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Big Data – Kategorien zur Kontrolle der Welt

3.   Überwachung: Stand der Forschung und aktuelle Diskussionen

3.2 Theorie in der Praxis von Überwachung

3.2.1 Big Data – Kategorien zur Kontrolle der Welt

Big Data als technisches Konzept sowie als Diskurs des Umganges mit den Folgen der Digitalisierung von Gesellschaft ist ein wichtiger Aspekt gegenwärtiger Diskussionen.

Das gilt sowohl für viele Unternehmen, die den Schatz an Daten heben wollen, um ihre Produkte oder Dienstleistungen zu verbessern, als auch für öffentliche Verwaltungen, die so mehr über den Bürger erfahren können, um ein besseres Management von Städten und Infrastrukturen vorzunehmen. Letztlich interessieren sich selbstverständlich auch die Geheimdienste, Polizeien und andere so genannte Sicherheitsagenturen für die vorhandenen Daten. Und schließlich hat der Begriff Big Data auch in der Forschung zu Überwachung ein neues Feld eröffnet, welches sich nun mit dem Thema und den Praxen darum befasst (Cukier & Mayer-Schönberger 2013; Geiselberger 2013; Andrejevic &

Gates 2014; Müller-Quade 2014).

Daten also sind der Stoff, aus dem Überwachung in der flüchtigen Moderne gemacht ist. Aber wie funktioniert das? Und warum ist das alleinige Vorhandensein der Informationen an sich noch keine Überwachung? Es ist unbestreitbar, dass gegenwärtige Formen der Überwachung und Kontrolle vor allem auf die Verfügbarkeit von Daten angewiesen sind. Aber ist damit – wie es manchmal erscheint – jeder Austausch von Informationen gleich eine Überwachung, jedes Datum ein Skandal? Der Schlüssel dafür liegt tiefer als nur in den Informationen selbst.

Kommunikation von Informationen und Daten ist zunächst etwas, das für das menschliche Leben und ein gesellschaftliches Leben von grundlegender Bedeutung ist.

Ohne einen Austausch von Informationen zwischen den Mitgliedern einer Gruppe oder Gesellschaft ist kein soziales Leben denkbar. Über das Sammeln, Austauschen und Bewerten von Informationen versuchen Menschen sich innerhalb ihrer Umwelt zurecht zu finden bzw. die sie umgebende Welt überhaupt zu begreifen. Die Informationen oder Daten werden z.B. genutzt, um festzustellen, wer jemand ist, wo eine Person herkommt oder mit welcher Absicht sich jemand an einem Ort aufhält, der auch von anderen

Gruppen beansprucht wird. In solchen Fällen geht es um die Identität des jeweils anderen, zur eigenen Sicherheit oder auch nur um die Möglichkeit zu besitzen eine Beziehung zu diesem Menschen aufzubauen. Der Umgang mit Informationen beruht grundsätzlich darauf, dass Informationen bewertet werden. Informationen über die Welt und die dazugehörigen materiellen und nicht-materiellen Dinge und Erscheinungen werden kategorisiert und klassifiziert, um sie mit Bedeutungen und Sinn zu versehen.

Damit handelt es sich dabei um eine zutiefst menschliche Eigenschaft (Bowker & Star 1999), die es ermöglicht auch in einer fremden Umwelt auf Muster zurückzugreifen, mit denen Neues und Altes sinnvoll geordnet werden kann. Kategorien oder Klassifizierungen bestimmen z.B. über gut-böse, essbar-giftig, groß-klein, schön-hässlich usw.. Kategorien müssen nicht immer extreme Paare sein, sondern es kann sich auch um Abstufungen handeln, Einteilungen, in denen Merkmale unterschieden werden oder Definitionen, die sagen wie etwas beschaffen ist, das für einen bestimmten Zweck nützlich, wichtig oder überflüssig ist. Alle Klassifikationen und Kategorien sind von Menschen gemacht. Jede Definition beruht auf von Menschen verabredeten Definitionen, mit denen Grenzen zu anderen Erscheinungen, Dingen oder sozialen Gruppen gezogen werden. Und wer die Macht hat, diese Definitionen zu beeinflussen hat auch die Macht über die Kategorien. Vereinfacht könnte man sagen, dass die Macht darüber zu bestimmen, wie etwas aussieht oder was in eine Kategorie fällt oder nicht, bedeutet, Kontrolle darüber auszuüben in welche Weise die Welt wahrgenommen wird.

Übertragen auf die täglich bei uns anfallenden Daten und ihre mögliche Kategorisierung bedeutet das, dass weniger die Daten als solche das Problem sind, sondern die Kategorien, mit denen sie bewertet werden. Denn erst durch diese erhalten die Daten einen Sinn und können in Bezug auf eine von anderer Seite gemachte Definition weiter verwendet werden. Wenn also ein Einkauf nicht nur bedeutet, dass eine Person Milch, Zucker und Mehl gekauft hat, sondern in der Logik einer Bewertung dieser gesammelten Daten, dass diese Person wohl gern Pfannkuchen isst, welche als nicht gesund eingestuft wären, dann ginge die Erhebung der Daten über eine Aufzählung der gekauften Dinge weit hinaus.

Die Macht darüber zu bestimmen, was einzelne Daten im Zusammenhang bedeuten, ermöglicht die Kontrolle bzw. Überwachung von Menschen, ohne dass diese anwesend sein müssen, noch müssen sie im Augenblick der Kontrolle von dieser wissen. Die Möglichkeit eine Definition zu bestimmen und durchzusetzen, bedeutet darüber zu entscheiden, wer Einlass erhält oder wer ausgeschlossen wird, weil die in der Definition vorgegebene Norm nicht erfüllt wird. Wer die Verfügungsgewalt über Daten und die Definitionsmacht über ihre Bewertung besitzt, kontrolliert die Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe. Eine informationelle Selbstbestimmung, die besagt, dass eine Person die Kontrolle über die Verwendung ihrer eigenen Daten haben soll, ist ohnehin nur noch eingeschränkt möglich. Gerade durch die digitale Vernetzung und

Abhängigkeit unseres sozialen, politischen sowie wirtschaftlichen Lebens, ist eine selbstbestimmte Verfügung und Bewertung der eigenen Daten immer weniger realisierbar. Somit entschwindet jedem einzelnen Bürger die Kontrolle über die Verwendung von Daten immer mehr. Für Strategien der Überwachung werden solche Kategorien und Klassifikationsmuster aber immer wichtiger und bilden heute das entscheidende Element von sozialer Kontrolle durch Staat und Wirtschaft.

Auch ohne Big Data hat es Überwachung im Sinne einer systematischen Kontrolle von Menschen wahrscheinlich in der einen oder anderen Form schon immer gegeben. Das Aufkommen einer rationalen Bürokratie, inklusive einer modernen Polizei im 18. und 19. Jahrhundert hat diese Überwachung jedoch systematisiert und institutionalisiert (Vgl. Giddens 1984; Weber 1972; Winkelmann & Förster 2007; Kammerer 2008;

Zerback 2009). Apparate wurden geschaffen, mit denen Menschen überwacht, ausspioniert und kontrolliert werden konnten. Die Stasi der DDR ist das wohl umfassende Beispiel für diese klassische „alte“ Form der Überwachung, die an Personen als Personen interessiert war (vgl. Giseke 2011). Zur Überwachung gehörten auch immer schon verschiedene Maßnahmen der Kriminalistik, um Personen an Merkmalen (wieder) zu erkennen, wie etwa die Geschichte des Fingerabdruckes oder der Verbrecherfotografie zeigt (vgl. Berchthold 2007, Kammerer 2008). Solche (Daten-) Sammlungen, in denen Merkmale, Ereignisse und Personen zusammengeführt werden konnten, sind für viele Überwachungspraktiken von entscheidender Bedeutung gewesen und heute der Kern der meisten Praxen, die als Überwachung beschrieben werden können. Die Möglichkeiten von Computern haben neue Formen der Überwachung geschaffen, die sich von den bisherigen darin unterscheiden, dass sie nicht länger an der Person als Person interessiert sind (vgl. u.a. Rule 1974, Marx 2002). Für solche neuen Formen der Überwachung sind die Zusammenhänge, in denen Daten abgegeben oder gesammelt werden, viel interessanter als die eigentliche Person, da generell eher die Gesellschaft als solche anhand der Daten, Filter und Kategorien unter Beobachtung steht. Eine solche Überwachung konzentriert sich auf die Merkmale und mögliche Zusammenhänge und sucht die Personen, die es zu überwachen gilt, erst aufgrund der jeweils passenden Daten heraus (vgl. Marx 2002). Das bedeutet aber, dass potentiell alle möglichen Daten von möglichst vielen Menschen gesammelt werden müssen – denn es ist ja völlig unbekannt wer wo überwacht werden soll und vor allem, ob ein Anlass zu direkter Überwachung besteht. Um eine effektive Kontrolle oder Überprüfungs-möglichkeit zu schaffen, bedarf es möglichst vieler verschiedener Daten und Merkmale, die zusammengeführt werden können – Big Data eben, um in die Zukunft zu schauen (vgl. Zurawski 2014). Diese Daten können aus persönlichen Daten stammen, aus biometrischen Merkmalen (Fingerabdruck oder DNA-Profile), Einträgen bei der Schufa, Einkäufen, die Art der Auslandsbesuche usw.. Überwachung bedeutet unter diesen Bedingungen eine ständige Risikoabschätzung und eine möglichst voraus-schauende Kontrolle, um bereits im Vorwege maschinengesteuert eine Überprüfung

durchzuführen und Kontrolle auszuüben. Überwachung als Idealtypus bedeutet die Kontrolle möglicher Abweichungen von einer durch Daten und Kategorien erzeugten Norm. Das Bewusstsein davon kann in der Gesellschaft zu Konformität führen, die sich durch eine soziale Kontrolle so nicht ergeben würde, da jene wesentliche wandelbarer und durch die Gegenseitigkeit auch offener und flexibler gestaltbar wäre. Big Data ist vor allem vor dem Hintergrund einer Moderne, die von Flexibilisierung und der Rekombination der Wirklichkeit (vgl. Gugerli 2009, 13, 89f.) gekennzeichnet ist, für die Analyse von Überwachung zentral, wenn es nicht die Masse an Daten selbst ist, die diese Rekombinationsmöglichkeiten erst selbst geschaffen hat.