F 10 F betreffend einen Schiedsspruchs des vom Internationalen Olympischen Komitees gegründeten Schiedsgerichtshofs für Sport. Dazu Schlosser FS Zeuner (1994) 467 ff.; Fenn aaO.

55 BGHZ 159, 207 = NJW 2004, 2226 – Landseer-Hunde – lesenwerte Besprechung Kröll RIW 2005, 13 ff.

Peter Schlosser

vor § 1025 Schiedsricherliches Verfahren 12

wird heute allgemein anerkannt56. Ob der von der Vereinsstrafe Betroffene ein indirektes oder überhaupt kein Mitglied des Vereins ist (und nur kraft vertraglicher Abmachung dessen Spruchgewalt unterliegt), ist ohne Bedeutung57. Wird vor den falschen staatlichen Gerichten die Entscheidung angefochten, so ist in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO, § 17a GVG eine Verweisung zulässig58. Hinsichtlich derjenigen »Schiedsgerichte«, die erstmals Vereinsstrafen zu verhängen haben, wird demgegenüber teilweise die Auf-fassung vertreten, bei ihnen fehle es an einer echten Streitentscheidung, da die Verhän-gung von Strafen keine solche, sondern eine »Willensentscheidung« des Vereins sei. Folg-lich handele es sich, so meint man, bei Spruchkörpern dieser Art nicht um Schiedsgerich-te im Sinne der ZPO, sondern um Verbandsorgane59. Sieht man das Wesen der Rechtsprechung nicht in der Streitentscheidung, sondern, allgemeiner, in der Gesetzesan-wendung auf einen Pflichtwidrigkeitstatbestand durch eine unabhängige Instanz60, so las-sen sich auch Spruchkörper, die Vereinsstrafen verhängen und dabei die Satzung des

wird heute allgemein anerkannt56. Ob der von der Vereinsstrafe Betroffene ein indirektes oder überhaupt kein Mitglied des Vereins ist (und nur kraft vertraglicher Abmachung dessen Spruchgewalt unterliegt), ist ohne Bedeutung57. Wird vor den falschen staatlichen Gerichten die Entscheidung angefochten, so ist in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO, § 17a GVG eine Verweisung zulässig58. Hinsichtlich derjenigen »Schiedsgerichte«, die erstmals Vereinsstrafen zu verhängen haben, wird demgegenüber teilweise die Auf-fassung vertreten, bei ihnen fehle es an einer echten Streitentscheidung, da die Verhän-gung von Strafen keine solche, sondern eine »Willensentscheidung« des Vereins sei. Folg-lich handele es sich, so meint man, bei Spruchkörpern dieser Art nicht um Schiedsgerich-te im Sinne der ZPO, sondern um Verbandsorgane59. Sieht man das Wesen der Rechtsprechung nicht in der Streitentscheidung, sondern, allgemeiner, in der Gesetzesan-wendung auf einen Pflichtwidrigkeitstatbestand durch eine unabhängige Instanz60, so las-sen sich auch Spruchkörper, die Vereinsstrafen verhängen und dabei die Satzung des