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Das Prinzip der Schwebung, ihre Anwendung

Im Dokument Laut, Ton, Stärke (Seite 163-171)

2. Die Befreiung des Klangs aus dem Bild

2.4. Einen starken Eindruck machen

2.4.2 Die Gefahr der Berührung

2.4.2.1 Das Prinzip der Schwebung, ihre Anwendung

Jede Hörfaser deckt im sensiblen System des Innenohres einen für Töne von unterschiedlicher Höhe bestimmten und eng umgrenzten Bereich ab, auf den sie maximal empfindlich ist, aber durch die Enge des schwingungsfähigen Systems auch mit benachbarten Frequenzen in Berührung tritt. Dies geschieht bei einfachen und eng beieinander liegenden einfachen Sinustönen ebenso wie beim Zusammenklang eines oder mehrer obertonreicher Spektra natürlicher Instrumentaltöne oder „Tongemische“ (Stockhausen), deren Teiltöne sich zumeist harmonisch über der Grundtonschwingung, und in einfachen Vielfachen der Grundfrequenz aufbauen. Liegen daher Töne oder Teiltöne im Frequenzband ausreichend nahe bei einander, so können sich zwei Wellensysteme gegenseitig beeinflussen, und sich in der Wahrnehmung als neue, durch Addition der Amplitudenwerte bewirkte Klangqualität, oder als „schneller Wechsel in der Intensität des Tons“, bemerkbar machen. „Jede Faser des Hörnervs ist nur für Töne aus einem engen Intervall der Skala empfindlich, so dass nur ganz nahe gelegene Töne in ihr überhaupt zusammenwirken können.“490 John R. Pierce nennt diesen akustischen Rand, den zwei eng beieinander liegende Schwingungen miteinander bilden, die Kritische Bandbreite, die bei einem Halbtonunterschied dem Ohre von Helmholtz (mit 20 bis 40 Stößen) bereits merklich unangenehm klang. Während Helmholtz zur Adjustierung des Frequenzabstandes zweier Schwingungen noch Orgelpfeifen verwandte, die er kontinuierlich gegeneinander verstimmte, und hier zunächst einzelne Schwankungen in der Intensität, so

488Fletcher, Physical Measurements of Audition and Their Bearing on the Theory of Hearing, S. 172.

489 Helmholtz, ebd., S. 221-22.

490 Helmholtz, ebd.

genannte Schwebungen hörte, die ab einer Frequenz von „vier bis sechs Schwebungen in der Secunde“ in einen rauen Ton übergingen, sind die Orgelpfeifen für exakte Messungen eigentlich zu obertonreich.

Beide Pfeifenarten, die offene wie die gedackte, lassen, richtig angeblasen, einen Grundton und diverse harmonische Obertöne hören, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der Klangfarbe dadurch, dass bei offenen die lückenlose Reihe der harmonischen Teiltöne auftritt, bei der gedackten dagegen nur die ungeradzahligen Teiltöne, also Grundton, Duodezime, große Terz der Doppeloktave usw., entstehen, und die geradzahligen, nämlich Oktave, Doppeloktave, Quinte der Doppeloktave usw., fehlen.491

Im Vergleich scheinen sich zwei einfache Sinusschwingungen eher dazu zu eignen, die besagte Kritische Bandbreite in ihrer einfachen Komplexität zu ermitteln. Pierce schaltete daher zu einem konstanten Sinuston einen variablen hinzu, den er von unten dem konstanten Kontrollton annäherte, bis beide bei gleicher Frequenz mit ihren Phasen zur Deckung kamen, d. h. also maximale Intensitätsverstärkung erlangten, und sich dann wieder von einander entfernten. Dies ergab für das Frequenzband von 500 bis 5000 Hz, das in etwa unseren alltäglich Verwendung findenden Sprechschall abdeckt, eine kritische Abstandsbreite, die zwischen einer kleinen Terz (exklusive) und einem Ganzton (oder zwei Halbtöne bei Helmholtz) differierte. „Bei noch größeren Frequenzabständen verschwindet die Rauhigkeit, und wir hören getrennte Töne.“492 Zu beobachten war hier gleichfalls, und dies stützt auch die Theorie von Helmholtz, dass die mögliche Abstandsbreite mit steigender Frequenz, pitch oder Tonhöhe abnimmt, also sich die Wahrscheinlichkeit für Schwebungen beim Aufstieg in der Obertonleiter erhöht. Hier rücken die Teil- oder Obertöne eines Klangs im Spektrum dann immer näher aneinander, und verstärken, schwächen, beschneiden, d. h.: interferieren vor Ort miteinander. Ein solcher Schwebungston klingt bei hinreichend merklicher Interferenz dann knarrend, schrill, und wie ein „durch schnelle Unterbrechung getheilter Ton.“

Während also jeder einzelne musikalische Ton für sich im Hörnerv eine gleichmäßig anhaltende Empfindung hervorbringt, stören sich zwei ungleich hohe Töne gegenseitig und zerschneiden sich in einzelne Tonstöße, die im Hörnerven eine diskontinuierliche Erregung hervorbringen. Sie sind für das Ohr ebenso unangenehm, wie ähnliche intermittierende und schnell wiederholte Reizungen für andere

491Karl Ludolf Schaefer, Untersuchungsmethodik der akustischen Funktionen des Ohres, S. 250-51.

492 John R. Pierce, Klang. Musik mit den Ohren der Physik, Spektrum Verlag, Berlin 1999, S. 67.

empfindliche Organe, z. B. flackerndes, glitzerndes Licht für das Auge, oder das Kratzen einer Bürste für die Haut. Diese Rauhigkeit des Tones ist der wesentliche Charakter der Dissonanz.493

Von rein praktischer Hilfe sind die Schwebungen auch beim Stimmen von Instrumenten.

Wenn man zum Beispiel zwei Saiten auf ihren Oktavabstand stimmen möchte, verwendet man zum Vergleich nicht die einfachen Grundtöne, sondern die Obertöne der beiden Saiten, da in Realität auch „ein beachtlicher Teil der Schallenergie auf die höheren Partialtöne entfällt. (...) Außerdem spricht unser Ohr viel empfindlicher auf höhere Frequenzen an als auf tiefe,“494 was sich in Kapitel 3.4 (Vom Laut zur Lautstärke) in der Ermittlung der unterschiedlichen Reizschwellen für die entsprechenden Tonhöhen bemerkbar machen wird.

Zudem konnten akustische Experimente ab den 1920er Jahren in New York, die später in Berlin bestätigt wurden, und vornehmlich aus ökonomischen Gründen der Telefon-übertragung angestellt wurden, zeigen, dass durch die Auslöschung des Grundtons und der

„first seven overtones“ die Tonhöhe eines Instrumental- oder vokalischen Klangs zwar weitgehend unberührt bleibt, die Klangfarbe jedoch mit zunehmend weg gefilterter Frequenzbreite merklich an Qualität verliert. In Frage standen hier also die „effects upon pitch and quality of musical sounds“ durch „eliminating certain component frequencies“, d. h.:

„The Question might be asked, What happens to a tone if some of the upper harmonics are eliminated? (...) An equally interesting question is, what happens to a tone if the fundamental and some of the lower harmonics are eliminated?“495 Ein Beispiel zeigt die besagte

„Telefontechnik“, deren untere Grenzfrequenz im Jahr 1935 noch bei 300 Hz lag.

Die untere Grenzfrequenz kann bei Sprachübertragungen verhältnismäßig hoch gelegt werden, ohne dass die Verständlichkeit stark leidet (...), die Sprachverständlichkeit ist dann nur um wenige Prozent schlechter als im Fall extrem tiefer Grenzfrequenzen. Auch die Tonlage der Sprache bleibt erhalten.

Diese Beobachtung scheint zunächst nicht ganz verständlich, denn die Grundtöne der Sprachlaute liegen ja - insbesondere bei der Männerstimme - im Allgemeinen wesentlich tiefer als 300 Hz. Die Erklärung liegt in dem nichtlinearen Verhalten des Ohres; objektiv nicht vorhandene können subjektiv als erster Differenzton der in ihrer Ordnungszahl benachbarten höheren Harmonischen zustande kommen.496

493 Helmholtz, Ueber die physiologischen Ursachen der musikalischen Harmonie (1857), in: Vorträge und Reden (1), S. 151.

494 Pierce, ebd., S. 69.

495Harvey Fletcher, Physical Criterion for Determining the Pitch of a Musical Tone, in: The Physical Review, Volume 23, New York 1924, S. 429 f.

496Ferdinand Trendelenburg, Klänge und Geräusche, Berlin 1935, S. 209.

Zudem gilt, dass „the characteristic quality of the tone is determined by their relative magnitudes.“497 Ein Klavierton, beispielsweise auf den Ton c (129 Hz) angeschlagen, ergibt bei einem dazwischen geschalteten Tiefpassfilter (Breite: 0-250 Hz) eine „kleine Änderung“, bei 0-500 Hz ergibt sich ein „metallischer Klang“, bei 0-750 Hz ein Klirren, und bei 750 Hz bis ∞ eine „stumpfe Klangfarbe“, wobei in allen Fällen eine „Änderung der Tonhöhe“ nicht zu verzeichnen ist, oder die Beurteilung zumindest „unsicher“ wird, während die Lautstärke abnimmt. Größte Änderungen sind bei einem Violinen- oder Klarinettenton, oder beim Klang einer Orgelpfeife (bei einem Grundton von c ist die Merklichkeit des »gewaltsamen«

Eingriffs geringer als bei c2) zu verzeichnen. Oder nahm man den Grundton eines künstlichen Klangs mit 100 Hz, und eliminierte im Anschluß unterschiedliche Kombinationen der harmonischen Obertöne, so wandelte sich hier die empfundene Lautstärke des Klangs (oder eines vokalischen „Voice-ah“):

When only two components were left, they were heard as separate tones, the fundamental subjective tone at 100 being still plainly audible but much more weaker than either component. (...) When four consecutive components were sounded, the fundamental tone was very prominent. When all of the components were sounded this fundamental seemed to be louder than the other components and dominated the tone.498

Gesetzt nun, dass der erste Ton n Schwingungen ausführt, entspricht seinem ersten Oberton die Schwingungszahl 2n, und der nächst höheren jene von 3n, usw. Nimmt man nun einen um eine Oktave höher gelegenen Oberton hinzu, so führt dieser, während der erste 2n Schwingungen ausführt, 1n Schwingungen aus. Dem entsprechend der erste 3n, und der zweite 2n, der erste 4n und der zweite 3n. Hier ergeben sich schon die vertrauten harmonischen Intervalle (3/2: Quinte, 4/3: Quarte, 6/5: kleine Terz). Klingen diese Obertonverhältnisse zusammen und ohne merkliche Schwebungen, so ist dies ein Zeichen dafür, dass die Oktave ebenso stimmt wie die Quinte oder Quarte. Instrumente lassen sich hier also problemlos über ihre Obertoninterferenzen stimmen. Nimmt man nun zwei Klänge mit (ihren ersten sechs Obertönen und) einer Grundfrequenz von 250 Hz, und erhöht den Vergleichsklang über den gemeinsamen Frequenzabstand kontinuierlich von 0 auf 500 Hz, also bis auf eine Oktave, so bilden sich die harmonischen Intervalle hier als konsonante

497 Harvey Fletcher, Physical Criterion for Determining the Pitch of a Musical Tone, S. 428. Siehe hierzu auch W. B. Snow, Differential Pitch Sensitivity of the Ear, in: Journal of the Acoustical Society of America, Volume III. No. 1, New York 1931.

498Fletcher, ebd., S. 432-33.

Spitzen in einer diskontinuierliche Kurve (Abbildung 2) ab. Der höchste als konsonant empfundene Ausschlag erfolgt vertrauter Weise beim Einklang (1/1) und bei der Oktave (2/1), gefolgt von der Quinte (3/2), der Sexte (5/3), der Quarte (4/3), der kleinen Terz (6/5) und von der großen Terz (5/4). „Die Bruchzahlen an den Konsonantenspitzen entsprechen den Frequenzverhältnissen der Intervalle, die traditionell als konsonant gelten.“499 Auf alle Fälle aber gilt, dass Dissonanz und Konsonanz allein physiologisch bedingt sind, und sich ihre Differenz nicht auf ein ästhetisches Kategoriensystem reduzieren lässt, dessen Wertigkeit zudem noch einem geschichtlichen Wandel der Kultur unterworfen ist. Denn im Grunde genommen widerspricht auch die auf dem chromatisch-diatonischen System basierende wohltemperierte Stimmung, die dabei alle enharmonischen Verwechslungen (cis-des, dis-es, etc.) über die schwarzen Tasten des Klaviers in eine einfache und unnatürliche Übereinstimmung übersetzt, gerade dem Instrument schlechthin, d. h. der menschlichen Stimme und seiner frei intonierbaren Mikrotonalität, und zwar von Natur aus.

Abbildung 2: Konsonanzspitzen und Frequenzverhältnisse500

Und doch geschah diese harmonische Einrichtung des Hörens nicht ohne Grund, denn einfache Töne klangen in der Analyse weich und ohne Rauhigkeit, aber unkräftig und in der Tiefe dumpf; Klänge oder Grundtöne mit ihren ersten sechs Obertönen klangen dagegen voll und harmonisch. Ein Überwiegen ungeradzahliger Obertöne machte den Klang wieder hohl, und Obertonanteile oberhalb des sechsten Partialtons ihn scharf und rau, was sich gerade auf die kompositorische Praxis auswirkte: „Alle guten Intervalle sind verhältnismäßig reich an

499 Pierce, Klang. Musik mit den Ohren der Physik, S. 68.

500Pierce, ebd.

Obertönen, namentlich an den fünf ersten Obertönen, welche Oktaven, Quinten und Terzen des Grundtons bilden.“501 Eine Zuspitzung jener Schärfe findet sich allerdings in der Sprache, und hier besonders bei den Frikativa oder Explosivlauten502, „deren Frequenzanteile sich bei zunehmender Nähe gegenseitig in einzelne Stöße zerlegen,“503 während die Vokale sich vornehmlich auf die ersten zwei harmonischen Obertöne stützen, und daher arm an besonders hohen und störenden Obertönen sind. Für die Leistungsfähigkeit des Ohres hinsichtlich der Tonhöhe gilt hier das, was John Tyndall in einer Vorlesung an der Royal Institution in London im Jahr 1867 mitteilte: „Helmholtz hat neuerdings die untere Grenze auf 16, die obere auf 38000 Schwingungen in der Secunde festgestellt.“504 Die Ausdehnung des Gehörs umfasst hier ungefähr 11 Oktaven, wobei die höchsten wie die tiefsten Töne noch einer weiteren Untersuchung zugeführt werden müssen, da wie Tyndall hier anmerkt, es noch nicht festgestellt sei, „wie weit eine Vermehrung der Intensität die untere Grenze verändern kann.“

(ebd.) Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts verdichteten sich die experimentellen Messungen über die hohen und höchsten Töne in der Empfindung, obgleich noch bis 1899, so der Schweizer Ohrenarzt Anton Schwendt in Basel, unterschiedliche Methoden zur Bestimmungen der Schwingungszahlen „höchster hörbarer Töne“ in Gebrauch waren:

Galtonpfeifen (Georg und Anton Appun in Hanau; oder in der verbesserten Form von Professor Edelmann in München), Klangröhren und Stimmgabeln (Rudolph König, Paris;

Anton Appun), oder Stimmplatten (Franz Melde, Marburg). Eine einfache und messtechnisch ideale, da weitgehend obertonarme Schwingungen gebende Stimmgabel zeigt die Abbildung (3) aus Die Lehre von den Tonempfindungen von Helmholtz, die erst dann recht eigentlich zum Einsatz kommt, wenn mittels (elektrischer) Resonanz hinreichende Stärken erzielt werden.

501 Helmholtz, Ueber die physiologischen Ursachen der Harmonie, S. 153.

502 1955 unternimmt Dr. Werner Meyer-Eppler, seit 1943 Professor am Institut für Phonetik und Kommunikationsforschung an der Rheinischen Universität Bonn, und ehemaliger Lehrer von Karlheinz Stockhausen, seine Experimentelle Untersuchungen zum Mechanismus von Stimme und Gehör in der lautsprachlichen Kommunikation mit dem „Sound Spectrograph“ von Koenig und Potter (Bell Telephone Laboratories, 1946), dessen analytische Vorteile zur Spektralanalyse von Stimme und Sprache er in Deutschland bekannt machte. Untersuchungsgegenstand sind hier die charakteristischen Spektra hochfrequenter Geräuschanteile der Stimme mittels „Visible Speech“, d. h. einem magnet-fonografischen Verfahren der optischen Aufzeichnung der spezifischen Frequenzbereiche menschlicher Sprache, in: Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministerium, Nr. 221, NRW 1955. Für die Aufnahme wird der betreffende Frequenzabschnitt dann ausgesucht und je nach geforderter Schärfe des Teilbereichs „anarmorphotisch“, d. h. durch Veränderung der Aufnahme-geschwindigkeit, gestaucht oder entzerrt, woraus sich eine bessere zeitliche Auflösung aller stimmhaften Laute des Spektrums „in ihre nahezu periodisch aufeinander folgenden Elemente“ ergibt.

Ebd., S. 13.

503 Helmholtz, ebd., S. 154.

504John Tyndall, Der Schall, (Hrsg. H. v. Helmholtz und G. Wiedemann), Braunschweig 1869, S. 85.

Abbildung 3: Vibrographie eines Stimmgabeltons505

Zwar „übertreffen die Pfeifen an Tonintensität wenigstens die tieferen Gabeln und Saiten erheblich, was ebenfalls oft erwünscht ist, (...) sofern Temperatur und Druck durchaus unverändert bleiben,“ und somit die Pfeife „auch mit konstanter Höhe wie Stärke unterhalten werden kann.“ Doch „wo es auf ganz präzise Feststellung der Tonhöhe für physiologische Zwecke ankommt, muß man sich doch eines sonometrischen Kontrollmittels, am besten einer Gabel von bekannter Schwingungszahl, bedienen.“506

Schwendt selbst meldete bei den Berechnungen der Edelmannschen Pfeifen mit Tonhöhen von bis zu 55.700 Hertz (a8) Bedenken an, welche später auch auf 27.800 Hz (a7) herunterkorrigiert wurden. Der Nachteil lag hier aber in der mangelnden Konstanz der Luftzufuhr, da die Pfeifen unter verschiedenen Anblasebedingungen unterschiedliche Tonhöhen produzierten: „Die Tonhöhe ist sehr von der so genannten Mundweite abhängig, d.

h. von der Entfernung, welche die Mundöffnung des zur Leitung des Luftstroms dienenden verschiebbaren Rohres beträgt,“507 wobei die Tonhöhe direkt an den zur Markierung dienenden „Theilstrichen“ abgelesen wurde. „Will man eine Pfeife etwas höher oder tiefer stimmen, so lässt sich dies vielfach durch entsprechendes Erhöhen oder Verringern des Anblasedruckes erreichen.“508 Um diesem misslichen Umstand auszuweichen, konstruierten Carl Stumpf und sein Mitarbeiter Max Meyer im Jahr 1897 am Psychologischen Institut der Berliner Universität für die Edelmann´schen Galtonpfeifen eine kontinuierliche Druckzufuhr, damit „wir die Pfeifen mit leichter Mühe bald mit größerer, bald mit geringerer, und doch

505 Hermann von Helmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik, 3. umgearbeitete Auflage, 1870, S. 33.

506K. L. Schaefer, Untersuchungsmethodik der akustischen Funktionen des Ohres, S. 252-53.

507Schwendt, Experimentelle Bestimmungen der Wellenlänge und Schwingungszahl höchster hörbarer Töne, in: Archiv für die gesammte Physiologie, Einundsiebzigster Band, Bonn 1898, S. 349.

508Schaefer, Untersuchungsmethodik der akustischen Funktionen des Ohres, S. 252.

immer gleichmäßiger Windstärke anblasen konnten.“509 Dies geschah zunächst deshalb, um diese Instrumente mit den Stimmgabelapparaten von Appun und König zu vergleichen, aber auch, um mit allen drei Hörprüfungsapparaten die eigene Methode zu kontrollieren, und so letztlich den Erfolg des Helmholtzschen Prinzips zu bestätigen. Beide bedienten sich hierzu einer „von ihnen erstmals angewendeten Differenztonmethode,“510 und zwar mittels von Schwebungen.

Da Schwendt die Stimmgabelserie von König noch als „Präcisionsinstrumente“ ausweist, kontrollierte er diese durch ein von Kundt entwickeltes, und an die Klangplatten von Chladni angelehntes, optisches oder „vibrographisches“ Verfahren, d. h. mit Klangröhren und feinem Korkstaub. Um hier das Prinzip der Messung der Tonhöhe durch eine Tonröhre, vor deren eine Öffnung man die Schallquelle oder Stimmgabel bringt, kurz zu skizzieren. Es ist

„zweckmäßig, dieselbe [so] zu drehen, dass der gleichmäßig vertheilte Staub nicht ganz unten zu liegen kommt, sondern etwas seitlich. Er geräth dann leichter in Bewegung und es bilden sich dann die Wellenbäuche in Form herabhängender Fäden oder Festons.“ Der Abstand dieser Festons bildete hier eine halbe Wellenlänge, die mit einem Zirkel oder einem Maßstab abgetragen werden konnte, woraus sich dann die Bestimmung der Frequenz berechnen ließ.

„Man misst am leichtesten die Abstände der prominentesten Partien der beiden von einander entferntesten Wellenbäuche. Es erfordert diese Messung allerdings ein gutes Augenmass.“

Mit einer Kombination von Pfeifen, die noch hörbare Töne ergaben, und ihrer Kontrolle durch die Stimmgabeln, ergab sich für die „höchsten und noch sehr gut hörbaren Töne“ eine Tonhöhe der „höchsten König´schen Stimmgabel“ von 21.931 Schwingungen. Hierbei sollte die Länge der Röhren allerdings „eine solche sein, dass 10 bis 20 Wellen in derselben entstehen können.“ Dies war allerdings eine optische Methode, die noch die Berechnungen aus der Konstruktion der Apparate zu bestätigen suchte. Für Stumpf und Meyer bot sich hier allein die Differenztonmethode mittels Schwebungen als eine allgemeingültige, da „rein akustische Methode dar,“ da die „vibrographischen und ähnlichen Methoden, die Kundt und neuerdings Melde ausgebildet haben (...), sich kaum auf alle zu akustischen Versuchen gebräuchlichen Klangquellen anwenden“ ließen. Zwar genossen die Pfeifen den einen unbestreitbaren Vorzug, dass sie „sich continuirlich verstimmen lassen, was namentlich für die Beobachtung des Differenztones außerordentlich wichtig ist.“511 Kontrolliert wurden die

509 Carl Stumpf und M. Meyer, Schwingungsbestimmungen bei sehr hohen Tönen, in: Annalen der Physik und Chemie, Neue Folge, Band 61, Leipzig 1897, S. 763.

510Schwendt, ebd., S. 350.

511Stumpf und Meyer, Schwingungsbestimmungen bei sehr hohen Tönen, S. 762.

Röhren aber durch eine Appun´sche Stimmgabel mit einer Tonhöhe von 4000 Hz, „deren richtige Stimmung sich durch tiefere Gabeln controlliren ließ.“

Wir stellten nun ein Pfeifchen bei günstiger Windstellung so ein, dass es mit der Gabel unisono tönte, stimmten hierauf ein zweites Pfeifchen unisono mit dem ersten und notirten die Stellung der beiden.

Hierauf gingen wir mit dem ersten soweit in die Höhe, dass ein bestimmter Differenzton erschien, der von uns beiden vollkommen deutlich gehört, eventuell auch durch schwebende Gabeln aus der bezüglichen Region controllirt wurde. Meist benutzten wir hierzu den Differenzton 500, auch 400, 600, 1000, 2000; bald war der eine, bald der andere zweckmäßiger. Man hört bei der Verstimmung des ersten Pfeifchens zuerst das Klopfen, Rollen und Schwirren der Schwebungen, dann kommt der Differenzton aus der Tiefe herauf, und man macht bei der gewünschten Höhe halt. So ist jede Täuschung ausgeschlossen. Hierauf stimmten wir wieder das zweite Pfeifchen unisono mit dem ersten, wobei der Differenzton nun wieder hinunter geht und das Schwirren, Rollen und Klopfen der Schwebungen auftritt, bis Unisono oder nahezu Unisono erreicht ist.512

Das Ergebnis der Untersuchungen war schließlich, dass sich die Differenztonmethode als adäquates Mittel zu Kontrolle der allgemein Verwendung findenden Hörprüfungsapparate einsetzen ließ, und die höchsten hörbaren Töne nach dieser Methode bei etwas über 16000 Hz lagen, aber die Pfeifchen niemals Schwingungen von 27800 (a7), 33400 (c8), 48000 (fis8), 50880 (gis8) oder 55700 (a8) bei „abgerundet, a1 = 435“ hören ließen. „Sind sonach unsere Ergebnisse für die Methode der Differenztonbeobachtung günstig, so können wir dagegen (...) nicht umhin, unsere Verwunderung darüber zum Ausdruck zu geben“, dass die an den Apparaten angeschriebenen Werte der Gabeln und Pfeifen insbesondere von Appun „um Beträge bis zu 40000 von den wahren abweichen. (...) Außerdem ist die physikalische erreichbare Tongrenze nicht ohne weiteres mit der physiologischen Hörgrenze zu verwechseln.“513

Im Dokument Laut, Ton, Stärke (Seite 163-171)