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Chancen und Gefahren für die ostdeutschen Hochschulen

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Regionale Impulsgeber

I n n o v a t i v e R e g i o n e n S c h w e r p u n k t

denen Haushaltsmittel fortwährend begrenzt sind, ergeben sich naturgemäß Verteilungskonflikte zwischen den einzelnen Handlungsfeldern. Finanzierungen in anderen Bereichen haben da häufig einen Vorteil: Sie erscheinen handfester und in ihren Effekten (vermeintlich) vorhersagbarer als hochschulische An lie gen. Zudem befassen sich die meisten politischen Akteure nicht unmittelbar mit Hochschulpolitik (sondern mit Gesund­

heit, Soziales, Landwirtschaft usw.). Ihnen stellen sich Hoch­

schulgelder vor allem als eine Unsicherheitsfinanzierung dar.

Das wiederum ist keine falsche Wahrnehmung, sondern erfasst etwas Notwendiges: Forschung ist extrem erfolgsunsicher und zielungenau. Daraus ergibt sich ihre notwendige „eklatante Ineffizienz“: Wissenschaft entwickelt sich in Gestalt „ver­

schwenderischer Produktion von Forschungsergebnissen“ (Uwe Schimank). Ein Großteil davon hat vor allem zum Ergebnis, dass Ergebnisse an anderer Stelle zu suchen sind. Anders aber geht es nicht. Eine langfristige Hochschulentwicklung ist nur möglich, wenn genau das berücksichtigt wird: In Forschung und Lehre sind kurzfristige Effekte großteils nicht möglich und langfristig nicht mit Sicherheit vorhersagbar.

Erfolgreicher als jedes Rückholprogramm

Die ostdeutschen Regionen müssen interne Potenziale mobili­

sieren, wenn sie sich nicht abhängen lassen wollen. Diese Potenziale sind vor allem drei: Fachpersonal, Investitionen und Netzwerkeinbindungen. Für zwei davon sind die Hochschulen unentbehrlich: akademische Fachkräfte und Netzwerke. Was die Fachkräfte betrifft, geht es um zweierlei: Studierende von außer­

halb ins Land zu holen und junge Leute im Lande zu halten, weil sie in Wohnortnähe ihren Wunschstudienplatz vorfinden.

So finden mittlerweile zahlreiche westdeutsche Studienanfänger in den Osten. Nur dadurch konnten die Einbrüche in den studi­

enberechtigten Alterskohorten überkompensiert werden, die infolge der geringen Geburtenraten nach 1990 entstanden waren. Von 2005 bis 2011 gelang es den ostdeutschen Hoch­

schulen (ohne Berlin), die Zahl ihrer Studierenden aus west­

deutschen Bundesländern um 62 Prozent zu steigern. Bei den Studienanfängern konnte gar mehr als eine Verdreifachung erreicht werden. Auch wenn es sich dabei großteils um Über­

laufeffekte handelt, da die westdeutschen Hochschulen derzeit übervoll sind: Anders als noch zu Beginn der 2000er Jahre erzeugt die Vorstellung, im Osten des Landes studieren zu sol­

len, bei jungen Leuten aus westdeutschen Regionen nicht mehr zwingend allergische Reaktionen.

Von den Absolventen wiederum bleiben 43 Prozent nach dem Abschluss da: ein beachtlicher Klebeeffekt. Keines der zahlrei­

chen Rückholprogramme, mit denen die ostdeutschen Länder ehemalige Einwohner zur Rückkehr bewegen wollen, hat eine solche Erfolgsquote. Mit anderen Worten: Die Hochschulen sind inzwischen das erfolgreichste Instrument zur Dämpfung des demografischen Wandels.

Die Hochschule als Verödungshemmnis

Bei den Effekten der Hochschulen für regionale Entwicklungen liegt allerdings auch ein Potenzial, das bislang unzulänglich gehoben ist. Wenn es um regionale Wirksamkeit geht, agiert die Wissenschaft überwiegend nicht sehr glücklich: Sie neigt dazu, vornehmlich auf die planetarische Bedeutung ihrer Aktivitäten zu verweisen. Das verführt in der Politik dazu, den Umkehrschluss zu ziehen: regional wohl nicht so bedeutsam. Hier wird es nötig sein, dass sich die Hochschulen stärker als das, was sie sind, auch inszenieren: als eines der wichtigsten Verödungshemmnisse in demografisch herausgeforderten Räumen.

Eine Aufforderung zur Selbstregionalisierung ist das aber nicht:

Die regionale Wirksamkeit von Hochschulen ist dann am aus­

sichtsreichsten, wenn diese ihre Region an die überregionalen Kontaktschleifen der Wissensproduktion und ­verteilung anschließen. Dazu wiederum sind die Hochschulen wie keine andere Institution in ihren Regionen in der Lage. n

ZUR PERSON

Prof. Dr. Peer Pasternack ist Direktor des Instituts für Hochschulforschung Halle-Wittenberg (HoF) und lehrt am Institut für Soziologie der Martin-Luther-Universität. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Bildung und Wissenschaft in demografisch herausgeforderten Regionen, Hochschulpolitik, Hochschul orga-nisation und Wissenschaftszeitgeschichte.

eMail: peer.pasternack@hof.uni­halle.de

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Herr Professor Roggenbuck,

was ist eigentlich ...personalisierte Medizin?

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unächst einmal ist „personalisierte Medizin“ ein ziemlich umstrittener Begriff. Ärzte sagen: „Ich habe mich doch schon immer um jeden einzelnen Patienten gekümmert, schließlich habe ich den hippokratischen Eid geschworen!“ In der englischsprachi-gen Literatur liest man deshalb häufig von „precision medicine“, was eher den Kern der Sache trifft.

In der Vergangenheit sind Mediziner und Pharmaunternehmen nach dem Grundsatz „One fits all“ vorgegangen: Ein Therapieansatz soll so viele Patienten wie möglich erreichen – ein Medikament zum Beispiel allen Patienten mit Bluthochdruck helfen. Die Erfolgsrate liegt bei diesem Ansatz aber nur zwischen 30 und 70 Prozent. Bleibt die gewünschte Wirkung aus, versucht der Arzt es mit dem nächsten Medikament: Trial and Error wird zur Strategie.

Das ist für den Patienten unbefriedigend und kann sogar gefährlich werden.

Ich sehe personalisierte Medizin aus dem Blickwinkel der Diagnostik.

Einer unserer wichtigsten Ansatzpunkte dabei sind Biomarker – das können etwa Gene, Enzyme oder Proteine sein –, die uns wichtige

Aufschlüsse über Erkrankungen und Behandlungsoptionen geben.

Die so genannten omik-Technologien – also Genomik, Proteomik etc. – haben in den vergangenen 15 Jahren eine riesige Zahl ver-schiedener Biomarker hervorgebracht, etwa 10.000 bis 15.000 sind uns heute bekannt. Unsere Krankenhäuser nutzen davon heute aber maximal 200.

Ein Beispiel: Alle krebskranken Kinder, die eine Strahlentherapie benötigen, werden nach festgelegten Standards behandelt. Wir wissen aber mittlerweile, dass die Bestrahlung bei bis zu fünf Prozent von ihnen schwere Nebenwirkungen verursachen kann, die bis zum Tod führen können. Die Ursache ist eine erhöhte Strahlensensitiviät mancher Kinder. Im Rahmen des „Zwanzig20“-Forums „PARMENIDes“ haben wir mit unseren Partnern einen Biomarker entwickelt und für den klinischen Routineeinsatz vorbe-reitet, der die erhöhte Strahlensensitivität der Kinder vorab fest-stellen kann und schwere Nebenwirkungen vermeiden hilft. Bei einem PARMENIDes-Partner, dem Universitätsklinikum des Saarlandes, kommt er schon heute in der Diagnostik zum Einsatz.

Mit der personalisierten Medizin wollen wir also jedem Patienten eine individuell auf ihn und seine Erkrankung abgestimmte Behandlung ermöglichen, indem wir Biomarker in der Diagnostik einsetzen. Auf dieser Basis wissen wir schon vorher, welche Therapie beim Patienten nicht wirken oder ihm schaden wird – und das bei einer Vielzahl von Krankheitsbildern. Da Krankenkassen und Pharmaunternehmen allerdings lange Zeit das profitable „One fits all“-Modell verfolgt haben, konzentrieren wir uns zunächst auf Erkrankungen, die teure Therapien verursachen, etwa Krebs-, Herz- und Rheumaerkrankungen. Ich bin überzeugt: Die personalisierte Medizin ist eines der großen Zukunftsgebiete. Sie hilft den Patienten. Und weil sie wirkungslose Therapien und Neben-wirkungen vermeidet, wird sie langfristig sogar zu Einsparungen im gesamten Gesundheitssystem führen.

Prof. Dr. Dirk Roggenbuck ist Geschäftsführer der Unternehmen MEDIPAN GmbH und GA Generic Assays GmbH, die medizinische Diagnostikprodukte entwickeln und vertreiben. Als Sprecher des Zwanzig20-Forums PARMENIDes verfolgt er die Vision „Keine Therapie ohne Nutzen“.