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Bildungsbeteiligung und Auslese Die PISA-Studie erinnerte die Bevölkerung

da-ran, dass in keinem anderen beteiligten europäischen Land der Schulerfolg von Kindern so stark von ihrer sozialen Herkunft abhängt wie im reichen Deutschland. Unüber-sehbar ist, dass der Gymnasialbesuch, der bei 15-Jährigen aus Familien der oberen Dienstklasse 50 Prozent beträgt, mit nie dri-ger werdender Sozialschicht auf 10 Prozent in Familien von ungelernten und angelernten Arbeitern sinkt. Dagegen steigt der Haupt-schul besuch von gut 10 Prozent in der oberen Dienstklasse auf rund 40 Prozent in der Grup pe der Kinder aus Fami lien von ungelern ten Arbei-tern.12 Die enge Verknüpfung von sozi aler Her-kunft und Schulerfolg wird durch die deut sche empi ri sche Bildungsforschung dauer haft legt. Deutlich stärker als in den ande ren euro-pä ischen Ländern gelingt es dem deut schen Schulwesen, die gesellschaftliche Un gleichheit in Bildungsungleichheit zu über tragen.

Die Sozialisationsforschung beschreibt den Prozess der sozialen Auslese an der Schule durch einen zirkulären Verlauf. Danach prägt die Sozialisation durch den Beruf weitgehend die Mitglieder der sozialen Unterschicht anders als die der Mittel- und Oberschicht. Diese einstellungs- und handlungsprägenden Charak-terzüge werden von den Eltern an ihre Kinder weitervermittelt. „Da die Sozialisation durch die Schule auf die Ausprägung des Sozial-charakters der Mittel- und Oberschicht besser eingestellt ist als auf die der Unterschicht, haben es die Kinder aus der Unterschicht besonders schwer, einen guten Schulerfolg zu

erreichen. Sie erlangen häufig nur Qualifikationen für die gleichen niederen Berufspositionen, die ihre Eltern bereits ausüben. Wenn sie in diese Berufspositionen eintreten, dann ist der Zirkel geschlossen.“13 Schülerleistungen werden von ihnen selbst so-wie den Lehrern in der Regel ihrem Leistungs-verhalten, dem Unterricht sowie der Begabung oder der Persönlichkeit zugeschrieben.14 Bei genauerer Betrachtung lassen sie sich jedoch

„aus dem Herkunftsmilieu übernommenen kulturellen Gewohnheiten und Möglichkeiten“15 ableiten, die durch schichtspezifische Bildungs-orientierungen verstärkt werden. Lernende aus der Unterschicht erleben zunehmend den Widerspruch zwischen ihren sozialen Orientie-rungen und den an sie gerichteten Anforde-rungen der Schule. Auch die abnehmenden beruflichen Lebensperspektiven der unteren Schicht fördern sicherlich restriktive Grund-haltungen und tragen nicht zu einer allgemein-schulischen Motivation bei. Erfolgreiche Schüler der höheren Schichten erscheinen dagegen nicht als Bildungsprivilegierte – und nehmen sich wohl auch nicht so wahr –, sondern als diejenigen, die über ihre Leistungen die Position erreicht haben. Verbunden mit dem sozialen Kapital ihrer Familien – den gesell-schaftlichen Verbindungen – können sie in der Folge ihre besseren beruflichen Start möglich-keiten weiter ausbauen.16

12 Vgl. Artelt u.a.: PISA 2000. Zusammenfassung zentraler Befunde, in: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin 2001, S. 35.

13 Rolff, H.-G.: Sozialisation und Auslese durch die Schule, Weinheim – München 1997, S. 36.

14 Vgl. Bourdieu, P./Passeron, J. C.: Die Illusion der Chancen-gleichheit. Untersuchungen zur Soziologie des Bildungswesens am Beispiel Frankreichs; Stuttgart 1971, S 30.

15 Ebenda.

16 „Die aus gutem Hause stammenden Schüler, die von ihrer Familie einen ausgeprägten Platzierungssinn mitbekommen haben, (…) sind dazu in der Lage, ihre Investitionen im rechten Augenblick und am

richtigen Ort (…) zu tätigen. Im Gegensatz dazu sind die aus den benachteiligten Familien stammenden Schüler, und da ganz beson-ders die sich meistens ganz und gar selbst überlassenen Einwander-erkinder, häufig ab dem Ende der Primarschulzeit dazu gezwungen, sich den Imperativen der Institution Schule oder dem Zufall zu über-lassen, um sich ihren Weg durch ein immer komplex eres Universum zu schlagen, und sind aus diesem Grunde dazu verurteilt, ein ansons-ten äußerst reduziertes kulturelles Kapital falsch oder zur Unzeit anzulegen.“ Bourdieu, P.: Die intern Ausgegrenzten; in: Bourdieu, P.:

Das Elend der Welt, Konstanz 1997, S. 531.

Pierre Bourdieu sieht in diesem Vorgang eine Kapitalum wand lung von familiärem kulturellem Kapital in lang fristig nutzbares ökonomisches Kapital,17 dem höheren Einkommen.

Die in der Bildungsforschung während der 60er Jahre begonnene Diskussion um den Bildungsnotstand18 mündete in den folgenden Jahren in die sozialliberal geprägte Bildungs-expansion. Sie wurde getragen durch den enormen Ausbau der sekundären und tertiären Bereiche des Bildungswesens, während die aktuelle Bildungsdiskussion eindeutig auf die Förderung der Vor- und Grundschule abzielt.

In der Folgezeit verfügten immer größere Teile der Bevölkerung über mittlere oder höhere Bildungsabschlüsse, die die soziale Ungleichheit der Bildungsabschlüsse kompen-sieren sollten. Die Auslese oder Selektion erfolgte in erster Linie nach Leistung. Aber

„Auslese durch das Bildungssystem ist jedoch nie ausschließlich Auslese nach Leistung, sondern immer auch – gewollt, geduldet oder ungewollt – soziale Auslese. Soziale Merkmale der jungen Menschen – ihre soziale, ethische und regionale Herkunft, ihr Geschlecht – beeinflussen ihre Bildungskarrieren“.19

In der Folge werden die Ausleseprozesse der allgemein schulischen Bildungsqualifikation Bremens transparent gemacht. Ursache ist die fortschreitende soziale Differenzierung, die sich in der gesellschaftlichen Polarisierung der Sozialstrukturen ausdrückt. Als originäre Quellen werden für eine kleinräumige inner-städtische Darstellung die Schüler statis tiken herangezogen. Allerdings fehlen hier, wie bei vielen anderen personenbezogenen Fach-statistiken, die sozialstrukturellen Merkmale.

Durch die Einteilung Bremens in Gebietstypen – eine immer häufiger gebrauchte Methode der Städtestatistik – lassen sich Informations-defizite sozialstruktureller Merkmale aus-gleichen. Allerdings müssen die Gebietstypen ihre wesentlichen Bestimmungen aus sozial-strukturellen Merkmalen erhalten.20 Frühere Einteilungen auf der Basis räumlich unter-schied licher Be-bauung können für diesen Zweck nicht als Hilfs-größe herangezogen werden.21 Für Bremen konnten auf der Basis aktueller sozialstruktureller Indikatoren die Gebietstypen berechnet und in einer Karte visualisiert werden.

17 Vgl. Bourdieu, P.: Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital; in: Die verborgenen Mechanismen der Macht.

Schriften zu Politik & Kultur 1, Hamburg 1992.

18 Vgl. Picht, G.: Die deutsche Bildungskatastrophe; Olten 1964.

19 Vgl. Geißler, R.: Die Sozialstruktur Deutschlands, Wiesbaden 2002, S. 333.

20 Vgl. Henning, E./Lohde-Reiff, R./Sack, D.: Wahlenthaltung in der

Großstadt: Das Beispiel Frankfurt am Main, in: frankfurter statis-tische berichte 3/2001, S. 243 sowie Buitkamp, M.: Sozialraum-analyse in den Quartieren Hannovers, in: agis Info Nr. 10/2000.

21 Vgl. Schnur, H.E.: Alt- und Neubaugebiete der Stadt Bremen – Typisierung stadtbremischer Ortsteile nach ihrer baulichen Struktur unter Berücksichtigung soziogeographischer Merkmale; in:

Statistische Monatsberichte Bremen, Heft 4/1974.

Rekum

Gebietstypen der Stadt Bremen

Gebietstypen

Großsiedlungen mit hoher Transferquote und hohem Migrantenanteil

Arbeiterviertel

Arbeiterviertel mit hoher Transferqoute und hohem Migrantenanteil Kleingärten

Quelle: Statistisches Landesamt Bremen

2.3 Bildungsbeteiligung bremischer