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Chancen demokratischer Biodiversitätspolitik

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungManuskripte 75 (Seite 33-37)

Festzuhalten bleibt: Es dominiert weiterhin die Orientierung an einer ökonomi-schen Verwertung biologischer Vielfalt, d.h. die starken Akteure finden sich darin zusammen, dass die Kommerzialisierung der biologischen Vielfalt und insbeson-dere der genetischen Güter für sie lohnenswert ist. Dies zeigt sich an der großen Bedeutung der Zugangs- und IPR-Politiken im Rahmen der CBD, denen Politiken zum Erhalt, Technologietransfer oder die Rechte indigener Völker und bäuerlicher Gemeinschaften deutlich nachgelagert sind. Vorteilsausgleich bleibt einer der größten Streitpunkte.

Welche Perspektiven einer demokratischen Biodiversitätspolitik bestehen vor diesem Hintergrund? Welche Rolle kann dabei die CBD spielen? Es wurden bei den spezifischen Problemen bereits Möglichkeiten genannt, um Biodiversitätspo-litik demokratischer zu machen. In diesem letzten Abschnitt erfolgen einige wei-tere allgemeine Orientierungen, die mit den unterschiedlichen Akteuren genauer diskutiert werden müssen. Hier geht es darum, überhaupt zu einer solchen Dis-kussion anzuregen.

a) Demokratisierung von Wissenschaft und Technologieentwicklung

Es bedarf einer Demokratisierung der Wissenschaft und der Technologieentwick-lung. Bislang ist Politik eher mit den Folgender Entwicklungen in den „Trans-formationskernen“ befasst, insbesondere indem ein rechtlicher Rahmen zur An-wendung der Technologien bzw. des Umgangs mit Ge-fahren geschaffen werden soll. Die Entwicklungen des Biosafety-Protokolls im Rahmen der CBD sind hier-für ein Beispiel.

Wenn aber die Zukunft der Menschheit und insbesondere der schwächeren, d.h.

„verwundbaren“ Bevölkerungsgruppen derart von technologischen Entwicklungen abhängt, dann müssen diese selbst Gegenstand öffentlicher und politischer A u s e i n-andersetzungen sein. Auch eine jahrhundertealte Entwicklung wird gegenwärtig deutlich gestärkt, nämlich die Dominanz der westlichen Wissenschaften und die da-mit einhergehende Entwertung anderer Wissensformen (Lander 2006). Für den Er-halt und die nachEr-haltige Nutzung biologischer Vielfalt muss dieses Dominanzver-hältnis verändert werden. Wi edas erfolgen kann, ist ein offener Prozess.

b) Praktiken und Verantwortliche der Biopiraterie öffentlich machen

Eigene Untersuchungen haben ergeben, dass die CBD über kein sehr hohes Anse-hen bei indigenen Völkern und bäuerlicAnse-hen Gemeinschaften verfügt (Brand et al.

2008). Denn die konkreten Erfahrungen vieler lokaler Akteure sind die von

wei-terhin illegaler und aus ihrer Sicht illegitimer Aneignung sowie Erfahrungen mit repressiven staatlichen Politiken (Burrows 2005, BUKO-Kampagne 2005). Das Prinzip der nationalen Souveränität stärkt die Regierungen und nicht das Selbst-bestbestimmungsrecht lokaler Akteure. Dennoch wird sie von vielen schwächeren Akteuren immer noch als zugänglicher und möglicherweise besser ihre Interessen vertretend angesehen als etwa die WTO.

Gleichwohl müssten jene Akteure, denen wirklich etwas an einer demokrati-schen Biodiversitätspolitik liegt, wesentlich konfliktreicher gegenüber jenen Ak-teuren – insbesondere den Unternehmen – auftreten, die lediglich ihre partikula-ren Interessen verfolgen, diese aber als (welt-)gesellschaftliches Gesamtinteresse darzustellen versuchen. Auch die starken Naturschutz-NGOs sollten kritisiert wer-den, wenn sie unter der Hand zu illegaler Bioprospektierung und potentieller Kommerzialisierung beitragen. Trotz all der notwendigen Formen internationaler Diplomatie müssen die schwächeren bzw. kaum wahrgenommenen Anliegen stär-ker thematisiert werden. Das ist nicht zuletzt eine Frage von Macht und damit von Konflikten mit den herrschenden ökonomischen und politischen Akteuren. Doch diese sind Grundlage für ausgewogene Kompromisse, effektivere Politiken und letztendlich eine höhere Legitimität der CBD.

Dass Proteste nicht wirkungslos bleiben müssen, zeigt die Entscheidung des Europäischen Patentamts. Aufgrund internationaler Kritik wurde das Patent der US-Firma Grace am Samen des Neembaums aus dem ein Fungizid produziert wurde, zurückgenommen, da es sich nicht um eine Erfindung, sondern um ein Pla-giat handelt. Der Firma RiceTec wurden einige Patente – wenngleich nicht alle – auf den vor allem in Indien angebauten Basmati-Reis abgesprochen. Es gibt wei-tere Beispiele.

c) Anliegen schwächerer Akteure sichtbar machen

Die Auseinandersetzungen innerhalb der CBD – und in anderen Foren – sind kein Konflikt zwischen nördlichen und südlichen Regierungen. Gleichwohl strukturie-ren die Interessen der „Geber“- und „Nehmer“-Länder die Dynamik.

dominanten Politiken auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene die Le-bens- und Handlungsmöglichkeiten von vielen Menschen einschränken.

Die Kooperation von Regierungen im Rahmen der internationalen Biodiver-sitätspolitik wird als undemokratischer Prozess verstanden, die in der CBD fest-geschriebene „nationale Souveränität“ über natürliche und damit auch genetische Güter wird kritisiert. Noch stärker werden die WTO und das TRIPS-Abkommen kritisiert.

Die natürlichen und sozialen Gemeingüter, so die sich verbreitende Perspek-tive, dürfen nicht privaten Gewinninteressen unterworfen werden. In vielen ge-sellschaftlichen Bereichen gibt es Kämpfe gegen Privatisierung und die seit 1999 vielen links-gerichteten Regierungen in Lateinamerika sind nicht zuletzt Aus-druck dieser Kämpfe. Lateinamerika wird zu einem strategischen Ort, an dem aus-gefochten wird, welche Formen der Naturaneignung sich durchsetzen – nicht zum einzigen, denn in Indien, Malaysia oder den Philippinen gibt es ebenfalls intensive Konflikte um biologische Vielfalt.

Die Bewegungen suchen nach anderen Formen der politischen Institutionali-sierung, um plurale Wissens- und Lebensformen abzusichern (zu deren Notwen-digkeit vgl. etwa die Potsdam Recommendations 2006: 6). Ein zentraler Begriff, der in der CBD so gut wie keine Rolle spielt, ist jener der Menschenrechte. In-nerhalb der Bewegung dominiert zudem eine Orientierung, dass gesellschaftliche Innovationen von den Bewegungen selbst kommen und nicht zuvorderst von Par-teien, Staat und internationalen zwischenstaatlichen Abkommen und Organisatio-nen. Dennoch ist es wichtig, die Innovationen rechtlich abzusichern.

Die CBD könnte diesen Prozessen und den Anliegen schwächerer Akteure mehr Raum geben. Damit verbunden ist der folgende Aspekt:

d) Nicht nur Partizipation von schwächeren Akteuren fördern, auch einklag -bare Rechte

Einer der am häufigsten verwendeten Begriffe in den Texten und Diskussionen der CBD ist jener der Partizipation. Der Begriff scheint konsensual zu sein, d.h. auch die starken Akteure befürworten eine breite Partizipation aller betroffenen und im politischen Feld aktiven Gruppen. Die CBD müsste jedoch den Begriff der Parti-zipation über die formellen Politikprozesse hinaus weiter fassen. Dann geht es nicht nur um politische Partizipation, sondern um die konkreten Lebens- und Handlungsmöglichkeiten der unterschiedlichen Gruppen. Diese sind heute hoch-gradig asymmetrisch und verschieben sich in vielen Regionen zu Ungunsten der lokalen Bevölkerung, die nicht auf andere Orte ausweichen kann wie etwa For-schungsinstitute oder Unternehmen (sog. exit-option).

Damit stellt sich die klassische Frage von Politik: Zu welchen Zwecken und in wessen Interesse gibt es spezifische politische Strukturen und Prozesse? Welche Akteure können sich daran wie beteiligen? Was sind Konstellationen von Koope-ration, wo bestehen zentrale Konflikte? Wo sind die Entscheidungskompetenzen

verankert? Und im Fall der Biodiversitätspolitik: Wer verfügt über natürliche Ge-meingüter? Wer verfügt über Informationen und Wissen?

Ein Ausgangspunkt demokratischer Biodiversitätspolitik liegt darin, dass die ver-schiedenen Akteure ihre partikularen Interessen offen legen. Denn oft verschwinden hinter den „allgemeinen Interessen“ am Erhalt und der nachhaltigen Nutzung biolo-gischer Vielfalt die spezifischen Interessen – insbesondere jene der stärkeren A k-teure wie nördliche Regierungen oder biotechnologische Unternehmen.

Damit einher geht ein weiterer Aspekt: Eine uralte Idee der Demokratie liegt darin, stärkere Interessen rechtlich zu binden und damit in ihrer Macht gegenüber schwächeren Interessen einzugrenzen. Im Zentrum einer demokratischen Biodiver-sitätspolitik steht diese klassische Idee der Demokratie: Nämlich die schrittweise Ausweitung von einklagbaren Rechten für schwächere Gesellschaftsmitglieder.

Teilhaberechte bedeuten mehr als Partizipation, denn damit einher gehen Ve r f a h r e n und Sanktionsmittel, um die Rechte einklagen und durchsetzen zu können.

Der in der internationalen Politik dominante Pluralismus ermöglicht zwar formal allen Akteuren die Beteiligung an internationalen Prozessen und Einflussnahme auf Regierungen und internationalen politischen Institutionen. De facto dominieren aber aufgrund der besseren materiellen und informationellen Ressourcenausstattung so-wie größerer Machtmittel die stärkeren Akteure, d.h. nördliche Regierungen, gut ausgestattete Forschungsinstitute und große Unternehmen. Grundlage von Demo-kratie ist daher die bewusste Stärkung schwächerer und unterrepräsentierter Interes-sen. Eine solche Ausweitung von Rechten geht mit Konflikten einher, doch sie er-höht letztendlich die Effektivität und Legitimität politischer Prozesse.

Wenn Demokratie im Sinne der kollektiven, effektiven und legitimen Regelung gesellschaftlicher Probleme verstanden wird, dann gehen damit immer auch Machtfragen einher. Das Millennium Ecosystem Assessment bietet hier einige in-teressante Anknüpfungspunkte (vgl. Abschnitt 6).

Demokratische Biodiversitätspolitik findet nicht nur im Rahmen der CBD statt.

Vielmehr ist und bleibt die nationalstaatliche Ebene, wie auch die lokale, zentral für die demokratische Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse. Aber sie werden von

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