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Die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit von Anstaltsleitern bei vollzugsöffnenden Entscheidungen im Strafvollzug

II. In Betracht kommende Delikte und die Diskussion um den Aufbau der Fahrlässigkeitsprüfung

25 BGH NJW 2020, 2124 (2126)

26 BGHSt 37, 184 = NJW 1991, 501.

Die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit von Anstaltsleitern bei vollzugsöffnenden Entscheidungen

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Rechnung.27 Die Vollzugsleitung hat eine Gesamtwürdigung der prognostisch maßgeblichen Umstände vorzunehmen.28 Flucht- oder Missbrauchsgefahr können nur angenommen werden, wenn konkrete Tatsachen vorliegen, die die Annah-me stützen, der oder die Gefangene wolle fliehen oder die geringere Sicherung des offenen Vollzugs zur Begehung von Straftaten missbrauchen. Welche Umstände für die Prognose maßgeblich sind, ist allerdings nicht endgültig geklärt. Im Hinblick auf die Fluchtgefahr sollen frühere Fluchten oder Fluchtversuche, fehlende soziale Bindungen, das Beiseite-schaffen von Vermögenswerten oder auch ein neues Ermitt-lungsverfahren mit drohender hoher Strafe berücksichtigt werden.29 Als Prognosekriterien für die Missbrauchsgefahr werden „die Persönlichkeit des Gefangenen, sein Vorleben, (etwaige) frühere Straftaten, die Umstände und das Gewicht der Tat, die Tatmotivation sowie die Entwicklung im Voll-zug“30 genannt. Diese Prognosekriterien lehnen sich an die Risikofaktoren an, welche die kriminologische Rückfall-forschung auf empirischer Grundlage für die Prognose der Rückfälligkeit ermittelt hat.31 Es ist mittlerweile anerkannt, dass strukturierte Prognoseinstrumente, welche die Gefahr von Rückfalltaten unter Berücksichtigung empirisch validier-ter Krivalidier-terien ermitteln, rein intuitiven Prognosen überlegen sind.32 Bisher sind für den Vollzug einsetzbare Prognose-instrumente allenfalls für bestimmte Vollzugspopulationen (z.B. Sexualstraftäter) vorhanden,33 und selbst hier ersetzen sie die vom Gesetz geforderte individuelle Einschätzung des konkreten Einzelfalls nicht, sondern können lediglich dabei helfen, den Einzelfall im „kriminologischen Erfahrungs-raum“34 zu verorten.35

27 Laubenthal (Fn. 13), Rn. 352.

28 OLG Frankfurt a.M. StV 2003, 399.

29 Hettenbach, in: Graf/Gerhold (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar, Strafvollzugsrecht Rheinland-Pfalz, Stand:

1.8.2020, RhPfLJVollzG § 22 Rn. 17 m.w.N. aus der Rspr.

30 Hettenbach (Fn. 29), RhPfLJVollzG § 22 Rn. 19.

31 In der internationalen Vollzugspraxis setzt sich zunehmend die Anlehnung an die von Bonta/Andrews, The psychology of criminal conduct, 6. Auflage 2017, S. 44 ff., kategorisierten Risikofaktoren durch. Die deutsche Diskussion wird durch die Darstellung der Risikofaktoren nach Nedopil, Forensische Psychiatrie: Klinik, Begutachtung und Behandlung zwischen Psychiatrie und Recht, 3. Aufl. 2007, sowie durch Rasch, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl. 1999, geprägt.

32 Rettenberger, Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kri-minologie 2018, 28 (31).

33 Ein Überblick über die vorhandenen Prognoseinstrumente findet sich bei Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Die Straf-zumessung und ihre Grundlagen, 3. Aufl. 2012, S 380 ff., Dünkel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), Nomos Kommentar, Strafgesetzbuch, Bd. 1, 5. Aufl. 2017, § 57 Rn. 107 ff.

34 Boetticher et al., Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 2007, 90 (99).

35 Rettenberger, Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kri-minologie 2018, 28 (34).

Im Hinblick auf die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit dürfen hier lediglich der Wissenstand und die Fähigkeit zur Prognose eines durchschnittlichen Vollzugsleiters berücksichtigt wer-den. In aller Regel sind Vollzugsleiter keine Experten der forensischen Psychiatrie, sodass von ihnen kein besonderes Spezialwissen in Bezug auf neueste Forschungserkenntnisse oder wissenschaftliche Diskussionen über die spezifischen Mängel der einzelnen Prognosekriterien erwartet werden kann. Erwartbar ist hingegen, dass sie ihre Prognosen über die Flucht- und Missbrauchsgefahr nicht (nur) rein intuitiv mit Blick auf ihren gesunden Menschenverstand treffen, sondern dass sie die diskutierten Prognosekriterien wahrneh-men und entscheiden, ob und inwiefern sie auf den konkreten Einzelfall anzuwenden sind. Einer Einschätzung der Flucht- oder Missbrauchsgefahr, die derlei Überlegungen gar nicht erkennen lässt, fehlt es an einer vollständigen Tatsachen-grundlage und sie ist in der Folge sorgfaltspflichtwidrig. Wie und mit welcher Folge die Kriterien im Einzelfall angewen-det werden, bleibt dann dem gerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum überlassen.

Diese Wertungen gelten grundsätzlich auch für den Maß-stab, mit dem die Vollzugsleitung die Flucht- und Miss-brauchsgefahr einzuschätzen hat. Laut § 22 LJVollzG RP darf sie „nicht zu befürchten“ sein. Hinsichtlich des materiel-len Gehalts der Entscheidung hat der BGH in seinem Urteil bekräftigt, dass die Vollzugsbehörde „mehrere – jeweils gleichermaßen rechtlich vertretbare – Entscheidungen treffen kann“36. Fraglich ist, wo die Grenze des Unvertretbaren er-reicht ist, die eine Sorgfaltspflichtverletzung bedeuten und somit eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit auslösen kann. Da eine hundertprozentig sichere Prognose schon nach der Definition der Prognose als einer „Wahrscheinlichkeitsaussage“ nicht möglich ist,37 kann das „nicht zu befürchten“ aus § 22 LJVollzG RP nicht in dem Sinn ausgelegt werden, dass eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr sicher ausgeschlossen wer-den muss. Vielmehr geht es darum, dass die Risiken nach einer Abwägung aller relevanten Aspekte in Kauf genommen werden dürfen. In die Fahrlässigkeitsdogmatik übersetzt heißt dies, dass ein Bereich des erlaubten Risikos vorhanden ist, den der Anstaltsleiter ausschöpfen kann, ohne dass er eine Sorgfaltspflichtverletzung begeht.38 Das erlaubte Risiko ist insofern normativ vorstrukturiert, als die Anstaltsleitung auf der einen Seite das verfassungsrechtlich gesicherte Resoziali-sierungsgebot und auf der anderen Seite die

Sicherheitsinte-36 BGH NJW 2020, 2124 (2126), mit Verweis auf BVerfG NStZ-RR 2019, 391.

37 Dünkel (Fn. 33), § 57 Rn. 108 m.w.N.

38 Das erlaubte Risiko im Rahmen der Fahrlässigkeitsprüfung zur Begrenzung der Sorgfaltspflichten heranzuziehen, ent-spricht unter anderem der Meinung von Mitsch, JuS 2018, 1167; Kaspar, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2019,

§ 9 Rn. 41; Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht, Allgemei-ner Teil, 9. Aufl. 2020, § 33 Rn. 26. Anderer Ansicht sind wohl Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 50. Aufl. 2020, Rn. 265, Teil II, Kap. 6, die das erlaubte Risiko wie bei der Prüfung von Vorsatzdelikten im Rahmen der objektiven Zurechnung prüfen wollen.

Ineke Regina Pruin

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ressen der Allgemeinheit, konkret die Wahrscheinlichkeit und Schwere möglicherweise drohender Straftaten und Rechts-gutverletzungen,39 zu berücksichtigen hat. In diesem Span-nungsfeld muss eine sorgfältige Abwägung erfolgen,40 die sich auch in der Entscheidungsbegründung wiederfindet. Die Grenze des erlaubten Risikos ist überschritten, wenn die Eignungsbeurteilung für den offenen Vollzug unter Berück-sichtigung aller Umstände unvertretbar erscheint.41 An dieser Stelle entstehen in Bezug auf etwaige Fahrlässigkeitsstraf-barkeiten die stärksten Unsicherheiten. So soll die Eignung für vollzugsöffnende Maßnahmen bei Gefangenen, die wegen eines schweren Gewalt- oder Sexualdelikts inhaftiert sind, besonders gründlich geprüft werden.42 Andererseits kann allein aus der Deliktsart oder der Strafhöhe eine fehlende Eignung nicht hergeleitet werden.43 Aufgrund dieser voll-zugsfachlichen Unbestimmtheiten kann der Prüfungsmaßstab für die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit sich nur darauf richten, ob die für die Bestimmung der Gefährlichkeit evidenten Fakto-ren überhaupt erwogen worden sind.

Vergleichbare Maßstäbe sind auf der nächsten Stufe der Eignungsbeurteilung anzusetzen. Über die Bewertung der Flucht- und Missbrauchsgefahr hinaus muss der zu beurtei-lende Gefangene den besonderen Anforderungen des offenen Vollzugs genügen. Auch hinsichtlich dieses Merkmals gibt es keine abschließenden und zwingend anwendbaren Maßstäbe, wohl aber von der Rechtsprechung entwickelte Beurteilungs-kriterien. Die Eignung ist im Hinblick auf die reduzierten oder aufgehobenen Sicherheitsvorkehrungen im offenen Vollzug zu bestimmen. Der Rechtsprechung zufolge sind deshalb zum Beispiel die Gemeinschaftsfähigkeit und die Gemeinschaftsverträglichkeit, die Bereitschaft zu uneinge-schränkter Mitarbeit, die korrekte Führung unter geringer Aufsicht oder die Aufgeschlossenheit gegenüber sozialpäda-gogischen Bemühungen zu überprüfen.44 Zum (nicht mehr gültigen) § 10 des Strafvollzugsgesetzes des Bundes be-schrieben Verwaltungsvorschriften der Länder Beurteilungs-richtlinien für die Ungeeignetheit für den offenen Vollzug, die auch weiterhin in der Vollzugspraxis Erwähnung finden.

Danach können als weitere Bewertungsmaßstäbe die Sucht-gefahr der Gefangenen oder die Befürchtung eines negativen Einflusses auf andere Gefangene herangezogen werden. Auch

39 BGH NJW 2020, 2124 (2126).

40 Schatz, NStZ 2003, 581 (582).

41 BGH NJW 2020, 2124 (2126). Dass letztlich das erlaubte Risiko bei der Bestimmung der Sorgfaltspflichtverletzung entscheidend ist, kann als Argument des Prüfungskonzepts von Roxin angesehen werden, der eine besondere Bestim-mung der Sorgfaltspflichtverletzung als ungenau ansieht und das Fahrlässigkeitsdelikt allein durch die Kriterien der objek-tiven Zurechnung ausfüllen will (Roxin/Greco, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 1, 5. Aufl. 2020, Fn. 11, § 24 Rn. 12), in deren Rahmen die Prüfung des erlaubten Risikos zentral ist.

42 Laubenthal (Fn. 13), Rn. 352.

43 OLG Frankfurt a.M. StV 2003, 399 (400).

44 Laubenthal (Fn. 13), Rn. 350; Arloth/Krä (Fn. 19), StVollzG § 10 Rn. 8.

hier gilt wieder, dass der Beurteilungsspielraum die Freiheit lässt, vertretbare Entscheidungen zu treffen.

Wenn die Eignung für den offenen Vollzug positiv fest-gestellt ist, muss noch eine Ermessensentscheidung getroffen werden, die ebenfalls Ansatzpunkt für eine Fahrlässigkeits-strafbarkeit sein kann, wenn hier nicht vertretbare Entschei-dungen getroffen werden. Dabei ist der Grad der Ermessens-bindung zu berücksichtigen: Bei positiv festgestellter Eig-nung „soll“ eine Unterbringung im offenen Vollzug erfolgen.

Das bedeutet, dass das Gesetz grundsätzlich davon ausgeht, dass der offene Vollzug mit Blick auf die Resozialisierung als die geeignetere Vollzugsform anzusehen ist. Bei der für die Fahrlässigkeitsprüfung erforderlichen Beurteilung der Grenze des Vertretbaren muss also berücksichtigt werden, dass die Vollzugsleitung hier nur in besonderen Ausnahmefällen die Unterbringung im offenen Vollzug versagen darf.45

2. Sorgfaltspflichtverletzungen bei Entscheidungen zu Vollzugslockerungen

In Bezug auf die Gewährung von Vollzugslockerungen46 sind die Maßstäbe zur Ermittlung einer Sorgfaltspflichtverletzung in weiten Teilen mit denjenigen der Unterbringung im offe-nen Vollzug vergleichbar. Die Entscheidung richtet sich in Rheinland-Pfalz nach § 45 Abs. 2 LJVollzG RP. Auch hier müssen zunächst Prognosen über die Fluchtgefahr und die Gefahr der Begehung von Straftaten während der Lockerung angestellt werden, wobei für die Beurteilung dieser Gefahren der Vollzugsleitung wiederum ein Beurteilungsspielraum47 zugestanden wird. Für das Entscheidungsverfahren gilt das für Öffnungsentscheidungen Gesagte. Ein erheblicher Unter-schied besteht jedoch hinsichtlich des Entscheidungsmaß-stabs: Lockerungen dürfen gewährt werden, „wenn verant-wortet werden kann zu erproben, dass die Strafgefangenen […] sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe […] nicht entziehen und die Lockerungen nicht zu Straftaten missbrauchen wer-den“. Der Rahmen des erlaubten Risikos ist im Vergleich zum Maßstab des „nicht zu befürchten“, der für den offenen Vollzug gilt, größer: Durch die Klausel „wenn verantwortet werden kann zu erproben“ wird ausgedrückt, dass eine Lockerung trotz eines bestehenden Restrisikos möglich ist, wenn dieses nach Abwägung aller Umstände in Kauf ge-nommen werden kann.48 Es muss daher zwar auch hier eine Gesamtabwägung mit dem Resozialisierungsziel des oder der

45 Laubenthal (Fn. 13), Rn. 354.

46 Die Terminologie ist hinsichtlich der Vollzugslockerungen nicht einheitlich. In § 45 Abs. 1 LJVollzG RP gelten als Lo-ckerungen im Erwachsenenstrafvollzug „namentlich“ der Be-gleitausgang, der unbegleitete Ausgang, der Langzeitausgang und der Freigang.

47 BGH NJW 2020, 2124 (2126).

48 Dieser Risikomaßstab wurde in der Gesetzgebungsgeschich-te der Landesstrafvollzugsgesetze bewusst in Anlehnung an

§ 57 StGB und die dazugehörende Rechtsprechung gewählt.

Hier hatte Frisch schon in ZStW 102 (1990), 707 (719 f.), das um der spezialpräventiven Ziele willen in Kauf zu neh-mende Risiko beschrieben.

Die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit von Anstaltsleitern bei vollzugsöffnenden Entscheidungen

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Gefangenen stattfinden,49 die Grenze des Vertretbaren ist aber weiter gesteckt als im Rahmen des offenen Vollzugs.

Auch unterscheiden sich die Verpflichtungsgrade der Ermessenentscheidung beim offenen Vollzug von denjenigen bei Vollzugslockerungen: Während das Ermessen im Fall der Unterbringung im offenen Vollzug nach den rheinland-pfälzischen Regelungen gebunden ist („sollen […] unterge-bracht werden“), ist es im Fall der Lockerungsgewährungen frei („dürfen […] gewährt werden“), so dass der Ermessens-spielraum der Anstaltsleitung vergrößert wird und die Gren-zen der Unvertretbarkeit ihrer Entscheidung verengt werden.

Dies ist auch dem Umstand geschuldet, dass im Vergleich zu den oben beschriebenen Öffnungsentscheidungen bei Locke-rungsentscheidungen der Gefangene nicht nur in einen weni-ger gesicherten Vollzugsalltag überführt wird, sondern – je nach Lockerungsart begleitet oder unbegleitet – in die Au-ßenwelt. Gebunden wird das Ermessen hingegen wiederum dann, wenn die Strafgefangenen sechs Monate vor ihrer

ge-planten Entlassung stehen: Dann „sind“ ihnen laut

§ 49 Abs. 4 S. 1 LJVollzG RP die „erforderlichen Lockerun-gen zu gewähren, sofern nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit“

eine Flucht oder ein Missbrauch der Lockerungen zu Straf-taten zu erwarten ist. In diesen Fällen wird also der Ermes-senspielraum hinsichtlich der Lockerungsversagung enger50 und das erlaubte Risiko größer im Vergleich zur Verantwor-tungsklausel bei den Lockerungen außerhalb der Entlas-sungsphase. Damit wird gesetzlich berücksichtigt, dass die kurz vor der Entlassung stehenden Gefangenen ohnehin bald freie Menschen sein werden und somit die Erprobung dieser Freiheit, die zudem noch mit verhaltensleitenden Weisungen verbunden werden kann, angezeigt ist.

Letztlich bleibt es auch hier im Hinblick auf die Prüfung einer Sorgfaltspflichtverletzung bei der Wertung, dass selbst

„mutige“ Entscheidungen keine Sorgfaltspflichtverletzung darstellen, solange das erlaubte Risiko nicht offensichtlich in nicht vertretbarer Weise überschritten worden ist.51 Dies gilt auch dann, wenn sich die Entscheidung rückwirkend als

„falsch“ erweist.

3. Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Überprüfung von Weisungen

Lockerungen im Strafvollzug (§ 47 LJVollzG RP) können mit Weisungen verbunden werden.52 Weisungen sind Verhal-tensanordnungen, die Flucht- oder Missbrauchsgefahren reduzieren sollen.53 Bei der Erteilung von Weisungen können Sorgfaltspflichtwidrigkeiten auftreten, die eine Fahrlässig-keitsstrafbarkeit auslösen. Im aktuellen Urteil hat der BGH

49 Beck, in: Graf/Gerhold (Fn. 29), Stand: 1.8.2020, RhPfLJ-VollzG § 45 Rn. 17.

50 Die Lockerungen können nur in begründeten Ausnahmefäl-len versagt werden.

51 In diesem Sinn schon Kusch, NStZ 1985, 385 (392).

52 In einigen Bundesländern sind die Anstaltsleitungen bei der Gewährung von Lockerungen sogar zur Weisungsertei-lung verpflichtet, siehe die Übersicht bei Laubenthal (Fn. 13), Rn. 555.

53 Laubenthal (Fn. 13), Rn. 555.

verdeutlicht, dass es eine Sorgfaltspflichtwidrigkeit darstellt, wenn die Weisungen nicht mindestens stichprobenartig auf ihre Einhaltung überprüft werden.54

Aus dogmatischer Sicht ist zunächst fraglich, ob es sich bei einer fehlenden Kontrolle der Einhaltung von Weisungen oder einer fehlenden Weisungserteilung nicht eher um eine Pflichtwidrigkeit durch Unterlassen als um eine Pflichtwid-rigkeit durch Tun handelt. Nach Ansicht des BGH kommt es für die Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen auf den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit an.55 Dieser ist im Feh-len der KontrolFeh-len zu sehen, also in einem Unterlassen, weil dem Vollzugsleiter durch den Erlass der Weisung eine (zu-sätzliche) Verhaltenspflicht obliegt, die Einhaltung dieser Weisungen auch zu überwachen. In der Literatur wird teil-weise vertreten, dass beim Fahrlässigkeitsdelikt nicht zwi-schen Tun und Unterlassen unterschieden werden solle, weil jeder Fahrlässigkeitsstrafbarkeit ohnehin eine Unterlassung innewohne.56 Im Fall der fehlenden Kontrolle von Weisungen hat diese Unterscheidung dann keine besonderen Auswirkun-gen auf das Strafbarkeitsrisiko, wenn den Anstaltsleitern im Straf- und Maßregelvollzug eine Garantenstellung zukommt.

Eine Garantenstellung kann aus der Aufgabenbestimmung des Vollzugs hergeleitet werden.57 Danach hat der Vollzug

„die Aufgabe, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen“58. Anstaltsleiter sind also grundsätzlich (Überwa-cher-)Garanten dafür, dass der Allgemeinheit (innerhalb und außerhalb der Vollzugsanstalt) keine (Rückfall-)Gefahren seitens der Gefangenen drohen.59 Für die Bestimmung einer konkreten Handlungspflicht kann die Aufgabenbestimmung allerdings nicht herangezogen werden: Die als „Aufgabe“

betitelte Bestimmung enthält keine einzelnen Handlungs-gebote, aus denen eine solche Pflicht entstehen könnte, son-dern ist als allgemeine Ausrichtung des Vollzugs zu verste-hen.60 Sie betrifft die inhaltliche Ausgestaltung des Vollzugs,