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Das Register Johannes VIII

1. Zu den Quellen des achten und neunten Jahrhunderts

1.3 Weitere Quellen

1.3.2 Das Register Johannes VIII

Die Quellenlage für den Pontifikat Johannes’ VIII. ist zwiespältig : Für ihn ist kein LP-Eintrag erhalten und es ist auch sehr zweifelhaft, dass jemals einer existierte.

Doch gerade für diesen Papst ist dafür eine Abschrift seines Briefregisters erhalten, die einen sehr guten Einblick in seinen Pontifikat ermöglicht.

Der Teilauszug des Registers ist heute im Vatikanischen Archiv als Band 1 der Registra Vaticana erhalten. Die Handschrift stammt aus dem elften Jahrhundert und ist in sehr schmuckvoller Beneventana gehalten. Diese Schrift weist in ihrer Ausprä-gung darauf hin, dass der Registerauszug im elften Jahrhundert in Monte Cassino

128 Georg May, Kirchenrechtsquellen : Katholische, in : Theologische Realenzyklopädie, Band 19 : Kir-chenrechtsquellen, ed. Gerhard Krause/Gerhard Müller (Berlin/New York 1990) 1–44, hier 17.

129 Zur Datierung siehe Paul Fournier/Gabriel LeBras, Histoire des collections canoniques en Occident depius les fausses décrétales jusqu’au Decret de Gratien (2 Bde., Paris 1931–1932) Bd. 2, 55–99 und 155–163.

130 Herbers, Leo IV., 49f. Die Handschrift befindet sich immer noch in der British Library, Ms. Add.

8873.

131 Herbers, Leo IV., 49. Ebd., Anm 1, illustriert Herbers das am Beispiel der Papstregesten Jaffés bzw.

der überarbeiteten Fassung von Jaffé, Ewald, Löwenfeld und Kaltenbrunner, im betreffenden Fall JE2. Während die erweiterte Fassung nach dem „Fund“ der Collectio für Leo 65 Einträge aufweist, hatte die alte Version Jaffés nur 36.

132 Herbers, Leo IV., 57. Zur gesamten Forschungsdiskussion siehe ebd., 51–58.

oder von einem dort ausgebildeten Schreiber angefertigt wurde.133 Dietrich Lohr-mann hat argumentiert, dass die Abschrift tatsächlich in Santa Maria al Palladio, der Montecassineser Niederlassung in Rom, angefertigt wurde.134 Sicher ist jedenfalls, dass die Handschrift sich im 13. Jahrhundert in Monte Cassino befand, was ein Bi-bliotheksvermerk beweist.135 Die Handschrift ist eine Kopie einer Vorgängerhand-schrift, die als der eigentliche Registerauszug anzusehen ist.136

Die Registerabschrift umfasst lediglich die Jahre 876 bis 882, wobei vom erstge-nannten Jahr ebenfalls ein großer Teil fehlt, da das Register (wie auch jenes Gregors des Großen) nach Indiktionsjahren gegliedert war. Die Briefe setzen somit erst am 1. September 876 ein und reichen bis Ende August 882, das heißt, es fehlen auch die Briefe, die kurz vor dem Tod des Papstes am 16. Dezember 882 in der neuerlichen ersten Indiktion ab September verfasst wurden. Es ist in der Forschung bis heute um-stritten, was mit den Briefen vor September 876 passierte, Spekulationen reichen von einem Verlust der Register für die ersten Jahre des Pontifikats bis zu einem Verlust der Abschrift vor der Erstellung der erhaltenen Kopie.137

Auch der heute erhaltene Teil des Registers wird unterschiedlich gesehen : Es ist immer noch umstritten, ob es sich bei dem erhaltenen Teil um eine vollständige Ko-pie des Registers für die enthaltenen sechs Indiktionen (10., 876/877, bis 15., 881/882) handelt – die Frage ist wohl auch nicht eindeutig zu beantworten. Klar ist aber, dass Briefe und vor allem Privilegien Johannes’ VIII. überliefert sind, die sich nicht in der Registerhandschrift finden. Das könnte aber auch daran liegen, dass schon bei der Registrierung eine Auswahl aus den Stücken getroffen wurde und/oder dass ein eigenes Privilegienregister existierte.138 Es ist aber dennoch möglich, dass der Kopist im elften Jahrhundert auch Briefe wegließ, wenn auch keinerlei Kriterium festgestellt werden kann, nach dem er vorgegangen sein könnte.

Kurz muss auch noch auf die Frage der Urheberschaft der in den in Kapitel 1.2 und 1.3 beschrieben Sammlungen enthaltenen Briefe eingegangen werden. Die

Papst-133 Erich Caspar, Studien zum Register Johanns VIII., in : Neues Archiv, 36 (1911) 77–156, hier 85f.

Siehe auch ebd., I–III, Tafeln, die einige Blätter der Handschrift im Negativ zeigen.

134 Dietrich Lohrmann, Das Register Papst Johannes’ VIII. (872–882). Neue Studien zur Abschrift Reg. Vat. 1, zum verlorenen Originalregister und zum Diktat der Briefe (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 30, Tübingen 1968) 102.

135 Caspar, Studien 86.

136 Caspar, Studien 92.

137 Die Positionen der Forschung hat Dorothee Arnold, Johannes VIII. Päpstliche Herrschaft in den karolingischen Teilreichen am Ende des 9. Jahrhunderts (Europäische Hochschulschriften, 797, Frankfurt am Main, et al., 2005) 37–45, gut zusammengefasst.

138 Siehe Arnold, Johannes VIII., 29–31.

briefe weisen in so gut wie allen Fällen den Papst als Absender aus. Es ist aber davon auszugehen, dass der Papst nur in den allerwenigsten Fällen das Schriftstück selbst niedergeschrieben hat. Und auch für das Diktat der Briefe werden in vielen Fällen Mitarbeiter der Kanzlei verantwortlich gewesen sein. Wenn also in der Folge vom Papst als Verfasser des hier zu betrachtenden Briefes die Rede ist, sei hiermit auf mögliche andere tatsächliche Urheber hingewiesen. Es ist jedoch aus heutiger Sicht nicht mehr von großer Bedeutung, wer die Papstbriefe nun im Einzelnen verfasst hat.

Die Handlung erfolgte wie die des Papstes selbst. Die betrauten Personen handelten wahrscheinlich mit dem Einverständnis der Päpste. Gerade für diplomatisch wich-tige Kommunikation, um die es sich bei allen in der Arbeit behandelten Schriftstü-cken handelt, kann nahezu ausgeschlossen werden, dass sie überhaupt ohne Wissen und Einverständnis des Papstes durchgeführt werden konnte.

Theoretische Überlegungen

2.1 L’image de l’autre, Extimität und Othering

„Je veux parler de la découverte que le je fait de l’autre.“139 So begann Tzvetan Todorov sein Werk über ‚La conquête de l’Amérique‘, das den für die hier geführten Betrach-tungen bedeutsamen Untertitel ‚La question de l’autre‘ trägt. Er legt auf den ersten Seiten seiner Einleitung dar, wie aktuell diese Frage nach der „Entdeckung“ und Eroberung Amerikas war und hat damit zweifellos recht, denn selten vor und nach dieser Zeit sind so regelmäßig derart verschiedene Kulturen aufeinandergestoßen, ohne vorhin in jeglichem Kontakt zueinander gestanden zu haben.

Die Begegnungen eines Ich mit einem Anderen bestimmen jegliches menschliche Dasein. Die Anderen werden in der vorliegenden Arbeit nicht genau im Sinne der Unterscheidung von (petit) autre beziehungsweise (grand) Autre durch Jacques Lacan verwendet, bei dem das große Andere schon bei den eigenen Eltern in der Kindheit, ja im Prinzip bei der eigenen Selbstrepräsentation im Sprechakt beginnt.140 Doch weil seine Sicht des Anderen jeder Auseinandersetzung auch mit dem Phänomen des Fremden zugrunde liegt und entsprechend häufig in der Theorie der Andersheit herangezogen wird, wird „Andere“ hier prinzipiell groß geschrieben, um zu signa-lisieren, dass es hier um das Andere außerhalb der in-group des Papstes geht, eine Gruppe, die in der Folge noch zu definieren sein wird.

Todorov definierte „anders“ in seinem Sinne folgendermaßen : „… lui être extérieur, une autre société donc, qui sera, selon les cas, proche ou lontain : des êtres que tout rapproche de nous sur le plan culturel, moral, historique“, um dann mit einer Defi-nition der amerikanischen Ureinwohner als ultimativ Fremde fortzusetzen.141 In der vorliegenden Arbeit geht es jedoch um Andere, die man durchaus kannte. Einige

139 Tzvetan Todorov, La conquête de l’Amérique. La question de l’autre (Paris 1982) 11.

140 Vgl. das Lemma „Other“, in : Post-Colonial Studies. The Key Concepts, ed. Bill Ashcroft/Gareth Griffith/Hellen Tiffin (London/New York 22000) 154–156. Jacques Lacan, Das Werk von Jacques Lacan. Das Seminar : Buch 3 (1955 - 1956). Die Psychosen, ed. Norbert Haas (Berlin/Weinheim 1997) z.B. 322. Siehe auch Elisabeth Roudinesco/Michel Plon, Wörterbuch der Psychoanalyse : Na-men, Länder, Werke, Begriffe (Wien 2004, frz. Orig. 1997) 24–27 (Lemma „Andere (der)“).

141 Todorov, Conquête 11.

Individuen, sozusagen Repräsentanten von fremden Gruppen, dürfte man in Rom in jedem der in den folgenden Abschnitten beschriebenen Fälle kennengelernt haben, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß : Während die Langobarden als an meh-reren Grenzen direkte Nachbarn, die noch dazu stark romanisiert waren, ziemlich vertraute Andere waren, waren schon die Franken ein wenig weiter entfernt. Die fremdesten Anderen werden von den Sarazenen repräsentiert, aber auch sie waren immerhin Teil des poströmischen mittelmeerischen Kulturraumes, somit kein Ver-gleich mit den Fremden Todorovs, die für die iberischen Europäer völlig unbekannt waren, ja für die erst der Papst entscheiden musste, ob sie denn überhaupt als Men-schen zu betrachten seien – und somit als Ziel der christlichen Mission, inklusive Anspruch auf eine menschenwürdige Behandlung.142

Im Europa des achten und neunten Jahrhunderts kannte man die meisten Frem-den. Entweder stand man mit ihnen ohnehin in Kontakt, zumindest aber lagen aus-reichend Texte bereit, um die betreffenden gentes (und nicht-gentes) einzuordnen.143 Mittels der antiken Ethnographie oder zumindest der Etymologien Isidors von Se-villa ließen sich alle der von den Päpsten beschriebenen Völker der Sphäre des Be-kannten zurechnen.144 Zu dieser wesentlichen Literatur gesellte sich in allen Gesell-schaftsschichten auch die Darstellung der Bibel und in gehobenen Schichten ihre von kirchlichen Autoritäten erfolgte Auslegung.

Klar ist also, dass die uns überlieferten Beschreibungen der gentes nicht ohne den Diskurs, in dem sie entstanden sind, gesehen werden können. Dieser Diskurs der Al-terität wurde nicht nur von der vorhandenen autoritativen Literatur geprägt, sondern auch von anderen wesentlichen Faktoren, nicht zuletzt der alltäglichen Wahrneh-mung von fremden Pilgern und Händlern – denn Rom und seine drei Häfen Ostia,

142 Rechtsverbindlich bekräftigt wurde das durch Papst Paul III. 1537, siehe zum Beispiel Claudia Schnurmann, Europa trifft Amerika : Zwei alte Welten bilden eine neue atlantische Welt, 1492–

1783 (Münster 2009) 9 oder Matthias Gillner, Bartolomé de las Casas und die Eroberung des india-nischen Kontinents. (Theologie und Frieden 12, Stuttgart/Berlin/Köln 1997), 42–55 (zur Situation der Mission in Mittelamerika), bes. 48 (zur Bulle Sublimis Deus).

143 Was nicht heißen soll, dass man an den Rändern Europas nicht sogar auf als monströs beschrieben Fremde treffen konnte, siehe Ian N. Wood, Where the wild things are, in : Visions of Community in the Post-Roman World. The West, Byzantium and the Islamic World, ed. Walter Pohl/Clemens Gantner/Richard Payne (Aldershot 2012) 531–542. Mit solchen Vorstellungen kommt man jedoch in den Quellen des Papsttums so gut wie nicht in Kontakt. Allenfalls vereinzelte Berichte von Mis-sionaren, die am Rand der christlichen Welt agierten, drangen nach Rom. Im achten Jahrhundert sind besonders für Willbrord und Winfried-Bonifatius ausgezeichnete Kontakte nach Rom belegt.

144 Zur antiken Ethnographie siehe Greg Woolf, Tales of the Barbarians. Ethnography and Empire in the Roman West (Chichester/Malden, Mass. 2011). Siehe zukünftig auch Michael Maas, Roman Imperial Ethnography and the End of Antiquity (in Vorbereitung).

Portus und Centumcellae/Civitavecchia waren nicht zuletzt auch ein wichtiger Ver-kehrsknotenpunkt am Mittelmeer.145

Teil des Diskurses waren aber auch die politischen Interessen Roms, im untersuch-ten Zeitraum soweit bekannt meist deckungsgleich mit jenen des Papsttums. Man sollte also nicht außer Acht lassen, dass sich in den für unser heutiges ebenso wie für das zeitgenössische Bild von frühmittelalterlicher Alterität wirkmächtigen päpst-lichen Texten auch die politischen Interessen des Papsttums und der im Papsttum tätigen, nahezu immer anonymen Autoren widerspiegeln.

Alterität wurde also, im Rahmen des herrschenden Diskurses, auf verschiedene Weise wahrgenommen und dargestellt. In den meisten in der Folge zu behandelnden Fällen handelte es sich allerdings um eine Art „intimate alterity“, um Extimität, um hier einen weiteren Begriff Jacques Lacans zweckentfremdet, also ausdrücklich nicht in der Nachfolge des großen Psychoanalytikers anzuwenden.146 Denn die Fremden/

Anderen waren unzweifelhaft unterschiedlich von den Autoren unserer Quellen aus dem Umfeld des Papsttums (zu ihnen siehe Kapitel 1), zugleich waren sie aber „dis-comfortingly familiar“.147

Somit muss das Anders-Sein als ein Begriff gesehen werden, der keineswegs ab-solut in einem monochromen Schema angewandt werden kann. Vielmehr ist an eine Skala zu denken, an der gemessen manche Gruppen näher oder weiter weg von Rom oder der römischen Kirche eingeordnet werden konnten und mussten. In jedem die-ser Akte der Ordnung der eigenen Umwelt war es für den jeweiligen Sprecher von Bedeutung, den eigenen Standpunkt zumindest implizit neu zu erfinden. Der Begriff der Extimität soll im vorliegenden Text dabei helfen, die unklaren, oft verzerrten und vor allem variablen Grenzen zwischen Identität (vielleicht eher im Sinne von Identisch-Sein/Gleichheit) und dem Anders-Sein auszudrücken, so wie ihn auch der

145 Michael McCormick, Origins of the European Economy. Communications and Commerce, AD 300–900 (Cambridge 2001) 618–630, zum neunten Jahrhundert siehe auch Paolo Delogu, L’im-portazione di tessuti preziosi e il sistema economico romano nel IX secolo, in : Roma medievale.

Aggiornamenti, ed. ders. (Florenz 1998) 123–141.

146 Lacan spricht von extimité, was wie Jeffrey Jerome Cohen, Introduction : Midcolonial, in : The Post-colonial Middle Ages, ed. ders. (New York 2000) 1–17, hier 5, zusammenfasst : „characterizes wha-tever inassimilable remainder results when the raw Real of the world is transformed into the Sym-bolic structure of culture“, siehe auch ebd., 16, mit Anm. 16. Siehe außerdem Jacques-Alain Miller, Extimité, in : M. Brachner, Lacanian Theory of Discourse : Subject, Structure, Society (New York 1994) 74–87, hier 77 : Extimität ist das Äquivalent zum Unbewussten selbst, beschreibt aber auch die Beziehung des Analysten zum (in dieser Hinsicht eben nicht intimen) Analysierten.

147 Cohen, Introduction 5, der mit dem zitierten Ausdruck das Mittelalter und die mittelalterlichen Menschen an sich meint, aber zugleich eine perfekte Beschreibung für Verhältnisse zu jemand (ob nun scheinbar oder tatsächlich) Vertrautem liefert.

Kunsthistoriker Francisco Prado-Villarverwendet : „The icon of the Virgin in the Moorish household … signals ‚the presence of the Other and of its discourse at the very center of intimacy.‘ “148 Bei aller Diversität findet sich gerade im engeren nach-barschaftlichen Umfeld oft auch vieles, das verbindet.

Ein wichtiger Teil der vorliegenden Arbeit wird sich damit beschäftigen, wie das Papsttum im achten und neunten Jahrhundert Unterschiede zu Anderen in seinen Texten herausstrich und Gemeinsamkeiten situationsbedingt einsetzte. Dabei geht es um eine ganze Reihe von Punkten, obschon die römischen Quellen von realpoliti-schen Fragen dominiert werden.

Die Wahrnehmung von Anderen unterlag aber immer auch gesellschaftlichen Spielregeln, einem ungeschriebenen Regelwerk dessen, was gesagt oder nicht gesagt werden konnte. Dieses Regelwerk ist ein Teil des Konzepts des „Diskurses“. Die we-sentliche Begrifflichkeit und Theorie wurde von Michel Foucault formuliert.149 Eine treffende Definition, vor allem für die Anwendung in den Geschichtswissenschaften bietet Walter Pohl : „A complex and, to a large extent, implicit set of rules governs the way in which members of a given society can decide, not only what is true or false, but also what is possible or impossible, what exists and what is an illusion, what can be said and what cannot, what is desirable and what should be disapproved.“150 Das Papsttum kann also nicht alleinstehend betrachtet werden, auch wenn es aufgrund seiner großen kulturellen und sozialen Macht, seines großen Prestiges vermochte, den in Rom herrschenden Diskurs zu einem großen Teil selbst zu gestalten.

Aber wer war überhaupt das bereits mehrfach genannte Papsttum ? Für die vor-liegende Arbeit ist es wohl am besten als päpstliche in-group, als die Eigenen des Papstes zu definieren.151 In Kapitel 3.1, das dem Umfeld des Papstes in der Stadt Rom im achten und neunten Jahrhundert gewidmet ist, wird die Zusammensetzung

148 Francisco Prado-Villar, The Gothic anamorphic gaze, in : Under the Influence. Questioning the Comparative in Medieval Castile, ed. Cynthia Robinson/Leyla Rouhi (Leiden 2005) 67–100, hier 69 (Miller, Extimité 77, interpretativ zitierend). Ibid., 69, Anm. 5 : „In my analysis, extimacy works as an operative concept at two levels, both from a formal point of view – in relation to the „extrover-sion“ of the visual configuration of Cantigas – and conceptually, in relation to the unstable bounda-ries of identity and otherness that characterize the work.“

149 Grundlegend : Michel Foucault, L’ordre du discours (Paris 1972).

150 Walter Pohl, Introduction – Strategies of identification : A methodological profile, in : Strategies of Identification. Ethnicity and Religion in Early Medieval Europe, ed. Walter Pohl/Gerda Heyde-mann (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages 13, Turnhout 2013) 1–64, hier 29.

151 Zudem kann man auch argumentieren, dass das Papsttum neben einer Institution auch im frühen Mittelalter bereits eine Idee repräsentierte, die über den Einfluss des Patriarchats Rom noch hinaus ging. In diesem Buch soll aber das Hauptaugenmerk auf der institutionell-politischen Bedeutungs-ebene liegen.

dieser Gruppe detailliert dargestellt werden. Das Papsttum war allerdings keine ho-mogene Gruppe, die ein kollektives Ziel verfolgte, vielmehr gab es innerhalb dieser Institution durchaus divergierende Interessen. Amtsträger innerhalb der römischen Kirche verfolgten sehr oft ihre eigenen Interessen, nicht jene des Papsttums. Zudem waren die hierarchischen Strukturen zwar in der Theorie meist klar, die reale Macht eines Amtsträgers hing aber oft von der jeweiligen Person und ihrem Umfeld in der Stadt Rom ab. Einige dieser Individuen, die zum engsten Kreis des Papstes gehörten, werden in den folgende Kapiteln Erwähnung finden. Trotz aller Einschränkungen sind viele überlieferte Quellen jedoch dem Papsttum insgesamt zuzuordnen. Das gilt in besonderem Maß für den Liber Pontificalis, der ja wie oben in Kapitel 1.1 be-schrieben nur unter begrenztem Einfluss des Papstes und seiner höchsten Beamten stand. Demgegenüber hatten die Päpste wahrscheinlich in fast allen Fällen direkten Einfluss auf die diplomatische Korrespondenz, die jedoch auch schlussendlich von der dem primicerius unterstehenden Kanzlei formuliert wurde.

Bislang haben wir uns mit der Frage der tatsächlichen Wahrnehmung des Frem-den/Anderen durch die päpstliche in-group und den weiter gefassten peculiaris popu-lus beschäftigt – beziehungsweise mit Möglichkeiten sich dieser Frage anzunähern.

Daneben gibt es aber auch das aktive Gestalten des in der eigenen Kommunikation transportierten Bildes von Anderen. Dieser Faktor der Konstruktion des Anderen ist in unseren Quellen wesentlich leichter zu fassen. Zumeist finden wir aktive Versu-che, ob nun absichtsvoll oder unabsichtlich, Andere auszugrenzen und sich selbst somit abzugrenzen. Diese Strategie wird als Othering bezeichnet. Gemeint ist da-mit eine Ausgrenzung und Marginalisierung von Anderen da-mit dem Ziel, die eigene Gruppe (hier die päpstliche res publica, das Papsttum, Rom und der päpstliche pe-culiaris populus152) von ihnen positiv abzusetzen.153 Der Begriff wurde von Gayatri Spivak zuerst für jenen Diskurs (explizit in der Tradition Foucaults) verwendet, in dem sich die imperialen Großmächte des 19. und 20. Jahrhunderts von ihren Kolo-nien abgrenzten.154

Ohne den Terminus zu verwenden, hat Edward Said dem Konzept in seinem be-rühmten Buch ‚Orientalism‘ in den Human- und Sozialwissenschaften zum Durch-bruch verholfen.155 Auch Said schrieb vor allem über die kolonialistische europäische

152 Zu diesen Konzepten siehe unten, Kap. 3.1.

153 Tobias Schwarz, Bedrohung, Gastrecht, Integrationspflicht : Differenzkonstruktionen im deutschen Ausweisungsdiskurs (Bielefeld 2010) 22.

154 Lemma : Othering, in : Post-Colonial Studies, ed. Ashcroft/Griffith/Tiffin 156–158.

155 Edward Said, Orientalism (London/New York 2003, 11978) v. a. 1–30 und 49–73 zum Wandel des Bildes des „Ostens“ im „Westen“. Berechtigterweise wird Saids Buch jedoch für den Versuch kriti-siert, die westlichen Vertreter des „Orientalismus“ weitestgehend homogen darzustellen und dabei

Perspektive der Neuzeit und Moderne. Er zeichnete seinen Orientalismus als Diskurs, der dazu dient die Macht der imperialistischen europäischen Nationen (und später auch der USA) gegenüber dem als fundamental Anders wahrgenommenen „Orient“

soweit wie möglich aufrechtzuerhalten. Wichtig ist es aber zu betonen, dass Said hier keineswegs eine Verschwörung des „Westens“ gegen den Orient sehen wollte. Viel-mehr charaktersierte er seinen Orientalismus folgendermaßen :

It is rather a distribution of geopolitical awareness into aesthetic, scholarly, economic, soci-ological, historical and philological texts ; it is an elaboration not only of a basic geographic distinction (the world is made up of two unequal halves, Orient and Occident) but also of a whole series of ‚interests‘ which, by such means as scholarly discovery, philological recon-struction, psychological analysis, landscape and sociological description, it not only creates but also maintains ; it is, rather than expresses a certain will or intention to understand, in some cases to control, manipulate, even to incorporate, what is a manifestly different (or alternative and novel) world ; it is, above all, a discourse that is by no means in direct cor-responding relationship with political power in the raw, but rather is produced and exists in uneven exchange with various kinds of power, shaped to a degree by the exchange with

It is rather a distribution of geopolitical awareness into aesthetic, scholarly, economic, soci-ological, historical and philological texts ; it is an elaboration not only of a basic geographic distinction (the world is made up of two unequal halves, Orient and Occident) but also of a whole series of ‚interests‘ which, by such means as scholarly discovery, philological recon-struction, psychological analysis, landscape and sociological description, it not only creates but also maintains ; it is, rather than expresses a certain will or intention to understand, in some cases to control, manipulate, even to incorporate, what is a manifestly different (or alternative and novel) world ; it is, above all, a discourse that is by no means in direct cor-responding relationship with political power in the raw, but rather is produced and exists in uneven exchange with various kinds of power, shaped to a degree by the exchange with