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Mit dem chemischen Recycling steht ein Verfahren zur Verfügung, mit dem sich ge- ge-brauchte Kunststoffe auf die Kohlenstoffebene zerlegen und anschließend in

Im Dokument 06-07/2021 Juni/Juli 2021, D Jahrgang (Seite 60-63)

lebens-mitteltaugliches Verpackungsmaterial verwandeln lassen. Zusammen mit den Projekt-partnern Recenso und Count ist Südpack derzeit als erster Folienhersteller dabei, diesen Prozess in einen industriellen Maßstab zu übertragen.

Johannes Remmele, Unternehmer und Gesellschafter der Südpack Gruppe.

Bild: Südpack

neue verpackung: Herr Remmele, Südpack engagiert sich für die Etablierung des chemischen Verfahrens als ergänzende Recyclingalternative im Markt. Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen?

Johannes Remmele: Aufgrund fehlender Skaleneffekte und dem unterschiedlichen technologischen Reifegrad von einzelnen Verfahrensstufen ist das chemische Recyc-ling momentan noch sehr teuer. Weltweit arbeiten heute

Großunternehmen der chemischen Industrie mit Hoch-druck daran, das Verfahren als Industriestandard zu im-plementieren, um die noch geringe stoffliche Verwertung von Kunststoffabfällen zu erhöhen. Aktuell liegt diese global bei rund 20 Prozent, in der EU bei 31 Prozent und in Deutschland bei 46 Prozent. Der Anteil von Rezykla-ten, die aus Post-Consumer-Abfällen in Deutschland hergestellt wurden, beziffert sich auf lediglich 19 Prozent.

Special Nachhaltigkeit

neue verpackung · 06/07 2021 61 Können wir den Pyrolyseprozess tatsächlich in einen

kontinuierlichen 24/7-Betrieb überführen, lassen sich mit den entsprechenden Erfahrungswerten hinsichtlich Qualität, Effizienz und Kosten die Prozessparameter besser auf das Prozessmaterial abstimmen, die Mengen sukzessive anheben und eine wettbewerbsfähige Preis-struktur entwickeln.

Allerdings wurde das Verfahren in Deutschland im Ge-gensatz zu vielen europäischen Ländern bis dato als er-gänzende Recyclingalternative zum wertstofflichen Re-cycling von der Bundesregierung noch nicht anerkannt.

Entwickeln wir jedoch das chemische Recycling tatsäch-lich in Richtung großtechnischer Verfahren weiter, ist zwingend die bisherige Regelsetzung im Verpackungs-gesetz auch im Hinblick auf den Beitrag zur Dekarboni-sierung und CO2-Reduzierung des chemischen Recyc-lings im Vergleich zur energetischen Verwertung anzu-passen. Das europäische Verfassungsgericht hat das 2030-Klimaziel von 40 auf 55 Prozent verschärft. Das nationale Klimaziel wurde dadurch um 10 Prozent er-höht, wodurch das chemische Recycling noch mehr an Bedeutung gewinnt. Gleiches gilt für die ökologisch sinnvolle Mengensteuerung von nicht recyclingfähigen Abfällen einschließlich der Verpackungen.

Weitere Handlungsfelder betreffen die europäische Har-monisierung wie auch die Standortwahl künftiger Anla-gen zum chemischen Recycling in der EU. Dies alles sollte unserer Ansicht nach spätestens dann gesetzlich geregelt werden, wenn Großinvestitionen zum chemi-schen Recycling anstehen sowie weitere Ökobilanzie-rungen und europäisch anerkannte Massenbilanzie-rungsverfahren vorliegen.

neue verpackung: Letztendlich bestimmt auch die Zu-sammensetzung des Infeed-Materials den Output.

Gibt es Mindeststandards für die Qualität der Aus-gangsstoffe, die bestimmte Kunststoffabfälle ungeeig-net für diesen Prozess machen?

Remmele: Es gibt aus heutiger Sicht keine Mindeststan-dards. Die Technologie zeigt eine hohe Toleranz gegen-über Verunreinigungen und Sortenmischungen. Daher eignet sich das Verfahren für unterschiedlichste, auch verunreinigte, gemischte oder andere Kunststoffe. Eben-so wie für flexible Verpackungen und für die Wiederver-wertung von hochkomplexen Mehrschichtfolien aus mehreren Kunststoffarten, die insbesondere in der Le-bensmittelindustrie üblicherweise zum Einsatz kom-men. Im Vergleich zum mechanischen Recycling bietet das chemische Recycling also deutlich mehr Möglich-keiten, da es auf die Rückgewinnung der Wertstoffbau-teile durch thermische Zersetzung abzielt. Allerdings muss bekannt sein, welche Zusammensetzung der In-feed hat, um die Anlage optimal fahren und am Ende Material erhalten zu können, welches sich in großche-mischen Industrieanlagen wie einem Cracker verarbei-ten lässt.

neue verpackung: Stichwort Wirkungsgrad: Wie viel Ausgangsmaterial benötige ich, um am Ende eine Ton-ne der angestrebten Basis-Chemikalien zu erhalten?

Remmele: Aufgrund der wenigen Kenntnisse, die uns derzeit vorliegen, lässt sich Ihre Frage pauschal nicht beantworten. Hier gilt es in jedem Fall zu

differenzie-ren: Denn zum einen ist die Reinheit und die Zusam-mensetzung des Eingangsmaterials entscheidend. Zum anderen kommt es darauf an, welcher Rohstoff gewon-nen werden soll und welche Parameter dafür im Prozess Anwendung finden. Denn durch das Zusammenwirken von Wärme, Druck, Atmosphäre und verschiedener Stoffe wie Lösemittel oder Katalysatoren werden die Polymerketten der Kunststoffe in kürzere Kohlenwas-serstoffe gespalten. So bestimmt unter anderem die Temperatur das Produkt – und sie beeinflusst letztlich auch die Produktausbeute. Vereinfacht ausgedrückt: Bei niedrigeren Temperaturen im Pyrolyseprozess entste-hen schwerere Öle, bei hoentste-hen Temperaturen leichtere Produkte wie Gase.

Grundsätzlich soll das durch chemisches Recycling ge-wonnene Pyrolyseöl in einem Cracker wie der primäre fossile Rohstoff Naphta eingesetzt beziehungsweise in deutlich höheren Mengen dem Naphta beigemischt wer-den. Insofern gehe ich davon aus, dass sich die Input-Output-Relation nicht wesentlich ändern wird.

neue verpackung: Im Begriff Kreislaufwirtschaft steckt ja auch das Wort Wirtschaft. Und die Wirtschaftlichkeit von Verfahren wie dem chemischen Recycling steht vor allem in Abhängigkeit zum – in den vergangenen Jah-ren recht volatilen – Rohölpreis. Sollte der Gesetzgeber Ihrer Meinung nach hier Rahmenbedingungen schaf-fen, die die Investition in solche Technologien für mehr Unternehmen interessant machen?

Remmele: Ihre Frage beantworte ich mit einem klaren Ja. Denn die Pyrolyse ist hinsichtlich des Recycelns von bislang nicht mechanisch recycelbaren Verbundfolien

Durch das chemi-sche Recycling kön-nen auch Mehr-schichtfolien Teil der Kreislaufwirtschaft werden. Bild: Südpack

Special Nachhaltigkeit

wie auch unter CO2-Gesichtspunkten definitiv der ther-mischen Verwertung vorzuziehen. Fundierte Lebenszyk-lusanalysen der Rohstoffindustrie beweisen dies bereits eindrücklich. Sie bewerten den ökologischen Fußab-druck von Granulaten aus chemischem Recycling und betrachten deren Auswirkungen nicht nur am Ende des Lebenszyklus, sondern ganzheitlich.

Fakt ist demnach, dass CO2-Emissionen in erheblichem Maße eingespart werden können, wenn Produkte auf Basis von Pyrolyseöl als Sekundärrohstoff im Rahmen eines Massenbilanzansatzes anstelle von Naphtha herge-stellt werden. Durch die Vermeidung von CO2 -Emissio-nen, die bei einer Verbrennung dieser Kunststoffabfälle entstanden wären, verursachen die chemisch rezyklier-ten Kunststoffe deutlich weniger CO2-Emissionen als die fossil hergestellten. Die Herstellung von Kunststoffen – entweder durch Pyrolyse oder durch mechanisches Re-cycling von gemischten Kunststoffabfällen – führt zu ähnlichen CO2-Emissionen. Hierbei wurde berücksich-tigt, dass die Qualität von chemisch recycelten Produk-ten der von Neuware ähnlich ist und dass in der Regel weniger Inputmaterial aussortiert wird als beim werk-stofflichen Recycling.

Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass sich Kunststoff-produkte aus chemisch recyceltem Material nach dem Gebrauch erneut ohne Qualitätsverlust recyceln lassen.

Je öfter also chemisches Recycling mit bereits chemisch recyceltem Material betrieben wird, umso mehr CO2

wird eingespart.

Demzufolge vertreten wir von Südpack die Ansicht, dass das Verfahren des chemischen Recyclings vom Gesetz-geber ähnlich wie das mechanische Recycling behandelt werden sollte. Da das Verfahren Stand heute zudem hö-here Kosten verursacht, müssen auch finanzielle Anreize als Ausgleich für die nicht unerheblichen Investitionen geschaffen werden. Kurzum: Der Umstieg auf ressour-censchonende Produkte wird nur gelingen, wenn wir das Verfahren weiter optimieren, in den Industriestandard überführen und unsere Kunden, der Handel wie auch Konsumenten, bereit sind, einen höheren Preis für das Plus an Nachhaltigkeit zu zahlen.

neue verpackung: Lassen Sie uns das Thema Massenbi-lanz bitte noch etwas vertiefen, Herr Remmele.

Remmele: In einem Cracker werden erhebliche Mengen Öl aus fossilen Quellen umgesetzt. Demgegenüber sind die Pyrolyseöl-Mengen heute immer noch sehr gering.

Aufgrund dieses kleinen Verhältnisses zwischen einge-Ein Lkw mit Öl, das

durch chemisches Recycling aus Folien-reststoffen von Süd-pack gewonnen wur-de, verlässt die Pilot-anlage von Recenso im münsterländi-schen Ennigerloh.

Bild:Südpack

setztem Pyrolyseöl und fossilem Naphtha in der Anlauf-phase des chemischen Recyclings muss ein sogenannter Massenbilanzierungsansatz verwendet werden. Dabei werden die Mengen an fossilem Öl und Pyrolyseöl ge-trennt erfasst und anschließend wird der dem Pyrolyseöl zugehörige Recyclinganteil dem Endprodukt rechne-risch zugewiesen. Aber auch solche Massenbilanzverfah-ren müssen zunächst noch standardisiert und dann von der Politik – analog der Bilanzierung von Strom aus er-neuerbaren Quellen – anerkannt werden.

Voraussetzung ist jedoch, dass genügend Pyrolysekapa-zitäten im Markt vorhanden sind. Dies ist bis jetzt noch nicht der Fall. Unser Engagement und unsere Investitio-nen zielen daher genau darauf ab, das Verfahren als In-dustriestandard zu etablieren und so die Mengen signi-fikant zu erhöhen. Wobei zu erwähnen ist, dass die Cracker auch auf absehbare Zeit nicht ausschließlich mit Pyrolyseöl gefüttert, sondern dem Naphta beigemischt werden müssen.

neue verpackung: Noch einmal zurück zu Ihrem Koope-rationsprojekt: Wann wird Südpack erste Verpackun-gen ins Programm aufnehmen, die aus chemisch recy-celten Rohstoffen bestehen? Und welche Vorausset-zungen müssten erfüllt sein, damit Sie komplett um-stellen können?

Remmele: Mit unserer Kooperation haben wir die Möglichkeit, die bestehenden Pyrolysekapazitäten zu nutzen. Wir können also Rohstoffproduzenten unserer Wahl Pyrolyseöl zur Verfügung stellen, um die daraus hergestellten Kunststoffe zurückkaufen zu können.

Anders formuliert: Wir bieten jetzt schon Folien im Markt an, die auf Kunststoffen aus chemischem Recyc-ling basieren.

Wir begrüßen auch andere Kooperationen in diesem Bereich, wie beispielsweise die Zusammenarbeit von Quantafuel, Remondis und der BASF. Wenn auch andere große Unternehmen das chemische Recycling vorantrei-ben, gibt uns das große Hoffnung, dass das chemische Recycling auch europaweit beziehungsweise weltweit anerkannt wird. Wir als Mittelständler sind daher sehr froh, wenn auch andere Unternehmen in diese Richtung denken – die Industrie muss gemeinsam einen Schulter-schluss entwickeln.

Erste erfolgversprechende Konzepte für den Einsatz dieser Materialien haben wir übrigens in den letzten Monaten bereits umgesetzt. Unter anderem berichtete die Presse ausführlich über zwei wegweisende Kunden-projekte, in denen PA und PE aus chemischem Recycling in Hochleistungs-Folien für eine neue Produktverpa-ckung für Wurst sowie eine kommerzielle Mozzarella-Verpackung eingesetzt werden konnten. Die hygieni-schen Folienverbund-Verpackungen zeichnen sich durch den gleichen, hohen Produktschutz und die Leis-tungsfähigkeit wie Neuware aus, doch sind sie deutlich ressourcenschonender hergestellt. Weitere Projekte sind initiiert oder bereits in einer konkreten Entwicklungs-phase. Sie sehen also, wir sind auf einem guten Weg.

Die Fragen stellte Philip Bittermann, Chefredakteur neue verpackung

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