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Birgitta Kurtén-Lindberg: „Detta folk av barbarer och skorpioner“

Im Dokument Nordeuropa Forum 1.2011 (Seite 152-164)

Finlands svenska och ryska tid. Stockholm: Atlantis 2009, 204 S.

Das vorliegende Buch verdankt sein Ent-stehen dem 200jährigen Gedenken an das Jahr 1809, das einen wesentlichen, seiner Zeit traumatischen, Einschnitt in der schwedischen – und somit auch finni-schen – Geschichte markiert,. Birgitta Kurtén-Lindberg beschreibt die Geschich-te Finnlands sowohl als Teil Schwedens – vom Mittelalter bis 1809 – wie auch als Teil Russlands – von 1809 bis zum Errei-chen der Selbstständigkeit 1917.

Der gewählte Titel „Dieses Volk von Bar-baren und Skorpionen“, ein Zitat des Bi-schofs und Volksbildners Isaac Rothovius an der Akademie im schwedischsprachi-gen Åbo des 17. Jahrhunderts, gibt die Leitlinie des Buches vor. Es geht der Auto-rin um die Hinterfragung von historischen (Vor-)Urteilen, sowohl der Reichsschwe-den als auch der schwedischsprachigen Bevölkerung Finnlands. Sie schreibt die-ses Buch daher in erster Linie für Schwe-den, denen sie die finnische Perspektive auf die gemeinsame Geschichte entgegen-hält, die zuweilen zu einem völlig anderen Bild als dem durch die schwedische Ge-schichtsschreibung vermittelten führt.

Die Christianisierung Finnlands durch Erik den Heiligen im 12. Jahrhundert im

spielsweise aus der Perspektive der Zwangsbekehrten naturgemäß anders dar als in jener der erfolgreich Missionieren-den. Relativierend wirkt der finnische Blick jedoch auch auf die traditionelle Epocheneinteilung der schwedischen His-toriografie, indem die Autorin die so ge-nannte Großmachtszeit nach dem Drei-ßigjährigen Krieg für den finnischen Teil des Landes als eine ausgeprägte Zeit des Niedergangs beschreibt.

Der elitäre Status der schwedischsprachi-gen Minderheit in Finnland blieb auch nach dem Herrschaftsübergang zu Russ-land bestehen – bedingt durch die zu-rückhaltenden Eingriffe Russlands im neu gewonnenen Gebiet. Die Zusicherung, dass nur Einheimische Positionen in der Verwaltung und im Militär übernehmen konnten, führte ebenso wie die Bestäti-gung alter Rechtstraditionen zu einer Au-tonomie innerhalb des russischen Reichs, die erst 1881 mit der Übernahme der Re-gentschaft Zar Nikolaus II. ein Ende fand.

Da der heutige – finnische und schwedi-sche – Blick zurück auf die Zugehörigkeit zu Russland vor allem durch die letzten Jahrzehnte der Einschränkungen (1881 bis 1917) geprägt erscheine, ist es der Autorin ein Anliegen, die

Aufmerksam-Jahrzehnte unter russischer Herrschaft zu lenken. Diese Zeit lässt sich vor allem durch das Erwachen des finnischen Selbst-Bewusstseins charakterisieren.

Kurtén-Lindberg beschreibt die Meilen-steine der fennomanischen Bewegung, die zunächst noch von schwedischspra-chigen Gelehrten dominiert, doch zuneh-mend von der finnischsprachigen Mehr-heit fortgeführt wurde – seien es Zacharias Topelius, der als einer der ers-ten das Schlagwort „Ein Volk, ein Land, eine Sprache“ verwendete, das die bis heute emotional geführte Diskussion über die Sprachpolitik einleitete, oder Elias Lönnrots Nationalepos Kalevala, das erstmals der finnischsprachigen Bevölke-rung eine eigene Geschichte von vorhis-torischen Göttern und Helden wie auch eine traditionelle Volksdichtung vermit-telte.

Mit Blick auf diese Entwicklung lässt sich das vorliegende Buch als weiterer Schritt auf dem Weg des Aufmerksam-Machens auf die eigene Geschichte ver-stehen. Birgitta Kurtén-Lindberg als Finn-landschwedin, die später nach Schweden gezogen ist, schreibt damit auch ein Stück eigene persönliche Geschichte. Sie ver-gleicht die noch reichsschwedisch ge-prägte Geschichtsschreibung ihrer Kind-heit mit den immer noch spürbaren finnischen Gegenreaktionen auf die jahrhundertelange Vorherrschaft der

Gegenwartsbezügen zur Erinnerungskul-tur beider Sprachgruppen in Form von Denkmälern, Festtagen oder traditionellen Liedern, die zum Teil mit Bildern verse-hen und im Text formal abgesetzt er-scheinen, liegt eine der Stärken des Bu-ches. Die Geschichte Finnlands wird zu Recht (auch) als ein Produkt der jeweili-gen Geschichtsschreibung und deren Funktion als Identitätsbildnerin aufge-deckt. Diesem Umstand trägt die Autorin schon einleitend Rechnung, wenn sie die traditionellen Geschichtswerke vorstellt und problematisiert sowie auch das Prob-lem der gegenseitigen – schwedisch- und finnischsprachigen – Nichtrezeption auf-grund von Sprachschwierigkeiten an-spricht.

Das Koordinatensystem, in dem sich das Geschehen bewegt, besteht also in erster Linie im Westen aus Reichsschweden und im Osten aus dem Russischen Reich, die im Lauf der Jahrhunderte auf meist krie-gerischem Weg ihre Grenzen neu aushan-delten, und es ist eingebunden in die Vor-gänge in Dänemark, im Baltikum und in Polen. Auch weiter ausgreifende Ge-schehnisse, wie etwa der Dreißigjährige oder der Siebenjährige Krieg spielen eine Rolle. Der eng auf Finnland und seine Grenzen angelegte Blickwinkel führt al-lerdings manchmal zu einer verkürzten Darstellung, indem es dann scheint, als wären sowohl der Dreißigjährige Krieg

(S. 104) in erster Linie von Schweden und Russland ausgegangen.

Als Zielpublikum des Werkes definiert die Autorin die breite Bevölkerung, wes-halb sie auch auf einen Anmerkungsappa-rat verzichtet und stattdessen im Anhang die wichtigste Fachliteratur, wie auch

„Schöne Literatur“ zum Thema angibt.

Der lockere Erzählstil mit saloppen For-mulierungen, wie beispielsweise die Er-wähnung von „Charmeoffensiven“ Gus-tav Vasas (S. 46) oder seiner „Klauen“, vor denen nichts sicher war (S. 40), passt sich dieser Ausrichtung an, sie schlägt jedoch manchmal etwas über die Stränge, wenn die Autorin etwa glaubt, versichern zu müssen, dass heute glücklicherweise die Dänen ihre Finger im Zaum halten würden und auch die Schweden seit Gus-tav Vasas Zeiten ihre Gewohnheiten ge-ändert hätten (S. 41).

Ellinor Forster (Innsbruck)

Henrik Berggren: Underbara dagar framför oss. En biografi över Olof Palme. Stockholm: Norstedt 2010, 713 S.

Ein Vierteljahrhundert ist jetzt vergangen, seit Olof Palme an einem kühlen Wintabend in der Stockholmer Innenstadt er-mordet wurde. Palme war auf dem Weg nach Hause zu seiner Wohnung in der Altstadt. Zusammen mit seiner Frau hatte er sich einen Film angesehen. Sie hatten keine Leibwächter dabei. Rechtlich gese-hen, ist der Mord unaufgeklärt geblieben.

Der Politiker und die Person Olof Palme haben lange im Schatten dieses nationa-len Traumas gestanden. In letzter Zeit sind jedoch einige umfassende Biografien erschienen, die den Politiker Olof Palme in den Fokus gerückt und das Bild von ihm erweitert haben. Eine gewisse histo-rische Distanz bedeutet offenbar, dass neue Perspektiven eröffnet werden kön-nen. Geschichte wird immer im Kontext der Gegenwart geschrieben. Und heute wird Geschichte nicht nur nach der Ära Palme geschrieben, sondern auch in einer Situation, in der die Sozialdemokratie in der schwedischen Politik und Gesell-schaft an Boden verloren hat.

Vor kurzem hat der Historiker Kjell Östberg zwei gründlich erarbeitete Bände herausgebracht, die auf sehr strukturierte Art Palme in seinen historischen

Zusam-Henrik Berggren unter dem Titel Underbara dagar framför oss („Herrli-chen Zeiten entgegen“) eine Biografie von gut 650 Textseiten vorgelegt, die in vielfältiger Weise ein vertiefendes Bild von Palme liefert. Vor allem hinsichtlich zweier Punkte. Berggren beginnt sein Buch mit einer langen Erzählung über die Geschichte der Familie Palme. Dies ist der große Gewinn des Bandes. Berggren schreibt gewissermaßen die Geschichte einer bürgerlichen Familie und beleuchtet die persönliche Entwicklung Olof Palmes in einem neuen, historischen Licht. Er war ja vielen eigentlich ein Rätsel, nicht zuletzt den Gegnern der Sozialdemokra-tie. Dort wurde Palme oft als Verräter an seiner Klasse betrachtet. Und es gab auch eine Art von Neid, der damit zusammen-hing, dass die Sozialdemokratie (die Par-tei der Arbeiter) es geschafft hatte, diese exzeptionelle Begabung für sich abspens-tig zu machen. Er, der die vornehmsten Schulen des Landes besucht und schon früh die Welt und die Sprachen erobert hatte. Wie konnte dieser Junge aus Östermalm, dem Stadtteil der Oberklasse, überhaupt Sozialdemokrat werden? Auch wenn es im Stammbaum der Familie Palme verschiedene konservative Gestal-ten gibt, existierte jedoch die ganze Zeit

gesellschaftlichen Fragen, bedeutendes soziales Engagement und auch eine libe-rale Ader. Das beschreibt Berggren aus-gezeichnet.

Das Buch ist nicht nur eine breit angeleg-te Erzählung über Schweden während des 20. Jahrhunderts, über die Zeit Olof Pal-mes, einzigartig und gut geschrieben in seiner Art. Berggren macht auch Olof Palmes sozialdemokratische Wandlung begreiflich. Es handelte sich nicht nur einfach um einen Bruch mit der Familie, wie man glauben mag, sein radikales En-gagement war eingebettet in gerade diese bürgerliche Familie, in der er aufwuchs.

Viel später erklärte Palme, dass es für ihn wichtiger war, wohin der Weg ihn führt, als woher er kam.

Berggren unternimmt dabei einen interes-santen Versuch, die Persönlichkeit und die Charakterzüge Olof Palmes herauszu-arbeiten, der sehr treffend, gleichzeitig aber auch schwer zu fassen und ein wenig spekulativ bleibt. Berggrens Biografie ist keine trockene historische Abhandlung, sondern ein viel breiter angelegtes Buch, fast ein wenig psychoanalytisch. Durch ein close reading von Norman Mailers Buch Die Nackten und die Toten, das Palme rezensiert hat und von dem er Teile wortgenau zitieren konnte, stößt Berggren auf Ähnlichkeiten zwischen Palme und einer der Hauptpersonen des Buches,

„Den intellektuella begåvningen, själv-förtroendet, idrottsframgångarna, den väl-situerade bakgrunden, den ifrågasättande och lätt subversiva hållningen till givna sanningar och auktoriteter, känslan av frigörelse eller frikoppling från familjens traditioner – allt detta förenar dem.“

(„Die intellektuelle Begabung, das Selbstvertrauen, die sportlichen Erfolge, der gut situierte Hintergrund, das Infrage-stellen und die leicht subversive Haltung gegenüber gegebenen Wahrheiten und Autoritäten, das Gefühl von Befreiung oder Entfernung von den Traditionen der Familie – all das vereint sie.“, S. 140) Sicherlich spekuliert Berggren an dieser Stelle. Man kommt jedoch nicht umhin festzustellen, dass er hier mehrere Cha-rakterzüge Palmes beschreibt, die mit dessen spezifischen Klassenhintergrund zusammenhängen, der dafür sorgte, dass er der Arbeiterbewegung näher stand als Parteien der bürgerlichen Mittelklasse.

Am stärksten ist Henrik Berggrens Buch zu Beginn, wenn er Palmes Weg in die Sozialdemokratie schildert. Palme scheint immer im Zentrum gelandet zu sein, wo-hin er sich auch wendete. Er reiste in ei-ner für diese Zeit einzigartigen Weise um die Welt. Er war in der schwedischen wie in der internationalen Studentenbewegung aktiv und etablierte ein wertvolles inter-nationales Kontaktnetz; lernte die Dritte

in den USA; erntete in Prag kommunisti-sche Buh-Rufe. Mit sich brachte er so-wohl Antikolonialismus als auch Anti-kommunismus in die Sozialdemokratie hinein. Der Kampf gegen den Kommu-nismus war in der schwedischen Sozial-demokratie zwar bereits verankert, aber noch nicht die Kritik am Kolonialismus.

Diese beiden Verhaltensweisen ziehen sich wie ein roter Faden durch Palmes gesamte politische Leistung und machten ihn besonders geeignet, sich zum Dolmet-scher der Kritik am Vietnamkrieg zu er-klären und die starke Rolle der Sozialde-mokratie während der Radikalisierung Ende der sechziger und in den siebziger Jahren zu sichern. Der Rest des Buches ist vielleicht nicht gleichermaßen bahn-brechend, wenngleich ebenfalls ausge-sprochen gut geschrieben.

Henrik Berggren ist Historiker sowie frü-herer Kulturchef und Leitartikler bei der liberalen Tageszeitung Dagens Nyheter.

Es ist schwierig, ihn in eine Schublade einzuordnen. Vielleicht kann man ihn als linksliberal mit sozialdemokratischen Sympathien beschreiben. Auf jeden Fall hat er sein Buch vor diesem Horizont ge-schrieben. Und das macht Berggren in der schwedischen Öffentlichkeit von heute ziemlich einzigartig. Dies war ein Hinter-grund und eine Position, die sowohl Pal-mes Zeit als auch ihn selbst geformt ha-ben, die es aber heute nicht mehr richtig

terpartiet; früher Bauernpartei, bondeför-bundet) ist ziemlich neoliberal geworden, und die Volkspartei (Folkpartiet libera-lerna) hat sich wie viele andere europäi-sche liberale Parteien in gewisser Weise wertkonservativ, in mancher Hinsicht ge-radezu autoritär entwickelt. Die politische Landschaft ist heute eine andere.

Aber Berggren hebt zweifellos einen wichtigen Aspekt Olof Palmes hervor. In Berggrens Buch wird er vor allem zu ei-nem modernistischen Politiker mit libera-len Neigungen, der herrliche Zeiten an-brechen sah und lange Zeit ein unerschütterlicher Optimist war. Er besaß ein enormes Vertrauen in Technik und Politik und all die Entwicklungsmöglich-keiten, die diese mit sich brachten. Palme gerät in Berggrens Buch eher zu einem schwedischen Kennedy als einem Arbei-terführer. Diesen Zug gab es in Palmes politischem Arsenal zweifellos. Dieser politische Hintergrund prägte auch den Technikoptimismus und die Hoffnungen der Nachkriegszeit, die Fehler der Gesell-schaft beheben zu können. Und es war dieser Zug der Sozialdemokratie, der Palme anzog, im Unterschied zum schwedischen Bürgertum, das konservativ war und eher die Hindernisse als die Möglichkeiten sah. Deshalb ist der Titel des Buches auch so treffend: Vor Olof Palme lagen herrliche Zeiten. Die Sozial-demokratie gab das Versprechen, dass die

heit. Schweden war die Hochburg des Modernismus.

Hier liegt aber auch ein Problem von Berggrens Buch. Der Verfasser lässt Pal-me auf diese Weise kleiner werden. Olof Palme war auch ein Politiker, der sich in eine sozialdemokratische Erzählung ein-schrieb. Während seiner Zeit radikalisier-te sich die Sozialdemokratie in bemer-kenswertem Maße, der Anteil des öffentlichen Sektors am Bruttonational-produkt stieg, und Schweden wurde zu einem Land mit höheren Wohlfahrtsambi-tionen als viele andere europäische Län-der. Vor allem wurde der Geschlechter-vertrag verändert, als das schwedische Hausfrauensystem gelockert wurde. Olof Palme selbst bahnte den Weg für diese Veränderungen. Seine Reden sind voll von Referenzen an die historischen Vor-gänger der Arbeiterbewegung, Politiker und Intellektuelle, um seine Politik zu begründen. Er war ein Politiker, der deut-lich sagte, dass er demokratischer Sozia-list war – was heute ziemlich ungewöhn-lich ist.

Berggrens Methode besteht darin, Olof Palme in seinen historischen Zusammen-hang zu rücken, in Beziehung zu Ereig-nissen und kulturellen Zeitprägungen zu setzen. Mitunter berichtet das Buch mehr über die Zeit als über Palme. Vor allem aber übersieht Berggren die Bewegung,

in seiner Erzählung quasi nicht vor. Es erstaunt mich, dass Berggren sich kaum mehr als am Rande auf Parteitage oder andere Ereignisse innerhalb der Arbeiter-bewegung bezieht, obwohl beispielsweise der Parteitag 1967, zwei Jahre bevor Palme Parteivorsitzender wurde, die A-genda der radikalen Gleichstellungspoli-tik bestimmte, die dann zu Palmes PoliGleichstellungspoli-tik wurde. Die Sozialdemokratie in Schwe-den war zu diesem Zeitpunkt eine poli-tisch und organisatorisch einzigartig star-ke Bewegung in einem weitverzweigten Netzwerk von Bewegungen und Organi-sationen, die sowohl die Politik als auch die zivile Gesellschaft prägten. Vieles davon ist inzwischen der Vergänglichkeit zum Opfer gefallen, und möglicherweise ist das der Grund dafür, dass es in einer Biografie aus dem Jahre 2010 fehlt. Alle Geschichte wird jetzt und hier geschrie-ben. Jede Zeit schafft sich ihr eigenes Bild der Vergangenheit. Berggrens Buch arbeitet einen weniger sozialistischen und dafür einen liberaleren Olof Palme her-aus. Es liefert eine neue Dimension, legt jedoch die sozialistische Praktik und den Sprachgebrauch der Zeit brach. Wir wer-den sehen, welchen Palme die Zukunft hervorschreiben will.

Im Ganzen ist Henrik Berggrens Biogra-fie die bestgeschriebene und interessan-teste Biografie, die bislang über Olof Palme erschienen ist. Ja, sie ist vielleicht

haupt auf Schwedisch gelesen habe. Sie stellt große Bildung und Einsicht unter Beweis und baut auf imposanter For-schungsarbeit auf. Dass sie dennoch mit leichter Hand verfasst wurde, tut der Sa-che keinen Abbruch. Henrik Berggren hebt die schwedische Biografie auf ein neues, ein höheres Niveau. Und trägt zugleich mit neuen und wichtigen Teilen zu dem Puzzle bei, das die Person und den Politiker Olof Palmes ausmacht.

Håkan A. Bengtsson (Stockholm)

aus dem Schwedischen von Krister Hanne

Erik Magnusson: Den egna vägen. Sverige och den europeiska integrationen 1961–1971. Uppsala: Acta Universitatis Upsaliensis 2009 (= Uppsala Studies in Economic History; 88), 147 S.

Die im September 2009 verteidigte Disser-tation des Uppsalienser Wirtschaftshistori-kers Erik Magnusson beschäftigt sich mit der ersten schwedischen Annäherung an das europäische Integrationsprojekt in den 1960er Jahren. Dabei geht der Autor von der Festellung aus, dass bislang vorge-brachte Begründungen für den nicht er-folgten schwedischen Beitritt zu einseitig die oftmals auch nur unscharf definierten Begriffspaare Neutralität und Wohlfahrts-staat heranzögen. Dies bewirke eine unge-bührliche Verengung der Perspektive, weil sowohl Wohlfahrtsstaat als auch Neutrali-tät inhaltlich weitgehend unverhandelbar seien. Das vorliegende Werk hingegen zielt nach eigenem Bekunden darauf ab, die damals geführte Politik aus einer ex-plizit wirtschaftspolitischen Perspektive zu untersuchen. Der Autor wirft die Frage auf, ob denn „tatsächlich die beiden Iden-titäten des folkhem und der Neutralität ü-ber den wirtschaftspolitischen Interessen gestanden haben“ („Stod verkligen de båda identiteterna forkhemmet och neutra-litetspolitiken över ekonomiskpolitiska interessen?“ S. 24).

Der Untersuchungszeitraum wird durch zwei integrationspolitische Ereignisse

begrenzt: vom ersten EWG-Beitrittsgesuch Großbritanniens aus dem Jahr 1961 (das durch die Bedeutung Großbritanniens als Handelspartner auch für Schweden relevant war) und dem In-krafttreten des Freihandelsabkommens zwischen Schweden und der EWG 1973.

Das Quellenmaterial, auf dem Magnusson seine Arbeit aufbaut, umfasst im Wesent-lichen die Archive der schwedischen Mi-nisterien für Finanzen, Handel und Aus-wärtiges und wird durch Akten aus den Beständen der Kommission des EU-Archivs in Florenz sowie Beständen aus dem privaten Archiv des damaligen Fi-nanzministers Gunnar Sträng ergänzt.

Die Arbeit ist in acht Kapitel unterteilt, die im Prinzip jedoch drei Sinneinheiten bilden. Einer aus den Kapitel 1 und 2 be-stehenden Einleitung (S. 13–43) werden Ausführungen zur Herangehensweise und einige grundlegende Vorüberlegungen bezüglich schwedischer Außenpolitik und schwedischen Außenhandels zur Seite gestellt. Dem folgt ein aus den Kapiteln 3 bis 5 bestehender, vornehmlich deskripti-ver Abschnitt über die historischen Vor-gänge und ihre Perzeption bei den betei-ligten Partnern für die drei ausgewählten

Fallstudien. Das Kapitel 3 (S. 44–66) widmet sich dabei den zwischen 1961 und 1963 stattgefundenen Verhandlungen über eine Assoziierung mit der EWG, die mit dem ersten Veto de Gaulles gegen einen britischen Beitritt ein Ende fanden.

Es folgt in Kapitel 4 eine Darstellung der Vorgänge rund um das offene Beitrittsge-such des Jahres 1967/68 (S. 67–81) und ein Kapitel 5 (S. 82–94) unter der wolki-gen Überschrift „Neue Verhandlunwolki-gen“, das eine Wiederbelebung der Beitrittsver-handlungen zu Beginn der 1970er Jahre zum Thema hat. Die letzte Einheit schließlich besteht aus dem Kapitel 6 ü-ber Neutralität als sicherheitspolitisches Konzept (S. 95–105) sowie einem ab-schließenden Kapitel 7 unter der Über-schrift „Neutralität als Rechtfertigung für wirtschaftspolitische Selbstbestimmtheit“

(S. 106–127), in dem verschiedene wirt-schaftspolitische Maßnahmen vor dem Hintergrund eines möglichen Beitritts in die Gemeinschaft diskutiert werden. Ab-gerundet wird dies von den sowohl in schwedischer als auch englischer Sprache verfassten Schlussfolgerungen (S. 128–

134).

Magnusson argumentiert, dass die geführ-te Politik der schwedischen Neutralität zwar durch einen Beitritt zu den Europäi-schen Gemeinschaften beeinflusst worden sei, dies aber als alleinige Erklärung für die zurückhaltende Position kaum

hinrei-deutung von sicherheitspolitischen Über-legung an sich, relativiert aber ihre Wirkungsmacht. Die schwedische Neutra-litätspolitik sei im Grunde ein höchst pragmatisch angewendeter und anpas-sungsfähiger Ansatz gewesen. Vor allem weist er darauf hin, dass verschiedene andere Initiativen der schwedischen Re-gierung wie etwa NORDEK oder EFTA ebenfalls hätten aufgeben werden müs-sen, wenn die schwedische Regierung konsequent und ausschließlich nach den Kriterien ihres postulierten Ansatzes der Neutralitätspolitik gehandelt hätte. In

hinrei-deutung von sicherheitspolitischen Über-legung an sich, relativiert aber ihre Wirkungsmacht. Die schwedische Neutra-litätspolitik sei im Grunde ein höchst pragmatisch angewendeter und anpas-sungsfähiger Ansatz gewesen. Vor allem weist er darauf hin, dass verschiedene andere Initiativen der schwedischen Re-gierung wie etwa NORDEK oder EFTA ebenfalls hätten aufgeben werden müs-sen, wenn die schwedische Regierung konsequent und ausschließlich nach den Kriterien ihres postulierten Ansatzes der Neutralitätspolitik gehandelt hätte. In

Im Dokument Nordeuropa Forum 1.2011 (Seite 152-164)