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Brüche mit dem ökonomistischen Rassismusverständnis

Im Dokument „Schwarze Schwester Angela“ (Seite 69-73)

3. Diskursive Strategien zur Aufrechterhaltung der Gleichzeitigkeit von

3.1 Kontext und methodisches Vorgehen: Die Solidaritätskampagne für Angela Davis in

3.2.3 Brüche mit dem ökonomistischen Rassismusverständnis

Dennoch finden sich in der Darstellung auch Durchbrechungen des engen Verständnisses von Rassismus, wie es in der offiziellen DDR-Erzählung geherrscht hat. Diese Brüche haben das Potential einer Thematisierung von Rassismus in der DDR, für Betroffene und deren Verbündete.

Sie könnten sich auf ein hier vermitteltes antirassistisches Wissen beziehen, welches gesellschaftlich anerkannt wurde. Ob und in welcher Form dieses Potential nutzbar gemacht wurde, kann hier nicht nachvollzogen werden, da die Artikel selbst dies nicht verhandeln.

Zunächst finden sich an manchen Stellen der Solidaritätskampagne Thematisierungen von

55 Vgl. auch Quinn Slobodians Konzept des socialist chromatism, siehe Kapitel 2.2.7.

Rassismus, die über eine bloße Ableitung des Rassismus aus dem Kapitalismus hinausgehen. Dies ist besonders dann der Fall, wenn US-Amerikaner*innen selbst zu Wort kommen, in Interviews oder bei der Wiedergabe von Reden und Texten.

Ein Beispiel hierfür ist der Brief von Linda Nyden, weiße Studentin der West-Virginia-Universität in Morgantown an ihre Universitätszeitung, der in der Für Dich auszugsweise und in deutscher Übersetzung erschien (1971/11). Darin wird Rassismus zwar auch als ein Problem wiedergegeben, das letztendlich alle gleichermaßen betreffe und dem durch kommunistische Organisierung von Schwarzen, PoC und weißen gemeinsam begegnet werden müsse. Die Praktiken, die als Rassismus verstanden werden, befinden sich aber auch auf einer kulturellen, nicht nur ökonomischen Ebene.

So beschrieb die Studentin Davis' antirassistisches Engagement als Professorin als das Bemühen,

„Philosophie und Literatur zu dem Leben der Schwarzen in Beziehung zu bringen“ (ebd.).

Außerdem schreibt sie über Davis' Antirassismus als Kampf um Zugänglichkeit zu Bildung und um Repräsentation:

„Im Frauengefängnis in New York City beschwerten Sie sich darüber, daß es keine Bücher in spanischer Sprache und keine Bücher über Schwarze und Puertoricaner gab, obwohl 90 Prozent der Gefängnisinsassen Schwarze und Puertoricaner waren.“ (Ebd.)

Nyden spricht ihre eigene Position als weiße und ihren Lernprozess an, wenn sie sich bei Davis dafür bedankt, „was Sie mich, eine weiße Studentin, gelehrt haben.“ (Ebd.)

Diese Beispiele könnten auf die DDR übertragen werden, um Fragen von Repräsentation, Bildungsmöglichkeiten, Ausschluss durch Sprache und das Lernen über Schwarze Beiträge zur modernen Kultur, etwa in Form von Philosophie und Literatur in den Blick zu nehmen.

Auch die Reflexion der eigenen Position als weiße könnte an dieser und anderen Stellen angeregt werden, an denen Weißsein nicht als unbenannte Norm vorkommt, sondern explizit benannt wird.

Dies wird außer in Linda Nydens Fall auch noch in der Rede von „dem weißen Farmer Radger McAffec [...], der ohne Zögern seine Farm verpfändete, damit die 102 500 Dollar Kaution für die schwarze Kommunistin Angela Davis aufgebracht werden konnten“ (1972/12) getan. Diese Benennung zeigt neben einer Markierung von Weißsein auch Handlungsoptionen auf, derer sich weiße (also auch ein Großteil der Für Dich-Leser*innen) bedienen könnten, um antirassistische Kämpfe zu unterstützen.

Ein weiterer Bruch mit dem offiziellen DDR-Rassismusverständnis ist das Interview mit Frank Davis, Angela Davis' Vater, der über rassistische Anschläge spricht und dabei klar weiße Täter*innenschaft benennt, ohne die Täter*innen als durch die Regierung oder die Kapitalist*innen aufgehetzt zu beschreiben (vgl. 1971/21, S. 10f).

Zwar werden auch die US-amerikanischen Eliten regelmäßig als weiß benannt (vgl. 1970/46)56,

56 Vgl. weitere: 1971/01; 1971/38b, S. 28; 1971/39, S. 28; 1971/45c, S. 29; 1971/46, S. 39; 1971/47, S. 40; 1972/09;

1972/13; 1972/33, S. 2; 1972/39, S. 6; 1972/40b, S. 7.

wobei hier eine Übertragung auf weiße Leser*innen der Für Dich durch die Beschreibung ihrer Zugehörigkeit zu den Kreisen, die vom Kapitalismus profitieren, unwahrscheinlich ist.

In manchen Artikeln kommt auch Angela Davis selbst zu Wort, wie zum Beispiel in dem in der Für Dich auszugsweise übersetzt veröffentlichten Interview von Davis mit der Zeitung der Nation of Islam57 „Muhammad Speaks“. Die dort zitierten Äußerungen Davis' sind insofern interessant, als dass sie zwar Rassismus mit Kapitalismus in Beziehung setzen, jedoch unterschiedliche Nuancen in ihrer Interpretation zu der offiziellen Rassismusanalyse in der DDR deutlich werden. Um dies zu zeigen, möchte ich hier ein längeres Zitat wiedergeben:

„Frage: Warum sind Sie Kommunistin?

Antwort: Zunächst einmal bin ich eine schwarze Frau. Ich habe mein Leben dem Kampf für die Befreiung der schwarzen Menschen – meines versklavten, in Ketten gehaltenen Volkes – gewidmet.

Ich bin deshalb Kommunistin, weil ich von einem überzeugt bin: Der Grund dafür, daß wir gewaltsam gezwungen wurden, unser Dasein auf der untersten Stufe der amerikanischen Gesellschaft zu fristen, hängt mit dem Wesen des Kapitalismus zusammen. Wenn wir unsere Unterdrückung, unsere Armut abwerfen wollen, wenn wir nicht länger Zielscheibe des rassistischen Denkens einer Rassenpolizei sein wollen, müssen wir das kapitalistische System Amerikas vernichten. Wir müssen ein System abschaffen, in dem einige wenige reiche Kapitalisten das Privileg genießen, immer reicher zu werden, während die Menschen, die gezwungen sind, für die Reichen zu arbeiten – und insbesondere die Schwarzen – nie einen bemerkenswerten Schritt nach vorn machen.

Mein Entschluß, der Kommunistischen Partei beizutreten, ergab sich direkt aus meiner Überzeugung, daß das der einzige Weg ist, der zum völligen Sturz der Klasse der Kapitalisten und all ihre [sic!] vielfältigen Instrumente der Unterdrückung führt. Wir meinen, daß wir, um dieses Ziel zu erreichen, mit den progressiven Kräften des weißen Amerikas, die das Wesen der Bestie erkannt haben, zusammenarbeiten müssen. “ (1971/13)

Hier analysiert auch Davis den Rassismus als Teil des Kapitalismus und fordert die Abschaffung des letzteren. Auch sie befürwortet hier eine Zusammenarbeit mit weißen und spricht die Ausbeutung von Menschen mit unterschiedlicher race-Positionierung an. Gleichzeitig unterscheidet sich ihre Position von der offiziellen DDR-Rassismusanalyse insofern, als dass Davis hier nicht behauptet, eine Abschaffung des Kapitalismus würde automatisch eine Abschaffung des Rassismus nach sich ziehen. Anstatt von einer Ableitung aus dem Kapitalismus spricht sie von einem Zusammenhang zwischen Rassismus und Kapitalismus. Ferner benennt sie unterschiedliche Unterdrückungserfahrungen weißer und Schwarzer Arbeiter*innen, indem sie feststellt, dass

„insbesondere die Schwarzen [...] nie einen bemerkenswerten Schritt nach vorn machen“. Diese Herausstellung besagt, dass es zwar eine gemeinsame Ausbeutungserfahrung gibt, die Schwarzen jedoch noch weniger als weiße Amerikaner*innen auf einen Aufstieg in der Gesellschaft hoffen können. Davis benennt auch weiße Täter*innenschaft als „rassistische[s] Denken [...] einer Rassenpolizei“. Den Polizist*innen wird hier nicht – wie in vielen anderen Artikeln – entlastend unterstellt, manipuliert zu sein oder ohne nachzudenken die Befehle ihrer Vorgesetzten auszuführen.

57 Die Nation of Islam (N.O.I) ist eine 1930 gegründete afroamerikanische politische und religiöse Bewegung, deren wohl berühmtester Vertreter Malcom X war (bis zu seinem Austritt 1964). Sie tritt für einen Schwarzen Separatismus als antirassistische Strategie ein.

Stattdessen attestiert ihnen Davis ein eigenständiges rassistisches Denken (und Handeln). Daher erscheint es auch plausibel, dass sie nicht pauschal mit allen weißen Arbeiter*innen zusammenarbeiten will, sondern die Bündnisfähigkeit auf die „progressiven Kräften des weißen Amerikas, die das Wesen der Bestie erkannt haben“ einschränkt. Was diese weißen nach ihrer Meinung tun müssten, um das „Wesen der Bestie“ zu erkennen, bleibt in dem Zitat offen, jedoch legt die Formulierung zumindest die Forderung einer kritischen Auseinandersetzung mit Rassismus nahe. Schließlich beantwortet Davis die Frage danach, warum sie Kommunistin sei mit ihrem antirassistischen Engagement und ihren Erfahrungen als Schwarze Frau. Dabei gilt ihre Aufmerksamkeit und Solidarität vorerst der „Befreiung der schwarzen Menschen“. Der Fokus ist hier also anders als in vielen Artikeln, die in der Befreiung aller Arbeiter*innen von kapitalistischer Ausbeutung gleichzeitig eine Befreiung der Schwarzen von rassistischer Gewalt ausmachen.

Kritische Für Dich-Leser*innen könnten hier die in den anderen Artikeln behauptete Ableitungslogik infrage stellen und auch eine weitergehende Rassismusauseinandersetzung auf den Kontext der DDR übertragen.

Als Brüche können auch diejenigen Thematisierungen von Rassismus gelten, die eine potentielle Übertragbarkeit auf den Kontext der DDR in sich tragen.

In zwei Artikeln wird beispielsweise die rassistisch-sexistische Zuschreibung an Schwarze Männer verhandelt, diese würden weiße Frauen vergewaltigen (vgl. 1970/47, S. 9; 1971/47, S. 30). Dass die Zuschreibung von Hypersexualität an Schwarze Männer auch in der DDR existierte, wurde bereits im Forschungsstand dargestellt. Im Kontext der Solidaritätskampagne werden solche Bilder klar als rassistisch benannt. Eine Übertragung auf den Kontext der DDR in Form von einer Skandalisierung des Rassismus wäre hier möglich, wird jedoch in der Für Dich nicht vorgenommen.

Eine weitere Übertragungsmöglichkeit auf den Kontext der DDR bietet die vielfältige Thematisierung und positive Bezugnahme auf antirassistische Kämpfe von Davis und anderen afroamerikanischen Aktivist*innen, die eine empowernde Wirkung auf Schwarze und PoC in der DDR haben könnten und auf die sie sich mit eigenen Kämpfen beziehen könnten.

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Die Solidaritätskampagne für Angela Davis in der Für Dich thematisiert Rassismus innerhalb eines Rahmens, der potentielle Anknüpfungpunkte für den Kontext der DDR bereithält.

Vordergründig wird jedoch mithilfe des ökonomistischen Rassismusverständnisses die DDR als Staat und Gesellschaft gleichzeitig von Rassismus freigesprochen und auf der Seite der von

Rassismus Betroffenen positioniert. Damit wird sowohl einer Auseinandersetzung mit Rassismus in der DDR aus dem Weg gegangen, wie auch seine unterschiedlichen Ebenen – zum Beispiel die Ebene von Sprache und Repräsentation – ausgeblendet.

Dennoch wird diese Erzählung an Stellen durchbrochen und das anerkannte Wissen über und Bekenntnis zu antirassistischen Kämpfen könnte für einen Antirassismus innerhalb der DDR nutzbar gemacht werden.

3.3 Bezüge zum Nationalsozialismus: Abgrenzung, Externalisierung und

Im Dokument „Schwarze Schwester Angela“ (Seite 69-73)