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CHRISTOPH SPEHR

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organisieren. Ein Entwicklungsmodell muss zur historischen Formation »passen«, wenn es aussichtsreich sein soll, und ist gleichzeitig die Form, in der sich die Gesellschaft hin zur nächsten Formation entwickelt.

FORMATIONEN UND ENTWICKLUNGSMODELLE Konkret fand der Wechsel von Entwicklungs-modellen meistens nach ökonomischen und gesellschaftlichen Krisen statt. So kam das Modell des weitgehend ungeregelten Manches-ter-Kapitalismus im Verlauf des 19. Jahrhun-derts an seine Grenzen und wurde nach der weltweiten Finanzkrise von 1873 vom orga-nisierten Kapitalismus bzw. Imperialismus abgelöst. Die typische Form der gesellschaftli-chen Produktion war das Nebeneinander von großindustrieller Fertigung und noch weitge-hender Eigenbedarfswirtschaft. Die Organi-sation der Arbeit wurde bestimmt durch den Taylorismus, während die Reproduktionsarbeit weitgehend privatisiert wurde. Institutionell drückte sich der organisierte Kapitalismus der imperialistischen Zeit in der voll entwickelten Klassengesellschaft, der Rechtlosigkeit von Frauen und Kolonien und in der Aktiengesell-schaft als Form der Kapitalbeschaffung und Investitionslenkung aus. Die Lebensweise war durch stabile Milieus, erste Sozialgesetz-gebungen und eine geringe Partizipation der Arbeiterklasse am gesellschaftlichen Reichtum gekennzeichnet. Technisch waren Kohle und Stahl die Pfeiler der Produktionsweise.

In den fordistischen Entwicklungsmodellen nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 war die neue Form der gesellschaftlichen Produk-tion die standardisierte MassenprodukProduk-tion Regeln der gesellschaftlichen Ordnung ändern

und dabei jeweils ein neues, bedingt auf Zeit stabiles System schaffen, das erneut von Widersprüchen bestimmt ist, aber bestimmte Probleme löst (und neue schafft). In tiefen Umbrüchen etabliert sich ein verändertes sozio-ökonomisches und politisches System, dessen grundlegende Regeln im vorherigen System schlicht illegal gewesen wären. Die Krise ist dann eine gesellschaftliche Entschei-dung über den weiteren Weg, die in sozialen und politischen Kämpfen ausgetragen wird.

Jede Gesellschaft muss die Anforderungen der Produktionsweise, die sich verändernde Natur der gesellschaftlichen Arbeit und die sich bildenden Ansprüche der Individuen immer wieder neu zur Deckung bringen. Die Vermitt-lung der gesellschaftlichen Anforderungen geschieht durch ein »System«, ein Set von Regeln, das grundsätzlicher und stabiler ist als die täglichen Anpassungsleistungen und opera-tiven Entscheidungen. Die Wahl von Systemen ist interessengeleitet, verschiedene soziale Gruppen verwirklichen darüber in unterschied-licher Weise ihre Interessen an Macht und Aneignung und kämpfen die Entscheidungen über ein eine System – eine halbwegs stabile und leistungsfähige Form der Vermittlung aus.

Diese »Systemalternativen«, die »kleiner«

sind als »Kapitalismus« oder »Sozialismus«, stehen dann für je eigene »Entwicklungs-pfade«, also eine Abfolge bedingt stabiler, auf Zeit leistungsfähiger Formen, durch die Gesellschaft sich in Stand setzt, ihre Entwick-lung im Abgleich mit äußeren und inneren Anforderungen der Produktions-, Arbeits- und Lebensweise einer historischen Formation zu

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vor allem auch von Massenkonsumgütern, verbunden mit einer Maschinisierung und

»Hausfrauisierung« der Reproduktionsarbeit und einer marktförmigen Organisation des Konsums. Leitbilder der Arbeitsorganisation waren das Fließband und die große Fabrik, in der komplette Endprodukte durch vertikale Integration hergestellt wurden. Die Ausbeu-tung fossil produzierter Energievorräte (Öl und Gas), Autoindustrie, Elektroindustrie und Chemie waren die Leitsektoren. Institutionell waren der ökonomisch aktive Nationalstaat, starke Gewerkschaften, eine demokratisierte Massengesellschaft mit formal gleichen Rechten, sowie supranationale Strukturen zur Regelung (ungleicher) Handelsbeziehungen prägend. Die Lebensweise gruppierte sich um die patriarchale Kleinfamilie, die räumlich getrennte Organisation von Arbeiten, Wohnen, Freizeit, sowie eine starke Homogenisierung und Normierung von Orientierungen und biographischen Phasen, die auch Basis und Rahmen des entwickelten Sozialstaates war.

Verschiedene fordistische Entwicklungsmo-delle waren die Planwirtschaft sowjetischer Prägung, der kapitalistische »Wohlfahrtsstaat«, die »Entwicklungsdiktaturen« in vielen

Ländern der Dritten Welt, ebenso wie die faschistischen Varianten.

VERLORENE WEICHENSTELLUNG:

NEOLIBERALISMUS ODER MARKTSOZIALISMUS

Häufig beschrieben ist der Wechsel zu post-fordistischen Entwicklungsmodellen nach der Krise Mitte der 1970er Jahre. Die veränderte Form der Produktion war die neue globale

Netzwerkproduktion, die den Produktionspro-zess als international zerlegte Wertschöpfungs-kette organisierte. Technisch stützte sie sich auf die Informatisierung und die damit ver bundene Revolution der Logistik. Im Zentrum der Ar-beitsorganisation standen die Automation, die flexible Produktionsanlagen ermöglichte, und die Steuerungszentren, die weltweit ausgela-gerte Teilproduktionen takten und zu flexiblen Produktionsketten integrieren konnten. Ins-titutionell wurden Transnationale Konzerne, internationale »Vertragsorganisationen« (IWF, WTO u.a.) und NGOs zu den bestimmenden Playern, Investmentfonds dominierten die institutionellen Formen der Kapitalbeschaffung und Investitionslenkung. Die Lebensweise war von einem enormen Individualisierungs-schub gekennzeichnet, einer neuen globalen Vernetzung, Arbeitsmigration, einem Arbeits-markt für Reproduktionsleistungen und einer Internationalisierung von Klassen, Reichtums- und Armutslagen. Die finanzmarktgetriebene Realisierung von weltweiten komparativen Kostenvorteilen und Rationalisierungspotenzi-alen steuerte die Entwicklung.

An der Schwelle zur postfordistischen Phase wurde die Weichenstellung zwischen möglichen Entwicklungsmodellen offensiv umkämpft und der Neoliberalismus siegte nahezu weltweit. Das neoliberale Entwick-lungsmodell synchronisierte die Anforderun-gen der Produktion, der Arbeitsweise und der Ansprüche durch Ökonomisierung, Privati-sierung, soziale Spaltung, Prekarisierung und umfassende Konkurrenz. Zugleich trieb er die Globalisierung der Produktion voran, zerstörte nationale Privilegien, und während er die

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beiterklasse in ihrer Partizipation zurückwarf, eröffnete er weltweit Räume der Zivilgesell-schaft und beförderte die formale Gleichstel-lung von Lebensentwürfen, Geschlechtern und ethnischen Gruppen.

Die Alternative zum Neoliberalismus war das auf eine stärkere Partizipation der Arbei-terklasse und ein höheres Maß an sozialer Gleichheit zielende Entwicklungsmodell eines demokratischen Marktsozialismus. Die Anforderung, ein stärker »sozialistisches«

Entwicklungsmodell offensiv mit den Elemen-ten der Individualisierung, Heterogenität und Zivilgesellschaft zu verbinden, wurde sowohl von Gewerkschaften als auch der sozialde-mokratischen Linken und der Linken in den Ländern mit planwirtschaftlichen Entwick-lungsmodellen als ausgesprochen drängend empfunden. Die Auseinandersetzung um die gesellschaftliche Weichenstellung wurde jedoch überall verloren.

DIE HEUTIGE WEICHENSTELLUNG:

ÖKOIMPERIALISMUS …

Die derzeitige Finanz- und Wirtschaftskrise läutet nun wiederum einen Wechsel des Entwicklungsmodells ein. Die grundlegenden Anforderungen der veränderten Formation sind benennbar, die rivalisierenden Entwick-lungsmodelle sind noch etwas undeutlich. Die neue Form der Produktion ist bestimmt von einer integrierten Produktion, die gesellschaft-lichen Wert weniger als materielle Produkte, sondern als Strukturinnovationen und Dienst-leistungen hervorbringt, und dadurch die unabweisbaren ökologischen Anpassungsleis-tungen erbringt. Diese »Immaterialisierung«

der Produktion stützt sich auf die neuen weltweiten Wissensarchitekturen, soziale Netzwerkarchitekturen und auf flexible Steuerungstechnologien, die fixe Hardware mit vielfältiger immaterieller Software füllen.

Die Organisation der Arbeit ist bestimmt von der »Subjektivierung« der Arbeit: Kooperation, Kreativität, soziale Fähigkeiten, sowie das Einbringen der »gesamten Person« mit ihrer individuellen Bildung sind die Bedingung von Innovation und flexibler Problemlösung.

Der Staat tritt erneut stark in die Aufgabe der Kapitalbeschaffung und Investitionslenkung ein. Die Bildung »sozialen Kapitals«, d.h.

funktionsfähiger Alltagsvernetzungen und lebensweltlicher Kooperationsbeziehungen, wird zu einer Bedingung gesellschaftlicher Reproduktion und produktiver Innovation.

Ansprüche an Individualisierung und freie Wahl von Lebensentwürfen lassen sich nicht frontal zurückdrängen, sondern müssen aufgegriffen, jedoch hinsichtlich ihrer stoffli-chen Qualität (Konsum) mit den ökologisstoffli-chen Möglichkeiten synchronisiert werden. Der über die Erwerbsarbeit »hinauswuchernde«

Charakter der gesellschaftlichen Arbeit muss institutionell neu gefasst werden.

Es zeichnen sich vor allem zwei mögliche Entwicklungsmodelle ab, die in der derzeitigen Weichenstellung darum ringen, die Zeit nach der Krise zu gestalten: Ökoimperialismus oder solidarische Ökonomie. Das Entwick-lungsmodell des Ökoimperialismus setzt auf

»Brückentechnologien«, um den ökologischen Anforderungen gerecht zu werden, und auf energetische Substitution. Zentral ist hier die CO2-Speicherung: Die Senkung der CO2

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sionen würde wesentlich durch die riskante unterirdische Speicherung der Emissionsgase erreicht. Eine begleitende Rolle spielt die Atomkraft. Öl und Gas werden ersetzt durch alternative Energien, die jedoch in ein ähnliches Raster von zentraler Produktion und Vermark-tung gepresst werden und das alte koloniale Muster der Energiewirtschaft reproduzieren – Solarenergie aus der Sahara, Biomasse aus Agrarflächen des Südens, Staudämme. Der industrielle Strukturwandel von den »fossilen«

Industrien (Autoindustrie, Stahl, Häfen) zu den

»immateriellen« Industrien (Ökotechnologie, Software, Logistik, creative industries), wird nach einer kurzen Phase der staatlichen Subventi-onierung weitgehend über Rationalisierung, lohninduzierte »Vertreibung« von Arbeitskräf-ten und/oder Insolvenz betrieben.

Die Subjektivierung der Arbeit, die individuellen Gestaltungsansprüche und die Synchronisation von Konsum und Res-sourcen werden auf dem Weg der sozialen Spaltung erfüllt: gute Arbeit, Mitgestaltung und Konsum für Wenige, sinnentleerte Arbeit, Kommandostrukturen und Existenzminimum für Viele; durch Reformen des Bildungs-systems und interkulturelle Öffnung sind soziale Aufstiege wieder möglich zu machen.

Die »Vergesellschaftung« der Arbeit wird beantwortet mit Ehrenamtlichkeit und Formen von Grundsicherung, die mit sozialer Arbeit verbunden sind. Das Akkumulationsregime ist geprägt vom »Renteneinkommen« der industrialisierten Nationen aus der Paten-tierung und Privatisierung von Wissen und Information. Dieses finanziert, zusammen mit dem Aufkommen aus »Bremssteuern«

»Stellenmarkt«, Shanghai 2009, Foto: www.tranquillium.com

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auf internationale Transaktionen internatio-nale Entwicklungskooperationen, die einen rudimentären globalen Sozialstaat darstellen, reguliert von supranationalen, korporatisti-schen Strukturen – also nur höchst indirekt demokratisch kontrolliert.

… ODER SOLIDARISCHE ÖKONOMIE Die Alternative dazu ist das Entwicklungs-modell der solidarischen Ökonomie. Die notwendige CO2-Reduktion setzt an den Hauptquellen an: Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern, Individualverkehr, Heizung – also: Dezentrale alternative Energieproduktion, billiger oder kostenfreier ÖPNV, Verkehrs-Verlagerung auf die Schiene, Investitionsprogramme für Wärmedämmung, Passivhäuser, Nutzung von Produktionswärme für Heizung. Die Energiewende geht mit einer Verringerung des Stoffdurchsatzes einher (Kreislaufwirtschaft, Reparaturwesen, lang-lebige und vielseitige Güter, dezentrale und weniger intensive Landwirtschaft, Umstellung von betrieblichem Individualverkehr auf elekt-ronische Kommunikationsarchitekturen). Der industrielle Strukturwandel wird organisiert durch Konversionsprogramme und gesteuert durch Mengen- und Verbrauchsvorgaben wie qualitäts- und nicht primär preisorientierte kompetitive Verfahren.

Soziale Sicherheit und betriebliches Co-Management werden als Bedingungen pro-duktiver Innovation begriffen und gefördert.

Die Synchronisation von Arbeitsweise und Gesellschaft wird massiv staatlich gesteuert durch radikale Arbeitszeitverkürzung, Min-destlöhne, Anerkennung gesellschaftlicher

Tätigkeit, Zeitsouveränität, Mitbestimmung, Arbeitsrechte, Förderung kooperativer Arbeits-beziehungen. Die »Vergesellschaftung« der Arbeit wird auch beantwortet durch Förderung und Ausbau des »Dritten Sektors«, d.h. der non-profit-Ökonomie, und einer bedingungslo-sen Grundsicherung, die individuelle Lebens-entscheidungen fördert.

Das Akkumulationsregime ist geprägt von commons: Die Freiheit von Information und Wissensarchitekturen, billige oder kostenfreie öffentliche Daseinsvorsorge sowie die gezielte Förderung sozialer Infrastrukturen befördern eine gesellschaftliche Produktivität in Formen freier Kooperation, deren Rückfluss in gemein-schaftlich freie Nutzung garantiert ist. Renten-einkommen auf Wissen entfallen. Die Regula-tionsweise ist demokratisiert: Supranationale Strukturen werden direkt gewählt bzw. von direkt gewählten gemeinsamen Parlamenten ernannt, gezielte Kontroll-, Veto- und Mitbe-stimmungsrechte sowohl in der Produktion als auch in der internationalen Kooperation werden vergesellschaftet. Das Entwicklungsmodell der solidarischen Ökonomie setzt erhebliche Lern- und Aneignungsprozesse voraus.

Egalitäre Bildungsreform, Mitbestimmung und Belegschaftsbeteiligung am Produktivvermö-gen, erweiterte lokale Selbstverwaltung auch im Stadtteil und globale Selbstverwaltung im Rahmen von sozialen Netzwerkarchitekturen, die mit politischen Gestaltungsrechten verse-hen werden, sind notwendige Elemente dieses Entwicklungsmodells. Gleichstellung, soziale Kompetenz und interkulturelle Öffnung erfor-dern öffentliche Programme und die Unterstüt-zung »kulturrevolutionärer« UmwälUnterstüt-zungen.

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TRANSFORMATION

Wie kämpfen gesellschaftliche Koalitionen darum, dass das von ihnen favorisierte Ent-wicklungsmodell durchgesetzt wird? Indem sie es gemeinsam propagieren, Widersprüche und Interessenskonflikte untereinander austragen und bereinigen, und möglichst viele gesellschaftliche Akteure und Individuen in seine weitere Ausgestaltung einbeziehen. Und indem sie alles verhindern, was zum gegneri-schen Entwicklungsmodell hinführt und alles befördern, was Elemente des eigenen Entwick-lungsmodells anbahnt oder vorwegnimmt.

Die Auseinandersetzungen haben längst begonnen. Das bürgerliche Lager rüstet sich für ein Programm des Einstiegs in den Ökoim-perialismus. Ausstieg aus dem Atomkonsens, Einstieg in die CO2-Speicherung, Mehrwert-steuererhöhung als Konsumverteuerung, Strukturwandel durch »Schlüsselinsolvenzen«, Arbeitszeitverlängerung und Steuersenkun-gen als Instrumente der sozialen Spaltung, perspektivisch die Regionalisierung von Sozialleistungen als verfestigte Ungleichheit, Schuldenbremse als Motor der Privatisierung von Lebenschancen, Restitution der Privat-banken bei gleichzeitiger Sozialisierung der Krisenkosten, Steuerung der Finanzmärkte durch »korporatistische Selbststeuerung«

unter Führung der Großbanken: Hier zeich-nen sich Umrisse einer reaktionären Trans-formation deutlich ab. Was noch fehlt, ist die zündende Verkaufsidee für ein ökoimperia-listisches Entwicklungsmodell. Umgekehrt spüren diejenigen Kräfte, die sich zu einer fortschrittlichen gesellschaftlichen Koalition finden könnten, dass man diesen Weg in

das ökoimperialistische Modell an all diesen Punkten abschneiden muss. So entsteht eine paradoxe Lage. Während sich die Gesellschaft im Wahlkampf und damit einer klassischen Wettbewerbssituation befindet, besteht ein allgemeines Bedürfnis nach Dialog, Konzepti-on, Antworten über den Tag hinaus. Die sich abzeichnenden sozialen Koalitionen sind noch nicht in der Lage, wirklich für konkurrierende Entwicklungsmodelle zu werben, soziale Kämpfe dafür zu organisieren und strittige Punkte innerhalb der Lager auszugleichen – während gleichzeitig die Entscheidungssitua-tion, wer nun die Kosten der Krise tragen soll, unmittelbar bevorsteht.

Die Linke muss mit dieser Situation umgehen. Sie muss versuchen Schwarz-Gelb zu verhindern, während gleichzeitig für Rot-Rot-Grün noch keine politische Grundlage vorhanden ist. Sie muss Widerstand gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf Beschäftigte und Bevölkerung organisieren, gleichzeitig aber einen gesellschaftlichen Dialog eröffnen über die Grundlagen und Perspektiven eines solidarischen Entwicklungsmodells. Sie darf keine Illusionen über die derzeitigen Mehrheitsverhältnisse in der SPD hegen, muss aber einen neuen Crossover-Prozess zwischen linken Sozialdemokraten, linken Grünen, aufgeschlossenen Gewerkschaftern und der Partei Die Linke vorantreiben. Sie muss 100-Tage-Programme formulieren und gleichzeitig Widersprüche zulassen und möglichst viele Interessierte zu Wort kommen und mitgestalten lassen. Das fällt der Linken oft schwer. Aber genau diese Veränderung wird ihr abverlangt.

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Regierungen antworten auf die Krise im wesentlichen damit, dass die private Über-schuldung der Finanzindustrie mit noch größerer Verschuldung der Staatshaushalte aufgefangen wird . Weltweit wurden für die Banken und Finanzinstitute rund 7,5 Billionen Dollar bereitgestellt – das ist fast ein Fünftel des weltweiten Sozialprodukts. Immer neue Brandherde kommen heraus, die mit öffentli-chen Geldern gelöscht werden sollen. Es wird suggeriert, dass dadurch der vorherige Zustand wieder hergestellt werden könne. Tatsächlich können die Billionen Steuergelder zur Rekapita-lisierung maroder Banken und die Bürgschaften die Krise nicht wirksam bekämpfen – ein Licht am Ende des Tunnels ist nicht in Sicht. Nach Schätzungen des IWF besteht ein weltweiter Abschreibungsbedarf von bis zu 23,2 Billionen Dollar. Insbesondere die Entwicklungsländer sind von der weltweiten Kreditklemme be-troffen, aber auch die Realwirtschaften in den kapitalistischen Industrieländern.

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